5. Normativitaet des EU-Rechts-1

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Europarecht I

Prof. Dr. Dr. h.c. Ingolf Pernice Humboldt-Universität zu Berlin

Pflichtvorlesung im Öffentlichen Recht 3. Studiensemester Wintersemester 2010/11

§

5 Normativität des EU-Rechts

Ausgangspunkt I

Art. 23 Abs.1 GG

„Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechts staatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu

durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen

...“

Ausgangspunkt II

EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 –

Costa/E.N.E.L.

Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen

hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Denn durch die Gründung einer Gemeinschaft ... für unbegrenzte Zeit, die ... mit echten, aus der

Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die

Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist,

haben die Mitgliedstaaten, wenn auch auf einem begrenzten

Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist.

Unmittelbare Anwendung

EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3 –

van Gend en Loos

.

Der Wortlaut von Art. 12 enthält ein klares und unein- geschränktes Verbot, eine Verpflichtung, nicht zu einem Tun, sondern zu einem Unterlassen. Diese Verpflichtung ist im Übrigen auch durch keinen Vorbehalt der Staaten eingeschränkt...

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass nach dem Geist, der Systematik und dem Wortlaut des Vertrages Art. 12 (EWG-Vertrag) dahin auszulegen ist, dass er unmittelbare Wirkungen erzeugt und individu elle Rechte begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.

(Anwendungs-)Vorrang

EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 –

Costa/E.N.E.L.

.

Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist....

Diese Aufnahme der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in das Recht der einzelnen Mitgliedstaaten und, allgemeiner, Wortlaut und Geist des Vertrages haben zur Folge, dass es den Staaten unmöglich ist, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene Rechtsordnung nach trägliche einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen. Solche Maßnahmen stehen der Anwendbarkeit der Gemeinschafts- rechtsordnung daher nicht entgegen.

BVerfGE 85, 191 (204) – Nachtarbeitsverbot.

Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts kommt für den Fall des Widerspruchs zu innerstaatlichem Gesetzes recht auch vor deutschen Gerichten der Anwendungs- vorrang zu. Dieser Anwendungsvorrang gegenüber

späterem wie frühere nationalen Gesetzesrecht beruht auf einer ungeschriebenen Norm des primären Gemeinschaftsrechts, der durch die Zustimmungs gesetze zu den Gemeinschaftsverträgen in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 GG der innerstaatliche Rechts-

anwendungsbefehl erteilt worden ist.

Vorrang vor allen Normen des innerstaatlichen Rechts

EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 –

Simmenthal

.

21/23 Aus alledem folgt, dass jeder im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene staatliche Richter verpflichtet ist, das Gemeinschaftsrecht unein- geschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den einzelnen verleiht, zu schützen, indem er jede

möglicherweise entgegenstehende Bestimmung

des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm ergangen ist, unangewendet lässt.

Prüfungs- und Verwerfungskompetenz nationaler Gerichte

BVerfGE 31, 145/174 f. – Milchpulver "Zur Entscheidung der Frage, ob eine inner-

staatliche Norm des einfachen Rechts mit einer vorrangigen Bestimmung des Europäischen Gemeinschaftsrechts unvereinbar ist und ob ihr

deshalb die Geltung versagt werden muss, ist das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig; die Lösung dieses Normenkonflikts ist daher der umfassenden Prüfungs- und Verwerfungs kompetenz der zuständigen Gerichte überlassen."

Bindung von Verwaltungsbehörden

EuGH, Rs. 103/88, Slg. 1989, 1839 –

Constanzo

.

30 Wenn sich die einzelnen unter den genannten Voraussetzungen vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richt linie berufen können, so deshalb, weil die Verpflichtungen, die sich

aus diesen Bestimmungen ergeben, für alle Behörden der

Mitgliedstaaten gelten. 31 Es wäre im übrigen widersprüchlich, zwar zu entscheiden, dass die einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestim mungen einer Richtlinie, die die oben herausgestellten Voraus setzungen erfüllen, berufen können, um das Verhalten der Verwaltung beanstanden zu lassen, trotzdem aber die Auffassung zu vertreten, dass die Verwaltung nicht verpflichtet ist, die Bestimmungen der Richtlinie dadurch einzuhalten, dass sie die Vorschriften des nationalen Rechts, die damit nicht im Einklang stehen, unangewendet lässt.

