21.Der Annahmeverzug

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Transcript 21.Der Annahmeverzug

Schuldrecht AT, 23.06.2014
PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)
5. Rechtsfolgen eines Rücktritts
a. Rückgewähr der Leistungen und Wertersatz
• Durch den Rücktritt wandelt sich das auf den Austausch
von Leistungen gerichtete Schuldverhältnis des Vertrags
in ein Rückgewährschuldverhältnis um.
• Die empfangenen Leistungen sind nach § 346 Abs. 1
grundsätzlich in natura zurückzuerstatten.
• Soweit eine Rückerstattung in natura nicht möglich ist,
besteht gemäß § 346 Abs. 2 grundsätzlich eine Pflicht
zum Wertersatz.
• Die Höhe des Wertersatzes richtet sich nach § 346 Abs.
2 S. 2 nach dem vertraglichen Wertmaßstab der
Parteien.
Wenn die Voraussetzungen des § 346 II BGB vorliegen, ist
weiter zu prüfen, ob ein Anspruch auf Wertersatz nicht
gemäß § 346 III 1 BGB ausgeschlossen ist:
• Nr. 1: Der Rücktrittsgrund zeigt sich erst bei Verarbeitung, Umgestaltung oder Verbrauch (dann analog).
Beispiel: Erst beim Aufschlagen wird deutlich, dass das
Ei verdorben ist.
• Nr. 2: Der Gläubiger hat den Untergang oder die
Verschlechterung zu vertreten; analog, wenn der
Untergang auf einen Mangel zurückzuführen ist.
• Nr. 3: Bei gesetzlichen Rücktrittsrechten darf der
Empfänger der Leistung vor dem Rücktritt darauf
vertrauen, dass er die Leistung endgültig behalten darf.
Deshalb schließt Nr. 3 eine Wertersatzpflicht bei
Beachtung der eigenüblichen Sorgfalt aus.
b. Nutzungen
• Nach § 346 I BGB sind auch aus der Leistung
gezogene Nutzungen herauszugeben.
§ 100 BGB. Nutzungen
Nutzungen sind die Früchte einer Sache oder eines
Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der
Sache oder des Rechts gewährt.
• Die Nutzungen sind nach § 346 I BGB grundsätzlich
ebenfalls in natura herauszugeben.
• Soweit eine Herausgabe in natura unmöglich ist,
greift auch bei Nutzungen § 346 II BGB ein.
• § 346 I BGB betrifft nur tatsächlich gezogene
Nutzungen. § 347 BGB erfasst zusätzlich auch
Nutzungen, die der Schuldner entgegen den Regeln
ordnungsgemäßer Wirtschaft nicht gezogen hat.
c. Verwendungen
• § 347 II BGB enthält Ansprüche bei Verwendungen.
Begriff:
Verwendungen sind alle Aufwendungen (freiwillige Vermögensopfer), die einem Gegenstand zugute kommen.
d. Schadensersatz
§ 346 BGB. […] (4) Der Gläubiger kann wegen Verletzung
einer Pflicht aus Absatz 1 nach Maßgabe der §§ 280 bis
283 Schadensersatz verlangen.
• § 346 IV BGB setzt eine Pflicht nach Abs. 1 voraus und
greift deshalb erst nach einer Rücktrittserklärung ein
(strittig).
• Vor einer Rücktrittserklärung können sich aber aus
dem vertraglichen Schuldverhältnis bereits Rücksichtnahmepflichten nach § 241 II BGB ergeben.
§ 1: Leistungsstörungen
IX. Der Annahmeverzug
1. Grundideen
• Die Leistungserbringung kann auch dadurch gestört
werden, dass der Gläubiger eine Mitwirkungshandlung
nicht vornimmt.
Beispiele:
a. K schließt mit der Agentur A einen Werbevertrag ab. A
soll Plakate für K erstellen. Trotz vieler Aufforderungen der
A sendet K aber keine Bilder des zu bewerbenden Produkts,
die A für ihre Arbeit dringend benötigt.
b. M hat bei V eine neue Wohnung in Osnabrück
gemietet. Nun gefällt es ihm in Bonn aber doch besser, und
er lässt die Wohnung in Osnabrück leer stehen.
