Bilingualer Unterricht

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Bilingualer Unterricht
Heinz Bouillon
9. Januar 2013
Was ist Bilingualität?
• Allgemeine Definition: Beim bilingualen
Unterricht wird der Lehrstoff eines Sachfachs in
einer anderen Sprache als in der gewöhnlichen
Muttersprache vermittelt.
• Spezifische Definition: « Unter Bilingualität wird
der gleichzeitige Erwerb zweier Erstsprachen
(‘Muttersprachen’) im Vorschulalter verstanden.
Als natürlicher Erwerb gilt der Erwerb einer
Sprache ohne formalen Unterricht, wie er in der
Regel bei jedem Kleinkind erfolgt. »
(Müller, Cantone, Kupisch, Schmitz 2002, S.158159)
Bilingual = zweisprachig?
• Zweisprachig:
• - zwei Sprachen zugleich lernend (Brockhaus-Wahrig 2011)
• - in zwei Sprachen abgefasst
• - mit zwei Sprachen
=> « Die Hauptstadt Brüssel dagegen ist zweisprachig: Flämisch
und Französisch. “
(aus die Welt: Der künstliche Staat,
http://www.welt.de/welt_print/debatte/article7370047/Derkuenstliche-Staat.html)
Soviel wie: « hat zwei Sprachen »
•
Also: wissenschaftlich  zwei Sprachen lernend
allgemein: zwei Sprachen betreffend
Kann man zwei Sprachen zugleich
lernen?
Viele Vorurteile:
• Zuerst die « Muttersprache, dann die
Zweitsprache »
(intuitive Wahrheit) = 1 dann 2, dann 3
usw.
• Wenn das Kind zwei Sprachen zusammen
lernt, vermischt es alles.
• Bei mehreren Sprachen wird die
« Muttersprache » schlechter.
Frühere Erfahrungen
• Die Römer schickten ihre Kinder nach
Griechenland oder holten Griechen nach
Rom (frühes Erasmus-Projekt)
• Die aristokratischen und bürgerlichen
Familien hatten Präzeptoren, die in einer
anderen Sprache unterrichteten
• Die Franzosen hatten im Orient, aber auch
in Asien ein ganzes System von « Lycées
français » aufgebaut:
• Eigene Erfahrung:
Syrer, die nie das Land verlassen hatten
und die französische Fremdsprache
akzentfrei sprechen
http://www.swisseduc.ch/altphilo/antike/realien/doc
s/roeschul.pdf
• « Wie in den europäischen Adels- und
Bürgerhäusern vor dem ersten Weltkrieg die
Eltern ihre Kinder einer englischen Miss, einer
französischen Bonne oder einem deutschen
Fräulein anvertrauten, die sich mit den Kleinen
nur in ihrer Muttersprache unterhielten, so lernte
der junge Römer in seinen ersten Lebensjahren
oft schon durch eine griechische Amme oder
durch einen griechischen Aufsichtssklaven die
griechische Sprache wie seine Muttersprache.“
Die ersten « wissenschaftlichen »
Erfahrungen
Die Kanadier:
Lambert & Tucker (1972)
« Bilingual education of children – The St. Lambert
Experiment »
(Initiative der Eltern seit 1960…)
=> In der Provinz Québec lernen englischsprachige Kinder
Französisch durch Immersion
Ihre Englischkenntnisse werden am Ende des
Experimenrts durch eine Kontrollgruppe getestet
Ergebnisse der MacGill-Universität
• « This indicates that those in the
experimental program do as well as the
Controls, with both groups performing at a
very high level of achievement in terms of
national norms. Their reading ability,
listening comprehension, and knowledge
of concepts in English are well at the same
level as those of the English Controls »
(Lambert and Tucker 1972: 203)
Ergebnisse der Kanadier?
• Frühe Immersion funktioniert, Kleinkinder
können zwei Sprachen gleichzeitig lernen
• Die « Muttersprache » gerät nicht ins
Hintertreffen
• Was man aus der Erfahrung von Partnern
wusste,die mit ihrem Kind zwei Sprachen
gebrauchten, bestätigt sich für Gruppen
(doch unter gewissen Voraussetzungen).
Erfahrung der Eltern von Kindern
mit zwei verschiedenen
Muttersprachen?
• Une personne – une langue
• « eine Person – eine Sprache »
Ronjat J. (1913) Le développement du langage
observé chez un enfant bilingue. Paris –
Champion
Beispiel : ein Wallone und eine Deutschsprachige
haben ein Kind. Jeder spricht nur seine Sprache
mit dem Kind. Das Kind wählt die Sprache
seiner Antwort.
