4.Inhalt des SchV I

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Transcript 4.Inhalt des SchV I

Schuldrecht AT, 15.04.2014
PD Dr. Sebastian A.E. Martens, M.Jur. (Oxon.)
§ 3: Der Inhalt der Schuldverhältnisse
• Gestaltungsfreiheit der Parteien innerhalb der
Grenzen des zwingenden Rechts
• Traditionell Beschränkung der inhaltlichen
Kontrolle von Verträgen nur auf extreme
Ungerechtigkeiten (§§ 134, 138) bei formaler
Kontrolle eines prozedural einwandfreien
Vertragsschlusses (§§ 119, 123).
• These von der Richtigkeitsgewähr ausgehandelter
Verträge (Schmidt-Rimpler)
• Zunehmende Materialisierung des Vertragsrechts
• Inhaltskontrolle von AGB (§ 307 BGB); weitergehend bei Verbraucherverträgen (§ 310 Abs. 3 BGB)
• Der Inhalt des Vertrags bestimmt die
gegenseitigen Rechte (Ansprüche) und
Pflichten der Vertragsparteien.
• Wenn vertragliche Ansprüche bestehen, muss
ihr genauer Inhalt und Umfang durch
Auslegung (§ 133, 157) des Vertrags ermittelt
werden.
• Gedanklich sollten die Rechte und Pflichten
stets präzise bestimmt werden.
• Im Gutachten darf man auf die Einzelheiten
aber nur eingehen, wenn es darauf auch
ankommt.
I. Arten der Schulden
Überblick:
Leistungspflichten
bezogen auf
Vornahme oder
Unterlassung einer
Handlung
Stückschuld
Gegenstände: körperliche
(Sachen) und unkörperliche (Forderungen, Rechte
usw.)
Gattungsschuld
Außerdem: Zinsschulden, Wahlschulden
Sonderfall
Geldschuld
1. Stück- und Gattungsschuld
• Begriff der Gattungsschuld in § 243 Abs. 1 BGB nicht
definiert, sondern vorausgesetzt: „Wer eine nur der
Gattung nach bestimmte Sache schuldet“
• Gattung bezeichnet eine Menge von Gegenständen,
die gemeinsame Merkmale aufweisen, durch die sich
die Gegenstände von anderen Gegenständen
abgrenzen lassen.
• Stückschulden beziehen sich dagegen auf konkrete,
individuelle Gegenstände.
• Große Bedeutung der Gattungsschuld in der Praxis,
BGB geht aber von Stückschuld aus.
Sonderregeln für Gattungsschulden in §§ 243, 300
Abs. 2, 524 Abs. 2, 2155, 2182 BGB, 360, 373 ff. HGB
Beispiele: Kaufverträge über
a) eine Gurke bei Aldi
b) eine Gurke an einem Marktstand
c) einen Neuwagen beim VW-Händler
d) eine neu herzustellende Luxusjacht
e) einen Welpen aus einem Wurf
f) eine Kiste Riesling 2003 Schloss Volrads
g) den ganzen Jahrgang 2013 des Rieslings
h) 100 Briefmarken „Deutsches Reich“ über
ebay
i) ein Grundstück in einem Neubaugebiet
• Definition der relevanten Gattung und ihrer
Merkmale ist den Parteien überlassen
• Gattungsschulden beziehen sich meist auf vertretbare Sachen i.S.d. § 91 BGB, d.h. Gegenstände,
die nach der Verkehrsauffassung austauschbar sind
• Die Parteien können aber von der objektiven
Verkehrsauffassung nach ihrem subjektivem
Willen abweichen:
– Stückschuld bei vertretbaren Sachen (z.B. ein
bestimmter Neuwagen bei einem Händler)
– Zusammenfassung (eigentlich) unvertretbarer
Sachen zu einer Gattung (Beispiel: mehrere
Grundstücke in einem Gebiet)
• Auswahlrecht der Sachen aus der Gattung liegt
grundsätzlich beim Schuldner.
• § 243 Abs. 1 BGB: Wer eine nur der Gattung nach
bestimmte Sache schuldet, hat eine Sache von
mittlerer Art und Güte zu leisten.
• Beachte aber:
Die Parteien können den Standard frei vereinbaren,
den die zu leistenden Sachen aufweisen müssen.
• Durchschnittliche Beschaffenheit gemäß § 243
Abs. 1 BGB nur subsidiär; Vorrang des Vertrags!
• § 243 Abs. 1 BGB regelt nur Pflicht zur Leistung einer
Sache; entsprechend anwendbar bei Miete,
Dienstvertrag, Herstellung von Werken usw.
