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Psychologie des Alterns
Vorlesung im Rahmen des Querschnittfachs „Medizin
des Alterns und des alten Menschen“
24. Mai 2013
Dipl. Psych. Angela Fuchs
Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Fakultät, Universität Düsseldorf
Ab wann ist man alt?
Für Kinder sind schon die über 30-Jährigen
alt.
Die über 50-Jährigen erleben sich selbst
meist nicht als alt und sehen die über 60Jährigen zwar als älter, aber ebenfalls nicht
als alt an.
Das „Alter“ beginnt für alternde Menschen
meist mit dem Zeitpunkt, wenn Aktivitäten
eingeschränkt werden und die körperliche
Pflegebedürftigkeit beginnt/zunimmt.
Altern liegt im Trend
Soziale und gesellschaftliche
Bedingungen des Alterns
VL Medizinische Soziologie:
veränderte Lebenserwartung
veränderte Bevölkerungsstruktur (relativer Anteil
und absolute Zahl älterer Menschen steigt)
veränderter Lebenszyklus (BALTES : drittes Alter –
viertes Alter – Hochaltrigkeit)
Auswirkungen auf den Alternsprozess
Psychologische Alternsforschung
Die Psychologie der menschlichen Entwicklung war lange Zeit fast ausschließlich auf die
Entwicklung im Kindes- und Jugendalter
bezogen.
Das Erwachsenenalter wurde als Phase der
vollständig entwickelten Persönlichkeit
betrachtet.
Das Altern war mit der Vorstellung von Abbau,
Defiziten, Krankheit und Abhängigkeit
verknüpft (Entwicklungsumkehr).
Modelle des Alterns:
Mechanistische Defizitmodelle
Modelle des Alterns:
Mechanistische Defizitmodelle
Grundannahme eines generellen Abbaus
psychophysiologischer Funktionsfähigkeit
Prämisse biologischer Alternsforschung
Postulat einer „Adoleszenz-Maximum-Hypothese“
Abkehr gelang nur mühsam, obwohl durch viele
gerontologische Forschungsergebnisse zur
fortbestehenden Kompetenz und Plastizität im Alter
widerlegt
Paradigmenwechsel erst im Laufe der letzten beiden
Jahrzehnte
Theorien erfolgreichen Alterns
Aktivitätstheorie: positiver Zusammenhang zwischen
Lebenszufriedenheit, hoher sozialer Aktivität und
Interaktion
viele empirische Belege; Kritik am universellen
Anspruch
Modell der Selektiven Optimierung und Kompensation
(SOK):
Metamodell erfolgreichen Alterns (BALTES &
CARSTENSEN 1996): drei konstituierende
Komponenten erfolgreicher Anpassung an
Lebensveränderungen, Belastungen und Älterwerden
Das SOK-Modell
Psychologische
Anpassungsprozesse:
Ressourcenverluste
Selektion
Optimierung
Kompensation
Eingeschränktes
aber
selbstwirksames
Leben
Modelle des Alterns:
Das SOK-Modell
Selektion: Auswahl und Veränderung von
Zielen, Erwartungen und Wünschen
Optimierung: Stärkung und Nutzung
vorhandener Handlungsmittel und
Ressourcen
Kompensation: Schaffung, Training und
Nutzung neuer Handlungsmittel
(Plastizitäts-These und InaktivitätsatrophieAnnahme als zugrunde liegende Konzepte)
Das SOK-Modell:
Der Pianist Arthur Rubinstein
Selektion: Das Repertoire begrenzen.
Optimierung: Die ausgewählten Stücke
verstärkt üben.
Kompensation: Einen Kunstgriff anwenden:
Vor besonders schnellen Passagen das
Tempo verlangsamen. Im Kontrast
erscheinen diese Passagen dann wieder
ausreichend schnell.
Schwerpunkte
alterspsychologischer Forschung
Übersicht:
Konstanz und Veränderung der Intelligenz
Konstanz und Veränderung des Gedächtnisses
Befundlage zur Emotion
Befundlage zur Intelligenz
Korrektur vieler Vorstellungen durch
Fortschritte gerontologischer
Längsschnittforschung
Unterscheidung „fluider“ und „kristalliner“
Intelligenz (HORN & CATTELL 1966)
aktuelle Befundlage (SLS, BOLSA u.a.):
- hohe Stabilität der Intelligenz
- kein genereller altersassoziierter Abbau
- Einbußen ab ca. 75 J. primär bei fluider
Intelligenz
Befundlage zur Intelligenz
Befundlage zur Intelligenz
relevante Einflussfaktoren:
- sozialer Status
- Gesundheitszustand:
Lungenfunktion, sensorische Defizite, spätere
Demenz
Bedeutsamkeit der interindividuellen
Variabilität in der Altersgruppe in Relation zu
den Unterschieden zwischen den
Altersgruppen
Befundlage zum Gedächtnis
keine bzw. geringe Altersveränderungen bei
- impliziten (prozeduralen) Gedächtnisleistungen
- Leistungen des Primärgedächtnisses
Altersveränderungen im
- Arbeitsgedächtnis
- episodischen Gedächtnis
relevante Einflussfaktoren:
Begabung, Übung, Gesundheit, Motivation, innere
Überzeugung
deutlich höhere Varianzaufklärung als durch das
Lebensalter!
Befundlage zur Emotion
keine Hinweise auf emotionale Verarmung im Alter,
aber verstärktes Verbergen der Emotion
keine generelle Zunahme an Angstreaktionen
Hinweise auf Zunahme spezifischer Angstgefühle
(Kriminalität; Sturz u. Einschränkung der körperl.
