Direkte Klage

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Univ.-Ass. Dr. Anna-Zoe Steiner
Rechtshandlungsformen
Primärrecht:
MS sind Herren der Verträge
Sekundärrecht:
Von Unionsorganen in Vollziehung des
Primärrechts gesetzt
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Sekundärrechtsakte
Verordnung
Die Formulierung von
Art. 288 Abs. 2 AEUV lautet:
„Die Verordnung hat
allgemeine Geltung. Sie ist
in allen ihren Teilen verbindlich
und gilt unmittelbar in jedem
Mitgliedstaat.“
Richtlinie
Notwendige Voraussetzungen
für unmittelbar Anwendbarkeit:
• Umsetzungsfrist ist abgelaufen
• MS hat nicht umgesetzt
• Fragliche Bestimmung ist
hinreichend klar und bestimmt
• Es werden dem Einzelnen
ausschließlich Rechte
verleihen
• Vertikales Verhältnis
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Sekundärrecht II
Beschlüsse
Die Formulierung von
Art. 288 Abs. 4 AEUV lautet:
„Beschlüsse sind in allen ihren
Teilen verbindlich. Sind sie an
bestimmte Adressaten
gerichtet, so sind sie nur für
diese verbindlich.“
Empfehlung/
Stellungnahme
Die Formulierung von
Art. 288 Abs. 5 AEUV lautet:
„Die Empfehlungen und
Stellungnahmen sind nicht
Verbindlich.“
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Die Richtlinie – unmittelbare Wirksamkeit
Vgl. Rs. 8/81, Becker/Finanzamt Münster, Slg. 1981, 53
Vertikale unmittelbare
Wirkung
• Die RL-Bestimmungen sind
hinreichend genau und
bestimmt
• es werden den Einzelnen
ausschließlich Rechte
verliehen
• Trotz Ablauf der Frist wurde
nicht umgesetzt/es wurde
schlecht umgesetzt
• Begründung: Estoppel
Horizontale unmittelbare
Wirkung
• Rs. C-91/92, Paola Faccini Dori
• Europarechtliche Interpretation
des Staatsbegriffs ist weit:
Rs. C-188/89, Foster/Britisch Gas
• RL-konforme Auslegung
nationalen Rechts
• Grenzen der RL-konformen
Auslegung in den nationalen
Auslegungsmethoden:
Rs. C-106/89, Marleasing
• Begründung: Effektivität
6
Überblick
7
Grundrechte im Unionsrecht
• Art. 6 Abs. 1 EUV  Charta der Grundrechte wird
den Verträgen gleichgestellt
• Art. 6 Abs. 2 EUV  Beitritt der EU zur Europäischen
Menschenrechtskonvention (keine
Änderung am
• Art. 2 EUV  Werte der EU, die „allen
Mitgliedstaaten
Kompetenzstand der Union!)
gemeinsam sind“ (Menschenwürde,
Freiheit,
Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit,
Menschenrechte)
• Art. 3 EUV  Ziele der EU („Staatszielbestimmung“)
Konkretisierung der Ziele in Art. 7 – 17 AEUV
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Charta der Grundrechte der EU
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Würde des Menschen
Freiheiten
Gleichheit
Solidarität
Bürgerrechte
Justizielle Rechte
Allgemeine Bestimmungen
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Besonders wichtige GR
 Art 7 bis Art 10 GRC
 Art 17 GRC
 Art 21 GRC: Nichtdiskriminierung
 Art 41 GRC: Recht auf eine gute Verwaltung
 Art 47 GRC: Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf
und ein unparteiisches Gericht
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Mehrebenenschutz in der EU
1. Nationale Grundrechte
2. Grundrechtecharta
3. EMRK
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in der Europäischen Union
Organisation des Gerichtshof der EU
Gerichtshof der Europäischen Union
Gerichtshof
Gericht
Fachgerichte
(z.B. Gericht
für den
öffentlichen
Dienst)
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Die Klagen des Actiones-Systems
Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV)
Direkte Klagen
– Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV)
– Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV)
– Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV)
– Schadenersatzklagen (Art. 268 AEUV)
auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel
