Das problemzentrierte Interview 04.05.2010 Methoden II Alvin

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Das problemzentrierte Interview
04.05.2010
Methoden II
Alvin Tausch, Sven Mechelhoff
Aufbau
1) Einleitung: Warum problemzentrierte Interviews?
2) Die Ursprünge
3) Die 3 Grundpositionen
4) Die Instrumente
5) Die Gestaltung
6) Die Auswertung
1) Einleitung
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Warum problemzentrierte Interviews?
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nicht alle Personen haben „narrative Kompetenz“

Lösung durch Witzel: Interviewer mit aktiverer Rolle
Konstruktionsprinzip:

Interviewer möglichst unvoreingenommen

Ziel: Wie nimmt der Befragte gesellschaftliche Realität individuell
wahr?
Hintergrund
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Wandel der qualitativen Interviews

„Individualisierungsthese“ nach Beck:
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Individuen nicht mehr in festen Ständen und Klassen
Handeln muss von Akteuren selbst verantwortet werden
Stichwort: Selbstsozialisation
Wandel der Forschung:
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
Handeln der Akteure nicht mehr durch Klassen zu analysieren
man ist auf Selbstreflexion der Befragten angewiesen
2) Die Grundposition des problemzentrierten Interviews
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Anlehnung an Verfahren der „Grounded Theory“

theoriegenerierend

Reihe ineinandergreifender Verfahren
Kombination zweier Vorgehensweisen

a) hypothetico-deduktiv

b) naiv-induktivistisch
a) hypothetico-deduktive Vorgehensweise:
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Daten/Vorwissen → Gedankenmodell → Hypothese → Experiment

Ergebnis: Bestätigung bzw. Neue Daten für neues Gedankenmodell
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Kritik:

Daten lassen sich nur durch im Vorfeld bestimmte Methoden prüfen
(Witzel: Daten kann man „[...] nur durch ex ante festgelegte
Operationalisierungsschritte erfassen und überprüfen […].“)
b) naiv-induktivistische Position des „soziologischen Naturalismus“:

Interviewer geht mit absoluter Offenheit in die Befragung
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Vorwissen soll ausgeklammert sein – Tabula rasa
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Theoriebildung im Nachhinein

nachträglicher Aufbau des Konzepts

Kritik:
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Vorgehen nicht zielgerichtet
Kombination der beiden im PZI
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Forscher geht mit Vorwissen durch Recherche etc. in Interview
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er hat im Vorfeld schon ein theoretisches Konzept formuliert
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teilt dieses aber nicht mit – kein Priming
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induktiv-deduktives Verhältnis
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Vorwissen → genauere Fragen
(Vorwissen dient als „heuristisch-analytischer Rahmen für Frageideen“ (Witzel)
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Modifizierung des zuvor angefertigten wissenschaftlichen Konzepts
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Offenheit bleibt → Befragte werden zur Narration angeregt
Auswertung: Wie entsteht theoretisches Wissen?

„sensitizing concepts“ (nach Blumer)
„Freilich, nur wenn ich weiß, was ich erforschen will, kann ich mich von dem
überraschen lassen, woran ich nicht im Traum gedacht hatte. Deshalb steht
ein "sensibilisierendes Konzept" (Blumer) am Anfang des
Forschungsprozesses,“ (Alheit 1999:9)


diese Konzepte werden fortentwickelt, und empirisch am Datenmaterial
erhärtet
„Mit dieser elastischen Vorgehensweise soll gewährleistet werden, dass die
Problemsicht des Interviewers/Wissenschaftlers nicht diejenige der Befragten
überdeckt, und den erhobenen Daten nicht im Nachhinein einfach Theorien
'übergestülpt' werden,“ (Witzel 2000:[3]).
3 Grundpositionen des PZI:
Problemzentrierung
= Orientierung an einer gesellschaftlich relevanten Problemstellung:

gewonnene Kenntnisse werden zum besseren Verständnis des Befragten
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und für problemgerichtete Fragen genutzt
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Sammeln von Datenmaterial und Interpretation des Gesagten gleichzeitig
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Folge: Interviewer kann Befragung auf Forschungsproblem zuspitzen
Gegenstandsorientierung:
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flexible Methodenwahl nötig: je nach untersuchtem Gegenstand
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
Interview wird begleitet von:
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

Lösung: Methodenkombination
Gruppendiskussion: bei neuer Forschungsthematik
biographische Methode: wie haben sich bestimmte
Deutungsmuster entwickelt
standardisierter Fragebogen
auch unterschiedliche Gesprächstechniken:

abhängig von Reflexivität und Eloquenz der Befragten

Erzählen lassen oder unterstützender Dialog
Prozessorientierung:
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Aufbau von Vertrauen


Folge:
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Erinnerungsfähigkeit wird gefördert
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weitere Motivation zur Selbstreflexion
Befragte können sich frei entfalten, Ergebnis:
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neue Aspekte zum gleichen Thema
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Korrekturen an alten Aussagen
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Redundanzen

