zur strafrechtlichen Produkthaftung

Download Report

Transcript zur strafrechtlichen Produkthaftung

Produkthaftung und Strafrecht
Rechtsanwalt Sami Negm
Rechtsanwälte Dr. Pribilla Kaldenhoff Negm
Goebenstr. 3
50672 Köln
[email protected]
www.prikalneg.de
rechtliche Produktrisiken
Privatrecht
Öffentliches Recht
Strafrecht
Regelungen
Gewährleistung
Produkthaftung
Produzentenhaftung
GPSG
Strafrechtliche
Produkthaftung
Anknüpfungspunkt
Mangelbedingter Gebrauchsminderwert
einer Sache
Fehlerbedingte
r Schaden für
Personen oder
andere Sachen
Verstoß gegen
Verkehrssicherungspflichten
Inverkehrbringen
einer Sicherheit o.
Gesundheit
gefährdenden
Sache
Körperverletzung oder
Tötung
geschützt
Käufer
Jeder
Jeder
Jeder
Jeder
Verpflichteter
Verkäufer
Hersteller u.
QuasiHersteller
Hersteller, Händler, Dienstleister
Inverkehrbringer
Täter und
Teilnehmer
Pers. „Haftung“ v.
Mitarbeitern
möglich
möglich
möglich
möglich
möglich
Rechtsfolgen
Rücktritt,
Minderung, bei
Verschulden
Schadensersatz
Schadensersat
z und
Schmerzensgel
d
Schadensersatz
und
Schmerzensgeld
Verbot d. Ausstellens, des
Inverkehrbringens, Rückruf,
Geld- o.
Freiheitsstrafe
Geldstrafe oder
Freiheitsstrafe
RA S. Negm
2
Grundlagen



