Newsletter Arbeitsrecht Deutschland

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Transcript Newsletter Arbeitsrecht Deutschland

a newsletter from
mannheimer swartling
april 2012
kontaktpersonen:
Rechtsanwälte
Dr. Christian Bloth, Fachanwalt für
Arbeitsrecht,
Frankfurt (Editor)
Alper Ardali, Frankfurt
Ulf Christoph Lohrum, LL.M, Berlin
Dr. Kerstin Kamp-Wigforss, LL.M.,
Stockholm
e-mail
MannheimerSwartling
[email protected]
mannheimer swartling
frankfurt am main
Bockenheimer Landstraße 51-53
D-60325 Frankfurt am Main
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D-10117 Berlin
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Norrlandsgatan 21
Box 1711, 111 87 Stockholm
Tel: +46 8 595 065 00
Fax: +46 8 595 065 01
www.mannheimerswartling.de
dieser newsletter
erfolgt zu informationszwecken und nicht zur
rechtsberatung. unter
angabe der quelle dürfen
die beiträge verbreitet und
zitiert werden.
Newsletter
Arbeitsrecht Deutschland
Editorial
sehr geehrte damen und herren,
wir freuen uns, Ihnen unseren zweiten Newsletter des Jahres 2012
vorlegen zu können.
Zwei Beiträge setzen sich mit Vergütungsfragen auseinander. Der eine
Beitrag betrifft die Frage von Ansprüche eines Arbeitnehmers, falls
sich variable Vergütungen aufgrund von Organisationsänderungen
des Unternehmens vermindern. Der andere Beitrag behandelt die
Vergütungspflicht von Überstunden, auch wenn entsprechende
Ansprüche vertraglich ausgeschlossen sind.
Die Frage der Abgeltung von Urlaubsansprüchen langzeiterkrankter
Arbeitnehmer ist nach wie vor aktuell. Wir verfolgen dieses Thema
weiter. Nunmehr hat das LAG Hamm infolge eines von uns ebenfalls bereits besprochenen EuGH-Urteils entschieden. Auch andere
Urteile lassen erkennen, dass die Rechtsprechung dem Arbeitgeber
Gestaltungsmöglichkeiten einräumt.
Wir berichten über eine weitere Entscheidung betreffend Schadensersatzansprüche wegen „Mobbings“. Fragen der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses werden erörtertin einer Entscheidung zur
arglistigen Täuschung, falls der Arbeit-nehmer über seine gesundheitliche Eignung die Unwahrheit gesagt hat. Auch die Frage des
Diebstahls geringwertiger Sachen hat die Gerichte wieder tätig werden lassen.
Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit der Durchführung
eines Interessenausgleichsverfahrens in Relation zu einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG beleuchtet der abschließende
Beitrag.
Dieser Newsletter wurde im Wesentlichen durch die in unserer
Kanzlei tätigen Referendare vorbereitet. Wir wünschen Ihnen eine
interessante Lektüre.
dr. christian bloth
Objektive Vergütungserwartung für Überstunden
grundsätzlich nur dann, wenn
der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt bezieht
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 22. Februar. 2012
(5 AZR 765/10) entschieden, dass „Normal-“ und „Gering-Verdiener“
Überstunden regelmäßig vergütet bekommen müssen, auch wenn die
Parteien keine Vergütungsregelung getroffen haben. Eine objektive
Vergütungserwartung ist regelmäßig aber nur dann gegeben, wenn
der Arbeitnehmer kein herausgehobenes Entgelt bezieht.
Im vorliegenden Fall hatte im Zeitraum 2006 – 2008 ein Lagerleiter
vor dem Arbeitsgericht Magdeburg die Vergütung geleisteter
„Nachtschichten und Mehrarbeitsvergütung“, für insgesamt 968
Stunden, in Höhe von insgesamt EUR 12.136,16 (EUR 9,85 brutto
je Stunde), davon EUR 11.326 für Mehrarbeit, bei der beklagten
Spedition geltend gemacht. Wie in solchen Fällen üblich, wurde
die Klage erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhoben.
Der Arbeitsvertrag sah ein monatliches Bruttoentgelt von EUR
1.800 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden vor. Im
Falle eines betrieblichen Erfordernisses sollte der Arbeitnehmer
ohne besondere Vergütung zu Mehrarbeit verpflichtet sein. Das
Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht
Sachsen-Anhalt hat ihr mit Urteil vom 5. Oktober 2010 (6 Sa 63/10)
in Höhe von EUR 9.534,80 stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Die Klausel, die den Arbeitnehmer zur Mehrarbeit ohne besondere Vergütung verpflichtete, war gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB
wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz unwirksam:
Die Klausel ließ aus der Sicht eines verständigen Arbeitnehmers
die genauen Anforderungen an die für die Vergütung erwarteten
Arbeitsleistungen im Unklaren. Allein die Unwirksamkeit einer
solchen Klausel ergibt jedoch keinen Anspruch auf eine höhere
Vergütung. Anspruchsgrundlage für eine Überstundenvergütung ist
§ 612 Abs. 1 BGB. Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als
stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen
nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Diese objektive
Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs
unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs
und der Dauer der Dienstleistung, sowie der Stellung der Beteiligten
zueinander zu ermitteln (BAG Urteil vom 17. August 2011; 5 AZR
405/10 Ziff. [21a]). Das BAG befand, dass vorliegend angesichts der
Höhe des vereinbarten Bruttoentgelts die Leistung von Überstunden
nur gegen eine zusätzliche Vergütung zu erwarten war.
