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Europarecht für Praktiker
Aktuelle vergaberechtliche Rechtsprechung und
die Schlussfolgerungen für die kommunale Ebene
Dr. Martin Schellenberg
Rechtsanwalt
Tel.: 040 35 52 80-86
e-mail: [email protected]
25. Februar 2011
Agenda
1. Unverzüglichkeitsanfordernis für Bieterrüge
2. Produktneutralität
3. Rettungsdienstleistungen unterliegen dem Vergaberecht
4. Betriebliche Altersvorsorge ausschreibungspflichtig
5. Keine nachträgliche Auftragserweiterung
6. Grundstücke unterliegen nicht dem Vergaberecht
7. Anteilsverkäufe
8. Ausschluss wegen negativer Vorerfahrungen
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1. Unverzüglichkeitsanfordernis für Bieterrüge
Ausgangslage
Verstöße müssen unverzüglich gerügt werden nach Kenntnis.
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Sinn der Regelung
Vergabestelle soll die Chance zur Korrektur im Verfahren haben
„unverzüglich“ ist zu unbestimmt
(ähnlicher Sachverhalt in UK)
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Streitig
Unverzüglichkeitsanfordernis in Deutschland derzeit noch anwendbar?
nein
5
ja
2. Produktneutralität
Ist die öffentliche Hand verpflichtet, so auszuschreiben, dass möglichst viel
Wettbewerb entsteht?
Wie viel Spielraum hat sie bei der Bestimmung dessen, was sie haben will?
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Grundlagen des Gebots der Produktneutralität
Waren- und Dienstleistungsfreiheit
Art. 26 AEUV
Wirtschaftlichkeitsgebot
§ 7 BHO
Wettbewerbsgebot
§ 97 Abs. 1 GWB
„Öffentliche Auftraggeber
beschaffen ... im Wettbewerb“
Ausschreibungspflicht
Vorrang des
offenen
Verfahrens
§ 101 Abs. 7 GWB
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Gebot der
Produktneutralität
§ 7 Abs. 8 VOB/A
§ 8 EG Abs. 7
VOL/A
GeheimWettbewerb
§ 14 EG VOL/A
§ 11 a VOB/A
Wertungsgrundsätze
z.B.
§ 6 VOB/A
§ 19 EG VOL/A
Nachprüfungsverfahren
§ 107 ff. GWB
Grundlagen des Gebots der Produktneutralität
Ausschreibungspflicht
Vorrang des
offenen
Verfahrens
§ 101 Abs. 7 GWB
Gebot der
Produktneutralität
§ 7 Abs. 8 VOB/A
§ 8 EG Abs. 7
VOL/A
GeheimWettbewerb
§ 14 EG VOL/A
§ 11 a VOB/A
im LV unzulässig:
Verweis auf Produktion, Herkunft,
Verfahren, Marken, Patente Typen
Wertungsgrundsätze
z.B.
§ 6 VOB/A
§ 19 EG VOL/A
Nachprüfungsverfahren
§ 107 ff. GWB
es sei denn:
durch den Auftragsgegenstand
gerechtfertigt
Rechtfertigungsgründe:
Technische
Zwänge
8
Aufwand für
Ersatzteilhaltung
Umweltgründe
Schulungsaufwand
Wartungsarbeiten
Schnittstellenrisiken
Beschaffungsphasen
Markterkundung
Was gibt es?
Keine vergaberechtlichen
Beschränkungen
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Bedarfsfeststellung
Was wollen
wir?
?
Leistungsbeschreibung
So soll es
sein!
Gebot der
Produktneutralität
Angebot
Ist es das?
Verfahrensbestimmungen
Vertragsschluss
Das ist es!
Vertragsrecht
Beschaffungsphasen
Markterkundung
Was gibt es?
Keine vergaberechtlichen
Beschränkungen
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Bedarfsfeststellung
Was wollen
wir?
