a) Konkretes Ordnungsdenken

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Transcript a) Konkretes Ordnungsdenken

IV. Rechtslehre und Rechtstheorie im 3. Reich

1. Weltanschaulich ausgerichtete Rechtsanwendung: a) Neue Rechtsidee:

Neben das positive Recht tritt eine die gesamte Rechtsordnung beherrschende, höherrangige,

überpositive Rechtsidee

.

"Die Vorschriften des BGB bestehen noch, aber sie erhalten durch die 'zentrale Rechtsidee' der siegreichen Bewegung eine neue Zielsetzung" (

Stoll

, DJZ 1933, 1231)

Elemente der neuen Rechtsidee:

• Geist des Nationalsozialismus • Errichtung einer auf mit dem Ziel der Reinerhaltung, Förderung und "Schutz" des deutschen Volkes.

Artgleichheit

gegründeten

völkischen Ordnung

Neue Rechtsquellenlehre:

-

Weltanschauung wird zur Rechtsquelle

; der Gesetzespositivismus wird als "Normativismus" und "Formalismus" diskreditiert.

Über dem Gesetz

stehen insbesondere folgende Prinzipien und

Maximen

(Rüthers, Entartetes Recht 27 f.): Führertum artbestimmte Volksgemeinschaft Parteiprogramm der NSDAP Geist des Nationalsozialismus gesundes Volkesempfinden

2. Rechtstheoretische Ansätze zur völkischen Rechtserneuerung:

Konkretes Ordnungsdenken (Carl Schmitt) Konkret-allgemeiner Begriff (Karl Larenz)

a) Konkretes Ordnungsdenken (Carl Schmitt)

aa) Begriff bewusst unscharf; Inhalt soll sich erst in der konkreten Anwendung erschließen; Begriff hat dabei die Funktion einer "

Zauberformel

"

Beispiele:

"

konkrete Lebensordnung

" soll Vorrang haben vor den geschriebenen

Rechtsnormen

(Anti-Positivismus) 1

b)

Konsequenzen:

Konkretes Ordnungsdenken ist

maßgebliche Rechtsquelle

, die im Range über dem positiven Recht steht (Weltanschauung des Nationalsozialismus, Führerwille)

anders ausgedrückt:

Neben die normative Kraft des Faktischen tritt die normative Kraft des Ideologischen (Rüthers, Entartetes Recht 76) 2

c) Höhepunkt der Rechtsperversion:

"Der Führer schützt das Recht" (s. Folie T1 - 20) Rechtfertigung der Ermordung vom Röhm und seinen Anhängern durch Führerbefehl: Führerbefehl als Rechtsquelle, Gesetz und Richterspruch in einem!

3

Zu b) Der konkret-allgemeine Begriff bei Larenz

aa) Völkisches Rechtsdenken verlange statt inhaltsleerer abstrakter Begriffe den inhaltsfüllenden

"konkreten" Begriff

Konkretisierung durch Orientierung an der "völkischen Lebensordnung"; ähnlich wie bei Carl Schmitt (dort konkrete Ordnung; hier konkreter Begriff)

bb) Hauptanwendungsfeld:

Umdeutung der

Rechtsfähigkeit

Ausgangspunkt des

BGB um 1900

war das Selbstverständnis, dass jeder Mensch rechtsfähig ist

§ 1 BGB: „ Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.

“ 6

Für nationalsozialistische Lehre war diese Sicht zu individualistisch, da sie die angestrebte

Unterscheidung von Volksgenossen und Nicht-Ariern

ermöglichte.

nicht

Larenz

konnte das mit dem

konkret-allgemeinen Begriff

begründen: Entscheidend für die

Rechtsstellung des Einzelnen

sei

nicht mehr

der abstrakte Personenbegriff des BGB (!), sondern die

konkrete Stellung des Einzelnen als Mitglied der Gemeinschaft.

Daraus folge: die

rassische und völkische Mitgliedschaft

Voraussetzung der vollen

Rechtsfähigkeit

.

war 8

Zitate Larenz:

"Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist ... Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht, ist nicht Rechtsgenosse. Allerdings kann und wird der Fremde in vielen Beziehungen als Gast den Rechtsgenossen gleichgestellt werden..." (in: Rechtsperson und subjektives Recht 1935, 21). Paulus, JuS 1994, 368: von den Einschränkungen des § 1 führte ein gerader Weg nach Ausschwitz!

9

Parteiprogramm der NSDAP

4. "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.

5. Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muss unter fremden Gesetzgebungen stehen." (Zitat

Rüthers

, 92 f)

Konsequenz:

Rassefremden ist die Ehefähigkeit versagt, sie können nicht Beamte oder Richter sein; aber laut Lebensschutz sowie Vermögensrechte“ genießen. Das sollte sich bald ändern ...

Larenz

sollten sie immerhin „Leib- und 10

V.

1.

Justiz:

Tragende Säule:

Volksgerichtshof

in Leipzig, aber nicht nur!

„Bilanz“: zwischen 32.000 und 80.000 Todesurteile während der NS-Zeit (2/3 vollstreckt)

2. Wie funktioniert die Gleichschaltung der Justiz?

aa) Auslegung

im nationalsozialistischen Sinne bb) Schaltstellen:

unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln

(z.B. Treu und Glauben; gute Sitten) cc) Wo Anpassung nicht möglich ist, muss gegen das Gesetz

(contra legem)

entschieden werden.

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3. Beispiel LG Köln, DJ 1933, 818

(Müller, 101) Bereits ab 1933 zunehmende Weigerung der Standesbeamten,

Eheschließungen zwischen jüdischen und „arischen“ Partnern

vorzunehmen

Nürnberger Gesetze

zum Schutz des deutschen Blutes erst 15.9.1935 (Lit.: Hansmann NJW 2005, 2648) Vor allem NSDAP-Mitglieder wollten sich von jüdischen Ehegattinnen trennen, so auch im Fall des LG Köln

a) Scheidung?

- setzte (damals) Verschulden des Partners voraus

b) Anfechtung:

Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften 12

(1) LG Köln:

Rassenzugehörigkeit = persönliche Eigenschaft

(2) Irrtum? M wusste

, dass F Jüdin ist; LG Köln: M kannte aber die

Bedeutung

der „Rasse“ nicht

(3) Fristablauf (§ 1339 BGB a.F.: 6 Monate): M

hatte seit

Eintritt in NSDAP

Kenntnis von der Bedeutung der „Rasse“ seiner Ehefrau LG Köln verneint: "

instinktmäßiger Rassismus

" bedeute noch nicht „Kenntnis“

Ergebnis

: Anfechtung wirksam, obwohl es an einem Irrtum fehlt und die Anfechtungsfrist längst verstrichen ist 1938 wurde Eherecht im

BGB

aufgehoben; nach dem dann geltenden

EheG konnte die Ehe als „

Rassenmischehe" angefochten werden.

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4. Charell-Fall RG JW 1936, 2529

UfA (Universum Film AG mit Sitz in Potsdam) hatte Vertrag mit jüdischem Regisseur

Eric Charell

abgeschlossen. Kündigungsrecht bei

Tod

oder

Krankheit

des Regisseurs.

RG: "völlige Rechtlosigkeit"

Tod„ gleich!

der Juden komme dem "leiblichen

Analogie haarsträubend

; gemäß

§ 1 BGB

Rechtsfähigkeit (Müller, S. 123 f) hat jede Person gleiche Auslegung des BGB i.S.d. "völkischen Ungleichheit„ ist nicht Auslegung, sondern "Einlegung" (Rüthers) 14