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Kritik der Klassischen Lehre aus heutiger Sicht Positiv: • Wohlstand = Güter, nicht Geld • Arbeitsteilung, Wettbewerb, Freihandel • Positive Preis-, Wert- und Verteilungstheorie • Lob der Ersparnis und der Kapitalbildung, reale Zinstheorie Negativ: • Reale Geldwirkungen unterschätzt, falscher Produktivitätsbegriff • Mangelnder Wettbewerbsschutz • kein Ordnungsrahmen • Annahme konstanter Kosten, Wertparadoxon , Arbeitswertlehre • Einfluss des Geldes auf Zins unterschätzt Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 1 Zeitgenössische Kritik der Klassischen Lehre Die klassische Lehre mit ihren vermeintlichen Naturgesetzen wurde vor allem im Hinblick auf die soziale Frage kritisiert. Insbesondere in Deutschland wurde kritisiert: • • • • • • Der (theoretisch) ungezügelte Wettbewerb („Laissez faire“) Das individualistische Menschenbild im Sinne eines streng am eigenen Nutzen interessierten Individuums Massenarmut, Ungleichverteilung, Proletarisierung breiter Schichten Entstehung wirtschaftlicher Macht bzw. Abhängigkeiten Diskrepanz zwischen theoretischen Vorhersagen und realen Beobachtungen Normative Blindheit der klassischen Theorie Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 2 Übersicht: Entwicklung der VWL nach der Klassik Romantische Schule (1800 – 1850) Vormarxistischer Sozialismus (1789 – 1848) Sozialreformer Historische Schule (1850 – 1900) Utopische Sozialisten Marxismus (1848 – 1990) Ältere Neoklassik (1870 – 1936) Institutionenökonomik (1900-1945) Jüngere Neoklassik (1936 – heute) Neue Institutionenökonomik Neo-Ricardianer Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 3 Romantische/Historische Schule Romantische Schule • Adam Müller (1779 – 1829): Ökonomie kann nur „erlebt“ werden, qualitative statt quantitative Werte • Friedrich List (1789 – 1846): Vorkämpfer für Zollverein (1834) und Eisenbahn, produktive Kräfte wichtiger als Güter Erziehungszoll, Gesellschaft wichtiger als Individuen Korporatismus Ältere historische Schule • Wilhelm Roscher (1817 – 1894): Begründer, verband noch Theorie mit Empirie • Bruno Hildebrand (1812 – 1878): leugnet „Naturgesetze“ der Klassik, tritt für „ethische“ Wissenschaft ein • Karl Knis (1821 – 1898): leugnet jede Art von ökonomischen Gesetzen, vertritt allein historische Wissenschaft Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 4 Gebiet des Deutschen Zollvereins Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 5 Jüngere Historische Schule • Gustav Schmoller (1838 – 1917): Geistiger Führer, vertritt Erkenntnisgewinn durch Empirie statt Theorie, leugnet zeitlose Gesetze, stattdessen „Stufenlehren“ (Methodenstreit mit Carl Menger), Gesellschaft kann und soll gestaltet werden (Werturteilsstreit mit Max Weber) • Karl Bücher (1847 – 1920): „Gesetz der Massenfabrikation“ • Lujo Brentano (1844 – 1931): Kathedersozialist Gustav Schmoller • Adolph Wagner (1835 – 1917), dito, Gesetz der steigenden Staatsquote Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 6 Lehren von Romantischer/Historischer Schule Liberalismus, Klassik Romantische, Historische Schule Individualismus Gemeinschaft (Betonung des Staates) Mechanistisches Weltbild Gesellschaft = Organismus Wettbewerb Korporatismus (Kartelle, Verbände) Subsidiarität Solidarität Internationale Arbeitsteilung, Freihandel Entfaltung nationaler Produktivkräfte Statisches Denken: Y(N;K) max! Dynamisches Denken (techn. Fortschritt) Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 7 Kritik Romantische/Historische Schule Positive Kritik Negative Kritik Keine Überreaktion wie Sozialismus Staatsinterventionismus Beachtung der sozialen Frage Wettbewerb wird gering geschätzt Entdeckung von Dynamik und technischem Fortschritt Korporatismus und Protektionismus statt dynamischen Wettbewerbs Dienstleistungen als produktiv anerkannt Überbetonung öffentlicher Leistungen Verbindung von Ökonomie und Politik Naive Solidaritätsideen, Werturteile Entdeckung und Nutzung der Empirie Keine theoriegeleitete Forschung Sozialversicherungen und -gesetze Kartelle, Monopole, Ausnahmebereiche Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 