Die Richtlinie

Artikel 288 Abs. 3 AEUV

Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.

Grundidee: „In Vielfalt geeint“

Gestufte Rechtsetzung erlaubt: 1. Rechtsverbindliche Festlegung gemeinsamer Standards und 2. Systemgerechte Einfügung in den nationalen Rechtsrahmen.

Vorteil: Autonomieschonung trotz Rechtsangleichung.

Nachteil: Intransparenz und Fehleranfälligkeit.

Ein Beispiel:

=> „Feinstaub“

Notwendige Umsetzung

EuGH, Rs. C-96/95, Slg. 1997 I-1653 –

Kommission/Deutschland

35 Nach ständiger Rechtsprechung ... verlangt die Umsetzung

einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendig, dass ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrück-

lichen, besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige

Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, dass – soweit die Richtlinie Ansprüche des

einzelnen begründen soll – die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Diese Voraussetzung ist besonders wichtig, wenn die

Richtlinie darauf abzielt, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Rechte zu verleihen.

Folgen (Sanktionen) einer Nicht- bzw. Fehlumsetzung von Richtlinien

1.

Vertragsverletzungsverfahren: Art. 258-260 AEUV 2.

Unmittelbare Anwendung der Norm 3.

Konformauslegung (Vertrag oder Richtlinie) 4.

Staatshaftung (Francovich-Rechtsprechung)

Vertragsverletzungsverfahren Art. 258 AEUV

„Hat nach Auffassung der Kommission ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen, so gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme hierzu ab; sie hat dem Staat zuvor Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

Kommt der Staat dieser Stellungnahme innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht nach, so kann die Kommission den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen.“ Art. 259 AEUV sieht ein entsprechendes Verfahren auf Initiative eines Mitgliedstaats vor. Dieses Verfahren blieb aber ohne praktische Bedeutung (bisher EuGH Rs. 141/78 - Frankreich /UK) und C-388/95 Belgien/Spanien)

Vertragsverletzungsverfahren - Sanktion Art. 260 II und III AEUV

(2) Hat der betreffende Mitgliedstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichts hofs ergeben, nach Auffassung der Kommission nicht getroffen, so kann die Kommission den Gerichtshof anrufen, nachdem sie diesem Staat zuvor Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Hierbei benennt sie die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschal betrags oder Zwangsgelds, die sie den Umständen nach für angemessen hält.

Stellt der Gerichtshof fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekom men ist, so kann er die Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwangsgelds verhängen.

Dieses Verfahren lässt den Artikel 259 unberührt.

(3) Erhebt die Kommission beim Gerichtshof Klage nach Artikel 258, weil sie der Auffassung ist, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, Maßnahmen zur Umsetzung einer gemäß einem Gesetzgebungsverfahren erlassenen Richtlinie mitzutei len, so kann sie, wenn sie dies für zweckmäßig hält, die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds benennen, die sie den Umständen nach für angemessen hält.

Stellt der Gerichtshof einen Verstoß fest, so kann er gegen den betreffenden Mitgliedstaat die

Zahlung eines Pauschalbetrags oder eines Zwangsgelds bis zur Höhe des von der

Kommission genannten Betrags verhängen. Die Zahlungsverpflichtung gilt ab dem vom Gerichtshof in seinem Urteil festgelegten Zeitpunkt.

Art. 228 EG: Zwangsgeld/Pauschalbetrag

EuGH, Rs. C-304/02, Slg. 2005 I-6263 – Kommission/Frankreich .

Folgen (Sanktionen) einer Nicht- bzw. Fehlumsetzung von Richtlinien

1.

Vertragsverletzungsverfahren: Art. 258-260 AEUV 2.

Unmittelbare Anwendung der Norm 3.

Konformauslegung (Vertrag oder Richtlinie) 4.

Staatshaftung (Francovich-Rechtsprechung)

Richtlinien: Unmittelbare Anwendung

EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982, 53 –

Becker

22. Mit der den Richtlinien durch Artikel 189 zuerkannten verbindlichen Wirkung wäre es folglich unvereinbar, grund sätzlich auszuschließen, dass sich betroffene Personen auf die durch die Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können.

25 Demnach können sich die einzelnen in Ermangelung von fristgemäß erlassenen Durchführungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen inner staatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen; einzelne können sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit diese Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können.