Es existiert kein allgemeiner Gefährdungstatbestand, der etwa
denjenigen unter Strafe stellt, der es „zu verantworten hat, dass
ein Gegenstand in Verkehr gelangt oder bleibt oder zum
Inverkehrbringen bereitgehalten wird, obwohl dieser geeignet
oder dringend verdächtig ist, andere widerrechtlich an Leib oder
Leben zu schädigen.
Strafrechtliche Produkthaftung beruht auf abstrakten
Gefährdungstatbeständen des Nebenstrafrechts, insbesondere
des Lebensmittel- und des Arzneimittelstrafrechts.
Der Schwerpunkt liegt allerdings bei den Tatbeständen der
allgemeinen Erfolgsdelikte des Strafgesetzbuchs, im Allgemeinen
bei den Tatbeständen der vorsätzlichen oder fahrlässigen
Körperverletzung oder der fahrlässigen Tötung.
RA S. Negm
3
Lederspray Entscheidung
Die E GmbH befasst sich unter anderem mit der Herstellung Ledersprays, die u.a. der Pflegevon Schuhen
dienen. Vertrieben werden diese Produkte unter anderem durch Tochterfirmen.
Ab dem Herbst 1980 gingen bei der Schadensmeldungen ein, nach denen Personen nach dem Gebrauch
der Sprays gesundheitliche Beeinträchtigungen (Atembeschwerden, Husten, Übelkeit, Schüttelfrost und
Fieber bis hin zu intensivmedizinischer Behandlung wegen lebensbedrohlicher Zustände) erlitten hatten.
Bei den meisten Betroffenen stellte sich alsbald eine durchgreifende Besserung ein, die zur völligen
Genesung führte.
Die ersten Schadensmeldungen lösten firmeninterne Untersuchungen von zurückgegebenen Spraydosen
aus. Fabrikationsfehler ergaben sich dabei nicht. Festgestellt wurde nur, dass bei einem Spray 1980 der
Wirkstoffanteil des Silikonöls erhöht worden war. Diese Rezepturänderung wurde Anfang 1981
rückgängig gemacht. Gleichwohl folgten weitere Schadensmeldungen. Fachgespräche mit Toxikologen
zweier Chemieunternehmen und einem beratenden Arzt brachten keine Klärung. Der Silikonöl-Wirkstoff
wurde aus den Produkten genommen. Als sich herausstellte, dass 1980 der Lieferant, der
Fluorkarbonharze gewechselt hatte, wurden diese Stoffe ab März 1981 wieder vom vormaligen
Lieferanten bezogen. Die Schadensmeldungen setzten sich jedoch fort. Mitte April 1981 kam es deshalb
zu einem kurzfristigen Produktions- und Vertriebsstopp für bestimmte Sprays; dieser wurde jedoch,
nachdem Untersuchungen in der firmeneigenen Chemieabteilung ohne Ergebnis geblieben waren, nach
wenigen Tagen wieder aufgehoben.
RA S. Negm
4
Lederspray Entscheidung
Am 12. Mai 1981 fand eine Sondersitzung der Geschäftsführung statt. Den einzigen Tagesordnungspunkt
bildeten die Schadensfälle. Teilnehmer waren unter anderem sämtliche Geschäftsführer, die späteren
Angeklagten. Der Angeklagte Dr. B., der in der Firmengruppe Leiter des Zentrallabors war, wurde als
"Chefchemiker" hinzugezogen. Er trug den Sachstand vor. Dabei verwies er insbesondere darauf, dass
nach den bisherigen Untersuchungen kein Anhalt für toxische Eigenschaften und damit eine
Gefährlichkeit der Sprays gegeben sei, weshalb keine Veranlassung zu einem Rückruf dieser Produkte
bestehe. Er schlug vor, eine externe Institution mit weiteren Untersuchungen zu beauftragen, außerdem
Warnhinweise auf allen Spraydosen anzubringen und bereits vorhandene Hinweise gegebenenfalls zu
verbessern. Diesem Vorschlag schloss sich die Geschäftsführung an. Einigkeit bestand darüber, dass die
Anordnung eines Vertriebsstopps, einer Rückruf- oder auch Warnaktion nur dann in Betracht zu ziehen
sei, falls die noch ausstehenden Untersuchungen einen "echten Produktfehler" oder ein "nachweisbares
Verbraucherrisiko" ergeben sollten.
Im Anschluss an diese Sitzung wurden die Angeklagten W. und D. umfassend informiert. Beide machten
sich die in der Sitzung getroffene Entscheidung jeweils für ihren Verantwortungsbereich zu eigen.
In der Folgezeit kam es zu weiteren Gesundheitsschäden nach der Verwendung von Ledersprays der
bezeichneten Marken. Auch bei den neuerlichen Untersuchungen gelang es nicht, eine bestimmte
Substanz als schadensauslösend zu identifizieren. Im Laufe der Zeit wurden die auf den Spraydosen
angebrachten Warnhinweise ergänzt und verbessert. Am 20. September 1983 begann die Firma W. u. M.
GmbH nach Interventionen des Bundesgesundheitsamts und des Bundesgesundheitsministeriums mit der
Durchführung eines Verkaufsstopps sowie einer Rückrufaktion, ohne allerdings völlig auf die
Weiterverwendung der in den zurückgerufenen Produkten enthaltenen Rezepturen zu verzichten.
RA S. Negm
5
Lederspray Entscheidung



Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:
Die Geschäftsführer S. und Dr. Sch. jeweils wegen fahrlässiger
Körperverletzung in vier Fällen zu Gesamtgeldstrafen und wegen
gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von einem Jahr
und sechs Monaten,
Den Geschäftsführer W. wegen fahrlässiger Körperverletzung in
drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe und wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr,
Geschäftsführer D. wegen fahrlässiger Körperverletzung und
wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe,
und
Chefchemiker Dr. B. wegen Beihilfe zur gefährlichen
Körperverletzung zu einer Geldstrafe.
Soweit auf Freiheitsstrafen erkannt worden ist, hat das Gericht
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
RA S. Negm
6
Straftatbestände des StGB
Körperverletungsdelikte
Fahrlässige Körperverletzung, § 229
StGB; Versuch strafbar
Geldstrafe, Freiheitsstrafe 3 Mon.
bis zu 3 Jahre
einfache Körperverletzung, § 223
StGB; Versuch strafbar
Geldstrafe, Freiheitsstrafe 3 Mon.
bis 5 Jahre
Gefährliche Körperverletzung, § 224
StGB; Versuch strafbar
Freiheitsstrafe 6 Mon. bis 10 Jahre
Schwere Körperverletzung, § 226
StGB; Versuch strafbar
Freiheitsstrafe 1 Jahr bis 10 Jahre
Körperverletzung mit Todesfolge, §
227 StGB, Versuch strafbar
nicht unter 3 Jahren
RA S. Negm
7
Straftatbestände des StGB
Tötungsdelikte
Fahrlässige Tötung, § 222 StGB
Geldstrafe, Freiheitsstrafe bis zu 5
Jahre
Totschlag, § 212 StGB
nicht unter 5 Jahren
Mord, § 211 StGB
lebenslang
RA S. Negm
8
andere relevante Straftatbestände
§ 20 GPSG:
• Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
eine in § 19 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 5 oder 6 Buchstabe a bezeichnete
vorsätzliche Handlung beharrlich wiederholt oder durch eine solche
vorsätzliche Handlung Leben oder Gesundheit eines anderen oder fremde
Sachen von bedeutendem Wert gefährdet.
• entgegen § 7 Abs. 3 Satz 3 oder Abs. 4 ein dort genanntes Zeichen
verwendet oder mit ihm wirbt oder
• Buchstabe Nr. 6 a (einer vollziehbaren Anordnung nach
§ 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 oder 5 bis 8 zuwiderhandelt)
§ 51 LMBG (Geldstrafe, Freiheitsstrafe bis 3 Jahre) und
§ 52 LMBG (Geldstrafe, Freiheitsstrafe bis 1 Jahr)
§ 95 AMG (Geldstrafe, Freiheitsstrafe bis 3 Jahre)
§ 96 AMG (Geldstrafe, Freiheitsstrafe bis 1 Jahr)
9
Körperverletzungsdelikte
vorsätzliche Körperverletzung, § 223 StGB
Nach § 223 StGB ist strafbar, wer
einen anderen
körperlich misshandelt oder
 an der Gesundheit beschädigt.

RA S. Negm
10
Körperliche Misshandlung
Körperliche Misshandlung ist eine üble,
unangemessene Behandlung, die entweder
das körperliche Wohlbefinden nicht nur
unerheblich beeinträchtigt oder die
körperliche Unversehrtheit nicht nur
unerheblich beeinträchtigt
 Beispiele: Abschneiden des Bartes,
Abschneiden der Haare, Ohrfeige

RA S. Negm
11
Gesundheitsbeschädigung


Gesundheitsbeschädigung besteht im Hervorrufen oder Steigern eines,
wenn auch vorübergehenden pathologischen Zustandes körperlicher
oder/und seelischer Art (letzter setzt aber psychosomatische
Reaktionen voraus). Die Gesundheitsbeschädigung setzt keine
körperliche Misshandlung voraus.
Beispiele: vor allem Eingriffe in die körperliche Substanz; Verlust eines
Zahns, Zehs, Fingers, einem Ohrmuschel, der Funktionsausfall von
Organen (Gehör, Geruchs- oder Geschmacksinn, Nieren, Leber,
Gallenblase), die dauernde oder vorübergehende Verminderung
körperlicher Funktionen (Gehbehinderungen, Sehstörungen, ferner die
Zufügung von Schwellungen, Blutergüssen, Schnitten, Rissen und
dergleichen, Kontusionen, Narben, Wucherungen und sonstige
körperliche Verunstaltungen, Schmerzen oder Reizungen des zentralen
Nervensystems, Knochenbrüche, Sehnenrisse, Wunden, Infektionen,
Vergiftungen, Hämatome, körperlich bedingte geistige Störungen und
allgemein jede Herbeiführung oder Verschlimmerung eines
bestehenden Krankheitszustandes.
RA S. Negm
12
Schädigung des Embryos als
Körperverletzung?




