Transcript Emotion

Wie Emotionen entstehen
Eine Kurzleseanleitung zu
Joseph LeDoux:
„Das Netz der Gefühle“
Emotionen ohne Gefühl
bewusst, gefühlt, heiß
unbewusste Ansammlung
von evolutionär erprobten
Reaktionsmustern
auf verschiedene
Situationen
LeDoux konzentriert sich
auf Furcht.
unbewusste Kognition
bewusst
unbewusste Wahrnehmung
(eat popcorn, Stereoort),
Gedächtnissuche,
unlogisches (heuristisches)
Problemlösen
James und der Bär
• Warum rennen wir vor einem Bär weg?
– Wir fürchten, er könnte uns fressen. Deshalb rennen wir weg.
– Wir rennen „automatisch“ weg, weil die Evolution uns das lehrte.
Und weil wir wegrennen, fürchten wir uns.
• Naiv:
Reiz
• James, 1884: Reiz


Gefühl 
Reaktion 
Reaktion
Gefühl
James-Lange-Theorie
• James, W., The Principles of Psychology, 1890, p.449
– Our natural way of thinking ... is that the mental perception of some fact excites
the mental affection called the emotion, and that this latter state of mind gives
rise to the bodily expression. My theory, on the contrary, is that
the bodily changes follow directly the perception of the exciting fact,
and that our feeling of the same changes as they occur IS the emotion.
Common sense says: we lose our fortune, are sorry and weep; we meet a bear,
are frightened and run; we are insulted by a rival, are angry and strike.
The hypothesis here to be defended says that this order of sequence is incorrect,
that the one mental state is not immediately induced by the other, that the bodily
manifestations must first be interposed between, and that the more rational
statement is that we feel sorry because we cry, angry because we strike, afraid
because we tremble, and not that we cry, strike, or tremble, because we are
sorry, angry, or fearful, as the case may be. Without the bodily states following
on the perception, the latter would be purely cognitive in form, pale, colourless,
destitute of emotional warmth.
Cannon/Bard versus James/Lange
• James/Lange, 1894: Reiz  Erregung  Gefühl
• Cannon/Bard, 1929: Das autonome Nervensystem (ANS) ist
 zu langsam,
(aber: wie schnell sind Gefühle wirklich?)
 zu unspezifisch. (aber: James hatte nicht nur ANS gemeint)
„Zwei Systeme“: Erregung und Gefühl entstehen unabhängig.
Reiz

Gefühl

Reiz  Erregung
Erregung verleiht dem Gefühl Dringlichkeit.
• Gemeinsamkeit: Erregung/Reaktion basiert nicht auf Gefühl.
• James/Lange-Pfad ist Teil des Zwei-System-Ansatzes
Kognition und Emotion
Reiz

Gefühl
 ???
Reiz  Erregung
• Schachter und Singer, 1962: Kognition deutet Erregung:
– Adrenalin-Injektion + situativer Kontext

durch Injektion ausgelöste Erregung
wird situativ interpretiert
• Valins, 1966: gefälschtes Herzschlag-Feedback
– Bilder mit „erhöhter“ Pulsrate werden anschließend attraktiver beurteilt.
Kognition und Emotion
Reiz ???
Gefühl

Reiz ??? Erregung
• Arnold, 1960: kognitive Bewertung
Reiz

Kognition

Erregung
(Bewertung Schaden/Nutzen) (Handlungstendenz)
• Kritik: kognitive Bewertung ist zu langsam
• Zajonc, 1980: „kognitive Bewertung“ kann unbewusst bleiben.
– „bloße Darbietung“: Präferenz für bereits Gesehenes
funktioniert auch bei unterschwelliger Darbietung.
• Bornstein, 1992: Einfluss auf Emotion stärker wenn unbewusst
– „bloße Darbietung“ von Gesichtern unter/überschwellig,
dann: reale Personen äußern unterschiedliche Meinungen
 VP schließt sich der Meinung der „bekannten“ Person an.
Effekt stärker wenn vorherige Darbietung unterschwellig.
Kognition und Emotion
Reiz ???
Gefühl