• Der Schuldner ist zur Leistung verpflichtet, aber er
hat grundsätzlich keinen Anspruch gegen den
Gläubiger, dass dieser die Leistung auch annimmt.
• Wenn Störungen auftreten, weil der Gläubiger die
Leistung vom Schuldner nicht annimmt, treffen ihn
bestimmte Nachteile.
• Der Gläubiger hat also keine Pflicht, aber eine
Obliegenheit zur Leistungsannahme.
Ausnahmen:
a. Abnahmepflicht des Käufers bei § 433 Abs. 2 BGB
b. Eine Pflicht zur Entgegennahme der Leistung kann
auch vertraglich vereinbart werden oder sich aus
Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben.
2. Voraussetzungen
§ 293 BGB. Annahmeverzug.
Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die ihm
angebotene Leistung nicht annimmt.
Kurzformel:
Nichtannahme trotz Erfüllbarkeit der (möglichen)
Leistung und ordnungsgemäßen Angebots
a. Erfüllbarkeit der (möglichen) Leistung
• Der Schuldner muss zur Leistung (schon) berechtigt
sein; die Leistung muss also erfüllbar sein
(§ 271 BGB)
• Bei Unmöglichkeit (§ 275 BGB) gibt es keinen
Anspruch mehr und auch keinen Annahmeverzug
• Auch vorrübergehende Unmöglichkeit schließt
gemäß § 297 BGB den Annahmeverzug aus, wenn
sie im Zeitpunkt des Angebots oder dann vorliegt,
wenn der Gläubiger seine Mitwirkungshandlung
vornehmen müsste (§ 296 BGB).
• Gleiches gilt nach h.M., wenn der Schuldner zu
diesem Zeitpunkt nicht zur Leistung bereit war.
Grund:
Den Gläubiger sollen keine Nachteile treffen, weil er
nicht bereit war, eine Leistung anzunehmen , die er
sowieso nicht erhalten hätte.
Beispiel:
Der unzuverlässige K erscheint mal wieder nicht zum
Musikunterricht. Allerdings hätte die Stunde sowieso
ausfallen müssen, weil die Klavierlehrerin krank ist.
b. Ordnungsgemäßes Angebot
• Grundsatz: Tatsächliches Angebot (§ 294 BGB).
• Ausnahmsweise genügt ein wörtliches Angebot
(§ 295 BGB)
• In bestimmten Fällen ist ein Angebot sogar
entbehrlich (§ 296 BGB)
i. Tatsächliches Angebot (§ 294 BGB)
• Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu
bewirken ist, tatsächlich angeboten werden.
Beispiel:
A hat sich bei AEKI neue Möbel gekauft, die ihm noch
am selben Tag bis 19:00 Uhr geliefert werden sollen. Als
um 19:30 Uhr noch immer niemand da ist, geht er kurz
zum Essen um die Ecke. Um 19:40 Uhr treffen deshalb
die Lieferanten von AEKI niemanden an.
ii. Wörtliches Angebot
• Genügt gemäß § 295 S. 1 1. Fall, wenn der Gläubiger
die Annahme der Leistung (eindeutig und bestimmt)
abgelehnt hat.
Beispiel (BGH NJW 2009, 2807):
K hat bei dem Gebrauchtwagenhändler G einen
Porsche 911 entdeckt, den er unbedingt haben will. K
und G einigen sich auch über den Kaufpreis, den K
allerdings nicht gleich vollständig bezahlen kann. K
leistet deshalb erst einmal nur eine Anzahlung, und der
Wagen verbleibt auf dem Betriebsgrundstück des G, wo
er des Nachts zerkratzt wird. Als K davon erfährt,
erwacht er unsanft aus seinem Traum vom schmucken
Porsche und erklärt den Rücktritt vom Kaufvertrag. V
weist das zurück und bietet dem K weiter Erfüllung an.
Problem:
Ist ein wörtliches Angebot bei erklärter Verweigerung
der Annahme durch den Gläubiger stets erforderlich?
