6.Inhalt des SchV III

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Transcript 6.Inhalt des SchV III

Schuldrecht AT, 28.04.2014
PD Dr. Sebastian A.E. Martens, M.Jur. (Oxon.)
II. Ort und Zeit der Leistung
1. Einleitung
Beispiel:
A entdeckt in einer Zeitungsannonce ein Angebot des Z,
der seine Wohnung auflösen will und unter anderem ein
Sofa für 100 Euro zum Verkauf stellt. A ruft unter der
angegebenen Telephonnummer bei Z an, und beide
einigen sich über den Kauf des Sofas. Am nächsten Tag
ruft A noch einmal bei Z an und sagt ihm, er könne das
Sofa dann am nächsten Wochenende liefern. Z ist
erstaunt. Er meint A müsse sich das Sofa selbst abholen.
Und auch nicht am nächsten Wochenende, sondern erst
in einem halben Jahr. Denn solange brauche er, Z, das
Sofa noch selbst. Wie ist die Rechtslage?
2. Der Leistungsort
a. § 269 Leistungsort
(1) Ist ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus
den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen, so hat die Leistung an dem
Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der
Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte.
• Leistungsort: Der Ort, an dem der Schuldner seine
Leistungshandlung vornehmen muss.
Unterscheide: Leistungsort und Erfolgsort!
• Erfolgsort: Der Ort, an dem der Leistungserfolg eintritt.
• Im Gesetz wird der Leistungsort gelegentlich als
Erfüllungsort bezeichnet (§§ 447, 644 II BGB, 29 ZPO)
• Auch für den Leistungsort ist die Unterscheidung
zwischen Hol-, Bring- und Schickschuld maßgeblich!
Holschuld:
• Gesetzlicher Normalfall (§ 269 Abs. 1 BGB)
• Der Schuldner kann seine Leistung bei sich
vornehmen und dort tritt auch der Erfolg ein
• Leistungs- und Erfolgsort liegen am Wohnsitz des
Schuldners
Beispiel:
J möchte sich die Haare schneiden lassen. Er ruft
deshalb bei dem Frisör F an und vereinbart einen
Termin für den 15.04. um 15:00 Uhr. Als F um viertel
nach drei immer noch nicht da ist, ruft J noch einmal
bei F an. F fragt nun seinerseits, wo J bleibt. Er denkt,
dass J zu ihm in den Salon kommen müsste. Wer hat
Recht?
Schickschuld
• Schuldner muss den Leistungsgegenstand auf den
Weg zum Gläubiger bringen, schuldet aber nicht
den Transport und das Eintreffen
• Leistungsort liegt am Wohnsitz des Schuldners,
Erfolgsort am Wohnsitz des Gläubigers
• Wichtige Fälle: Geldschuld (§ 270 BGB) und
Versendungskauf (§ 447 BGB)
Beispiel:
Der Unternehmer U bestellt bei der japanischen Firma
Sonni S zweitausend neue Smartphones. U und S
vereinbaren, dass S die Geräte dem Spediteur P
übergeben soll. Allerdings liefert P die Geräte nie bei U
ab. U meint, dass er deshalb auch nichts zahlen müsse.
Bringschuld
• Der Schuldner muss den Vertragsgegenstand am
Wohnsitz des Gläubigers leisten
• Leistungs- und Erfolgsort liegen am Wohnsitz
des Gläubigers
• In der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner
die Lieferung der Ware schuldet
Beispiel:
A hat großen Hunger. Er ruft beim Pizzaservice P an und
bestellt eine Pizza „Tutti stagioni XXL“. Als nach einer
halben Stunde immer noch niemand bei ihm geklingelt
hat, ruft er noch einmal bei P an und fragt, wo seine
Pizza bleibt. P meint, die Pizza sei schon lange fertig
und warte auf ihn. Muss A sich die Pizza selber holen?
b. Die Bedeutung des Leistungsortes
• Für das materielle Recht regelt der Leistungsort den
Ort, an dem der Schuldner tätig werden muss
• Der Leistungsort bestimmt auch die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis:
§ 29 Abs. 1 ZPO
Für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis und über
dessen Bestehen ist das Gericht des Ortes zuständig, an
dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist.
Beispiel:
Der Unternehmer U bestellt im Internet eine Maschine
bei Händler H aus München. Als die Maschine bei ihm
geliefert wird, entdeckt U einige Mängel. Da H nichts von
irgendwelchen Mängeln wissen will, möchte U den H
verklagen. Wo muss er das tun?
c. Bestimmung des Leistungsortes
i. Parteivereinbarung („ist ein Ort … bestimmt“):
• Die Parteien können Leistungsort und Erfolgsort
grundsätzlich frei vereinbaren
• Auch konkludente Vereinbarung möglich
• Leistungsort kann auch nachträglich vereinbart
oder geändert werden
• Einseitige Bestimmung des Leistungsorts ist nicht
möglich!