(i) Das LG Aachen (Contergan-Fall) hielt die Anwendung des §
230 für möglich.
(ii) Anders die h.M. Rechtsgut der §§ 223 ff. sei die körperliche
Integrität eines Menschen.
Dem Embryo fehlt aber (im Handlungszeitpunkt) die
„Menschqualität". Ein Embryo sei nur gegen die Handlungen
geschützt, die unter § 218 fallen. Dass der Erfolg sich postnatal,
also an einem Menschen, auswirke, spiele keine Rolle;
entscheidend sei der Handlungszeitpunkt.
Die Frage, ob dass Absterben der Leibesfrucht infolge eines
ärztlichen Behandlungsfehlers oder eines unterlassenen,
medizinisch aber gebotenen Eingriffs zugleich eine
Gesundheitsverletzung der Mutter darstellt, ist in der
Rechtsprechung umstritten.
RA S. Negm
13
Die fahrlässige Tötung, § 222


Nach § 222 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer
durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen
verursacht.
Geschütztes Rechtsgut ist das Leben eines
anderen, Angriffsobjekt der Mensch mit dem
Beginn der Geburt. Nach der
Gesetzessystematik wird die Tötung nach
Beginn der Geburt nicht mehr als Tötung der
Leibesfrucht, sondern als Tötung eines
Menschen qualifiziert.
RA S. Negm
14
Wer ist strafrechtlich verantwortlich?
Unternehmen selbst kann nicht bestraft
werden.
 In Betracht kommen die Mitarbeiter
 Originäre Verantwortlichkeit der
Entscheidungsträger steht im Vordergrund
(top down Betrachtungsweise)
 In Krisen- und Ausnahmesituationen ist eine
Berufung auf horizontale bzw. vertikale
Arbeitsteilung strafrechtlich nicht von Belang

RA S. Negm
15
Grundlage Strafrechtlicher
Haftung

Diese Pflichten lassen sich in
Konstruktions-,
 Produktions-,
 Instruktions- und
 Produktbeobachtungspflichten


unterteilen.
RA S. Negm
16
Kontrollpflicht


Der Produzent hat durch Planung, Organisation und
Kontrolle - einschließlich der Zulieferer - dafür Sorge
zu tragen, dass bei der Fertigung, bei der Lagerung
und heim Vertrieb Fehler - von nicht ausnahmslos zu
unterbindenden Ausreißern abgesehen - vermieden
werden.
Schutzmaßnahmen sind nicht erst zu treffen, wenn
schädliche Wirkungen nachgewiesen sind oder der
Verdacht schädlicher Wirkungen wissenschaftlich
begründet ist. Der Hersteller muss vielmehr bereits
bei Vorliegen eines ernst zu nehmenden Verdachts
tätig werden.
RA S. Negm
17
Normeneinhaltung

Das Vertrauen auf offizielle oder allgemein
anerkannte Vorgaben schützt nicht vor
strafrechtlicher Verfolgung, wenn der
Hersteller für sich überlegene Erkenntnisse
oder Forschungsmöglichkeiten nutzbar
machen kann.
RA S. Negm
18
gebotene Maßnahmen

Welche Maßnahmen der zur Gefahrenabwendung
verpflichtete Hersteller zu ergreifen hat, ob ihn
Nachuntersuchungs-, Instruktions-, Warn- oder
Rückrufpflichten treffen, ist unter Berücksichtigung
der Schwere und der Häufigkeit drohender Schäden
zu entscheiden. In der Lederspray-Entscheidung hat
der BGH in Anbetracht der massenhaften
Herstellung und Verbreitung und des Ausmaßes
drohender Schäden auch unter Berücksichtigung der
dadurch entstehenden Kosten und des zu
erwartenden Imageschadens zu Recht nicht nur eine
Warnpflicht, sondern eine Rückrufpflicht
angenommen.
RA S. Negm
19
Ursächlichkeit (Kausalität)






Kausal ist jede Handlung, die nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der
konkrete Erfolg entfiele. ("conditio sine qua non“)
Ein Hinzudenken von Reserveursachen oder hypothetischen Erfolgsursachen ist
unzulässig.
Ausreichend zur Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs ist eine mitursächliche
Bedingung für den Erfolg oder eine Beschleunigung des Eintritts.
Ohne Bedeutung sind atypische Geschehensabläufe oder eine anormale Konstitution des
Opfers. Ein mitwirkendes Verschulden des Opfers oder das Eingreifen eines Dritten steht
einer Bejahung der Kausalität dann nicht entgegen, wenn die gesetzte Bedingung bis
zum Eintritt des Erfolges fortwirkt. Bei einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des
Opfers erfolgt keine Zurechnung mehr.
Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweg gedacht
werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede kausal. (sog. Alternative
Kausalität). Bei einer Mehrheit von ineinandergreifenden Ursachen ist jeder Beteiligte
Urheber des gesamten Erfolges, auch wenn sein Tatbeitrag alleine für den Erfolg nicht
ausgereicht hätte (sog. Kumulative Kausalität).
Ein Ursachenzusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn ein späteres Ereignis eine
neue Ursachenkette eröffnet und die alte nicht fortwirkt.
RA S. Negm
20
Ursachenzusammenhang