Beschaffungsautonomie
„Die öffentliche
Hand weiß
selbst am
besten, WAS
sie benötigt.“
Leistungsbeschreibung
So soll es
sein!
Gebot der
Produktneutralität
Angebot
Ist es das?
Verfahrensbestimmungen
Vertragsschluss
Das ist es!
Vertragsrecht
VK Arnsberg vom 10.08.2009, Az.: VK 17/09
VK Lüneburg vom 12.05.2005, Az.: VgK-15/2005
Markenausschreibung Storage abgelehnt
nicht ausreichend als Begründung:
Schnittstellenprobleme
Mehrkosten
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VK Lüneburg vom 16.11.2009, Az.: VgK 62/2009
VK Hamburg vom 10.10.2008, Az.: VgK 8/08
Anforderung: Schreiben ohne Spezialstift
Verengung des Bewerberkreises durch Anforderung, die nur von einem
Marktteilnehmer erfüllt werden kann
zulässig
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OLG Schleswig vom 19.12.2007, Az.: 1 Verg 14/06
„Kauf“, „Miete“ betrifft nicht Beschreibung des Gegenstandes,
sondern den Gegenstand selbst
Beschaffungsautonomie!
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VK Südbayern vom 21.07.2008, Az.: Z3-3-3194-1-23-06/08
Übernahme von Produktbeschreibungen eines Anbieters begründet die
Vermutung einer Verletzung des Gebots der Produktneutralität
Auf die Absicht kommt es nicht an
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Produktspezifikation
zulässig
Kauf statt Miete
Technologie
- z.B. ISM-Standard
gestalterische Merkmale
- z.B. Bauhaus-Drücker
Open Source Software
Produktmerkmal
- z.B. Whiteboard ohne
Spezialstift
- z.B. Länge Anschlusskabel
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unzulässig
Marke
- z.B. Mercedes, HP
bestimmter Händler mit
bestimmtem Produkt
Refill-Kartuschen
Übernahme von
Produktspezifikationen eines
Bieters
- auch nicht zulässig wenn
neutralisiert
OLG Düsseldorf 2010
Kein Zwang zu möglichst wettbewerbsoffener Ausschreibung
Öffentliche Hand genießt Beschaffungsautonomie
Bedarf kann zu Verengung des Wettbewerbs bis hin auf einen Anbieter führen
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Prüfungsmaßstab
Beruht die Beschaffungsentscheidung auf sach- oder auftragsbezogenen
Gründen?
NICHT:
Lässt sich auch nach ausführlicher Prüfung dieser Gegenstand nicht
wettbewerbsfreundlicher ausschreiben?
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Anforderung an die Dokumentation der Entscheidung
OLG Celle vom 24.05.2007,
Az.: 13 Verg 4/07
OLG Jena vom 26.06.2006,
Az.: 9 Verg 2/06
OLG Düsseldorf vom
17.02.2010, Az.: Verg 42/09
OLG Düsseldorf vom
03.03.2010, Az.: Verg 46/09
Versuch,
dokumentiert sein muss, dass
„auftragsbezogene“ Gründe für
die Entscheidung
ausschlaggebend waren
NICHT:
wettbewerbsfreundlich
auszuschreiben muss erfolgt
und dokumentiert sein
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VK Arnsberg vom 10.08.2009, Az.: VK 17/09
Zusatz „oder gleichwertig“ immer erforderlich?
Ja!
Auch wenn produktspezifische Ausschreibung gerechtfertigt.
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Praxistipp
Kein Abschreiben von
Produktspezifikationen empfehlenswert
„oder gleichwertig“ enthalten?
Produktblätter von Konkurrenten
übernommen?