Beispiele:
a) A möchte beim Stand des S ein Kilo Kartoffeln der
Sorte „Linda“ kaufen. Er verlangt möglichst kleine
Exemplare. S findet das albern. Er sucht zwar kleine
Kartoffeln heraus, nimmt aber vor allem solche mit
vielen kleinen Dellen und Stellen. Außerdem mischt
er zuletzt noch eine besonders große Kartoffel
unter. Zurecht?
b) K bestellt im Delikatessengeschäft D u.a. 200g
dunkle Schokolade zu einem Preis von 8 Euro/100g.
Bei Lieferung der Ware ist K erst erstaunt und dann
empört, als er entdeckt, dass D ihm zwei Tafeln
Milka „feinherb“ geliefert hat. D meint, dass Milka
doch eine ordentliche Ware sei und dem Durchschnitt entspreche. Mehr müsse er nicht liefern.
Die Beschaffungspflicht des Schuldners
• Grundsätzlich muss der Schuldner bei einer
Gattungsschuld eine Sache iSd § 243 I BGB auf dem
Markt besorgen.
• Untergang einer vom Schuldner für die Leistung
vorgesehenen Sache befreit den Schuldner bei
einer Gattungsschuld grundsätzlich nicht nach
§ 275 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit.
Beispiel:
X hat beim Weinhändler W zehn Kisten Shiraz aus
Südafrika bestellt. Kurz nach Eingang der Bestellung
brennt das Warenlager des W ab. W kann den
bestellten Shiraz jetzt nur zu einem erheblich höheren
Preis besorgen.
Kann X trotzdem auf Lieferung bestehen?
• Die Parteien können (auch konkludent)
vereinbaren, dass die Beschaffungspflicht des
Schuldners auf einen bestimmten Vorrat
beschränkt sein soll, sogenannte Vorratsschuld
(beschränkte Gattungsschuld).
Beispiele:
a. Der Kaufmann K bestellt beim Bauern B einen
Zentner Birnen „Agate fidel“. Vor der Lieferung
brennt das Lager des B ab.
b. X bestellt beim Weingut W sechs Flaschen
Spätlese 1990. Beim Verpacken der Ware gehen
dem W die letzten sechs Flaschen kaputt. Bei
Weinversteigerungen kann man aber noch
Flaschen des Jahrgangs erwerben.
Konkretisierung der Gattungsschuld:
§ 243 Abs. 2 BGB: „Hat der Schuldner das zur
Leistung einer solchen Sachen [dh. einer der
Gattung nach bestimmten Sache] seinerseits
Erforderliche getan, so beschränkt sich das
Schuldverhältnis auf diese Sache“.
• Grundidee: Wenn der Schuldner seinerseits
alles zur Leistung Erforderliche getan hat, soll
er bei einem Untergang der konkret(isiert)en
Sache keine neue am Markt mehr besorgen
müssen, § 275 Abs. 1 BGB greift ein.
• Was seitens des Schuldners zur Leistung
erforderlich ist, hängt vom Vertrag ab.
Mindestvoraussetzung für eine Konkretisierung nach
§ 243 Abs. 2 BGB: Auswahl und Aussonderung von
Sachen, die dem Maßstab des § 243 Abs. 1 BGB
genügen. Im Übrigen abhängig von der Art der Schuld:
• Holschuld: Gläubiger muss die Sache abholen; es genügt, wenn der Schuldner den Gläubiger über die Aussonderung informiert und zur Abholung auffordert.
• Schickschuld: Der Schuldner muss die Sache an den
Gläubiger versenden. Konkretisierung tritt bei
Übergabe der Sache an Transportperson ein.
• Bringschuld: Der Schuldner muss die Sache dem
Gläubiger an seinem (Wohn-)Ort übergeben.
Konkretisierung tritt ein, wenn der Schuldner dem
Gläubiger an seinem Ort anbietet.
Beispiel:
Student S hat beim Versandbuchhändler V im Internet
ein Lehrbuch zum Schuldrecht bestellt. V hat das Buch
auch ordnungsgemäß verpackt und bei der Post
aufgegeben. Bei S ist das Buch indes nie eingetroffen.
Muss V jetzt ein weiteres Buch an S schicken?
• Rechtsfolge der Konkretisierung: Bei Untergang der
Sache wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht
befreit (§ 275 Abs. 1 BGB).
• Die sogenannte Leistungsgefahr geht auf den
Gläubiger über.
• Unterscheide: Leistungsgefahr und Preisgefahr
• Preisgefahr: Muss der Gläubiger die Gegenleistung
erbringen (regelmäßig: zahlen), obwohl er die
Leistung nicht erhält?