Vor dem BAG hat den Einwand des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer
habe seine Ansprüche wegen des Zeitablaufs verwirkt, nicht verfangen.
Zudem enthielt der Arbeitsvertrag eine unwirksame Verfallsklausel,
wonach Ansprüche bereits zwei Monate nach der Entlohnung geltend
zu machen waren, bzw. einen weiteren Monat nach Ablehnung auch
gerichtlich, eine Klausel, die so nicht wirksam war.
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Anders hatte es in seinem Urteil vom 17. August 2011 (5 AZR
405/10) entschieden, wobei hier die Basis eine ganz erheblich höhere Grundvergütung des Klägers war. Hier hatte ein angestellter
Rechtsanwalt mit einem monatlichen Bruttogehalt von EUR 5.833,
33 die Vergütung geleisteter Überstunden in Höhe von EUR 39.362,
26 (EUR 42,31 brutto je Stunde) eingeklagt. Der Arbeitsvertrag sah
vor, dass eine etwaig notwendig werdende Über- oder Mehrarbeit
durch die Bruttovergütung abgegolten wird. Diese Klausel war auch
hier gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB mangels hinreichender Transparenz
unwirksam, was aber nicht „automatisch“ zu einer Vergütung der
Überstunden führte. Als Anspruchsgrundlage für eine Vergütung
kam wiederum nur § 612 Abs. 1 BGB in Betracht. Das BAG
befand allerdings, dass dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Es
führte aus, dass es insbesondere bei Diensten höherer Art keinen
allgemeinen Rechtsgrundsatz gebe, dass jede Mehrarbeitszeit
über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist (Urt. v. 17.
August 2011 Ziff [21a]). Im Rahmen der Beurteilung der objektiven
Vergütungserwartung kam das BAG zum Ergebnis, dass sie vorliegend nicht gegeben war. Es verwies darauf, dass die (objektive)
Vergütungserwartung stets unter Berücksichtigung des Verhaltens,
der Art, des Umgangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der
Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen sei.
Zusammen zeigen die beiden Entscheidungen deutlich die Maßstäbe
auf, die für die Beurteilung der objektiven Vergütungserwartung
nach der Auffassung des BAG gelten. Vereinfacht ausgedrückt:
Wer ein überdurchschnittlich hohes Gehalt bezieht, muss auch an
die für die Vergütung erwartete Arbeitsleistung andere Maßstäben
anlegen und kann nicht erwarten, dass Überstundenvergütung
geleistet werden. Es empfiehlt sich also, gerade bei besser verdienenden Mitarbeitern auch vertraglich aufzunehmen, dass angesichts
der Höhe der Grundvergütung Über- und Mehrarbeit Teil der
Vergütung ist.
annika schreiber
[email protected]
Variable Vergütung:
Arbeitgeber haften nicht für
Gehaltseinbußen infolge von
Organisationsänderungen
Der Achte Senat des Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer neueren Entscheidung (Urteil vom 16. Februar 2012 – 8 AZR 98/11 –)
festgestellt, dass ohne besondere vertragliche Vereinbarung
grundsätzlich keine Pflicht des Arbeitgebers besteht, seine
Organisationsgewalt so auszuüben, dass die Höhe des erfolgsabhängigen variablen Entgelts einzelner Mitarbeiter sich nicht verändert. Damit hat das BAG das Urteil des Landesarbeitsgerichts
(LAG) München vom 7. Oktober 2010 – 2 Sa 1206/09 - bestätigt.
Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, wonach die Beklagte
Versicherungsleistungen vertreibt. Sogenannte „Beauftragte“
versuchen, mit potentiellen Kunden ein umfassendes Gespräch
über Versicherungsleistungen im Wege der „Kaltakquise“ zu vereinbaren. Dieses wird dann von „Beratern“ der Beklagten durchgeführt. Die Vergütung der Berater besteht überwiegend aus variablem Entgelt. Der Kläger war zunächst als Berater und zuletzt als
Vertriebsleiter der Berater tätig. Es bestand ein Provisionssystem,
wonach auf jeder der drei Vertriebsstufen Provisionen gezahlt
wurden, der Vertriebsleiter ebenfalls Provision für Abschlüsse
der ihm unterstellten Mitarbeiter erhält. Durch eine Veränderung
der Vertriebsstrukturen sind, nach der Ansicht des Klägers, die
Zahl der Berater – hier eine Reduktion um 60 % – und damit die
Beratungstermine zurückgegangen. Nach seiner Auffassung ist die
Beklagte aber verpflichtet, eine ausreichende Zahl von Beratern
und Beratungsterminen zur Verfügung zu stellen. Durch die
zumindest „fahrlässige“ Reduzierung habe er weniger Verträge
abschließen können und Gehaltseinbußen erlitten. Er begehrte
wegen der Gehaltseinbußen Schadensersatz für die Jahre 2006 –
2008 in sechsstelliger Höhe.
Wie schon in den Vorinstanzen blieb die Klage auch vor dem
BAG ohne Erfolg. Eine Pflicht, eine ausreichende Zahl von
Beratern und Beratungsterminen sicherzustellen, besteht nach den
Entscheidungen nicht.
Nach Ansicht des LAG kann eine solche Pflicht nicht begründet
werden, weil kein Vertrag, kein berechtigtes Vertrauen in die betriebliche Übung und keine Verhaltenspflicht zur Rücksichtnahme
(§ 241 Abs. 2 BGB) besteht.