Unzulässige Rechtsfortbildung?

BVerfGE 75, 223 – Kloppenburg.

Sowohl die kompetenz- und materiellrechtliche Rechts auffassung des EuGH zur Rechtsnatur von Richtlinien der in Rede stehenden Art als auch die Methode, mit der er diese Rechtsauffassung entwickelt hat, halten sich im

Rahmen des durch das Zustimmungsgesetz zum EWG-

Vertrag abgesteckten Integrationsprogramms ...

Es ist mit Art. 24 Abs. 1 GG vereinbar, dem Gerichtshof, einer zwischenstaatlichen Einrichtung, eine derartige Befugnis zur Rechtsfortbildung im Bereich des Kompetenzrechts dieser Einrichtung zu übertragen.

Richtlinien: Keine Horizontalwirkung

EuGH, Rs. C-91/92, Slg. 1994 I-3325 –

Faccini Dori

.

20 Wie der Gerichtshof seit dem Urteil vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84 (Marshall, Slg. 1986, 723, Randnr. 48) in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat,

kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Bürger begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung

auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist...

24 Eine Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf den Bereich

der Beziehungen zwischen den Bürgern hieße, der Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist.

Die Richtlinie

Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung

1. Ablauf der Umsetzungsfrist (Nicht- oder Falschumsetzung).

2. Die maßgebliche Vorschrift verleiht dem Einzelnen Rechte gegenüber dem Staat und ...

3. ist inhaltlich hinreichend bestimmt und unbedingt (keine Bedingung und/oder notwendiger Erlass von Durchführungsmaßnahmen).

4. Keine Horizontalwirkung zu Lasten von Privaten (Abgrenzungsprobleme im Mehrpersonenverhältnis).

Beachte: Der Ausschluss der Horizontalwirkung betrifft Richtlinien (keine Vorteile für den Staat wegen Nichtumsetzung) und die Grundfreiheiten. Dagegen können Verordnungen, Entscheidungen und der EGV (Bsp. Art. 81 II, 141 I EG) Pflichten des Einzelnen begründen.

Folgen (Sanktionen) einer Nicht- bzw. Fehlumsetzung von Richtlinien

1.

Vertragsverletzungsverfahren: Art. 258-260 AEUV 2.

Unmittelbare Anwendung der Norm 3.

Konformauslegung (Vertrag oder Richtlinie) 4.

Staatshaftung (Francovich-Rechtsprechung)

Richtlinienkonforme Auslegung: Grundsatz

EuGH, Rs. C-106/89, Slg. 1990 I-4135 –

Marleasing

.

8 Wie der Gerichtshof ... entschieden hat, obliegen die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 EWGV, alle zur Erfüllung dieser

Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer

Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Daraus folgt, dass ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts – gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt – dieses Recht

auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 189 Abs.3 EWGV

nachzukommen.

Richtlinienkonforme Auslegung: Grenzen

EuGH, Rs. C-212/04, Slg. 2006 I-6057 –

Adeneler

.

110 Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei

der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie

heranzuziehen, wird zwar durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt; auch darf sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.

Dennoch: Europäische Vorgaben für Auslegungsvorgang

EuGH, verb. Rs. C-397–403/01, Slg. 2004 I-8835 –

Pfeiffer

.

112 ... Das Gericht hat in Anbetracht des Art. 249 Abs. 3 EG

davon auszugehen, dass der Staat, wenn er von dem ihm durch diese Bestimmung eingeräumten Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, die Absicht hatte, den sich aus der betreffenden Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem

Umfang nachzukommen.

114 Das Gebot einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist dem EG-Vertrag immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet

§§

Aktuelles Beispiel

439 IV, 346 I, II Nr.1 BGB

439(4): Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 verlangen.

346: (1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit 1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist...

Auslegung durch den EuGH

EuGH, Rs. C-404/06, Slg. 2008 I-2685 –

Quelle

.

33 Demnach geht sowohl aus dem Wortlaut als auch aus den ein schlägigen Vorarbeiten der RL hervor, dass ...(Unentgeltlichkeit der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands wichtiger Bestandteil).

34 Diese dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung ... soll den Ver braucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn... davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen. (Daher ist) jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüll ung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des Verbrauchsguts, auf das sich der Vertrag bezieht, ausgeschlossen.