Die Ursächlichkeit wird meist durch
Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt.
BGHSt 37,106 (Lederspray): Der
Ursachenzusammenhang zwischen der
Beschaffenheit eines Produkts und
Gesundheitsbeeinträchtigungen seiner Verbraucher
ist auch dann rechtsfehlerfrei festgestellt, wenn
offenbleibt, welche Substanz den Schaden ausgelöst
hat, aber andere in Betracht kommende
Schadensursachen auszuschließen sind.
RA S. Negm
21
Fahrlässigkeitsformen
1. bewusste Fahrlässigkeit (luxuria)
Der Täter erkennt, dass er den Tatbestand
verwirklichen könnte, vertraut aber pflichtwidrig
darauf, dass der Erfolg nicht eintritt. (Die Abgrenzung
zum bedingten Vorsatz ist oft schwierig)
2. unbewusste Fahrlässigkeit
Der Täter sieht nicht voraus, dass er den Tatbestand
verwirklicht, hätte dies aber nach den Umständen
und nach seinem persönlichen Fähigkeiten und
Kenntnissen erkennen müssen.
RA S. Negm
22
Das Ermittlungsverfahren
Anfangsverdacht
Ermittlungsverfahren (§§ 158-177 StPO)
Erforschung des Sachverhalts zur Entschließung der Staatsanwaltschaft, ob die öffentliche Klage (§ 170
I StPO) zu erheben oder das Verfahren informell durch Einstellung aus Opportunitätsgründen (§§ 153
StPO) zu erledigen ist
Einstellung
· mangels hinreichenden
Tatverdachts (§ 170 II StPO)
· aus Opportunitätsgründen
(§§ 153 ff. StPO)
· mangels öffentlichen
Interesses bei Privatklagedelikten
(§§ 374, 376 StPO)
Antrag auf Entscheidung
im beschleunigten
Verfahren gem.
§§ 417 StPO
Antrag auf Erlass
eines Strafbefehls
gem. §§ 407 StPO
(zulässig nur bei
Vergehen)
Anklage gem. § 170 I
StPO durch
Übersenden einer
Anklageschrift mit dem
Antrag, das
Hauptverfahren zu
eröffnen
Zwischenverfahren (§§ 199-211 StPO): Prüfung und Entscheidung durch das Gericht, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist
Einstellung aus
Opportunitätsgründen
(§§ 153 StPO)
Vorläufige Einstellung
gem. § 205 StPO
Eröffnungsbeschluss
(§ 203 StPO)
Nichteröffnungsbeschluss
(§ 204 StPO)
Hauptverfahren mit Hauptverhandlung (§§ 213-295 StPO)
Das Gericht prüft, ob der Angeklagte schuldig ist. Die Entscheidung kann bestehen in einer
Verfahrenseinstellung (insbesondere aus Opportunitätsgründen oder wegen Vorliegens eines
Prozesshindernisses) oder in einem Urteil (Freispruch oder Verurteilung)
Urteil (§ 260 StPO)
Rechtskraft des Urteils oder Rechtsmittel (Berufung, Revision)
23
Verhalten bei Durchsuchungen