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Zuständigkeit von EuGH und EuG (1)
Gerichtshof (EuGH):
Gericht (EuG):
Vorabentscheidungsverfahren ausgenommen in
Direkte Klagen von
natürlichen oder juristischen Personen
Direkte Klagen der MS gegen die
Kommission
Explizite Zuständigkeit des EuG in
Verträgen die von der Union
geschlossen wurden
Schadenersatzklagen gegen die Union
jenen Sachgebieten die in
der Satzung dem EuG
zugewiesen sind
Direkte Klagen von
Unionsorganen und MS
ausgenommen solche der MS gegen die
Kommission
Rechtsmittel gegen
Entscheidungen des Gerichts
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Vorabentscheidungsverfahren (1)
Art. 267 AEUV:
„Der Gerichthof der Europäischen Union
entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
• über die Auslegung der Verträge,
• über die Gültigkeit und die
Auslegung der Handlungen der
Organe […] der Union,
[…]“
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Vorabentscheidungsverfahren (2)
Verfahren des judiziellen Dialogs zwischen nationalen
Gerichten und EuGH
EuGH sieht ein „Gericht“ zur Vorlage berechtigt, wenn es:
– auf ständiger Basis eingerichtet ist
– Zuständigkeit gesetzlich vorgeschrieben ist
– die Richter unabhängig und weisungsfrei sind
– nach Rechtsnormen und nicht nach Billigkeit
entscheidet
– in einem wirklichen Rechtsstreit zu entscheiden
hat
Vgl. EuGH Rs. 102/81, Nordsee, Slg. 1982, 1095
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Vorabentscheidungsverfahren (3)
Ein nationales Gericht kann dem EuGH vorlegen,
wenn es:
– eine Frage über die Gültigkeit oder Auslegung
des Unionsrechts hat,
– die für seine Entscheidung erheblich ist.
Ein nationales Gericht dessen Entscheidungen selbst
mit keinem innerstaatliches Rechtmittel angefochten
werden können, muss unter diesen Voraussetzungen
ein Vorlageverfahren einleiten.
Vgl. Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV
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Nichtigkeitsklage (1)
Diese Klage kann angestrengt werden von:
• Privilegierten Klägern (MS, Kommission,
Europäisches Parlament, Rat)
• Semi-Privilegierten Klägern (EZB,
Ausschuss der Regionen, Rechnungshof)
• Nicht-Privilegierten Klägern (natürliche und
juristische Personen)
Ziel der Klage:
Aufhebung eines legislativen Aktes eines Unionsorgans
mit Wirkung gegen Dritte
Vgl. Art. 263 AEUV
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Nichtigkeitsklage (2)
Vier Kategorien
Unzuständigkeit
Verletzung
wesentlicher
Formvorschriften
Verletzung
der
Verträge
Ermessensmissbrauch
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Nichtigkeitsklage (3)
Nur rechtsverbindliche Handlungen von
Unionsorganen können angefochten werden
Direkte Klage
Garantiert unmittelbare objektive Rechtskontrolle
Gestaltungsurteil wirkt erga omnes und ex
tunc
bis zur rechtskräftigen Entscheidung gilt die
Vermutung der Gültigkeit der Handlung
(EuGH Rs. C-137/92 P, Slg. 1994, I-2555)
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Zu enge Interpretation?
 Individuelle Betroffenheit sehr streng (Plaumann-
Formel): Kritik in der Lehre an Plaumann-Formel
 EuG -> Rs Jego Quéré und Schlußanträge des GA
Maduro -> Neue Auslegung entgg Plaumann Formel
 Indiv Betroffenheit soll bereits dann als gegeben
angesehen werden, wenn ein allgemeineiner Rechtsakt
eine individuelle Person in ihrer Interessenssphäre
unmittelbar berührt, ihr somit Rechte verleiht oder
Pflichten auferlegt
 EuGH -> NEIN
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Rechtsakte mit VOcharakter
 EuG Rs Jego Quére -> Recht auf effektiven
gerichtlichen Rechtsschutz, weite Interpretation
 EuG Rs Inuit Tapiriit Kanatami: Rechtsakte mit
VOcharakter nur Rechtsakte mit allgemeiner Geltung,
die keine Gesetzgebungsakte sind
 Folgen für den Rechtsschutz?
