Die Praxis der Gesundheitsversorgung nach Änderung der Allgemeinen

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Susann Huschke
Institut für Ethnologie
Freie Universität Berlin
Die Praxis der Gesundheitsversorgung nach Änderung der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum
Aufenthaltsgesetz:
Was geschieht, wenn ein/e undokumentierte/r
MigrantIn im Krankenhaus Hilfe sucht?
bei Fragen: [email protected]
Das Krankenhaus als letzte Option
• Beschwerden ignorieren
• Selbstbehandlungen
• Nicht-staatliche Anlaufstellen (medibüro, MMM)
Rettungsstelle
Theorie:
• Medizinische Notfälle müssen behandelt werden
• Unabhängig von Kostenübernahme durch Versicherung,
Sozialamt oder PatientIn
• Entscheidung nur durch eine/n ÄrztIn
Rettungsstelle
Praxis:
• Prozedere an der Aufnahme – „Abschreckung“
zahlungsunfähiger PatientInnen?
• Anzahlung 50-200 Euro
• Passkopie
• Adresse
• Der äußere Eindruck zählt!
WOHIN GEHEN
DIESE PATIENT/INNEN?
Rettungsstelle
kein Notfall:
• chronische Rückenschmerzen
• seit Längerem bestehender Durchfall
• Gelenkbeschwerden
• Schwangerschaft (ohne Anzeichen für Geburt)
• HIV/AIDS
• Diabetes
WOHIN GEHEN
DIESE PATIENT/INNEN?
Rettungsstelle
Ambulante Versorgung
• Barzahlung
• oder ohne Kostensicherung
 Antrag auf Kostenerstattung
wird nicht gestellt!
Stationäre Behandlungen
• entweder „unabweisbarer“ Notfall
• oder engagiertes Krankenhauspersonal
• oder über medibüro und MMM vermittelt
Finanzierung stationärer
Behandlungen
•
•
•
•
•
Legalisierung (Asylantrag etc.)
Nicht-staatliche Organisationen (Spenden)
Krankenhaus verzichtet auf (Teil)Summe
Ratenzahlung durch Patientin/en
Abrechnung mit dem Sozialamt als Nothilfe
1.
2.
3.
4.
Aufnahmeschein incl. Unabweisbarkeitsbescheinigung
Rechnung
Identitätsnachweis (Passkopie)
Fragebogen zu persönlichen Verhältnissen - Nachweis über
Hilfebedürftigkeit (statt „A-Bogen“)

Seit der AVV praktikabler?
Fragebogen Nothilfe Berlin
•
Aus welchen Gründen sind Sie nach Deutschland gekommen?
•
Wurde vor Ihrer Einreise gegenüber der Ausländerbehörde oder einer
Auslandsvertretung eine Verpflichtungserklärung abgegeben? (Wollte jemand in
Deutschland für Ihren Lebensunterhalt sorgen?)
•
Bis wann wollen Sie in Deutschland bleiben?
•
Seit wann halten Sie sich in Berlin auf?
•
Wo haben Sie sich vor dem Zuzug nach Berlin aufgehalten?
•
Wenn Sie als Tourist nach Deutschland gekommen sind, sich aber schon länger
als 3 Monate hier aufhalten, nennen Sie bitte die Gründe dafür:
•
Sind Sie oder waren Sie bzw. Ihr/e Ehe - oder Lebenspartner/in in Ihrem
Herkunftsland krankenversichert? (Kopie d. Nachweises beifügen)
•
Besteht für Sie die Möglichkeit einer Familienversicherung, obgleich Sie
volljährig sind? (Kopie eines Nachweises bitte beifügen)
•
Haben Sie oder hatten Sie bzw. Ihr/e Ehe - oder Lebenspartner/in in Ihrem
Herkunftsland eine Reisekrankenversicherung abgeschlossen? (Kopie eines
Nachweises bitte beifügen)
•
Sind Sie oder waren Sie bzw. Ihr/e Ehe - oder Lebenspartner/in in Deutschland
krankenversichert? (Kopie eines Nachweises bitte beifügen)
Fragebogen Nothilfe Berlin
•
Bei Schwangerschaft oder Entbindung: Name und Anschrift des Kindesvaters
•
Wovon bestritten Sie Ihren Lebensunterhalt in Ihrer Heimat?