• Vereinbarung über den Leistungsort wirkt sich auf die
gerichtliche Zuständigkeit nur aus, wenn
Vertragsparteien Kaufleute oder juristische Personen
des öffentlichen Rechts sind (§ 29 Abs. 2 ZPO)
ii. Gesetzliche Sonderregelungen
In manchen Ausnahmefällen bestimmt das Gesetz
(idR dispositiv) den Leistungsort, u.a. §§ 697,
700 I 3 BGB (Rückgabeort bei der Verwahrung),
§ 811 I BGB (Vorlegung), § 1194 BGB (Zahlungsort
bei der Grundschuld)
iii. Natur des Schuldverhältnisses
• Natur heißt nichts anderes als „aus den
Umständen zu entnehmen“
• Neben den besonderen Umständen des
Einzelfalls vor allem Verkehrsbräuche und
Handelssitten zu beachten
d. Gegenseitige Verträge
•
•
•
•
Bei gegenseitigen Verträgen (Kauf, Miete, Werkund Dienstvertrag usw.) gibt es nicht notwendig
einen einheitlichen Leistungsort
Frühere Rechtsprechung sah idR den Ort der
vertragscharakteristischen Leistung als
Schwerpunkt des Vertrags und Leistungsort für
beide Leistungen an
Heute differenziertere Betrachtung je nach
Vertrag und Umständen
Für Rückgewähransprüche beim Rücktritt von
einem Kaufvertrag ist gemeinsamer Leistungsort
dort, wo sich die Sache vertragsgemäß befindet.
Beispiele:
Wo sind jeweils die Leistungs- und Erfolgsorte der
vertraglichen Pflichten?
a. Der in München wohnende M bringt sein Auto in
Hamburg zur Reparatur in die Werkstatt.
b. Der Kölner K kauft in Berlin ein Bild.
c. F aus Frankfurt nimmt sich einen Rechtsanwalt aus
Mainz für ein Verfahren vor dem dortigen LG.
d. T wohnt die Tübingen in einer Wohnung zur Miete,
die dem S aus Stuttgart gehört.
e. Der Heidelberger Student H bricht sich im Skiurlaub
das Bein und wird in Garmisch-Patenkirchen ins
Krankenhaus eingeliefert.
f. Der Bonner B arbeitet in Düsseldorf.
e. Sonderfall Geldschuld (§ 270 BGB)
• § 270 Abs. 1 BGB: „Geld hat der Schuldner im
Zweifel auf seine Gefahr und Kosten dem
Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln“
• Aber: § 270 Abs. 4 BGB: „Die Vorschriften über
den Leistungsort [dh. § 269 Abs. 1 BGB] bleiben
unberührt.“
• Geldschulden sind daher sog. „qualifizierte
Schickschulden“
• „Gefahr“ iSd § 270 Abs. 1 BGB meint die
Leistungsgefahr: Der Schuldner muss noch
einmal leisten, wenn das Geld auf dem Weg
verloren geht.
• Unterschied zur Bringschuld: Für die Rechtzeitigkeit
der Leistung kommt es auf die Handlung am
Leistungsort an; für die Verzögerungsgefahr gilt
§ 270 I BGB nicht (h.M.)
• Bei Überweisungen strittig:
– EuGH (NJW 2008, 1935) hat entschieden, dass
eine Zahlung mittels Überweisung nur dann
„rechtzeitig“ iSd Zahlungsverzugsrichtlinie ist,
wenn sie dem Konto des Gläubigers rechtzeitig
gutgeschrieben worden ist.
– Erste Ansicht: Geld ist nunmehr als qualifizierte
Bringschuld zu qualifizieren
– Zweite Ansicht: Weiterhin qualifizierte Schickschuld. Auch nach EuGH ist Schuldner nur für ihm
zurechenbare Verzögerungen verantwortlich
Beispiel:
Die T-AG treibt für das Telekommunikationsunternehmen 0123-AG Kundengelder bei, die sie
nach Zugang der Rechnungen auf das Konto der
0123-AG überweisen soll. Die Parteien vereinbaren,
dass die T-AG auch ohne Mahnung 30 Tage nach
Zugang der Rechnungen in Verzug geraten soll. Die
T-AG nimmt ihre Überweisungen stets pünktlich 30
Tage nach Zugang der Rechnungen vor, die Beträge
werden allerdings immer erst einige Tage später auf
dem Konto der 0123-AG gutgeschrieben. Die 0123AG verlangt nun Verzugszinsen von der T-AG. Zu
Recht?
Zur Lösung: Martens, Jus 2014, 200 (203)
3. Die Leistungszeit
§ 271 BGB Leistungszeit
(1) Ist eine Zeit für die Leistung weder bestimmt
noch aus den Umständen zu entnehmen, so
kann der Gläubiger die Leistung sofort
verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken.
(2) Ist eine Zeit bestimmt, so ist im Zweifel
anzunehmen, dass der Gläubiger die Leistung
nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner
aber sie vorher bewirken kann.
Unterscheide: Fälligkeit und Erfüllbarkeit
• Fälligkeit: Zeitpunkt, ab dem der Gläubiger die Leistung
fordern kann.