Ein Vertrauen des Klägers in die betriebliche Übung konnte nicht
entstehen, weil die Möglichkeit, Beauftragte zu akquirieren, auch
von der jeweiligen Arbeitsmarktsituation und den wirtschaftlichen
Verhältnissen abhängt. Das sind Faktoren, die der Arbeitgeber
nicht beeinflussen kann.
Eine aus dem Arbeitsvertrag erwachsende Verhaltenspflicht zur
Rücksichtnahme begründet keine Pflicht zu Ausgleichszahlungen,
weil die Vergütung detailliert in den Verträgen geregelt ist.
Wenn davon abgesehen wurde, die Zahl der Beauftragten und
der Termine arbeitsvertraglich zu regeln, so können sich die
vom Kläger angenommenen Verpflichtungen nicht aus der
Fürsorge oder Rücksichtnahme ergeben. Im Übrigen wird die
Rücksichtnahmepflicht durch die Verhältnismäßigkeit begrenzt
(BAG vom 10.07.1991 – 5 AZR 383/90 – NZA 1992, 27). Der Arbeitgeber muss nicht bei der Rücksicht auf die Interessen einzelner
Arbeitnehmer seine eigenen schutzwerten Interessen vernachlässigen. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass
der Arbeitgeber aufgrund seiner unternehmerischen Freiheit grundsätzlich darüber entscheidet, mit welchem Organisationsstrukturen
er den Betriebsablauf gestalten will.
Das BAG führt in der hier nun vorliegenden Pressemitteilung weiter
aus, dass es dem Wesen eines variablen Entgeltbestandteils entspricht,
in der Höhe von Einflüssen des Marktes, der Vertriebsorganisation
des Arbeitgebers oder solche, die vom Arbeitnehmer ausgehen, abhängig zu sein. Eine Pflicht des Arbeitgebers, seine Organisation
so zu gestalten, dass die erfolgsabhängig Vergüteten ein maximales
variables Entgelt erzielen, bedarf einer gesonderten vertraglichen
Vereinbarung.
Das Urteil des BAG ist arbeitgeberfreundlich und schafft hinsichtlich variabler Vergütungen Rechtssicherheit. Für eine arbeitnehmerfreundliche Entscheidung sprach zwar, dass der Arbeitnehmer
sich auf ein gewisses Gesamteinkommen eingestellt hat, das –
gegebenenfalls ohne sein Zutun – durch eine Umstrukturierung
des Vertriebssystems, etwa Zahl der an ihn berichtenden
Berater, des Arbeitgebers in erheblichem Maße gefährdet wird.
Der Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Vergütung ist es jedoch
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immanent, dass mit ihr ein Teil des Betriebsrisikos übernommen
wird. Die variable Vergütung kann auch zu einem außergewöhnlich
hohen Gewinn für den Arbeitnehmer führen. Es erscheint daher
als angemessen, dass der Arbeitnehmer dann auch Gehaltseinbußen
hinnehmen muss, wenn er durch eine Umstrukturierung nur
geringere Umsätze generieren kann.
felix stöcker
[email protected]
Update: Urlaub für langzeiterkrankte Arbeitnehmer –
Übertragungszeitraum kann
zeitlich beschränkt werden
Bereits im Newsletter vom Dezember 2011 wurde über die
Entscheidung des EuGH vom 22. November 2011 berichtet
(Rs. C-214/10), in der der Gerichtshof auf eine entsprechende
Vorlagefrage des LAG Hamm (16 Sa 1176/09) die tarifliche
Begrenzung des Ansammelns von Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankung auf einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten
für zulässig erklärte. Dies wurde auf Arbeitgeberseite im Lichte der
vorausgegangenen Rechtsprechung des EuGH zur Verfallbarkeit
von Urlaubsansprüchen Langzeiterkrankter mit Erleichterung aufgenommen. Nach der Vorabentscheidung des EuGH erging nun
am 22. März 2012 das Urteil des LAG Hamm. Nicht überraschend
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folgte das Gericht der Entscheidung des EuGH und verurteilte
die Beklagte lediglich dazu, den Urlaub nur bezogen auf einen
Übertragungszeitraum von 15 Monaten abzugelten. Im Übrigen
wurde die Klage abgewiesen.
Zur Begründung führte das LAG Hamm an, dass dem Kläger, der
vom 23. Januar 2002 bis zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses
zum 31. August 2008 ununterbrochen arbeitsunfähig krank gewesen
war, nur ein Anspruch auf Abgeltung des Urlaubsanspruchs für 15
Monate zustehe. Der Tarifvertrag, dem das Anstellungsverhältnis
des Klägers unterlag, sehe ausdrücklich vor, dass der Urlaubsanspruch aus vergangener Zeit nur innerhalb von 15 Monaten nach
Ende des jeweiligen Urlaubsjahres geltend gemacht werden könne,
wenn der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen wurde. Da
diese Vorschrift auch nicht gegen Unionsrecht verstoße, könnten
die restlichen Urlaubsansprüche und mithin auch eine Abgeltung
hierfür nicht mehr geltend gemacht werden.
Fest steht somit, dass eine tarifrechtliche Regelung, die eine
zeitliche Begrenzung der Urlaubsansprüche vorsieht, wirksam ist,
sofern der Übertragungszeitpunkt die Dauer des Bezugszeitraums
deutlich überschreitet. Nicht höchstrichterlich geklärt ist hingegen,
ob Urlaubsansprüche nach einem bestimmten Zeitraum auch kraft
Gesetz erlöschen, wenn keine einzelvertragliche Vereinbarung oder
tarifrechtliche Regelung getroffen wurde.