•
Wovon bestritten Sie Ihren Lebensunterhalt in Deutschland vor dem
Krankenhausaufenthalt?
•
Haben Sie bzw. Ihr/e Ehe - oder Lebenspartner/in bzw. (bei minderjährigen
Patienten) Ihre Eltern Sozialleistungen beantragt? (Kopie des Antrages bitte
beifügen)
•
Besitzen Sie Vermögen (Bargeld, Sparguthaben, Grundbesitz, PKW usw.) in
Ihrer Heimat, in Deutschland oder einem anderen Land? Ja – in welcher Höhe?
•
Bezieht Ihr/e Ehe - oder Lebenspartner/in bzw. Ihre Eltern Einkommen? Ja – in
welcher Höhe?
•
Besitzt Ihr/e Ehe - oder Lebenspartner/in bzw. Ihre Eltern Vermögen? Ja – in
welcher Höhe?
•
Zahlen Sie Miete für die oben genannte Wohnung? Ja – in welcher Höhe?
•
Nein, die Miete wird bezahlt von (Name und Anschrift):
•
Wie viele Personen leben in der oben genannten Wohnung?
Fragebogen in der Praxis anwendbar?!
Kostenübernahme bei Nothilfe
• Ohne Nachweis der Bedürftigkeit nach § 25 SGB XII keine
Übernahme der Kosten
• Ohne ausgefüllten Fragenbogen keine nachgewiesene
Bedürftigkeit
• Persönliches Vorsprechen im Sozialamt unter Umständen
dennoch notwendig
Mitarbeiterin Sozialamt:
„Selbst mit dem ausgefüllten Fragebogen ist die Bedürftigkeit
nicht nachgewiesen, sondern das ist nur ein Anhaltspunkt.
Es bleibt immer eine Einzelfallentscheidung.“
Keine Papiere?
Identität ungeklärt
Verwaltungsvorgang problematisch
Meldebehörde
Ausländerbehörde
Abschiebung?
Zusammenfassung
AVV und verlängerte Schweigepflicht ändern die
Praxis der Versorgung bisher nur wenig
• Ambulante Behandlungen (auch in Rettungsstellen)
finanziell nicht gedeckt
• Stationäre Behandlungen finanziell nicht gedeckt –
Kostenerstattung durch Sozialämter funktioniert selten:
• MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus sind nach wie vor häufig aus
Angst nicht bereit , Daten anzugeben
• die vom Sozialamt geforderten Unterlagen, die eine Bedürftigkeit
glaubhaft belegen, können nicht eingereicht werden
• eine direkte Bedürftigkeitsprüfung mit Termin im Sozialamt wäre
übermittlungspflichtig
• Atmosphäre der Angst bleibt bestehen
• Identitätsprüfung mit Einschaltung der Behörden weiter möglich
Fazit
Medizinische Versorgung von undokumentierten, nichtversicherten MigrantInnen in Krankenhäusern ist in der
Praxis nach wie vor für alle Beteiligten problematisch.
Forderungen
Grundlegender Sinneswandel:
• Es geht um bestehende Rechte, nicht um Zugeständnisse
• Finanzielle und organisatorische Last kann nicht von
nicht-staatlichen Organisationen und willigen
Krankenhäusern getragen werden
Konkrete Lösungen:
• MigrantInnen die Angst nehmen: flächendeckende
Abschaffung der Übermittlungspflichten
• Praktikable, auf einem Gespräch im Krankenhaus
beruhende Bedürftigkeitsprüfung muss ausreichen (auch
im Sinne der Rechnungsprüfung im Sozialamt)
• Ambulante Versorgung regeln – teure Notfälle vermeiden
Vielen Dank
für’s Zuhören!
Copyright Photos:
Tillmann Engel