Beispiel:
Student S hat beim Versandbuchhändler V im Internet
ein Lehrbuch zum Schuldrecht bestellt. V hat das Buch
auch ordnungsgemäß verpackt und bei der Post
aufgegeben. Bei S ist das Buch indes nie eingetroffen.
Muss V jetzt ein weiteres Buch an S schicken?
• Rechtsfolge der Konkretisierung: Bei Untergang der
Sache wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht
befreit (§ 275 Abs. 1 BGB).
• Die sogenannte Leistungsgefahr geht auf den
Gläubiger über.
• Unterscheide: Leistungsgefahr und Preisgefahr
• Preisgefahr: Muss der Gläubiger die Gegenleistung
erbringen (regelmäßig: zahlen), obwohl er die
Leistung nicht erhält? Antwort: § 326 BGB.
Sonderproblem:
Bindungswirkung der Konkretisierung
• Ist der Schuldner an eine einmal erfolgte
Konkretisierung gebunden, oder kann er noch mit
einer anderen Sache erfüllen?
Beispiel:
K hat beim Autohändler A einen neuen Porsche
bestellt. Als das Auto geliefert wird, ruft A den K an und
informiert ihn darüber, dass der Wagen bereit stünde
und er ihn abholen könne. Bevor es aber dazu kommt,
entdeckt der X den Wagen im Laden des A. X bietet
erheblich mehr Geld und A überlässt ihm deshalb den
Wagen. Als K eintrifft, vertröstet der A ihn auf die
nächste Lieferung. Kann A das tun?
Mindermeinung: Schuldner kann Konkretisierung
rückgängig machen:
• § 243 Abs. 2 BGB soll eine Vorschrift zum Schutz des
Schuldners sein, Schuldner kann auf diesen Schutz
verzichten.
• Bei Rückgängigmachen der Konkretisierung trägt der
Schuldner wieder die Leistungsgefahr, so dass der
Gläubiger ausreichend geschützt ist.
h.M.: Konkretisierung ist bindend:
• Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 BGB soll auch
Gläubiger vor Spekulationen des Schuldners schützen
• Im Einzelfall kann Gläubiger nach Treu und Glauben
(§ 242 BGB) gehalten sein, eine gleichwertige
Ersatzsache anzunehmen.
2. Wahlschuld
§ 262 BGB: Werden mehrere Leistungen in der Weise
geschuldet, dass nur die eine oder die andere zu
bewirken ist, so steht das Wahlrecht im Zweifel dem
Schuldner zu.
• Unterscheide: Gattungsschuld und Wahlschuld
• Geschuldet wird bei der Wahlschuld nicht ein
Gegenstand aus einer Gattung, sondern eine Leistung
aus mehreren verschiedenen.
• Es müssen nicht alle Leistungen erbracht werden,
sondern nur eine ausgewählte.
• Im Zweifel hat der Schuldner das Wahlrecht, Parteien
können aber etwas anderes vereinbaren.
Beispiel: 3-Gänge-Menu mit Auswahl der Gänge.
• Ausübung des Wahlrechts durch WE (§ 263 I BGB)
• Wirkung der Wahl, § 263 II BGB: „Die gewählte
Leistung gilt als die von Anfang an allein geschuldete“.
• Keine Pflicht zur Ausübung des Wahlrechts (h.M.);
daher auch kein einklagbarer Anspruch.
• Komplizierte Prozedur des § 264 BGB bei Verzögerung
der Wahl
• Statt Wahlschuld in der Praxis verbreitet: sogenannte
Ersetzungsbefugnis: Geschuldet wird nur eine Leistung, aber Schuldner kann eine andere Leistung erbringen oder Gläubiger eine andere Leistung fordern.
Beispiel:
Kauf eines Neuwagens. Käufer kann anstelle eines Teils
des Kaufpreises den alten Wagen „in Zahlung geben“.
Literaturhinweise:
• Bernhard, Holschuld, Schickschuld,
Bringschuld – Auswirkungen auf
Gerichtsstand, Konkretisierung und
Gefahrübergang, JuS 2011, 9-15
• Canaris, Die Bedeutung des Übergangs der
Gegenleistungsgefahr im Rahmen von § 243 II
BGB und § 275 II BGB, JuS 2007, 793-798
• Coester-Waltjen, Die Wahlschuld und ihre
Abgrenzung, Jura 2011, 100-103
• Dieckmann, Das Ende der Stückschuld?, ZGS
2009, 9-14
• Schmidt, Geld und Geldschuld im Privatrecht,
JuS 1984, 737-747