Dies wird vom LAG Hamm bejaht, wie sich aus einem Urteil vom
12. Januar 2012 (16 Sa 1352/11) ergibt, mit dem das Gericht entschieden hat, dass Urlaubsansprüche langjährig arbeitsunfähiger
Arbeitnehmer spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahrs
verfallen, wenn sie bis dahin nicht geltend gemacht wurden.
Die Klägerin des zugrundeliegenden Streitfalls war in dem
Supermarkt der Beklagten als Leiterin der Fleischwarenabteilung
beschäftigt. Seit März 2007 war die Klägerin ununterbrochen
arbeitsunfähig krank und bezog ab dem 9. Oktober 2008 eine Rente
wegen voller Erwerbsminderung. Zum 31. Januar 2011 endete das
Arbeitsverhältnis. Die Klägerin reichte Klage ein, mit der sie unter
anderem Ansprüche auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2007–2011
geltend machte.
Das Arbeitsgericht Herford gab dem Antrag mit Urteil vom 9.
August 2011 (Ca 95/11) statt. Seine Entscheidung stützte das Gericht
im Wesentlichen auf die geänderte Rechtsprechung des BAG
infolge der Entscheidung des EuGH in der Sache Schultz-Hoff. Es
vertrat deshalb die Auffassung, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch
der Klägerin nicht zeitlich zu begrenzen sei, da es hierfür keine
gesetzliche Grundlage im deutschen Recht gebe.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein, mit der sie vor
dem LAG Hamm insoweit Erfolg hatte, als dass das Arbeitsgericht
der Klägerin auch Abgeltungsansprüche zuerkannt hatte, die auf
Urlaubsansprüche aus den Jahren 2007 und 2008 gestützt wurden. Denn diese waren nach Auffassung des LAG Hamm entsprechend § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG verfallen. Dies folge aus der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG,
wonach an die Stelle des dreimonatigen Übertragungszeitraums
unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens
Nr. 132 ILO ein 18-monatiger Übertragungszeitpunkt trete. Nach
Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens ist der Urlaub – grundsätzlich
– spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres zu gewähren und zu nehmen. Eine solche Rechtsfortbildung sei auch mit
dem Unionsrecht vereinbar. Denn der Entscheidung des EuGH
vom 22. November 2011 sei zu entnehmen, dass eine richtlinienkonforme Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG nicht den Wegfall
jeglicher Befristung, sondern nur die Beachtung von Mindesfristen erfordere.
Mit dieser Rechtsprechung befindet sich das LAG Hamm auf einer
Linie mit dem LAG Baden-Württemberg, das in einer Entscheidung
vom 21. Dezember 2011 (10 Sa 19/11) ebenfalls entschieden hatte,
dass Urlaubsansprüche bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit nach
einer bestimmten Zeit kraft Gesetz erlöschen.
Die Zulässigkeit einer derartigen Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG
wurde bereits im Newsletter vom Februar 2012 ausgesprochen. Fraglich scheint insoweit vor allem, wie auf der Grundlage des deutschen
Rechts eine Frist für den Übertragungszeitpunkt gewonnen werden
kann. Denn während das LAG Baden-Württemberg in Anlehnung an
die Rechtsprechung des EuGH die Übertragungszeit auf 15 Monaten
begrenzen möchte, stellt das LAG Hamm auf die 18-Monatsfrist des
Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 ILO ab.
Letzteres scheint in der Tat vorzugswürdig, da sich das Abstellen auf
eine 15-Monatsfrist nur schwer rechtsdogmatisch begründen lässt.
Denn bei der vom EuGH für zulässig erachteten Beschränkung
der Übertragungsfrist auf 15 Monate, handelte es sich um eine
tarifvertragliche Regelung, deren Anwendungsbereich auf die Metallindustrie des Landes Nordrhein-Westfalen beschränkt ist. Ein allgemeiner Grundsatz kann der Vorschrift deshalb anders als Art. 9 Abs.
1 des Übereinkommens Nr. 132 ILO nicht entnommen werden.
Es bleibt aber festzuhalten, dass die Rechtslage im außertariflichen Bereich weiterhin alles andere als gesichert ist. Denn auch
wenn die Auslegung des § 7 Abs. 3 BurlG durch das LAG
Hamm wohl mit dem Unionsrecht vereinbar ist, da es den
Anwendungsbereich der Richtlinie (2003/88/EG) nicht erweitert,
sondern in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH
beschränkt, erscheint ein gesetzliches Erlöschen der Ansprüche
aus Rechtssicherheitserwägungen problematisch. Die Bezugnahme
oder das Einfließen des Abkommens Nr. 132 ILO – quasi als innerstaatliches Recht, gleichsam als „Gesetzesersatz“ – für eine infolge
der EuGH Praxis entstandene Lücke ist konzeptionell fragwürdig,
aber aus rechtpraktischer Sicht begrüßenswert. Den nicht tarifgebundenen Arbeitgebern kann nur empfohlen werden, vertragliche
Regelungen zu schaffen, die sich an die Regelung der ILO anlehnen.
julia koch
[email protected]
Schadensersatz wegen
„Mobbing“ setzt ein sozial
inadäquates Verhalten voraus
Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) hat mit Urteil vom 19.
Januar 2012 (Az. 11 Sa 722/10) klargestellt, dass nicht jeder Konflikt
„Mobbing“ ist. Ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch
eines Arbeitnehmers gegen einen Kollegen setzt ein Verhalten
voraus, welches die Grenzen sozial- und rechtsadäquaten Verhaltens
in üblichen Konfliktsituationen des Arbeitslebens deutlich überschreitet. Die Schwierigkeit in derartigen Konstellationen liegt
darin, die richtige Grenzlinie zwischen üblichen Konflikten im
Arbeitsleben und solchen, die über dieses Maß hinausgehen, sich
bereits gar als Persönlichkeitsverletzung darstellen, zu finden.