8 Marxisten und Sozialisten (1) • Simonde de Sismondi (1773 - 1842), Schweizer Sozialreformer, Unterkonsumtionstheorie, Freisetzungstheorie • Johann Karl Rodbertus (1805- 1875), „Gesetz der fallenden Lohnquote“ Robert Owen (1771 – 1858) • Ferdinand Lasalle (1825-1864), Gründer Allgemeiner Arbeiterverein (1863), „ehernes Lohngesetz“ • Robert Owen (1771-1858), utopischer Sozialist und Sozialreformer Owens Baumwollfabrik New Lanark Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 9 „Utopische Sozialisten“ • Francois Noel Babeuf (1760-1797), Revolutionär, Gütergemeinschaft, Arbeitspflicht, zentrale Lenkung von Produktion und Arbeitseinsatz • Comte de Saint Simon (1760-1825), verarmter Graf, vertrat Reformpolitik „von oben“, freiwillige Auflösung des Adels, kooperative Wirtschaft mit neuer Moral • Pierre Joseph Proudhon (1809-1865), Anarchist, vertrat Abschaffung von Geld und Zinsen („Eigentum ist Diebstahl“), gerechte Tauschwirtschaft auf Basis von Arbeitswerten (Einrichtung einer „Tauschbank“) • Charles Fourier (1772-1837), vertrat Wohn- und Produktionsgemeinschaften von je 1800 Menschen („Phalanges“), Produktion nach Neigung (810 Grundcharaktere), freier Güteraustausch und freie Liebe Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 10 Marxismus („Wissenschaftlicher Sozialismus“: K. Marx und F. Engels) • Historische Gesetzmäßigkeiten • Kommunistische Urgesellschaft (W=>G=>W) • Kapitalismus (G=>W=>G) • Kommunismus: Überwindung der Güterknappheit • Arbeitswertlehre: w = c + v + m • Tauschwert = gesellschaftlich notwendige Arbeit, Gebrauchswert kann höher liegen • Gilt auch für Arbeit: Tauschwert = Existenzminimum, Differenz zu Gebrauchswert („Surplusarbeitszeit“) = Mehrwert • Mehrwertsteigerung durch längere Arbeitszeit („absoluter Mehrwert“ oder höhere Produktivität („relativer Mehrwert“) • Angeblich entsprechen Preisrelationen immer Arbeitswertrelationen • Kritik: Kapital ist nicht nur geronnene Arbeit, Preise enthalten auch Verzinsungskomponenten (Risiko, Unternehmerlohn, Zeit) Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum (Karl Marx (1818 – 1883) 11 Historische Bewegungsgesetze des Kapitalismus nach Marx • Organische Zusammensetzung des Kapitals c/(c+v) steigt ständig • Profitrate sinkt tendenziell (wegen steigender OZK) • Zyklische Absatzkrisen, Arbeitslosigkeit („industrielle Reservearmee“), Konzentrationstendenzen („Expropriation der Exproprieteure“), Produktivität steigt ständig • Schließlich Revolution, Diktatur des Proletariats • Organisation der kommunistischen Gesellschaft unklar • Literatur: UvS: Karl Marx, Herausforderer der klassischen Ökonomie, Wisu 5/1988; A.E. Ott, Marx´Beitrag zur Wirtschaftstheorie, Wisu 11/84 und 12/84 Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 12 Marx´sche Wachstumstheorie • 2 Sektoren: – Abteilung 1 erzeugt physische Kapitalgüter – Abteilung 2 erzeugt Konsumgüter • Beide arbeiten mit konstantem Kapital c und variablem Kapital v • c steht für eingesetztes physisches Kapital (wertmäßig), v für Lohnsumme, m für Mehrwert bzw. Profit • Nur die Kapitalisten sparen (einen konstanten Anteil aus ihrem Mehrwert) • Ersparnis wird benötigt für zusätzlichen Kapitaleinsatz sowie für zusätzliche Lohnsumme in der nächsten Periode (vorgeschossener Lohn) • Marx unterscheidet zwischen einfacher Reproduktion (= stationäre Wirtschaft) und erweiterter Produktion (erweiterter Reproduktion) Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 13 a) Einfache Reproduktion (stationäre Wirtschaft) t1 Abteilung I (Kapitalgüterindustrie) Abteilung II (Konsumgüterindustrie) Summe t2 Abteilung I (Kapitalgüterindustrie) Abteilung II (Konsumgüterindustrie) Summe konst.Kapital c 4000 2000 6000 var. Kapital Mehrwert Produktion MW-Rate v m P m/v 1000 1000 6000 1,00 500 500 3000 1,00 1500 1500 9000 Profitrate Org Z.d.K m/(c+v) c/(c+v) 0,8 0,20 2,00 0,8 0,20 2,00 konst.Kapital c 4000 2000 6000 var. Kapital Mehrwert Produktion MW-Rate v m P m/v 1000 1000 6000 1,00 500 500 3000 1,00 1500 1500 9000 Profitrate Org Z.d.K m/(c+v) c/(c+v) 0,20 0,80 0,8 0,8 0,20 0,80 Erklärung: • Von den 6000 