Widersprüchlichkeiten
Redundanzen:
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keineswegs negativ
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Vorteil: enthalten oft interpretationserleichternde Neuformulierungen
Widersprüchlichkeiten:
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decken Unentschiedenheiten des Befragten auf
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Ursprung:
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Missverständnisse des Interviewers
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Fehler / Lücken in der Erinnerung des Befragten
können aber auch bedeuten:
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Orientierungsprobleme / Interessenswidersprüche /
Entscheidungsdilemmata des Befragten
Prozessorientierung – Teil 2:

Förderung der Gesprächsentwicklung vorteilhaft:
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Erzählen/Narration baut Künstlichkeit der Forschungssituation ab
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verhindert Zwang knapp/isoliert zu antworten
3) Die Instrumente des problemzentrierten Interviews
Ermöglichung und Unterstützung des PZI durch:
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Kurzfragebogen
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Leitfaden
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Tonaufzeichnung

Postskriptum
Triangulation: Kombination mehrerer Methoden
Kurzfragebogen:

Ermittlung von Sozialdaten (Alter, Beruf, etc.)

kein Abfragen während des Interviews


(Frage-Antwort-Schema hemmt den Erzählfluss)
Daten können in Kombination mit offener Frage Gesprächseinstieg
erleichtern
Tonträgeraufzeichnungen:
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authentische Wiedergabe des Gesprächs

nachträgliches Analysieren des Gesagten

Konzentration des Interviewers auf nonverbale Äußerungen und situative
Bedingungen
Leitfaden:
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Gedächtnisstütze für Forschungsthemen

Orientierungsrahmen (Sicherung zur Vergleichbarkeit der Interviews)

Vorformulierungen und Frageideen
Postskripte:

als Ergänzung zu Tonträgeraufzeichnungen unmittelbar nach Gespräch

enthalten:
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Skizze zu Gesprächsinhalten

Anmerkungen zu nonverbalen und situativen Aspekten

Hinweise zu Schwerpunktsetzungen des Interviewpartners
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Notation spontaner Interpretationsideen [Anregung für Auswertung]
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Hilfe beim Verfahren der „theoretischen Stichprobe“
4. Die Gestaltung des problemzentrieten Interwies
„Diskursiv - dialogisches Verfahren“
Kombination von zuhören und nachfragen
Zunächst unmittelbare Kontaktaufnahme
z.B. Vorstellung des Themas
Erzählungsgenerierende Kommunikationsstrategien
Verständnisgenerierende Kommunikationsstrategien
4.1. Erzählungsgenerierende
Kommunikationsstrategien
Vorformulierte Einleitungsfrage
Abkehr von Frage-Antwort-Spiel
Allgemeine Sondierung
Offenlegung der subjektiven Problemsicht
Nachfragen um roten Faden zu spinnen
Erinnerungsfähigkeit anregen
Ad- hoc Fragen
direkte Fragen zum Themenbereich
4.2. Verständnisgenerierende
Kommunikationsstrategien
Spezifische Sondierung
nachvollziehen der Erzählsequenzen
3 Möglichkeiten der aktiven Verständnisgenerierung
- Zurückspiegelung
Verständniskontrolle
- Verständnisfragen
Unklarheiten ausräumen
- Konfrontation
fördern weiterer Details
5. Auswertung des
problemzentrieten Interwies
• Verschiedene Auswertungsmethoden für
unterschiedliche thematische Bezüge
Vorschlag: sorgfältige Einzelfallanalysen mit Typenbildung
auf Basis großer Fallzahlen verbinden
• Grundlage: Fallanalyse auf Basis vollständig
transkribierter Interviews
1. Schritt: Vorinterpretation im Verlauf der Erhebung
Markierung des Textes mit Stichworten aus Leitfaden
1. Schritt: Markierungen als Grundlage für Aufbau einer
Textdatenbank
„Retrievals“
oder
über Datenbank hergestellte
Verknüpfung von „Codes“
Variablen
3. Schritt: finden von Querverbindungen zwischen
Textstellen und Einzelfällen
4. Schritt:
analytische Zuordnung thematischer
Auffälligkeiten
„ Invivo-codes“
können in „Memos“
festgehalten werden
5. Schritt: Anfertigen einer Falldarstellung oder
biographischen Chronologie
Textsequenzen lassen sich
besser in Gesamtzusammenhang bringen
6. Schritt:
Dossier bzw. Fallbewertung
Kommentar des Auswerters
Phase 2: „kontrollierte Interpretation“
- unabhängige Interpretation verschiedener
verschiedener Mitglieder der
Forschergruppe
- Diskussion über Einzelinterpretationen
- so soll relativ konsistentes Gesamtbild
entstehen
Phase 3: „vergleichende Systematisierung“
herausfiltern typischer Varianten
um kollektive Handlungsmuster
zu entdecken
Literatur:
Diekmann, Andreas (2007): Empirische Sozialforschung. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung. Weinheim u.a.: Beltz PVU.
Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum:
Qualitative Social Research, 1(1), Art. 22,
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0001228
(Ausdruck des Artikels aus dem Semesterapparat entnommen – [25 Absätze])
Internet
Alheit, Peter (1999): Grounded Theory. Ein alternativer methodologischer Rahmen für qualitative
Forschungsprozesse. Göttingen. S. 1-19.
http://www.fallarchiv.uni-kassel.de/pdf/alheit_grounded_theory_ofas.pdf (Zugriff: 30.04.2010 –
11:00 Uhr)