• Erfüllbarkeit: Zeitpunkt, ab dem der Schuldner leisten
darf und der Gläubiger die Leistung annehmen muss,
wenn er nicht in Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB)
geraten will.
Beispiel:
K hat beim Autohändler A einen neuen Sportwagen gekauft. Da es gerade Lieferengpässe gibt, vereinbaren A
und K, dass A den Wagen erst sechs Monaten liefern
muss. Per Zufall bekommt A aber doch schon zwei
Wochen später den Wagen. Nun will K das Auto aber nicht
abnehmen, weil er sich auf den späteren Termin eingestellt und gerade nicht genug Geld zur Bezahlung hat.
• Schuldner kann idR auch vor Fälligkeit leisten
(§ 271 Abs. 2 BGB)
• Bei Leistung vor Fälligkeit kein Recht auf
Abzug von Zwischenzinsen (§ 272 BGB, kein
Recht auf Skonto)
• Sonderfall verzinsliches Darlehen:
Der Schuldner ist vor Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs nicht zur vorzeitigen Rückzahlung berechtigt, um so dem Zinsanspruch
zu entgehen.
(Umkehrschluss aus § 488 Abs. 3 S. 3 BGB)
• Auch die Leistungszeit kann durch die Parteien
grundsätzlich frei bestimmt werden
• Rechnung ist grds. keine Voraussetzung der Fälligkeit
• Gesetzliche (idR dispositive) Regelungen
ausnahmsweise in §§ 556b I, 579 (Miete), 587 (Pacht),
604 (Leihe), 609 (Sachdarlehen), 614 (Dienstvertrag),
641 (Werkvertrag), 695ff. (Verwahrung), 721
(Gesellschaft) BGB
• Bestimmung nach den Umständen:
– wenn keine vertragliche Vereinbarung oder
gesetzliche Sonderregelung
– Zu beachten: Natur des Schuldverhältnisses,
Verkehrssitte und Beschaffenheit der Leistung
Beispiel:
J hatte lange Jahre zufrieden in seiner von V gemieteten
Wohnung gewohnt. Zum 31.12.2012 hatte er den Mietvertrag aber ordnungsgemäß gekündigt und war mit
seiner Freundin in eine neue gemeinsame Wohnung
gezogen. Die Kaution der alten Wohnung hat V indes
immer noch nicht zurückgezahlt. Wann wird der
Rückzahlungsanspruch fällig?
Lösung: Wenn die Ansprüche des Vermieters betragsmäßig festliegen, dh. wenn sie berechnet werden können.
• Die Tageszeit der Leistung bestimmt sich nach
§ 242 BGB, § 358 HGB: Schuldner darf nicht zu
unpassender Zeit leisten und muss bei Handelsgeschäften die gewöhnlichen Geschäftszeiten beachten
• Unterscheide:
Befristung und vereinbarte Fälligkeit (Stundung)
• Aufschiebende Befristung (§ 163 1. Fall BGB):
Die Forderung entsteht erst nach Ablauf der Frist
• Stundung: Die Forderung entsteht bereits mit
Abschluss des Rechtsgeschäfts, aber sie kann erst
nach Ablauf der Stundungsfrist gefordert werden
(wird erst dann fällig)
• Durch Auslegung zu ermitteln, ob Befristung
oder Stundung (auch Betagung)
Beispiel:
A vertreibt Zeitschriftenabonnements des B-Verlags. Als
Vergütung erhält er monatlich eine Provision, deren
Höhe sich nach der Anzahl der laufenden, von ihm
eingeworbenen Abonnements bestimmt. Als A
insolvent wird, schuldet er dem B-Verlag wegen
betrügerischer Handlungen eine große Summe, mit der
der B-Verlag nun gegen die Provisionsforderungen nach
und nach aufrechnen möchte.
Lösung:
Möglichkeit der Aufrechnung für die B-Bank hängt
gemäß § 96 I Nr. 1 InsO davon ab, ob sie ihre
Provisionszahlungen gegenüber A vor oder nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig wird, d.h.
wann diese Zahlungspflichten entstehen.
Literaturhinweise:
• Bernhard, Holschuld, Schickschuld, Bringschuld –
Auswirkungen auf Gerichtsstand, Konkretisierung
und Gefahrübergang, JuS 2011, 9-15
• Balthasar, Der besondere Gerichtsstand am
Erfüllungsort gem § 29 I ZPO – BGH, NJW 2004,
54, JuS 2004, 571-573
• Coester-Waltjen, Der Erfüllungsort, Jura 2011,
821-826
• Heyers, Rechtsnatur der Geldschuld und
Überweisung – welche Konsequenzen sind aus
der Rechtsprechung des EuGH für das nationale
Recht zu ziehen?, JZ 2012, 398-403
• Schäfer/Herden, Der unbrauchbare Laptop oder
Jede Minute zählt, Jura 2009, 543-549 (ehemalige
Semesterabschlußklausur in Osnabrück)