der Durchsuchung widersprechen!
nach Durchsuchungsbeschluss fragen (widersprechen, wenn älter als 6
Monate (BVerfGE 96, 44)
Durchsuchungsbeschluss nicht erforderlich, wenn Gefahr im Verzug. Nach
Begründung fragen
Obwohl § 104 Strafprozessordnung (StPO) generell vorsieht, dass eine
Durchsuchung zur Nachtzeit - also im Zeitraum vom 1. April bis 30. September
von 21 Uhr bis 4 Uhr morgens und im Zeitraum vom 01.10. bis 31.03. von 21
Uhr bis 6 Uhr morgens - nicht stattfinden darf, ist bei „Gefahr im Verzug“ die
Durchsuchung zu jeder Tag- und Nachtzeit möglich und zulässig (auch bei
Verfolgung auf frischer Tat).
Strafverteidiger hinzuziehen. Verteidiger hat zwar keinen Rechtsanspruch auf
Anwesenheit. Wenn aber der Inhaber der Räume (also der betroffene Mieter
oder Eigentümer) die Anwesenheit des Verteidigers gestattet, darf dem
Verteidiger die Anwesenheit nur verboten werden, wenn er die Amtshandlung
stört, wovon ohne weitere Anhaltspunkte nicht auszugehen ist.
Keine Versuche, „Beweismaterial beiseite zu bringen“! Haftbefehl wg.
Verdunklungsgefahr droht!
unbedingt Verzeichnis der in Verwahrung genommenen Gegenstände geben
lassen
RA S. Negm
24
Festnahme
Die Festnahme einer Person kann
auf einem Haftbefehl beruhen oder
 eine sogenannte vorläufige Festnahme

sein.
RA S. Negm
25
Festnahme aufgrund eines Haftbefehls


Die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen
Haftbefehl gegen den Beschuldigten sind der
dringende Tatverdacht und das Vorliegen eines
Haftgrundes: Ein dringender Tatverdacht besteht,
wenn die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, das der
Beschuldigte wirklich der Täter ist.
Haftgründe sind vor allem die Flucht- und die
Verdunklungsgefahr, wenn also zu befürchten ist,
dass der Beschuldigte flüchtet oder in unzulässiger
Art und Weise auf Beweismittel, Zeugen oder
Sachverständige einwirkt.
RA S. Negm
26
vorläufige Festnahme








Diese ist zum einen Polizei und Staatsanwaltschaft erlaubt, wenn die Voraussetzungen eines Haftoder Unterbringungsbefehls vorliegen (s.o.), dieser aber noch nicht erlassen ist.
Zum zweiten hat jeder (also auch die Polizei) das Recht zur vorläufigen Festnahme, wenn der
Beschuldigte auf frischer Tat angetroffen oder verfolgt worden ist u n d dieser entweder
fluchtverdächtig ist oder wenn seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, weil der
mutmaßliche Täter sich nicht ausweisen kann.
Von einer "frischen" Tat spricht man, wenn der Beschuldigte bei Begehung einer rechtswidrigen Tat
oder auch unmittelbar danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe gestellt wird.
Für Fluchtverdacht genügt es, wenn nach den objektiv erkennbaren Umständen die Annahme
gerechtfertigt bist, der Betroffene werde fliehen.
Eine Festnahme zur Identitätsfeststellung darf dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht ohne
Vernehmung oder Nachforschung identifiziert werden kann.
Wer als Privatperson eine vorläufige Festnahme durchführt, muss den Festgenommenen unverzüglich
der Polizei übergeben.
Der Festnehmende darf bei der Festnahme in gewissem Umfang Gewalt anwenden, um den
Verdächtigen festzuhalten. Dies ist aber nur insoweit rechtmäßig, als der Gewalteinsatz erforderlich
ist, um den Verdächtigen am Weggehen zu hindern.
Die vorläufige Festnahme darf nur bis zum Ende des der Festnahme folgenden Tages, maximal also
knapp 48 Stunden, dauern. Spätestens danach ist der vorläufig Festgenommene dem
Ermittlungsrichter zur Entscheidung über die Anordnung der Untersuchungshaft vorzuführen oder zu
entlassen.
RA S. Negm
27
polizeiliche Vernehmungen
Polizeiliche Vernehmungen sind aus zwei Gründen problematisch. Zum einen kennt der Beschuldigte
häufig zum Zeitpunkt der Vernehmung den Vorwurf nicht genau. Zum zweiten verfügen die Beamten
über Vernehmungstechniken, denen der Beschuldigte häufig nicht gewachsen ist. Viele Beschuldigte
wundern sich später, was so alles im Protokoll der Vernehmung steht...
1. Wenn Sie als Beschuldigter zu einer polizeilichen Vernehmung geladen werden, suchen Sie vorher (!!!)
einen Rechtsanwalt auf. Der Beschuldigte ist nicht verpflichtet, einer Ladung zu einer polizeilichen
Vernehmung Folge zu leisten.
2. Wenn Sie als Zeuge zu einer polizeilichen Vernehmung geladen werden, müssen Sie der Vorladung
gleichfalls nicht Folge leisten (Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 163 Rz. 37). Haben Sie
Zweifel daran, ob die Vorwürfe sich in Wahrheit doch gegen Sie richten, sollten Sie sofort einen
Strafverteidiger aufsuchen.
3. Wenn Sie 'von der Polizei mitgenommen' worden sind: Erklären Sie ausdrücklich, dass Sie einen
Rechtsanwalt sprechen möchten. Die Vernehmung muss dann unterbrochen werden. Ihnen muss
Gelegenheit zu einem Telefonat gegeben werden.
4. Fragen Sie, was Ihnen zur Last gelegt wird. Die Polizei ist gem. § 163a Absatz 4, Satz 1
Strafprozessordnung verpflichtet, Ihnen dies mitzuteilen.
5. Machen Sie auf keinen Fall irgendwelche Angaben zu den Vorwürfen, bevor Ihr Verteidiger eintrifft. Sie
sind als Beschuldigter nicht verpflichtet, irgendwelche Angaben zu den Vorwürfen zu machen. Oft wird
Ihnen erklärt, dass die Polizei nicht verpflichtet ist, dem Verteidiger die Anwesenheit bei der Vernehmung
zu gestatten (was richtig ist). Weisen Sie in diesem Fall darauf hin, dass Sie ohne Verteidiger ganz sicher
nichts zur Sache sagen werden.
RA S. Negm
28
Wahlgegenüberstellung, 163 a
StPO


Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich zweifelsfrei, dass §
163a Abs. 3 StPO auch den Zweck hat, einen Beschuldigten, der
Angaben zur Sache verweigert, zur Teilnahme an einer
Wahlgegenüberstellung mit Zeugen zwingen zu können.
Da es sich hierbei um eine Freiheitsbeschränkung des
Beschuldigten handelt, hat die Staatsanwaltschaft vor einer
solchen Anordnung dessen Interesse, nicht Objekt belastender
Ermittlungsmaßnahmen zu sein, gegen ihre Verpflichtung,
gerade schwerste Straftaten unter Ausschöpfung aller gesetzlich
zulässigen Beweismittel aufzuklären, einzelfallbezogen
gegeneinander abzuwägen. Hierbei muss sie sowohl bei der
Anordnung der Teilnahme des Beschuldigten an
Wahlgegenüberstellungen als auch bei der Art und Weise der
Durchführung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.
RA S. Negm
29
Das Ermittlungsverfahren
Anfangsverdacht
Ermittlungsverfahren (§§ 158-177 StPO)
Erforschung des Sachverhalts zur Entschließung der Staatsanwaltschaft, ob die öffentliche Klage (§ 170
I StPO) zu erheben oder das Verfahren informell durch Einstellung aus Opportunitätsgründen (§§ 153
StPO) zu erledigen ist
Einstellung
· mangels hinreichenden
Tatverdachts (§ 170 II StPO)
· aus Opportunitätsgründen
(§§ 153 ff. StPO)
· mangels öffentlichen
Interesses bei
Privatklagedelikten
(§§ 374, 376 StPO)
Antrag auf Entscheidung
im beschleunigten
Verfahren gem.
§§ 417 StPO
Antrag auf Erlass
eines Strafbefehls
gem. §§ 407 StPO
(zulässig nur bei
Vergehen)
Anklage gem. § 170 I
StPO durch
Übersenden einer
Anklageschrift mit dem
Antrag, das
Hauptverfahren zu
eröffnen
Zwischenverfahren (§§ 199-211 StPO): Prüfung und Entscheidung durch das Gericht, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist
Einstellung aus
Opportunitätsgründen
(§§ 153 StPO)
Vorläufige Einstellung
gem. § 205 StPO
Eröffnungsbeschluss
(§ 203 StPO)
Nichteröffnungsbeschluss
(§ 204 StPO)
Hauptverfahren mit Hauptverhandlung (§§ 213-295 StPO)
Das Gericht prüft, ob der Angeklagte schuldig ist. Die Entscheidung kann bestehen in einer
Verfahrenseinstellung (insbesondere aus Opportunitätsgründen oder wegen Vorliegens eines
Prozesshindernisses) oder in einem Urteil (Freispruch oder Verurteilung)
Urteil (§ 260 StPO)
Rechtskraft des Urteils oder Rechtsmittel (Berufung, Revision)
30
Einstellung nach 170 II StPO