Immersion?
• L’immersion est un
programme
d’enseignement bi- ou
trilingue dans lequel les
enfants appartenant à
une même communauté
ethnolinguistique
reçoivent leur éducation
formelle dans au moins
deux langues dont l’une
est la langue maternelle
(LM) et l’autre une langue
seconde (L2)
• Braun & Hamers 2008: 9
• Immersion ist ein zweioder dreisprachiges
Unterrichtsprogramm für
Kinder einer selben
ethnolinguistischen
Gemeinschaft. Diese
bekommen eine formale
Erziehung in mindestens
zwei Sprachen, wovon
eine die Muttersprache ist
und die andere die
Zweitsprache.
Grundlagen der Immersion
• Das Eintauchen in die Zweitsprache geschieht in einer
Gruppe
• Kein « Frontalunterricht » der Fremdsprache : die
schulischen Aktivitäten geschehen in der Fremdsprache
• => baut Hemmungen ab; Kinder reagieren spontan
• => ermöglicht gleichmäßige Fortschritte; Kinder lernen
kooperativ
• => macht eine Kontrolle der allgemeinen Fortschritte
oder Probleme einer Gruppe möglich
• Submersion ist das Eintauchen eines einzelnen Schülers
in ein andersprachiges Unterrichtssystem
Verschiedene Arten der Immersion
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Totale frühe Immersion
Teilweise frühe Immersion
Totale späte Immersion
Teilweise späte Immersion
Doppelte Immersion (2 Fremdsprachen)
Bidirektionale frühe Immersion (two-way
bilingual education) = Kinder aus 2
Sprachgemeinschaften mit Unterricht in diesen
beiden Sprachen
(Braun-Hamers 12-13)
CLIL?
• « Content and Language Integrated
Learning » Hyperonym, das seit 1994 von
den Mitgliedern der EU verwendet wird:
Unterricht eines Stoffs (z.B. Geschichte) in
der Fremdsprache
• Die Immersion ist eine Form von CLIL
• CLIL = EMILE im französischsprachigen
Raum: Enseignement d’une Matière par
l’Intégration d’une Langue Etrangère
Gibt es verschiedene « Wege » für
den Fremdsprachenunterricht?
• Für gröβere Kinder und Erwachsene:
« bewusstes » Lernen
– Es gibt schon eine gefestigte Muttersprache
– Kognitive Effizienz: die Muttersprache kann
nicht vergessen werden, man kann von dieser
Welteinteilung ausgehen…
– Modell: deklaratives Wissen und prozedurales
Wissen (Fahrschule, Klavier spielen,
schwimmen)
• Kinder bis sieben : « natürliches » Lernen durch
Sprachkontakt, Sprachexposition
Grundlagen des Erlernens einer
Fremdsprache
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Krashen & Terrel (1984): « The natural approach »
1) The acquisition-learning hypothesis
2) The natural order hypothesis
« The natural order hypothesis does not state that every acquirer will
acquire grammatical structures in the exact order. It states rather
that, in general, certain structures tend to be acquired early and to
be acquired late »
3) The Monitor hypothesis
The hypothesis says that when we produce utterances in a second
language, the utterance is “initiated” by the acquired system and our
conscious learning only comes into play later
4) The Input hypothesis
“This hypothesis states simply that we acquire (or learn) language
by understanding input that is a little beyond our current level of
(acquired) competence i+1
Warum frühe Immersion?
• Früh?
• Vor ca 7 Jahren, bestens vorletztes Jahr des
Kindergartens
• < Reifung des Gehirns
– Das Corpus Callosum (Balken) reift und macht
den Austausch zwischen den Hirnhälften
möglich bzw. leichter
– Theorie von Tomatis: das Hirn richtet sich
nach den nützlichen Frequenzen und
eliminiert Unnötiges (europäische Sprachen:
30-35 Phoneme)
– FAZ 15.10.2006 · « Kleinkinder lernen leicht,
eine Fremdsprache akzentfrei zu sprechen,
weil das Gehirn bis zum dritten Lebensjahr
besonders aufnahmefähig ist. Der
spielerische Zugang zu mehreren Sprachen
lässt Kinder offenbar auch andere Aufgaben
leichter lösen. »
– Änderung des « intuitiven » Lernprozesses so
etwa im Alter von 7 Jahren
= kritische Periode?
Eigene Erfahrung
• Auf der Basis erster Erfahrungen u.a. im Lycée
Léonie de Waha, in Frasnes-lez-Anvaing und ca
20 anderen Schulen
• untersucht die Gemeinde von Court-SaintEtienne ab 2001 eine Einführung der frühen
Immersion.