Im Streitfall hatte ein Oberarzt, der bereits seit dem Jahre 1987
in einem Krankenhaus beschäftigt war, seit 2003 wiederholt
Mobbingvorwürfe gegen den Beklagten, den Chefarzt, also nicht
der Arbeitgeber, erhoben. Dieser hatte die Chefarztstelle der
Neurochirurgischen Abteilung bekommen, nachdem sich der Kläger
darauf erfolglos beworben hatte. Der Kläger war zwischenzeitlich
in psychiatrischer Behandlung und für längere Zeit arbeitsunfähig,
was er auf die nach seiner Ansicht gegebenen Mobbinghandlungen
zurückführte. Der Kläger erhob sodann 2004 Klage gegen die
Arbeitgeberin mit dem Antrag, den Chefarzt zu entlassen und
Schmerzensgeld zu bezahlen. Die Parteien legten den Streit durch
Vergleich bei. Seitdem war der Kläger im medizinischen Controlling
beschäftigt. Nun klagte er vor dem Arbeitsgericht Dortmund (Az. 10
Ca 584/09) gegen den Chefarzt auf Zahlung von Schadenersatz
in Höhe einer halben Millionen Euro, mit der Begründung, dass
seine psychische Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit, die zu
erheblichen Einkommenseinbußen geführt habe, auf das Verhalten
des Beklagten ihm gegenüber zurückzuführen sei. Die Klage
hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG keinen
Erfolg. Das LAG ließ auch die Revision zum BAG nicht zu.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist beim Bundesarbeitsgericht
(BAG) anhängig.
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„Mobbing“ ist unter Heranziehung der Definition des Begriffes
„Belästigung“ in § 3 Abs. 3 AGG gegeben, wenn unerwünschte Verhaltensweisen bezwecken oder bewirken, dass die Würde
der betroffenen Person verletzt und ein von Einschüchterungen,
Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird (vgl. BAG, Urt.
v. 25. Oktober 2007, Az. 8 AZR 593/06). Ansprüche nach dem
AGG auf Schadensersatz/Entschädigung richten sich nach dem
AGG, worauf Klagen gegen andere Arbeitnehmern nicht gestützt
werden können. „Mobbing“ ist kein Rechtsbegriff, sondern eine tatsächliche Erscheinung. Ein Schadensersatzanspruch gegen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufgrund „Mobbings“ kann nur
dann gegeben sein, wenn diese arbeitsrechtliche Pflichten, ein so
genanntes absolutes Recht des Arbeitnehmers oder ein Schutzgesetz
verletzen (vgl. BAG Urt. v. 28. Oktober 2010, Az. 8 AZR 546/09).
Auch mehrere, isoliert betrachtet rechtlich unerhebliche Handlungen, können zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts oder
der Gesundheit des Betroffenen führen (BAG, Urt. v. 16. Mai 2007,
Az. 8 AZR 709/06), da für „Mobbing“ gerade typisch ist, dass durch
wiederholte Übergriffe ein feindliches Umfeld geschaffen wird,
welches die psychischen Belastungen der Betroffenen hervorruft.
Vorliegend befand das LAG – nach einer umfassenden
Beweisaufnahme durch Anhörung von über zehn Zeugen – dass die
Voraussetzungen für einen Schadens- und Schmerzensgeldanspruch
nicht gegeben seien: Im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen,
die sich durchaus auch über einen längeren Zeitraum erstrecken
können, seien sozial- und rechtsadäquat und begründen daher
kein pflichtwidriges Verhalten. Die Beweiswürdigung hatte
ergeben, dass die Grenzen eines sozial- und rechtsadäquaten
Verhaltens in üblichen Konfliktsituationen nicht überschritten
wurden. Der Beklagte habe insbesondere kein mobbingtypisches
feindliches Umfeld geschaffen und die Konflikte zwischen den
Parteien seien im Rahmen üblicher Arbeitskonflikte geblieben.
Das BAG hatte in einer ähnlichen Fallkonstellation am 25.
Oktober 2007 (Az. 8 AZR 593/06) anders entschieden. Hier
hatte ein Oberarzt seine Arbeitgeberin wegen „Mobbings“ verklagt. Diese hatte nach erfolgloser Bewerbung des Klägers auf
die Chefarztstelle einen externen Bewerber eingestellt, von
dem sich der Kläger „gemobbt“ fühlte. Nachdem er wegen
einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig wurde, verlangte
er, dass die Beklagte das Anstellungsverhältnis mit dem Chefarzt
beende, sowie die Zahlung von Schmerzensgeld. Das Arbeitsgericht
hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb
erfolglos. Das LAG hatte den Schmerzensgeldanspruch verneint,
weil der Chefarzt trotz seines „mobbingtypische Verhaltens“ nicht
habe erkennen können, dass dieses zu psychischen Erkrankungen
führen werde. Die Revision vor dem BAG hatte Erfolg. Dieses
befand, dass sich die Beklagte die schuldhafte Herbeiführung der
psychischen Erkrankungen des Klägers zurechnen lassen müsse,
da der Chefarzt ihr Erfüllungsgehilfe sei und wies den Rechtstreit
unter Aufhebung des Berufungsurteils an das LAG zurück.
