Transcript Mediation

Grundlagen der alternativen Konfliktregelung Theorie und Anwendungsbereiche
Ass.-Prof. Dr. Ulrike Frauenberger-Pfeiler, Inst. für
Zivilgerichtliches Verfahren
ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Risak, Inst. für Arbeits- und
Sozialrecht
1. und 2. Einheit: Grundlagen
Übersicht
 Handlungsalternativen im Konflikt
 Einführung und Begriffsklärung
 Abgrenzung zu anderen Formen alternativer
Streitbeilegung (ADR)
 Forschung über Mediation – Probleme der
Vergleichbarkeit
 Mythen über Mediation
M. Risak
Mediation – Theorie und Anwendungsbereiche (1. Einheit)
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Handlungsalternativen im Konflikt
 Einseitige Beendigung
• Einseitig nachgeben
• Einseitig durchsetzen – erzwungenes Nachgeben – Macht
 Entscheidung durch Dritte
• Entscheidung durch Gericht
– Akzeptanz der Entscheidung
– Entscheidungsfindung
– Vergleich statt Urteil
• Entscheidung durch Schiedsrichter
• Entscheidung durch Autoritätsperson
• Schlichter (mit Schlichtungsvorschlag)
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Verhandeln
 Adversarielles/interessensbasiertes Verhandeln
 Risiken, insbesondere
•
•
•
•
•
•
Macht-/Informationsungleichgewichte
Manipulative Taktiken
Übervorteilende Fairnessprinzipien
Experten (nicht nachprüfbar)
Überschätzung der eigenen Position
Bereits getätigte Investitionen
 Taktisches Verhandeln – Fisher/Ury, Getting to Yes
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Mediation - Begriffsdefinition
„… Unterstützung einer Verhandlung durch einen neutralen Helfer
(den Mediator), der seine Tätigkeit als Dienstleistung für die
Verhandlungsparteien (die Medianden) ausübt und der keine
Entscheidungsbefugnis besitzt“ (Haft, HB Mediation 69)
„Mediation ist ein auf Freiwilligkeit der Parteien beruhendes
Verfahren, bei dem ein Vermittler ohne Entscheidungsgewalt die
Kommunikation zwischen den Parteien systematisch mit dem Ziel
fördert, eine von den Parteien selbstverantwortete Lösung des
Konfliktes zu ermöglichen“ (Hopt/Steffek, Mediation 12)
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Gesetzliche Definitionen
(österreichisches) Zivilrechtsmediationsgesetz (ZivMedG)
§ 1. (1) Mediation ist eine auf Freiwilligkeit der Parteien beruhende Tätigkeit,
bei der ein fachlich ausgebildeter, neutraler Vermittler (Mediator) mit
anerkannten Methoden die Kommunikation zwischen den Parteien
systematisch mit dem Ziel fördert, eine von den Parteien selbst
verantwortete Lösung ihres Konfliktes zu ermöglichen.
(2) Mediation in Zivilrechtssachen ist Mediation zur Lösung von Konflikten,
für deren Entscheidung an sich die ordentlichen Zivilgerichte zuständig
sind.
(deutsches) Mediationsgesetz
§ 1 (1) Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem
Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und
eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts
anstreben.
(2) Ein Mediator ist eine unabhängige und neutrale Person ohne
Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt.
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Elemente der Mediation
Konflikt
Freiwilligkeit – mögliches Problem:
Mediationsverpflichtung aus Vertrag/Gesetz/richterliche
Anweisung
systematische Förderung der Kommunikation zwischen
den Parteien
selbstverantwortliche Lösung bzw fehlende
Entscheidungsmacht – Hybridmodelle
Vertraulichkeit – des Mediators/der Medianden?