• Erste Klassen im September 2003: letztes Jahr
Kindergarten, erstes Jahr Grundschule
• Die ersten Schüler der Immersion verließen die
Schule im Juni 2009
• Grundlagen:
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1) Es handelt sich um einen additiven Erwerb einer Zweitsprache
2) Die Immersion betrifft 50% der Fremdsprache
3) Es gibt eine Unterstützung der Muttersprache
4) Der Sprachkontakt in der Zweitsprache geschieht nur in der
Schule
5) In der Zweitsprache gibt es keinen Rückgriff auf die Muttersprache
6) Am Anfang haben alle Schüler das gleiche Niveau in der
Fremdsprache
7) Ein Lehrer/eine Sprache
8) Es gibt eine horizontale und vertikale Kommunikation zwischen
Lehrern
9) Es gibt in der Schule eine vertikale Klasse ohne Immersion
10) Der in der Zweitsprache zu lernende Stoff entspricht dem
Lehrplan der französischsprachigen Gemeinschaft
Ergebnisse der Erfahrung
• Aus Bouillon & Descamps (2011):
☺ Kein Verlust in der Muttersprache
auf der Basis der Prüfungen « Certificat
d’Etudes de Base »
Frz
• 2008 80,6
• 2009 79,9
Math
84,7
79,4
Gesch/Erd
85
85,5
Wiss
☺ voller Gewinn in der Zweitsprache
88,9
77,4
Ergebnisse nach 3 Jahren
Et sur les 3 années...
17; 15%
Parcours total immersion
23; 20%
Déménag.
Ens ord.
77; 65%
Aus: H. Bouillon: L’enseignement par immersion précoce : un enseignement
sélectif ?
conférence à la journée sur l’immersion organisée par la Chambre des
Représentants de Belgique 26.04.2011
• Aus Befragungen der Lehrer und
Prüfungsergebnissen:
• - nur 10-15% der Kinder haben
Lernschwierigkeiten wegen der Immersion
• - Deshalb => vertikale Klasse
• Doch unsere Feststellungen bestätigen
nur was die Kanadier vor 50 Jahren
wussten…
Bilingualer Unterricht, Fazit
• hat viele Formen vgl. Kelmis in der DG
• CLIL= EMILE : Erwerb von Sachfachwissen in
der Zweitsprache
• 
• je früher angefangen, desto besser
• je intensiver der Sprachkontakt, desto
erfolgreicher
• je stärker die Motivation, desto größer der Erfolg
• kollektive Arbeit, kollektives Erfolgserlebnis
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
« Wer fremde Sprache nicht kennt,
weiß nichts von seiner eigenen. »
Goethe
Kurze Bibliographie
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BIALYSTOK, E (2005) : Consequences of bilingualism for cognitive development. In: Kroll, J.F./de
Groot, A.M.B. (Hrsg) Handbook of Bilingualism: Psycholinguistic Approaches. Oxford: Oxford
University Press, 417-432
BOUILLON, H. (2008) « Belgien : offizielle Einsprachigkeit, individuelle Mehrsprachigkeit “ , in
Eichinger, L. / Plewnia, A. (Hg.) : « Das Deutsche und seine Nachbarn. Über Identitäten und
Mehrsprachigkeit, Studien zur deutschen Sprache 46, Tübingen, G. Narr, 2008, 135-155
BOUILLON, H. (2008) : « Allemand: Grammaire pratique de l’étudiant », De Boeck, Bruxelles 2008,
301 p.
BOUILLON, H. & DESCAMPS, M. (2011) : L’immersion linguistique par la pratique – Le cas de l’Ecole
primaire de Court-Saint-Etienne, dans : HILIGSMANN & BEHEYDT ed. « Au travail en immersion »
Actes du colloque du 20 mars 2010 à Louvain-la-Neuve, Presses Universitaires de Louvain 9-31
BRAUN A.& J. HAMERS (2008): Enseignement en immersion, Wolters Plantyn
KRASHEN, S. & T. TERREL (1983): The natural approach : Language acquisition in the classroom.
London: Prentice Hall Europe
LAMBERT, W. & R. TUCKER (1972): Bilingual Education of Children – The St. Lambert Experiment,
Newbury House Publishers
LIEGEOIS, F (1998) : Coordinations interhémisphériques et développement des capacités cognitives
chez le jeune enfant, Thèse de doctorat, Université d’Aix-Marseille 1
TOMATIS, A. (1991) : Nous sommes tous nés polyglottes. Paris: Fixot