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Untätigkeitsklage
Überprüfung ob Untätigkeit eines Unionsorgans
rechtmäßig ist
Untätigkeit muss eine „Verletzung der Verträge“
darstellen
Vor Klage muss betroffenes Unionsorgan zum
Handeln aufgefordert werden
Urteil stellt Vertragsverletzung fest
Vgl. Art. 265 AEUV
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Vertragsverletzungsverfahren
 Art 258 AEUV
 Kommission: Vorverfahren -> MS Gelegenheit zur




Äußerung
Kommission gibt die mit Gründen versehene
Stellungnahme ab
Frist idR 2 Monate, dann EK beim EuGH Klage wegen
Vertragsverletzung einbringen
Feststellungsklage
Art 260 AEUV: Pauschalbetrag oder Zwangsgeld
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Bindungswirkung von EuGH-Urteilen (1)
Ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel
gegen Urteile des EuG ist binnen 2 Monaten
zulässig gegen Urteile
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Überblick
Binnenmarkt
Art. 26 Abs. 2 AEUV:
„Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne
Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von
• Waren,
• Personen,
4 Grundfreiheiten
• Dienstleistungen und
• Kapital
gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.“
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Die Grundfreiheiten (1)
Freiheit des Warenverkehrs – Art. 28 AEUV
– Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung
– Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und
Maßnahmen gleicher Wirkung
Freiheit des Personenverkehrs
– Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Art. 45 AEUV
– Niederlassungsfreiheit – Art. 49 AEUV
Freiheit der Dienstleistung – Art. 56 AEUV
Freiheit des Kapitalverkehrs – Art. 63 AEUV
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Die Grundfreiheiten (2)
Freiheit des Warenverkehrs:
Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung, Verbot
diskriminierender Steuervorschriften und Verbot
mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher
Wirkung
Freizügigkeit der Arbeitnehmer:
Recht der abhängig Beschäftigten innerhalb der EU Arbeit
zu suchen, Aufenthalt zu nehmen und zu arbeiten
Niederlassungsfreiheit:
Recht der Unternehmer sich innerhalb der EU frei
niederzulassen
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Die Grundfreiheiten (3)
Freiheit des Dienstleistungsverkehrs:
Recht zur ungehinderten Erbringung und Entgegennahme
von Dienstleistungen innerhalb der EU
Freiheit des Kapitalverkehrs:
Recht zum ungehinderten Kapitaltransfer innerhalb der EU
Freiheit des Zahlungsverkehrs:
Notwendige Annexfreiheit (sog. Fünfte Grundfreiheit) zur
Verwirklichung der anderen Grundfreiheiten
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Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten I
Allgemeines Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV:
„Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist
in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aufgrund
der Staatsangehörigkeit verboten. […]“
 Verbot direkter und indirekter Diskriminierung =
unmittelbare Anwendbar
 Die Grundfreiheiten stehen im Verhältnis der Spezialität zu
Art. 18 AEUV
 alle Grundfreiheiten enthalten Diskriminierungsverbot
„aufgrund der Staatsangehörigkeit“
 Achtung: Erfasst ist das jeweilige Schutzgut der
Grundfreiheit (nicht nur natürliche und juristische
Personen!)