Neutralität/Allparteilichkeit
Qualität/Qualifikation des Mediators
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Zusätzliche Elemente
 Nachhaltige Konfliktbeilegung
 Win-Win-Lösungen / keine Nullsummenspiele
 Macht- und Informationsungleichgewichte ausgleichen
 Mediator_innen führen Verfahren
 Verständnis und verständigungsfördernde
Kommunikationskultur
 Keine Vereinbarung auf Kosten Dritter/der
Allgemeinheit
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Gerichtsverfahren und Mediation
im Vergleich
 Orientierung
• Gerichtsverfahren: Recht und Rechtspositionen
• Schiedsverfahren: Rascher Kompromiss
• Mediation: gesamte Spektrum der Anliegen der
Beteiligten, Förderung der Beziehung
 Grundzüge der juristischen Methode
• „ Wer kann was von wem auf welcher Rechtsgrundlage
verlangen?“
– Transformation von Lebenswirklichkeit zu juristischen
Sachverhalt
– Gewinner_innen/Verlierer_innen-Schema
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Gerichtsverfahren und Mediation
im Vergleich II
 „Naive“ Erwartungen an die Gerichtsbarkeit
• Urteil als (subjektive) juristische Konstruktion: „Auf
hoher See und vor Gericht bist du in Gottes Hand“
• Vorhersehbarkeit von Gerichtsentscheidungen
• Probleme bei komplexer Konfliktstruktur (selektive
Verzerrung des Konfliktes)
• Oberflächen- und Tiefenstruktur von Konflikten
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Gerichtsverfahren und Mediation
im Vergleich III
 Förderung der Beziehung
• Objektive/subjektive Gerechtigkeit
 Richterliche Förderung von Vergleichen
• Entscheidung im Zweifelsfall
• Einengung auf justiziable Themen
• Mangelnde Kenntnis von Kommunikationstechniken und
psychologischem Grundwissen
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Unterschiede zwischen
Gerichtsverfahren und Mediation
Gerichtsverfahren
Mediation
Delegation des Konfliktes an Dritte
Selbstverantwortliche
Konfliktregelung
Ziel: Urteil
Ziel: Vertrag
Entscheidungskontrolle: Richer_in
Entscheidungskontrolle: Parteien
Maßstab: Recht
Maßstab: Parteien
Nullsummenspiel
Win-Win-Lösungen
Nur justiziable Ansprüche relevant
Alle subjektiven Ansprüche relevant
Nur beweisbare Sachverhalte relevant
Auch subjektive Sicht und Wertung
von Sachverhalten relevant
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Gerichtsverfahren
Mediation
Richter_in muss überzeugt werden
Andere Partei muss Verständnis
entwickeln
Einigungswille nicht erforderlich
Einigungswille erforderlich
Beendigung des Rechtsstreits, aber
keine Befriedung
Wiederherstellung des sozialen
Friedens
Urteile auch „ungerecht“
Verträge nicht „ungerecht“ – „consenti
non fit iniuria“
Beziehung/Lernen der Parteien im
Hintergrund
Beziehung/Lernen der Parteien im
Vordergrund
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Herausforderungen für Jurist_innen
als Mediationspersonen
 Mediation ist „anders“
• Mediation muss sich nicht am Rechtssystem orientieren
• Allparteilichkeit statt Neutralität
• Fokussierung auf Interessen
• Interdisziplinarität
 Mögliche Hürden
• Reduktion von Konflikten auf Rechtsansprüche
• Hohe Gewichtung von Rechtsansprüchen gegenüber
nichtjustiziablen Ansprüchen
• Präferenz für Einigung auf gesicherter Basis
(Rechtsgrundlagen, Rsp)
• Tendenz zum Vergleich (Kompromiss) nicht Transzendierung
des Konfliktes
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Abgrenzung zu anderen Formen der ADR
Schiedsgerichtsbarkeit (arbitration): Entscheidungsgewalt des
Dritten
Schlichtung (conciliation): schwierig, zumeist stärkerer Einfluß auf
Verfahren und Ergebnis, (unverbindlicher) Schlichtungsspruch
Verhandlung (negotiation)
Moderation (facilitation)
Tatsachenermittlung (fact-finding)
Mini-Trial
Ombudsverfahren
Aber auch Abgrenzungsprobleme zu anwaltlicher, seelsorgerischer und
therapeutischer Tätigkeit
M. Risak
Martin Risak
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Theorie