Mit der vorliegenden Entscheidung stellt das LAG
erneut und zu recht hohe Anforderungen an das Vorliegen von
Schadens- und Schmerzensgeldansprüchen zwischen Kollegen untereinander und im Verhältnis zu Arbeitgebern. Arbeitgeber und
Kollegen bei jeder Auseinandersetzung für ihr Verhalten rechtlich zur Verantwortung zu ziehen, würde angesichts der Fülle an
Konfliktsituationen im Arbeitsalltag ausufern. Trotz der vom BAG
anerkannten Pflicht des Arbeitgebers, seine Arbeitnehmer vor
„Mobbing“ zu schützen und der unbestreitbaren Notwendigkeit
die Belästigung von Kollegen und Arbeitnehmern zu verhindern,
sind auch nach Auffassung des BAG strenge Anforderungen an
daraus resultierende Ansprüche zu stellen. Dies ist sowohl im
Interesse der Rechtssicherheit, als auch und gerade im Interesse
der wirklichen „Mobbing“ - Opfer unabdingbar, die sonst in
der Flut üblicher und nicht vergleichbarer Konfliktsituationen
untergehen würden. Das Urteil des LAG Hamm ist demnach zu
begrüßen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das BAG diesmal, sollte
die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg haben, entscheiden wird.
annika schreiber
[email protected]
Diebstahl geringwertiger
Sachen kann auch bei langer
Betriebszugehörigkeit fristlose Kündigung rechtfertigen
Nach der berühmten ”Emmely-” bzw. ”Pfandbon”-Entscheidung
des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 10. Juni 2010 (Az. 2 AZR
541/09, NJW 2011, S. 167), hat nun das Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg (LAG), also auch Vorinstanz in der „EmmelyEntscheidung“, mit Urteil vom 10. Februar 2012 (Az. 6 Sa 1845/11)
wieder einen Fall zur Verdachtskündigung entschieden. Dabei greift
es die Vorgaben des BAG aus der „Emmely- Entscheidung“ zum
Gedanken des Verbrauchs von Vertrauenskapitals bei langjähriger
Beschäftigung auf. Das LAG, welches die Berufung des Klägers
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. Mai 2011
(Az. 5 Ca 659/11) zurückwies, befand, dass eine fristlose Kündigung auch ohne vorausgehende Abmahnung trotz langjähriger
Betriebszugehörigkeit möglich sei, da der Kläger in zwei kurz
aufeinander folgenden Fällen das Vertrauen seines Arbeitgebers
durch seine im diametralen Widerspruch zu seiner Aufgabe als
Filialleiter stehenden Verhaltensweisen nachhaltig erschüttert hatte
(Urt. v. 10 Februar 2012, Ziff. 2.1.3.3.2).
Der Entscheidung des LAG liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
Der Kläger, ein Filialleiter eines Einzelhandelsunternehmens
(Beklagte), hatte an einem Tag einen Beutel Streusand aus der Filiale
mitgenommen, ohne diesen zu bezahlen oder sich in den darauf folgenden Tagen um eine Erstattung zu kümmern. Zwei Tage später
wurde er beim Verlassen der Filiale mit unbezahlten Waren im
Wert von EUR 12,02 angetroffen. Der Kläger, der bereits seit 1990
im Dienst der Beklagten stand und seit 1994 die Leitung der Filiale
inne hatte, leugnete die Vorwürfe. Daraufhin kündigte die Beklagte
dem 58- jährigen Kläger fristlos, ohne ihn zuvor abzumahnen. Die
hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte sowohl vor dem
Arbeitsgericht als auch vor dem LAG keinen Erfolg. Die Revision
wurde nicht zugelassen. Das LAG sah daraufhin nicht nur „gelegentliche Nachlässigkeiten“, sondern Handlungen, die „Ausdruck
einer gewissen Selbstherrlichkeit“ waren.
Das LAG Berlin- Brandenburg hatte, wenn auch durch eine andere
Kammer, im ”Emmely-” Fall ebenfalls vorinstanzlich die Berufung
der Klägerin gegen das die Kündigungsschutzklage abweisende
Urteil abgewiesen. Nach Auffassung des BAG hatte es in diesem Fall
jedoch im Rahmen der Interessenabwägung die Zumutbarkeit der
Weiterbeschäftigung fehlerhaft beurteilt. Wie auch der Kläger im
vorliegenden Fall hatte die Kassieren im Fall ”Emmely” durch jahrelanges, tadellos dienstliches Verhalten eine Vertrauensbeziehung zu
ihrem Arbeitgeber aufgebaut. Sie hatte, mit dem Tatvorwurf konfrontiert, zwar zunächst auch bestritten die „Kundenbons“ an sich
genommen und zu ihrem Vorteil verwendet zu haben, hatte aber
die Leergutbons in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht
befreundeten Kollegin eingelöst. Die Tatsache, dass sie mangels
Abzeichnung nach der betrieblichen Regelung keinen Anspruch
auf eine Gutschrift hatte, müsse für die Kassenmitarbeiterin und
die Vorgesetzte offenkundig gewesen sein und die Klägerin müsse
gewusst haben, dass dies unweigerlich Aufmerksamkeit nach sich
ziehen würde. Folglich könne sich die Klägerin nicht eines gravierenden Unrechts bewusst gewesen sein, vielmehr müsse sie gedacht
haben, dass ihr Verhalten tolerabel, notfalls jedenfalls korrigierbar
sei, so das BAG, (Urt.v. 10. Juni 2010, NJW 2011 S. 171). Das BAG
beschied daher, dass die Weiterbeschäftigung der Kassiererin nicht
unzumutbar und die Abmahnung nicht entbehrlich sei.