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3. Rettungsdienstleistungen unterliegen dem Vergaberecht
Sachverhalt
Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland
Kommission rügt Praxis verschiedener Bundesländer,
Rettungsdienstleistungen freihändig zu vergeben
Vertragsverletzungsverfahren bezieht sich allein auf das sogenannte
„Submissionsmodell“, bei dem die Vergütung unmittelbar durch den
Auftraggeber erfolgt
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Sachverhalt
Konzessionsmodell
Der Auftragnehmer macht die
Vergütung selbst gegenüber
den Patienten bzw. den
Krankenkassen geltend.
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Submissionsmodell
Vergütung erfolgt unmittelbar
durch den Auftraggeber
4. Betriebliche Altersvorsorge ausschreibungspflichtig
Kommunen müssen die betriebliche Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter in einem
förmlichen Vergabeverfahren ausschreiben.
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Entscheidung
Abschluss der Verträge über Dienstleistungen der betrieblichen
Altersversorgung für Arbeitnehmer des kommunalen öffentlichen Dienstes mit
tarifvertraglich ausgewählten Versorgungsträgern ohne Ausschreibung war
vergaberechtswidrig
Nur große kommunale Arbeitgeber betroffen – Erreichen des jeweiligen
Schwellenwertes erforderte z. B. 2006 und 2007 mindestens 2.402
Beschäftigte/Kommune
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5. Keine nachträgliche Auftragserweiterung
Sachverhalt
Spanisches Ministerium schreibt europaweit eine Baukonzession für den
Ausbau eines Autobahnteilabschnitts aus.
Während des Verfahrens wird der ursprüngliche Auftragsgegenstand „aus
technischen Gründen“ geändert. Die zweite Bekanntmachung erwähnt
insbesondere die Erweiterung des mautfreien Abschnitts der A-6 nicht.
In beiden Ausschreibungen wurden die Bieter unter Verweis auf nationale
Vorschriften aufgefordert, angemessene Maßnahmen zur Regelung des
Fernverkehrs zu benennen.
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Sachverhalt
Die Konzession sah sodann Arbeiten vor, die in der zweiten
Ausschreibung nicht aufgeführt waren, insbesondere den Ausbau der A-6
auf vier Fahrstreifen.
Die Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren ein und erhebt Klage.
Spanien macht geltend, die Ausschreibung habe sich auch auf die in der
Bekanntmachung genannten gesetzlichen Regelungen gerichtet, deren
Ziel es sei, dass die Bieter zusätzliche Arbeiten vorschlagen könnten. Da
die Verwirklichung von Baumaßnahmen zur Lösung der Verkehrsprobleme
auf der A-6 gefordert war, mussten die entsprechenden Arbeiten in der
zweiten Bekanntmachung nicht mehr erwähnt werden.
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Entscheidung
Jedem Bieter muss durch die Bekanntmachung objektiv die Möglichkeit
verschafft werden, sich eine konkrete Vorstellung von den Arbeiten und dem
Ort ihrer Ausführung zu machen und daraufhin sein Angebot zu erstellen.
Die zusätzlichen Bauwerke waren nicht Gegenstand der zweiten
Bekanntmachung. Der Zuschlag hätte auf diese nicht erteilt werden dürfen.
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Entscheidung
Zwar könne die Vergabestelle für Initiativen der Bieter einen gewissen
Spielraum lassen. Dieser Spielraum muss jedoch aus der Bekanntmachung
selbst erkennbar sein.
Vorliegend wurde ein derartiger Spielraum nicht definiert, da insbesondere
nicht der Ort der Maßnahmen, die für die Verringerung der Verkehrszunahme
zu ergreifen sind, in der zweiten Bekanntmachung genannt wurde.
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6. Grundstücksverkäufe unterliegen nicht dem Vergaberecht
Sachverhalt
Investorenwettbewerb über die Nachnutzung der „Wittekind-Kaserne“
(Wildeshausen) durch Stadt Wildeshausen und Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben.
Zwei Bieter stellen der Stadt und der Bundesanstalt ihre Planung und das
Nutzungskonzept für die Liegenschaft vor.