36 Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der RL, mit der, wie aus ihrem 1. Erwägungsgrund hervorgeht, ein Beitrag zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus geleistet werden soll.

Reaktion des BGH

BGH, Urteil vom 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05 Der von der Rechtsprechung des EuGH geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne. Der Gerichtshof ist bei der Verwendung des

Begriffs „Auslegung“ nicht von der im deutschen Rechtskreis

- anders als in anderen europäischen Rechtsordnungen -

üblichen Unterscheidung zwischen Auslegung (im engeren

Sinne) und Rechtsfortbildung ausgegangen. Der Grundsatz

der richtlinienkonformen Auslegung fordert deshalb auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist,

richtlinienkonform fortzubilden ... Daraus folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion.

Folgen (Sanktionen) einer Nicht- bzw. Fehlumsetzung von Richtlinien

1.

Vertragsverletzungsverfahren: Art. 258-260 AEUV 2.

Unmittelbare Anwendung der Norm 3.

Konformauslegung (Vertrag oder Richtlinie) 4.

Staatshaftung (Francovich-Rechtsprechung)

Staatshaftung: Grundsatz

EuGH, Rs. C-6 & 9/90, Slg. 1991 I-5357 –

Francovich

33 Die volle Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen wäre beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der einzelne nicht die Möglichkeit hätte, für den Fall eine Entschädigung zu erlangen, dass seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist...

35 Der Grundsatz einer Haftung des Staates für Schäden, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, folgt somit aus

dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen

Rechtsordnung....

Hintergrund

Außervertragliche Haftung der Gemeinschaft

Artikel 268 AEUV

(ex-Artikel 235 EGV) Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für Streitsachen über den in Artikel 340 Absätze 2 und 3 vorgesehenen Schadensersatz zuständig.

Artikel 340 AEUV

(ex-Artikel 288 EGV) Die vertragliche Haftung der Union bestimmt sich nach dem Recht, das auf den betreffenden Vertrag anzuwenden ist.

Im Bereich der außervertraglichen Haftung ersetzt die Union den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind...

Staatshaftung: Voraussetzungen I

EuGH, Rs. C-6 & 9/90, Slg. 1991 I-5357 –

Francovich

39 Verstößt ein Mitgliedstaat wie im vorliegenden Fall gegen seine Verpflichtung aus Art. 189 III EWGV, alle erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorge schriebenen Ziels zu erlassen, so verlangt die volle Wirksamkeit dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung einen Entschädi gungsanspruch, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind.

40 Erstens muss das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an einzelne beinhalten. Zweitens muss der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie besti- mmt werden können. Drittens muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen.

Staatshaftung: Voraussetzungen II

EuGH, verb. Rs. 46 & 48/93, Slg. 1996 I-1029 –

Brasserie du pêcheur

55 (D)as entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht als hinreichend qualifiziert anzusehen ist, (besteht) darin, dass ein Mitgliedstaat oder ein Gemeinschaftsorgan die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat.

56 Insoweit gehören zu den Gesichtspunkten, die das zuständige Gericht gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessens spielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen oder Gemeinschaftsbehörden belässt, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuld barkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, dass die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben...

Staatshaftung

Voraussetzungen für Staatsaftungsanspruch

1. Verletzung des EG-Rechts.

• Hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung (offenkundig & erheblich) • Verschuldensunabhängige Haftung • Einschl. legislativem und judikativem Unrecht 2. Ziel der verletzten Norm muss die Verleihung von Rechten an einzelne Bürger sein.

3. Inhalt der Rechte muss hinreichend bestimmbar sein (- unmittelbare Anwendung).

4. Kausalzusammenhang zwischen Verletzung und Schaden.

=> Durchsetzung nach Maßgabe des nationalen Rechts, das ggfls. gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden muss (im Lichte der bezeichneten Voraussetzungen sowie nach den Grenzen der nationalen Verfahrensautonomie).

Staatshaftung: Durchführung

EuGH, Rs. C-445/06 –

Danske Slagterier

.

31 ... Daher hat der Staat die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität) .

=> Hiernach findet in Deutschland das Staatshaftungsrecht analog Anwendung (

§

839 BGB i.V.m. Art. 34 GG). Dessen Grenzen folgen dem Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie. Hiernach muss etwa über die Europarechtskonformität von

§§

839 III, 852 I BGB entschieden werden.