Der vorliegende, vom LAG am 10. Februar 2012 entschiedenen
Fall, ist nach Auffassung des LAG anders gelagert. Zwar hatte auch
hier der Kläger eine langjährige ungestörte Vertrauensbeziehung zu
seinem Arbeitgeber aufgebaut, jedoch hatte er diese nach Ansicht
des LAG insbesondere durch seine heimliche Vorgehensweise
nachhaltig erschüttert. Die Ausführungen des Klägers, er habe
das Streugut nur genommen, um rechtzeitig zur Arbeit zu
erscheinen und habe in seiner Tätigkeit als Filialleiter im Übrigen
immer die Zielvorgaben für den Warenverlust unterboten,
bewerte das LAG nicht zu seinen Gunsten. Es handele sich bei
den wiederholten Treuepflichtverletzungen nicht lediglich um
Nachlässigkeiten, sondern um Handlungen, die Ausdruck einer
gewissen Selbstherrlichkeit seien (Urt.v. 10. Februar 2012, Ziff
2.1.3.3.2). Es sei der Beklagten daher trotz der harten Folgen einer
sofortigen Arbeitslosigkeit des Klägers in einem Alter von 57 Jahren
nicht zumutbar, den Kläger noch wenigstens bis zum Ablauf der
siebenmonatigen Kündigungsfrist zu beschäftigen. Das LAG
hob besonders hervor, dass das Entnehmen des Streusalzrests im
Rahmen der Anhörung herausgefunden wurde.
Das LAG hatte bereits mit Urteil vom 1. Dezember 2011 (Az. 2 Sa
2015/11) einen ähnlichen Fall entschieden: auch hier hatte es das
Leugnen des Arbeitnehmers nach Begehung einer Pflichtwidrigkeit,
aber vor Ausspruch der Kündigung („Nach-Tat-Verhalten“) in die
Interessenabwägung einbezogen und zulasten des Klägers die fristlose Kündigung für wirksam erklärt.
Das LAG hat somit die durch das BAG aufgestellten Grundsätze
zur Verdachtskündigung von Langzeitbeschäftigten beim Diebstahl
geringwertiger Sachen berücksichtigt und die Besonderheiten des
Falles im Rahmen der Interessenabwägung herausgearbeitet. Nach
der langjährigen Rechtsprechung des 2. Senats des BAG (z.B. BAG
Urt. v. 24. November 2005; Az. 2 AZR 39/05) kann das ”NachTat-Verhalten” im Rahmen der Interessenabwägung beurteilt
werden. Dem steht die ”Emmely- Entscheidung“ des BAG nicht
entgegen. Das BAG stellte zwar fest, dass das Prozessvorbringen
der Klägerin nicht auf den Kündigungsgrund zurückwirken könne (Urt.v. 10. Juni 2010, NJW 2011, 167 Ziff. 51), bei dem hier
vorliegenden ”Nach-Tat-Verhalten” handelt es sich dagegen nicht um
Prozessvorbringen, vielmehr liegt das in Rede stehende Verhalten
vor Ausspruch der Kündigung. Die Annahme des LAG, dass eine
Weiterbeschäftigung des Klägers aufgrund des Vertrauensbruchs
für die Beklagte unzumutbar ist, dürfte, trotz des von der „EmmelyEntscheidung“ abweichenden Ergebnisses, sich im Rahmen der
Rechtsprechungsgrundsätze halten.
annika schreiber
[email protected]
Täuschung über die gesundheitliche Eignung im Bewerbungsverfahren
Die 8. Kammer des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) hat
im Urteil vom 21. September 2011 – 8 Sa 109/11 – festgestellt,
dass die bewusste Täuschung eines Arbeitnehmers bei Abschluss
eines Arbeitsvertrages über persönliche Eigenschaften, die für das
Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind, die Anfechtung wegen „arglistiger Täuschung“ des Arbeitsvertrags und damit die sofortige
Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.
Der Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, wonach der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag vorsah, dass der
Mitarbeiter verpflichtet sei, Nacht- und Wechselschicht zu leisten. Kurz nach Antritt seiner Arbeit offenbarte der Arbeitnehmer,
dass er nicht in der Nachtschicht eingesetzt werden könne. Er legte
ärztliche Atteste vor, die bereits einige Jahre vor Abschluss des
Arbeitsvertrages datierten. Danach wurde ihm empfohlen, keine
Nachtarbeit beziehungsweise Schicht/Nachtarbeit zu leisten. Für
das Hessische LAG stand damit fest, dass der Kläger bereits bei
8
Unterzeichnung des Arbeitsvertrages wusste, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Nachtarbeit eingesetzt werden könnte.
Durch diese Täuschung über die nach dem Vertrag vorausgesetzte
Schicht- und Nachtschichttauglichkeit ist der Arbeitgeber zum
Abschluss des Vertrages bestimmt worden. Der Arbeitgeber hatte
jedoch deutlich gemacht, dass im Hinblick auf die Planbarkeit des
Einsatzes aller Mitarbeiter und aus Gründen der Gleichbehandlung
darauf angewiesen sei, dass die bei ihm Beschäftigten in allen
Schichten eingesetzt werden können. Der Arbeitgeber könne ansonsten gezwungen sein, aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen
eines Mitarbeiters für diesen den Einsatz in bestimmten Schichten
auszuschließen. Tritt die Schichtuntauglichkeit jedoch nach Beginn
des Arbeitsverhältnisses ein, ist dies kein Anfechtungsgrund. Kann
aber durchaus einen personenbedingten Grund zur Kündigung sein.