und Anwendungsbereiche
(1. Einheit) 15
– Mediation
in Zivilrechtssachen
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Kurze Entwicklungsgeschichte der
modernen Mediationsbewegung
 1947 - US-Arbeitsrecht: Federal Mediation and Conciliation Service
(FMCS) – www.fmcs.gov
 1960/70 – Access to Justice-Movement, insb Florence Access to
Justice Project – 3 Wellen (Alexander, Global Trends in Mediation 5)
• 1. Welle: Rechtshilfe (legal aid)
• 2. Welle: Kollektive Rechtsdurchsetzung (class actions)
• 3. Welle: ADR als Alternative zur gerichtlichen Rechtsdurchsetzung
 1976 – Pound Conference – Prof. Sander: „multi-door-courthouse“
 Seitdem vor allem gerichtsnahe Mediation als wichtiger
Schrittmacher
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Ziele der Mediation
Effiziente Konfliktlösung
• Zeit und Kosten
• Entlastung der Justiz
Verbesserung des Zugangs zum Recht (access zu justice)
Selbstverantwortliche Lösungsfindung
Transformation der Beziehung zwischen den
Konfliktparteien
Veränderung der Konfliktkultur in einer Gesellschaft
Lockerung der sozialen Kontrolle
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Martin Risak
Mediation – KU
Theorie
und Anwendungsbereiche
(1. Einheit) 17
– Mediation
in Zivilrechtssachen
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Forschung über Mediation
Empirische Forschung über das „was“ der Mediation: was passiert
tatsächlich?
• Problem: Vertraulichkeit
• Problem: dynamisches Feld, bei dem die Theorie der Praxis
„hinterherhinkt“
Relativ viele Forschungsergebnisse über Vergleichsquoten,
Zufriedenheit, Zugang zum Recht
• Problem: Vergleichsbasis
• kaum Experimente möglich, dh den selben Konflikt auf
unterschiedliche Art lösen zu lassen bzw Variablen zu ändern (zB
Geschlecht der Parteien/des Mediators, Art des Konfliktes)
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Probleme bei der Vergleichbarkeit
empirischer Daten
Alexander, What‘s Law Got To Do With It?, Bond Law Review
2001/2, Article 5
6 Thesen für die unterschiedliche Rezeption gerichtsnaher Mediation in
Deutschland und Australien
Civil Law vs. Case Law
Regulierung juristischer Berufe
Effizienz des gerichtlichen Rechtsdurchsetzungssystems
Fehlen klarer Terminologie
Mediative Elemente der Richterrolle
Theorielastigkeit der Juristenausbildung
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Martin Risak
Mediation – KU
Theorie
und Anwendungsbereiche
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– Mediation
in Zivilrechtssachen
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Mediationsmythen
 Neutralität – aktive Allparteilichkeit?
•
•
•
•
•
Unparteilichkeit
Neutralität der Verfahrensführung
Allparteilichkeit
Partei für das Verfaren
Neutralität hinsichtlich Sympathie
 Methodische und inhaltliche Zurückhaltung
• Aktive Mitarbeit beim Generieren von Optionen
• Art der aktiven Mitgestaltung –“autoritative
Einflußnahme“
• Nondirekte Kommunikation
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Mediationsmythen II
 Fokussierung nicht auf Positionen, sondern auf Interessen
• (Ökonomisches) Eigeninteresse als einziges Motiv?
• Motiv: soziale Verantwortung, Gerechtigkeit, Altruismus
• Risiko
–
–
–
Fehlverständnis des Konfliktes
Legitimation von Eigennutz
„Ansteckung“ des Konfilktpartners/der Konfliktpartnerin
 Tabuisierung von Emotionen – Sachlichkeitsgebot
• Emotionen lassen sich nicht unterdrücken
• Vertrauen in Mediator_innen kann sinken
• Verlust wichtiger Erkenntnisquelle
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Mediationsmythen III
 Ausklammern der Vergangenheit
• Ökonomische Begründung des Handelns
• Bereinigung der Vergangenheit
• Auswirkungen auf die Beziehung -> Neudefinition
– Vertrauen in die Zukunft
– Eingeständnis von Fehlern/Entschuldigung
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