Lösung Fall 4 - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits
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Transcript Lösung Fall 4 - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht
Prof. Dr. Burkhard Boemke
Klausurenkurs zum Schwerpunktbereich
Arbeitsrecht
WS 2014/15
Klausur 4
- Lösung –
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht
Prof. Dr. Burkhard Boemke
08.04.2015 / Folie 1
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Aufgabenteil A
A. Frage 1
Voraussetzung der Unwirksamkeit der BV:
Verletzung der Regelungszuständigkeit
durch Betriebspartner
Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot,
Zwingendes Recht verweigert die Anerkennung der angestrebten Rechtsfolgen
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Aufgabenteil A
I. Regelungszuständigkeit der Betriebspartner
Rückschluss aus § 77 Abs. 3 BetrVG
Betriebspartnern kommt gegenständlich die gleiche
Regelungskompetenz zu wie Tarifvertragsparteien,
sodass sie Inhalt, Abschluss und Beendigung der
Arbeitsverhältnisse gestalten können
somit auch Ausgestaltung des Synallagmas
(Normierung von Arbeitsleistung [Umfang] und
Vergütung) erfasst (+)
II. Gesetzliches Verbot (-)
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Aufgabenteil A
III. Zwingendes Recht: Tarifvorbehalt § 77 Abs. 3 BetrVG
Voraussetzungen:
Regelung von Arbeitsentgelt und sonstigen
Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind
oder üblicherweise geregelt werden, durch die BV
Ausnahme: Öffnungsklausel
1. Tarifvorbehalt
a) Eine BV wurde geschlossen
b) In der BV wurden Arbeitszeit und Arbeitsentgelt geregelt,
obwohl beide Gegenständen in einem einschlägigen
Tarifvertrag geregelt wurden
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Aufgabenteil A
2. Ausnahme?
a) § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG (Öffnungsklausel) (-)
b) Ausnahme, wenn BV allein der Wahrnehmung von
Mitbestimmungsrechten dient und diese Vorrang vor dem
Geltungsanspruch der Tarifvertragsparteien haben?
aa) Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG?
(1) § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hinsichtlich der
Arbeitszeitverlängerung
(-), weil dieses nur die Lage / Verteilung der Arbeitszeit,
nicht aber das Volumen der Arbeitszeit betrifft
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Aufgabenteil A
(2) § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
(-), weil hier keine Anhaltspunkt dafür, dass die
Betriebspartner beabsichtigten, nach einer
überschaubaren Zeit zur betrieblichen Arbeitszeit
zurückzukehren, sodass keine nur vorübergehende
Erhöhung der Arbeitszeit
(3) § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG
(-), weil MBR nur die Lohnverteilung, nicht die Lohnhöhe
betrifft
(4) Ergebnis
Mitbestimmungsrecht wurde nicht wahrgenommen
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Aufgabenteil A
bb) Verhältnis zwischen § 77 Abs. 3 BetrVG und § 87 Abs.
1 BetrVG?
Zwei-Schranken-Theorie
Vorrangtheorie
Streitentscheid entbehrlich mangels Mitbestimmungsrecht
IV. Ergebnis
BV war unwirksam
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Aufgabenteil B
B. Frage 2
I. Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3
BetrVG
Voraussetzung:
mit der Anwendung der BV Rechtsverstoß, der
einen grober Verstoß des AG gegen seine
Pflichten aus dem BetrVG darstellt
1. Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG durch
Anwendung der BV (+)
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Aufgabenteil B
2. Rechtsverstoß = als grober Pflichtverstoß gegen Pflichten
aus dem BetrVG?
a) Verletzung des § 77 Abs. 3 BetrVG als
Pflichtverstoß?
Pflichtverstoß (+)
Pflichtverstoß (-)
Streitentscheid: beide Auffassungen vertretbar
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Aufgabenteil B
b) grobe Pflichtverletzung?