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Direkte Diskriminierung
Direkte Diskriminierung liegt vor bei:
• Anwendung eines verpönten
Unterscheidungskriteriums im nationalen oder
Unionsrecht
• Formal gleicher Behandlung bei ungleichen
Sachverhalten
Das verpönte Unterscheidungskriterium findet sich
in der Verbotsnorm
 z.B. Art. 18 AEUV = Staatsangehörigkeit
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Indirekte Diskriminierung (1)
Indirekte Diskriminierung liegt vor bei:
• Anwendung von scheinbar neutralen
Vorschriften, Kriterien und Verfahren
• die im Ergebnis einen wesentlich höheren Anteil
der Angehörigen einer Gruppe benachteiligen
 z.B. statt Staatsangehörigkeit ist
Kriterium Wohnort oder Herkunftsort
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Direkte/Indirekte Diskriminierung
Direkte
Diskriminierung
Indirekte
Diskriminierung
• Regelung wendet
Unterscheidungskriterium an,
dass gesetzlich verpönt ist
ODER
ungleiche Sachverhalte
werden einer formal gleichen
Regelung unterworfen
• Rechtfertigung:
Ausschließlich gesetzlich
vorgesehene Rechtfertigungsgründe nach Maßgabe der
Verhältnismäßigkeit
• Scheinbar neutrales Unterscheidungskriterium führt zu
einer Benachteiligung eines
wesentlich höheren Anteils
von Angehörigen einer Gruppe
• Art. 2 Abs. 2 der RL 97/80/EG
• Rechtfertigung:
Wie direkte Diskriminierung
und mit sachlichen Gründen
des Allgemeininteresses nach
Maßgabe der Verhältnismäßigkeit
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Rechtfertigung von Diskriminierung
Direkte Diskriminierung:
Eine Rechtfertigung ist nur über die im EUV/AEUV und in
Sekundärrechtsakten vorgesehenen Rechtfertigungsgründe
zulässig
 z.B. Art. 36 oder Art. 45 Abs. 3 AEUV
Indirekte Diskriminierung:
Eine Rechtfertigung ist neben gesetzlichen
Rechtfertigungsgründen auch über sachliche Gründe des
Allgemeininteresses der EU möglich.
Verhältnismäßigkeitsprüfung:
 Angemessenheit: Eignung zur Zielerreichung?
 Notwendigkeit: Liegt ein Mindesteingriff vor?
 kein Bezug auf das verpönte Unterscheidungsmerkmal
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Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten II
Beschränkungsverbot:
Die Rsp des EuGH hat eine Weiterentwicklung gebracht:
 Alle Grundfreiheiten enthalten auch ein
Beschränkungsverbot für grenzüberschreitende Vorgänge!
 Auch für In- und Ausländer unterschiedslos anwendbare
Maßnahmen fallen in den Anwendungsbereich der
Grundfreiheiten
Auch nicht diskriminierende Maßnahmen
beeinträchtigen die Grundfreiheit (geringere Attraktivität,
zusätzliche Kosten, abschreckende Wirkung)
„Effet utile“ verlangt Auslegung über
Diskriminierungsverbot hinaus
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Rechtssprechung - Beschränkungsverbote
• Warenverkehrsfreiheit:
 Cassis de Dijon (EuGH Rs.120/78, Slg.1979, 649)
• Dienstleistungsfreiheit:
 Van Binsbergen (EuGH Rs.33/74, Slg. 1974, 1299)
• Arbeitnehmerfreizügigkeit:
 Bosman (EuGH Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921)
• Niederlassungsfreiheit:
 Centros (EuGH Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-459)
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Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten III
• Alle Grundfreiheiten sind unmittelbar anwendbar  sie
verleihen dem Einzelnen subjektive Recht
• Adressaten der Grundfreiheiten:
– zuerst die Union und MS
– aber auch „Drittwirkung“ gegenüber den Einzelnen
möglich
Anwendungsbereich der Grundfreiheiten:
• Die Grundfreiheiten erfassen nur grenzüberschreitende
Sachverhalte  rein innerstaatliche Sachverhalte sind
nicht Gegenstand der Grundfreiheiten
• Bereichsausnahmen:
– Keck-Formel bei Warenverkehrsfreiheit
– Arbeitnehmer in der öffentlichen Verwaltung
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Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten III
Beschränkungen der Grundfreiheiten bedürfen einer
Rechtfertigung:
• Bei unmittelbar diskriminierenden Maßnahmen sind nur
in den Verträgen/Sekundärrecht vorgesehene
Rechtfertigungsgründe zulässig
• Bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen sowie
mittelbar diskriminierenden Maßnahmen hat die Rsp
zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses
anerkannt
• Schranken-Schranke  Verhältnismäßigkeitsprüfung
– Angemessenheit
– Notwendigkeit
– kein Bezug auf das verpönte Unterscheidungsmerkmal
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