Dafür:
• Wortlaut
• Systematisches Argument, Umkehrschluss zu § 286 II
Nr. 3 BGB, wo beim Schuldnerverzug in einer entsprechenden Konstellation die Mahnung entbehrlich
ist.
Dagegen:
• Teleologisches Argument: Wörtliches Angebot kann
reine Formalität sein, wenn der Gläubiger die
angebotene Leistung offensichtlich nicht annehmen
würde. Dann ggf. Entbehrlichkeit des Angebots nach
§ 242 BGB.
• Wörtliches Angebot genügt gemäß § 295 S. 1 2.
Fall BGB auch, wenn zur Bewirkung der Leistung
eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist,
insbesondere wenn der Gläubiger die
geschuldete Sache abzuholen hat (Holschuld).
• Gemäß § 295 S. 2 BGB steht dem Angebot der
Leistung die Aufforderung an den Gläubiger
gleich, die erforderliche Handlung vorzunehmen.
• Nach h.M. ist das wörtliche Angebot bzw. die
Aufforderung nach § 295 S. 2 BGB eine geschäftsähnliche Handlung, auf die die §§ 104 ff BGB
entsprechend anzuwenden sind.
iii. Entbehrlichkeit des Angebots
§ 296 BGB. Entbehrlichkeit des Angebots
Ist für die von dem Gläubiger vorzunehmende Handlung
eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, so bedarf es des
Angebots nur, wenn der Gläubiger die Handlung rechtzeitig
vornimmt. Das Gleiche gilt, wenn der Handlung ein
Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für
die Handlung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von
dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt.
• Entspricht § 286 II Nr. 1 und 2 BGB für die
Entbehrlichkeit der Mahnung beim Schuldnerverzug
Beispiele:
Verpasster Frisörtermin; Bauer B soll eine Woche nach
Beginn des Tauwetters eine Saatlieferung abrufen
c. Nichtannahme der Leistung
• Der Gläubiger darf die Leistung nicht
angenommen oder seine Mitwirkungshandlung
nicht vorgenommen haben.
• Auf ein Verschulden kommt es nicht an!
Beispiel:
Der Musikschüler M ist begeisterter Klavierspieler und
untröstlich, als er eines Tages zu krank ist, um zum
Unterricht bei seiner Lehrerin L zu erscheinen.
Eine Woche später ist M eigentlich wieder gesund, aber
auf dem Weg zum Unterricht fährt ihn der unachtsame X
mit seinem Auto an, so dass er erneut den Unterricht
verpasst. Ist M jeweils in Annahmeverzug geraten?
Beispiel:
S hat bei dem Internethändler H eine neue
Waschmaschine gekauft, die H ihm liefern soll.
Als der Angestellte A des H am Dienstagmorgen
unangekündigt bei S an der Wohnungstür
klingelt und die Maschine liefern möchte, ist S
schon bei der Arbeit.
Lösung:
Bei vorübergehender Annahmeverhinderung
gerät der Gläubiger nach § 299 BGB nicht in
Annahmeverzug, wenn die Leistungszeit
unbestimmt war und der Schuldner die Leistung
nicht rechtzeitig angekündigt hat.
§ 298 BGB Zug-um-Zug-Leistungen
Ist der Schuldner nur gegen eine Leistung des
Gläubigers zu leisten verpflichtet, so kommt der
Gläubiger in Verzug, wenn er zwar die angebotene
Leistung anzunehmen bereit ist, die verlangte
Gegenleistung aber nicht anbietet.
Beispiel (BGH NJW 1997, 581):
V hat dem K ein Grundstück zum Preis von 300.000
Euro formgemäß verkauft. Nun allerdings scheint dem
K der Preis ein wenig zu hoch. Er teilt V mit, dass er ihm
nur 290.000 Euro überweisen werde. V erwidert, dass
er sich darauf nicht einlasse, K könne das Grundstück
jederzeit, aber nur zum vereinbarten Kaufpreis haben.
Befindet sich K nun im Annahmeverzug?
3. Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs
a. Fortbestand der Leistungspflicht
• Der Annahmeverzug lässt die Leistungspflicht
des Schuldners grundsätzlich unberührt.