(+), weil der Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG
leicht erkennbar ist (a. A. vertretbar)
3. Ergebnis
II. Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 BGB
iVm. Art. 9 Abs. 3 GG?
1. Unterlassungsanspruch bei Schutzgesetzverletzung
(+)
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Aufgabenteil B
2. Schutzgesetzverletzung?
a) Art. 9 Abs. 3 GG als Schutzgesetz (+)
b) Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG ?
Voraussetzung: rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich
von Art. 9 Abs. 3
aa) Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG
Zum Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gehört das
Recht der Koalition auf koalitionsmäßige Betätigung
→ hier Abschluss von TV
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Aufgabenteil B
bb) Eingriff?
Eingriff in die Tarifautonomie nur, wenn eine Tarifnorm als
kollektive Ordnung verdrängt und damit ihrer zentralen
Funktion beraubt werden soll
Hier: durch Anwendung der BV wird die Koalitionsfreiheit
der IG-Metall verletzt, weil vom TV abweichende
Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsentgelt einheitlich
getroffen wurden.
3. Ergebnis
Unterlassungsanspruch der IG-Metall aus §§ 1004, 823
BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG (+)
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Aufgabenteil C
C. Frage 3
I. Anspruch aus Tarifvertrag?
(-), weil die MTG GmbH selbst mit der IGMetall den TV nicht geschlossen hat,
sodass die MTG GmbH nicht
schuldrechtlich gebunden ist
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Aufgabenteil C
II. Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, §
823 Abs. 2 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG?
1. Anwendbarkeit des § 1004 Abs. 1 BGB?
Ansprüche sind nicht auf Eigentumsverletzungen
beschränkt, sondern bestehen darüber hinaus zur
Abwehr von Eingriffen in alle nach § 823 Abs. 1 BGB
geschützten Rechte, Lebensgüter und Interessen
Zu den nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten
Rechtsgütern und Interessen gehört auch das durch
Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Recht einer von AN
gebildeten Koalition auf gewerkschaftliche Betätigung
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Aufgabenteil C
2. Störung der Koalitionsfreiheit
a) Störung durch Errichtung der betrieblichen
Ersatzordnung durch Abschluss und
Anwendung der tarifwidrigen BV?
grds. (+), (s. o.)
aber: diese Störung wurde mit Aufhebung der BV
beseitigt
Keine noch fortbestehende Störung durch
Errichtung der betrieblichen Ersatzordnung
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Aufgabenteil C
b) Störung des Art. 9 Abs. 3 GG, indem die
tarifgebundenen AN in der Vergangenheit
untertariflich bezahlt wurden?
(-), weil Art. 9 Abs. 3 GG die IG-Metall nur in ihrer
Betätigung, nicht aber die Individualansprüche der
betroffenen Arbeitnehmer schützt
damit keine Beeinträchtigung der kollektiven
Koalitionsfreiheit durch Nichtzahlung der tariflichen
Leistungen für tarifwidrig geleistete Arbeitszeit
3. Ergebnis
Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, § 823 Abs.
2 BGB iVm. Art. 9 Abs. 3 GG (-)
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Aufgabenteil C
III. Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB iVm.
Art. 9 Abs. 3 GG?
(-), weil die IG-Metall durch das Verhalten der MTG
GmbH keinen materiellen Schaden erlitten hat
- sie hat auch keinen Nichtvermögensschaden iSd. §
253 BGB erlitten
IV. § 23 Abs. 3 BetrVG?
(-), weil Rechtsfolge des § 23 Abs. 3 BetrVG nicht in
einer ausschließlich vergangenheitsbezogenen
Restitution zurückliegender Verstöße gegen den
Tarifvorrang aus § 77 Abs. 3 BetrVG besteht
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Aufgabenteil C
V. Ergebnis
IG-Metall kann nicht den Ausgleich von
Nachteilen ihrer Mitglieder in der
Vergangenheit verlangen
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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