Der genügende Anlass zur Anklageerhebung
nach § 170 I setzt voraus, dass ein
Verfahrenshindernis nicht besteht, und ein
hinreichender Tatverdacht besteht, also bei
vorläufiger Tatbeurteilung nach Lage der Akten
in der Hauptverhandlung voraussichtlich eine
Verurteilung erfolgen wird.
Ist das nicht der Fall, besteht kein
hinreichender Tatverdacht, so wird das
Verfahren eingestellt.
RA S. Negm
31
Verfahrenseinstellung wegen
Geringfügigkeit - § 153 Abs. 1 StPO
Voraussetzungen für eine solche Verfahrenseinstellung sind, dass
 die Schuld des Täters gering ist und
 kein öffentliches Interesse an einer Verfolgung besteht.
 Die Staatsanwaltschaft kann in diesen Fällen im Rahmen des
Opportunitätsprinzip das Verfahren einstellen.
 Die Einstellung darf in der Regel erst nach Zustimmung des zuständigen
Gerichtes erfolgen. Ausnahmen von dieser Zustimmungspflicht bestehen bei
einfachen Vermögensdelikten und "geringen" Folgen der Tat.
RA S. Negm
32
Verfahrenseinstellung bei Erfüllung von
Auflagen und Weisungen - § 153a StPO







Diese Verfahrenseinstellung setzt voraus
dass die Schwere der Schuld nicht entgegensteht und
ist nur bei einem Vergehen möglich.
Die Staatsanwaltschaft kann in diesen Fällen im Rahmen des
Opportunitätsprinzip das Verfahren mit Zustimmung des zuständigen Gerichtes
und des Beschuldigten einstellen.
Bei einfachen Vermögensdelikten mit geringem Schaden und "geringen" Folgen
der Tat auch ohne Zustimmung des Gerichtes.
Im Gegensatz zur Einstellung nach § 153 StPO liegt hier ein öffentliches
Interesse an einer Verfolgung vor.
Das Verfahren wird vorläufig unter Auflagen und Weisungen (§ 153a Abs. 1 Nr.
1-6 StPO) eingestellt. Diese müssen geeignet sein, das öffentliche Interesse an
der Strafverfolgung zu beseitigen. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und
Weisungen innerhalb des vorgesehen Zeitraumes ist das Verfahren endgültig
einzustellen.
RA S. Negm
33
§ 153 b i. V. m. § 46a StGB
Täter Opfer Ausgleich


Beim sogenannten Täter Opfer Ausgleich bemüht sich der Sozialdienst
der Justiz entsprechend einem ministeriellen Erlass einen Ausgleich (z.
B. durch Zahlung von Schmerzensgeld an den Verletzten) zwischen
dem geständigen Tatverdächtigen und dem Opfer herbeizuführen. Bei
Erfolg wird das Verfahren eingestellt. Durch Konfrontation mit dem
Opfer seiner Tat soll der Täter gebessert werden und lernen
Verantwortung zu übernehmen.
Eine Einstellung des Verfahrens bietet sich auch an, wenn die Folgen
der Tat den Beschuldigten bereits schwer getroffen haben (Beispiele:
Bäckermeister erschießt beim unvorsichtigen Hantieren mit einer
Schwarzpulverpistole an Silvester seinen einzigen Sohn; Eltern
schnallen sich beim Skifahren ihren zweijährigen Nachwuchs auf den
Rücken; abends müssen dem Kind beide Füße wegen Erfrierungen
amputiert werden. Eine entnervte Mutter stürzt aus dem Badezimmer,
um nach dem zweiten Kind zu schauen. Als sie zurückkommt, ist ihr
Säugling in der Badewanne ertrunken).
RA S. Negm
34