Entscheidend war hierfür die Berechtigung der Anfechtung, dass
der Arbeitnehmer selbst bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages
um seine Einschränkungen wusste.
Das Urteil des Hessischen LAG überrascht nicht. Auch vor dieser Entscheidung war nach den Rechtsprechungsgrundsätzen des
Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Anfechtung des Arbeitsvertrages
möglich, soweit der Arbeitgeber über seinen gesundheitlichen
Zustand täuschte, dieser aber für das Arbeitsverhältnis erheblich ist
(BAG, Urteil vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83). Entscheidend ist,
dass der Arbeitgeber damit rechnen muss, dass er infolge einer bereits
vorliegenden Krankheit nicht in der Lage ist, seine Arbeitspflicht
im Zeitpunkt des Beginns der Arbeitspflicht nachzukommen.
felix stöcker
[email protected]
Stellungnahme des Betriebsrates zu bevorstehenden
Massenentlassungen
Beabsichtigt ein Arbeitgeber Massenentlassungen, muss er den
Betriebsrat noch vor Ausspruch von Kündigungen darüber unterrichten (§ 17 Abs. 2 KSchG). Diese Vorschrift gilt unabhängig
davon, ob eine interessenausgleichsfähige Maßnahme nach §§ 111,
112 BetrVG gegeben ist. Nimmt der Betriebsrat hierzu Stellung, muss
der Arbeitgeber gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG diese Stellungnahme
seiner Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit
beifügen. Ansonsten ist der Kündigungsauspruch unwirksam.
Aus einer neueren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom
21. März 2012 (Az. AZR 596/10) ergibt sich, dass den gesetzlichen
Anforderungen Genüge getan ist, wenn die Stellungnahme des
Betriebsrates in einem beigefügten Interessenausgleich integriert
ist. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen Interessenausgleich
ohne Namensliste handelt. Eine separate Stellungnahme in einem
gesonderten Dokument ist nicht erforderlich. Diese Verfahrensweise
entspricht der gängigen Praxis, die gewählt wird, um überflüssige
“Papierarbeit“, die inhaltlich den gleichen Vorgang betreffen, zu vermeiden. Gleichwohl herrscht diesbezüglich in den Verhandlungen
mit Betriebsräten im Interessenausgleichsverfahren eine gewisse
Unsicherheit, der mit dieser Entscheidung begegnet werden kann.
für Arbeit zu belegen, ob und welche Möglichkeiten der Betriebsrat
sieht, die Kündigung zu vermeiden. Diesem Zweck sei genüge
getan, wenn sich aus einer abschließenden Stellungnahme des
Betriebsrates in einem der Anzeige beigefügtem Interessenausgleich
ohne Namensliste eindeutig ergibt, dass die Kündigungen auch
nach Auffassung des Betriebsrats unvermeidlich sind.
Die Frage, ob eine Massenentlassungsanzeige auch ohne separat
beigefügte Stellungnahme wirksam ist, wurde mithin zu Gunsten
des Arbeitgebers entschieden. Allerdings ist zu beachten, dass
die Beifügung eines Interessenausgleichs ohne Namensliste
nicht in jedem Fall ausreichend sein dürfte, um den gesetzlichen
Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG zu genügen. Vielmehr
kommt es auf die konkrete Ausgestaltung des Interessenausgleichs
an. Denn dieser muss sich nach Auffassung des BAG eindeutig entnehmen lassen, dass der Betriebsrat die geplanten Kündigungen für
unvermeidbar hält.
julia koch
[email protected]
Im zugrundeliegenden Fall wurde über das Vermögen der
Arbeitgeberin des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet und
der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte
schloss mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich ohne
Namensliste. Darin erklärte der Betriebsrat, dass ihm die erforderlichen Auskünfte von dem Insolvenzverwalter erteilt worden seien, er aber keine Möglichkeiten sehe, die beabsichtigten
Entlassungen zu vermeiden. Damit sei das Konsultationsverfahren
beendet. Diesen Interessenausgleich fügte der Arbeitgeber seiner
Massenentlassungsanzeige bei, wobei er sowohl in der Anzeige
selbst als auch in dem Anschreiben die Arbeitsagentur auf die im
Interessenausgleich erfolgte Stellungnahme hinwies. Nach Eingang
der Anzeige bei der Agentur für Arbeit kündigte der Beklagte
dem Kläger. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Kündigung
unwirksam ist, weil der Massenentlassungsanzeige keine separate
Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt war.
Die Vorinstanzen sind dem gefolgt und haben der Klage stattgegeben. Das LAG Baden-Württemberg begründete seine Entscheidung
im Wesentlichen damit, dass es sich bei der Obliegenheit nach § 17
Abs. 3 KschG um ein formalisiertes Verfahren handele, mit dessen
Charakter es nicht zu vereinbaren sei als Stellungnahme i. S. des § 17
Abs. 3 KSchG auch Verlautbarungen des Betriebsrates ausreichen zu
lassen, die nicht im Zusammenhang der Massenentlassungsanzeige
stehen. Zudem ergebe sich aus dem klaren Wortlaut des § 1 Abs.
5 S. 4 KSchG, dass nur ein Interessenausgleich mit Namensliste
die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG
ersetzen könne.
Der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts sah das jedoch
anders und gab der Revision des Beklagten statt. Nach
Auffassung des BAG ist die Stellungnahme des Betriebsrates der
Massenentlassungsanzeige beizufügen, um gegenüber der Agentur
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