Reiz ??? Erregung
• Bargh, 1990: Überschwellig, aber unbewusste Implikationen
– VP bearbeiten Wortlisten, „neutral“ versus „gerontologisch“,
gemessen wird die Zeit, den Korridor hinunterzugehen.
– Wortlisten „selbstbewusst“ versus „höflich“,
gemessen wird die Zeit, bis der Experimentator unterbrochen wird.
• Corteen & Wood, 1972: dichotic listening + Konditionierung
– Konditionierungsphase:
• VP hört Liste von Städtenamen und anderen Worten
• Bei bestimmten Städten (3 von 6) gibt es einen Elektroschock
– Testphase: Kopfhörer, links anderer Reiz als rechts (dichotisch)
• VP „beschattet“ (Nachsprechen) einen (den „relevanten“) Kanal
• VP bekommt nicht mit, was auf dem irrelevanten Kanal gesprochen wird.
• Hautleitwertreaktion auf kritische Städtenamen auf dem irrelevanten Kanal,
aber auch (abgeschwächt) auf andere Städtenamen (unbewusste Verarbeitung)
Einschub: Unbewusste Verarbeitung
• Eat Popcorn! Drink Coke!
– kurze, unbemerkbare Einblendungen in einen Film
führten angeblich zu Umsatzsteigerungen
– eine Wissenschaftsfälschung von J. Vicary, 1957,
zugegeben in einem Zeitungsinterview 1962.
– Mord und Aufklärung
in der Fernsehserie Columbo
(“Double Exposure”, 1973)
Einschub: Unbewusste Verarbeitung
• Semantisches Priming
–
Fixationskreuz –Maske – Prime – Maske – Target
1000 ms
500 ms
20 ms
100-500 ms
1000 ms
– Aufgabe: Ist das Target ein Wort?
– Prime kann unbewusst bleiben
• Kriterien für Nichtbewusstwerdung (s. u.)
– Reaktionszeit kürzer, wenn Prime und Target
semantisch verwandt (Dauer des Effekts: ca. 200 ms)
Kognition und Emotion zwei Paar Schuhe
• Läsionen können perzeptuelle Repräsentation
oder emotionale Bewertung beeinträchtigen.
• Läsionen können kognitive oder emotionale Erinnerungen
beeinträchtigen.
• split-brain Patienten können emotionale Gehalte von einer
Hemisphäre zur anderen transferieren, aber nicht kognitive.
• kognitive Reiz/Reaktionsschemata sind flexibel,
emotionale hingegen fest verdrahtet (aber schnell)
Erste Lokalisation
• Bard, 1929:
Läsionsexperimente an Katzen:
– Ohne Großhirnrinde:
fast vollständiges emotionales Repertoire
• Tiere leicht reizbar, fehlende Kontrolle
– Ohne Hypothalamus:
nur fragmentarische emotionale Reaktionen.
– Cannon – Bard – Theorie:
• Sinnesorgan ... Thalamus ........ Großhirnrinde ........ Gefühl
• Sinnesorgan ... Thalamus ... Hypothalamus ... Reaktion
Erste Theorie
• Papez, 1937: Papez-Kreis
Hippocampus via Fornix
 Mammilarkörper (Hypothalamus)
 Thalamus
 Gyrus cinguli
 Hippocampus
• Spekulation
 damals waren Verbindungen nicht zu erheben
 LeDoux: Papez handelte aus Patriotismus
Das limbische System
• MacLean, 1952: Erweiterung
– Rückgriff auf Broca, 1878
– spekulativ, keine Tracer-Daten
Pierre Paul Broca (*1824), 1878:
« grand lobe limbique »
auf deutsch: großer Saumlappen
keine Funktionszuweisung,
zu dieser Zeit war unklar,
ob es Einzelneurone gibt.
Das Schisma
• Basisemotionen
– „Kleine“ Anzahl diskreter Emotionen
• entsprechen neurophysiologischen/anatomischen Substraten
• mischbare Komponenten anderer nichtbasaler Emotionen
– Anzahl und Art umstritten