produzierten Kapitalgütern werden 4000 für die Abt. 1 in der nächsten Periode gebraucht, 2000 für die Abteilung 2 => Kreislauf reproduziert sich exakt • Die 3000 produzierten Konsumgüter entsprechen genau dem Konsum der selben Periode • Bedingung für stationäres Gleichgewicht: vI + mI = cII (gilt allgemein, nicht nur bei Marx) • Ersparnis und (Netto-)Investition sind hier Null Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 14 b) Erweiterte Reproduktion t1 Abteilung I Abteilung II Summe Konsum Wertschöpfung t2 Abteilung I Abteilung II Summe Konsum Wertschöpfung konst.Kapital c 4400 1600 6000 var. Kapital Mehrwert Produktion v m 1100 1100 6600 800 800 3200 1900 1900 9800 3010 3800 Investition MW-Rate m/v 600 1,00 190 1,00 790 Profitrate Org Z.d.K m/(c+v) c/(c+v) 0,20 2,00 0,8 0,33 1,00 0,67 konst.Kapital c 4840 1760 6600 var. Kapital Mehrwert Produktion v m 1210 1210 7260 880 880 3520 2090 2090 10780 3311 4180 Investition MW-Rate m/v 660 1,00 209 1,00 869 Profitrate Org Z.d.K m/(c+v) c/(c+v) 0,20 2,00 0,8 0,33 1,00 0,67 • Der Mehrbedarf an konstantem Kapital von 600 in t2 muß in t1 gespart bzw investiert werden • Dito der Mehrbedarf an variablem Kapital(Lohnsumme) von 190 • Die Wertschöpfung ergibt sich aus (m + v), summiert über alle Sektoren • Der Konsum in ergibt sich in allen Perioden aus Wertschöpfung ./. Investition • Alle Absolutgrößen wachsen mit konstanter Rate (hier 10%), alle Quoten bleiben konstant • All dies gilt auch für die folgenden Perioden => steady state Gleichgewichtspfad Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 15 Würdigung der Marx´schen Wachstumstheorie • Erster Kreislauftheoretiker nach Quesnay und Cantillon • Wahrer Erfinder der Input-Output-Tabelle • Zweisektorales (!) Wachstumsmodell korrekt gelöst • Zweifellos bleibendes Verdienst von Marx, bester Teil seines Werkes • Leider durch normative Interpretation und widersprüchliche Krisentheorie überlagert Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 16 Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate nach Marx • Organische Zusammensetzung des Kapitals c/(c+v) steigt bei konstanter Mehrwertrate m´= m/v => Profitrate muss sinken • Profitrate : ´ m • m/v m´ (sinkt mit steigendem c/v) c v (c v ) / v c 1 v Beispiel (frei nach Marx): Periode c v OZK= c(c+v) m´=m/v => m P ´ m /(c v) = c + v + m t0 0 10 0 1 10 1 20 t1 5 10 0,33 2 20 1,33 35 t2 5 10 0,33 1 10 0,66 25 Erklärung der Tabelle: • in t0 arbeitet der Arbeiter je zur Hälfte für sich und für den Kapitalisten • in t1 steigen zunächst Mehrwert- und die Profitrate durch Kapitalintensivierung • in t2 sinken die Produktpreise und damit der Mehrwert sowie die Profitrate (bei letztlich wieder gleicher Ausbeutungs- bzw. Mehrwertrate m´) • aber: der Reallohn steigt offenbar bei sinkenden Preisen (von Marx nicht gesehen) Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 17 Transformationsproblem von Werten in Preise Marx behauptet: • Mehrwert- bzw. Ausbeutungsrate ist in allen Industrien gleich (hier m´= 1) • Preisverhältnisse der Güter entsprechen ihren (Arbeits-)Werten Beides gilt jedoch nur bei identischer OZK in allen Industrien i, andernfalls ´(c v) wWertrechnung: = c+v+m Preisrechnung p-w 300 266,66 -33,3 50 200 200 +/-0 50 83,33 300 333,33 +33,3 200 200 800 800 0 Industrie c v OZK= c(c+v) m=m´v I 100 100 0,5 100 66,66 II 100 50 0,66 50 III 200 50 0,8 Alle 400 200 0,66 Im Durchschnitt gilt: pi wi : ´ p c v m 200 0,33 c v 600 Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 18 Marx´sche „Lösung“ des Problems: Marx: • Bei ungleicher OZK setzt sich gleiche Profitrate überall durch => Werte und Preise sind nicht mehr proportional in einzelner Industrie • Sehr wohl aber gilt dies im Durchschnitt aller Industrien => Mehrwertlehre gilt also gesamtwirtschaftlich Kritik von Samuelson, Ott u.a.: • Durchschnittsbetrachtung reine Tautologie, erklärt gar nichts über Preisrelationen oder Relevanz von Arbeitswerten • Samuelson ironisch dazu : Man nehme das eine System, radiere es aus, schreibe das zweite hin => voila, die Transformation ist gelungen Geschichte der ökonomischen Theorie, Prof. Dr. van Suntum 19