Aktivität)
geringere Sorge um Finanzen und soziale
Beziehungen als bei jungen Erwachsenen
weniger Angst vor dem Tod als im mittleren
Erwachsenenalter
häufigeres Erleben von Einsamkeit
Prävention und Intervention:
Prädiktoren subjektiven Wohlbefindens
subjektiver Gesundheitszustand als bester Prädiktor
(BOLSA, ILSE u.a.)
weitere Prädiktoren:
- Gesamt- bzw. Freizeitaktivitäten
- hohe subjektive Alltagskompetenz
- positive Selbstbild
- Ausmaß an Zielerreichung
- Zufriedenheit mit der Sexualität (♂)
- religiöse Aktivität (♀)
Prävention und Intervention
Biologische Maßnahmen:
Behandlung von Krankheiten
Bewegung und ausgewogene Ernährung
Kognitive Maßnahmen:
Mentales Training, Anregungen, Lernchancen
Ausgleich des Rollen- und Funktionsverlustes
Aktivitätstheorie
Entwicklungsregulation durch flexible
Zielanpassung (und realistische Zielvorgaben)
SOK-Modell
Prävention und Intervention
Individuelle Ressourcen- und Stärkenanalyse
Lebensspannenpsychologie: Gewinn- und
Verlustbilanzierung
Gewinne
Reifere Bewältigungs- und
Lebenserfahrungen
Spontanheilung psychischer
Störungen
Motivationale und emotionale
Veränderungen
Angepasste Wohlbefindensregulation
Verluste
Physiologische und kognitive
Funktionseinbußen
Somatische Erkrankungen und
sensorische Behinderungen
Verstärkerverlust
Tod nahe stehender Personen
Kumulation von Belastungen
Beratung und Therapie
Ressourcen- und Stärkenanalyse
Partnerschaft im Alter
Umgang mit kritischen Lebensereignissen
Abklärung psychischer Veränderungen:
Depression, Demenz
Pflege, pflegende Angehörige, pflegendes Personal
Umgang mit Tod und Sterben
Umgang mit chronischem Schmerz
Umgang mit Erkrankungen
Umgang mit Verlust und Trauer
Vermittlung spezieller Hilfeangebote
Rahmenmodell der
Alterspsychotherapie (Maercker 2002)
Störungen
aus früheren Lebensphasen
neu
Altersspezifik
Erschwerende Faktoren:
- Multimorbidität
- Interpersonelle Verluste
- Fähigkeitseinschränkungen
- eingeschränkte Lebenszeit
Erleichternde Faktoren:
- kumulierte Bewältigungs- und
Lebenserfahrung
- motivationale und emotionale
Veränderungen
- angepasste Wohlbefindensregulation
angepasste Psychotherapien
Psychotherapie im Alter: Altersspezifik
Erschwerende Faktoren:
Multimorbidität
interpersonelle Verluste
Fähigkeitseinschränkungen
eingeschränkte Lebenszeit
Erleichternde Faktoren:
angepasste Wohlbefindensregulation
kumulierte Bewältigungs- und Lebenserfahrung („Reife“)
motivationale und emotionale Veränderungen
Psychotherapie im Alter:
Störungsspezifik
demenzielle Syndrome
depressive Syndrome
Angststörungen
weitere relevante psychische Störungen:
hohe Suizidrate Älterer (insb. ♂)
Schlafstörungssyndrome
somatoforme Störungen, Substanzmissbrauch und
–abhängigkeit, Formenkreis wahnhafter Störungen
(viele Einzelstudien, aber keine zuverlässigen
Prävalenzschätzungen)
Psychotherapie im Alter:
Therapieformen und -ziele
Altersspezifische Therapien:
Kognitive Verhaltenstherapie
Psychodynamische Kurzzeit- und Fokaltherapie
Interpersonelle Psychotherapie
Lebensrückblick-Interventionen
Lebensende-Begleitung
Therapieziele:
Symptomreduktion
Wohlbefinden
Reifung, Wachstum, Sinnfindung
Psychotherapie im Alter:
Versorgungssituation
Generell: Unterrepräsentation Älterer in der
ambulanten psychotherapeutischen Versorgung
Zurückhaltung bereits bei Patienten > 50
Bereitschaft zur Behandlungsübernahme älterer
Patienten abhängig von bereits vorhandenen
Behandlungserfahrungen mit dieser Altersgruppe
Begrenztes gerontopsychologisches Wissen bei den
Therapeuten
Psychotherapie im Alter:
Besonderheiten und Ziele
Anpassung an die kognitive Situation Älterer
(Fokussieren auf aktuelles Thema, multimodale
Instruktionen, Gedächtnishilfen, Strategien für den
Aufmerksamkeitserhalt)
Berücksichtigung der Ressourcen und Kompetenzen
(eigenes Wissen über Stärken, Erfahrungen aus
früheren Problemlösungen)
Akzeptanz eines gewissen Grades von Abhängigkeit
(Hauptziel ist nicht Autonomie!)
Anpassung an veränderte Lebensbedingungen
Engagement in begrenzten Bereichen
Grundprinzipien psychotherapeutischen
Handelns mit Älteren
Bedenke: multiple Problematik
Kenne: Phänomene und Besonderheiten des Alters und des Alterns
Beachte: Prinzip der minimalen, angemessenen Intervention
Plane: zusätzliche, externe Hilfen
Arbeite: auch mit Bezugspersonen, Angehörigen, sozialem Umfeld
Beginne: bei vorhandenen Kompetenzen
Fördere: soziale, psychische und somatische Kompetenzen
Informiere: über alle geplanten Interventionen und deren Sinn
Erkenne: eigene Gerontophobie und Fehlurteile
Nutze: Lebenserfahrungen älterer Patienten
Erfahre: Lernen ist immer und für jeden möglich
Beachte: Ältere können meist mehr aushalten als Therapeuten glauben
Verringere: Vorurteile in der Öffentlichkeit