• Mowrer (1960): 2 Basisemotionen
• Arnold (1960): 11 Basisemotionen
• Emotionale Dimensionen
– „Kleine“ Anzahl orthogonaler Dimensionen
– Emotionales Erleben wird beschrieben
anhand von Koordinaten eines Euklidischen Raumes
– Anzahl und Art umstritten
Evolution der Emotionen
• Darwin, 1872: The expression of
emotions in man and animals.
(Neuauflage ~1973 Paul Ekman)
– Ähnlichkeiten emotionalen Ausdrucks:
• am größten bei verwandten Arten,
z. B. Gesichtsausdrücke bei Affen
• aber auch über viele Arten hinweg:
z. B. Fellsträuben = Piloreaktion =
Gänsehaut
– Hinweis auf angeborene Ausdrucksformen
für Emotionen
– vermutete unterschiedliche Entstehungszeit,
z. B für Furcht und Sorge
Elementare Emotionen beim Menschen
• Universale (kulturübergreifende) Mimik
• Tomkins, 1962: Acht Elementaremotionen
– Überraschung, Interesse, Freude, Wut,
Furcht, Ekel, Scham, Angst
• Ekman, 1984: Sechs Elementaremotionen
– Überraschung, Glück, Zorn, Furcht, Ekel, Trauer
• Plutchik, 1980:
– Überraschung, Freude, Wut, Furcht, Abscheu, Trauer,
Erwartung, Billigung
gemischte Gefühle
• Plutchiks Emotionskreis
– elementare Emotionen in räumlicher Anordnung
Primäre Dyaden
Mischungen ohne Zwischenglied
– Freude + Billigung = Freundlichkeit
Sekundäre Dyaden
mit einem Zwischenglied
– Freude + Furcht = Schuldgefühl
Tertiäre Dyaden
mit zwei Zwischengliedern
– Freude + Überraschung = Entzücken
• unterschiedliche Auffassungen über Zahl und Art der
Elementaremotionen: Sind diese überhaupt elementar?
sozialer Konstruktivismus
• Averill, 1980: Emotionen sozial konstruierte Reaktionsmuster.
– „ein Wildschwein sein“: Stress ablassen bei den Gururumba.
– „amae“: sich lieben lassen bei den Japanern.
• Ekman: sowohl ... als auch ...
– universale Mimik
– kulturell geprägte Embleme (Kopfnicken, Achselzucken)
• Ekman: Darbietungsregeln überformen selbst universale Mimik:
– Mark Twain: An Stellen, an denen ein naher Angehöriger schluchzt, hat ein intimer Freund einen würgenden Laut von sich zu
geben, ein entfernter Bekannter zu seufzen, und ein Fremder lediglich mitfühlend an seinem Taschentuch zu fummeln.
– Vorführung eines emotional aufwühlenden Films
in Japan / USA, mit / ohne Experimentator als Zweitzuschauer:
Japan + Zweitzuschauer  weniger emotionale Reaktionen, mehr Lächeln
(Zeitlupe: elementare Reaktionen werden überlagert)
• unterschiedliche Auffassungen über Zahl und Art der
Elementaremotionen: Sind diese überhaupt elementar?
Elementare Reaktionen
• Ortony & Turner, 1990:
– nicht Emotionsausdrücke sind elementar, sondern (nicht-emotionale) Reaktionen.
– Emotionen greifen auf Repertoire
biologisch determinierter Reaktionskomponenten zurück:
• Zittern (bei Kälte oder Furcht), Weinen (bei Freude oder Schmerz), ...
– Bewertungen bestimmen Auswahl der Reaktionskomponenten.
• sehr viele unterschiedliche Bewertungen / Reaktionspakete
• einige davon häufiger als andere, erscheinen elementar
• Bewertung und „Reaktionspaket“ kann angeboren (elementar) sein.
– Furchtsamkeit ist genetisch angelegt
• Rattenzüchtungen, eineiige Zwillinge