• Der Schuldner hat grundsätzlich auch kein
Rücktrittsrecht wegen eines Annahmeverzugs
des Gläubigers.
• Ausnahme: Arbeits- und Dienstverträge
§ 615 S. 1 BGB: „Kommt der Dienstberechtigte
mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann
der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht
geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung
verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu
sein.“
b. Haftungserleichterung für den Schuldner
§ 300 Abs. 1 BGB
Der Schuldner hat während des Verzugs des Gläubigers
nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.
• Dem Schuldner soll ein Ausgleich dafür gewährt
werden, dass er wegen des Annahmeverzugs länger
mit der Leistungsgefahr belastet bleibt.
• § 300 Abs. 1 BGB gilt nur für Leistungs- und nicht für
Schutzpflichten
Beispiel:
K hat bei V eine Kiste Wein bestellt, die V am nächsten
Tag liefern soll. Der Angestellte A des V trifft aber zur
vereinbarten Zeit niemand bei K an. Auf dem Rückweg
zum Geschäft verschuldet A leicht fahrlässig einen Unfall,
bei dem die für A vorgesehene Kiste zerstört wird.
c. Übergang der Leistungsgefahr bei Gattungsund Geldschulden
§ 300 Abs. 2 BGB
Wird eine nur der Gattung nach bestimmte Sache
geschuldet, so geht die Gefahr mit dem Zeitpunkt auf
den Gläubiger über, in welchem er dadurch in Verzug
kommt, dass er die angebotene Sache nicht annimmt.
• Gefahr iSd § 300 II BGB meint nur die Leistungsgefahr. Die Auswirkungen des Annahmeverzugs auf die
Preisgefahr sind in § 326 II 1 2. Fall geregelt.
• § 300 II BGB hat geringe praktische Bedeutung, weil
regelmäßig bereits Konkretisierung nach § 243 II BGB
eingetreten ist.
• Ausnahmsweise bei Bringschuld und wörtlichem
Angebot (§ 295 BGB) von Bedeutung.
d. Übergang der Preisgefahr und Ausschluss des
Rücktrittsrechts
§ 326 II 1 2. Fall BGB:
„tritt dieser vom Schuldner nicht zu vertretene Umstand
[d.h. dass der Schuldner nach § 275 I bis III BGB nicht zu
leisten braucht] zu einer Zeit ein, zu welcher der
Gläubiger in Verzug der Annahme ist, so behält der
Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung“.
• Der Gläubiger bleibt zur Gegenleistung verpflichtet,
auch wenn er selbst die Leistung nicht mehr erhält.
• Das Vertretenmüssen des Schuldners beurteilt sich
nach §§ 276, 278 BGB und der Privilegierung des § 300
I BGB; auch leichte Fahrlässigkeit schadet dann nicht.
• Ein Rücktritt des Gläubigers ist gemäß § 323 VI 2. Fall
BGB nach ähnlichen Grundsätzen ausgeschlossen.
e. Sonstige Rechtsfolgen
• § 301 BGB: Wegfall der Verzinsung
Grund: Gläubiger soll sein Geld nicht beim Schuldner
anlegen dürfen
• § 302 BGB: Bei Pflicht zur Nutzungsherausgabe sind
fortan nur tatsächlich gezogene Nutzungen
geschuldet
• § 303 BGB: Wenn eine unbewegliche Sache
geschuldet ist, kann der Schuldner nach Androhung
den Besitz aufgeben
• § 304 BGB: Schuldner kann Mehraufwendungen
ersetzt verlangen, die er für das erfolglose Angebot
sowie für Aufbewahrung und Erhaltung des
geschuldeten Gegenstands machen musste.
Literaturhinweise:
• Coester-Waltjen, Die Gegenleistungsgefahr, Jura
2007, 110-114
• Derleder/Hoolmans, Vom Schuldnerverzug zum
Gläubigerverzug und zurück, NJW 2004, 2787 ff.
• Rädler, Der Mieter im "Annahmeverzug" - zur
Vorschrift des § 552 BGB, NJW 1993, 689 ff.
• Schreiber, Der Annahmeverzug des Arbeitgebers,
Jura 2009, 592-597