Der unterliegende Bieter leitet Nachprüfungsverfahren ein und rügt, dass
kein geregeltes Vergabeverfahren stattgefunden habe.
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Vorlagebeschluss
OLG Düsseldorf neigt dazu, eine öffentliche Baukonzession anzunehmen, da
nach Erlass eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans ein
Durchführungsvertrag für das Projekt geschlossen werde.
OLG Düsseldorf verweist auf seine Ahlhorn-Rechtsprechung und auf die von
der Bundesregierung im Rahmen der Vergaberechtsreform beabsichtigte
Klarstellung in § 99 Abs. 3 GWB.
OLG Düsseldorf legt dem EuGH Fragen zur Auslegung des Begriffs des
öffentlichen Auftrags und damit auch zur Europarechtskonformität des neuen
§ 99 GWB vor.
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Entscheidung
Ein Bauauftrag im Sinne von Art. 1 Abs. 2 b) Richtlinie 2004/18 muss die
Ausführung von Bauvorhaben zum Gegenstand haben. Ein
Grundstücksverkauf als solcher ist kein öffentlicher Auftrag.
Ein Bauauftrag impliziert als entgeltlicher Vertrag, dass der öffentliche
Auftraggeber eine Gegenleistung erhält. Diese besteht in der Erbringung der
Bauleistung. Bei der Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistung muss es
sich um eine einklagbare Verpflichtung handeln. Diese Leistung muss ein
unmittelbares wirtschaftliches Interesse für den öffentlichen Auftraggeber
darstellen.
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Entscheidung
Nicht erforderlich ist, dass die Leistung die Form der Beschaffung eines
gegenständlichen oder körperlichen Objekts annimmt.
Die bloße Ausübung städtebaulicher Regelungszuständigkeiten reicht für das
erforderliche unmittelbare wirtschaftliche Interesse des Auftraggebers jedoch
nicht aus.
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7. Anteilsverkäufe
Sachverhalt
Veräußerung eines 49%-Anteils an einer staatlichen Kasinogesellschaft
durch die griechische Regierung, verbunden mit 10-Jahres-Betriebslizenz
und Auftrag, das Kasinogelände zu renovieren
Investorenauswahlverfahren für Anteilsverkauf, keine Ausschreibung von
Bauauftrag und Dienstleistungskonzession
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Ein gemischter Vertrag, dessen Hauptgegenstand der Erwerb von Anteilen (49
%) an einem öffentlichen Unternehmen ist, und dessen untrennbar mit dem
Hauptgegenstand verbundener Nebengegenstand die Erbringung von
Dienstleistungen und die Durchführung von Bauarbeiten betrifft, ist nicht in
seiner Gesamtheit ausschreibungspflichtig.
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Entscheidung
Ausschlaggebend für Qualifikation des Sachverhalts ist Hauptgegenstand
Hauptgegenstand ist, was wertmäßig überwiegt
Hier: Wert des Geschäftsanteils überwiegt den Wert des Bauauftrags
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8. Ausschluss wegen negativer Vorerfahrungen
Fall
Auftragnehmer streitet sich mit Flughafengesellschaft Berlin-Schönefeld
über Herkunft der Steine für Terrazzoböden
Auftraggeber kündigt den Vertrag und schreibt neu aus
Bisheriger Auftragnehmer wird wegen „Unzuverlässigkeit“
ausgeschlossen
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Lösung
Überprüft die Vergabekammer die Wirksamkeit der Kündigung?
Eilverfahren!
Prüfung nur auf Überschreitung des Beurteilungsspielraums
hier: Beurteilungsspielraum eingehalten
Ausschluss wirksam!
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Vielen Dank für Ihr Interesse!
Dr. Martin Schellenberg
Rechtsanwalt
Sekretariat Anja Zipoll
Telefon + 49 (40) 355280-86
Telefax + 49 (40) 355280-80
E-Mail [email protected]
Bleichenbrücke 9
D-20354 Hamburg
www.heuking.de
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