• LeDoux: Vier Elementaremotionen tauchen in allen Listen auf:
– Furcht
– Zorn
– Ekel
– Freude
– Gegenfrage: Freude über was? gutes Essen? guten Sex? gute Musik? ...
Elementarfunktionen
• „Mag ein Reh auch vor einer Gefahr davonlaufen,
ein Vogel davonfliegen, und ein Fisch davonschwimmen,
so sind doch all die verschiedenen Verhaltensmuster
funktional gleichbedeutend; sie alle haben nämlich die
gemeinsame Funktion, zwischen dem Organismus und
einer Gefahr für sein Überleben einen Abstand zu
schaffen.“ (Plutchik, 1980)
Elementare Emotionen und Gefühle
• mehrdimensionaler
„Gefühlsraum“
• unabhängige Elementaremotionen
als Antwort auf elementare
Situationen
–
–
–
–
–
Gefahr: Furcht
gutes Futter: Appetit
giftiges Futter: Ekel
Sexualpartner: Lust
...
Dimensionen
• Wundt (1896): 3 Dimensionen emotionalen Erlebens
– Lust – Unlust
– Erregung – Beruhigung
– Spannung – Lösung
• Die ersten beiden Dimensionen sind relativ unstrittig
– Lust – Unlust
 Wohlgefallen  pleasure  valence
– Erregung – Beruhigung  Aktivierung  arousal
• Dritte Dimension strittig
– Reichen zwei? Brauchen wir überhaupt drei?
– Was stellt die dritte Dimension dar?
• Spannung-Lösung  dominance  control  social nearness
– Oder brauchen wir gar vier? (Scherer et al., 2007: unpredictability)
Explizite Urteile
auf mehreren Dimensionen
• Self Assessment Manikin, SAM (Lang, 1985)
– Gefallen
– Erregung
– Dominanz
Beispiel: Bilder aus dem IAPS
International Affective Picture System
Bradley & Lang (1994)
– über 800 Bilder mit SAM-Ratings in
• Wohlgefallen (valence)
• Erregung (arousal)
• Dominanz (dominance)
9
arousal ratings
8
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3 4
5
6
7 8
9
valence ratings (5 = neutral)
Beispiel: Geräusche aus dem IADS
International Affective Digitized Sound System
Bradley & Lang (1999)
9
8
arousal ratings
gähnende Frau
Babylachen
Babyschrei
lachende Menschen
Schrei einer Frau
Gesang
Schweinegrunzen
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
pleasure ratings (5 = neutral)
9
IAPS
V-Form
• Valenz-Erregungs-Plot zeigt
charakteristische V-Form
arousal ratings
8
niedrig / mittel / hoch
niedrig / hoch
– zwei unabhängige (einander
beeinträchtigende) Prozesse?
• positiver Affekt
• negativer Affekt
A+
A–
Watson & Tellegen, 1985
5
4
3
1
1
2
3 4
5
6
7 8
9
9 valence ratings (5 = neutral)
IADS
8
arousal ratings
– Valenz:
– Erregung:
6
2
– widerspricht dem Konzept
eines dimensionalen Raumes
• „Löcher“ im dimensionalen Raum
• z. B. Versuch eines 2x3-Design mit
7
7
A–
A+
6
5
4
3
2
1
1
2
3 4
5
6
7 8
9
valence ratings (5 = neutral)
Elementar versus kognitiv
• mehrdimensionaler
„Gefühlsraum“
• unabhängige
Elementaremotionen
• Ratings
– nicht hypothesentestend
• Multidimensionale Skalierung
– Erhebung von paarweisen
Ähnlichkeitsdaten
• N Items, N·(N1)/2 Paare
– Erstellung einer mehrdimensionalen
Konfiguration
Plutchiks Emotionskreis revised
• 8 Items
–
–
–
–
–
–
–
–
A:
D:
G:
J:
M:
P:
T:
W:
• SMS  E-Mail
• 28 Paare
Abscheu
Billigung
Erwartung
Freude
Furcht
Traurigkeit
Überraschung
Wut
– gerader Geburtstag:
AJ GJ PW JW MP
AD MW JT GP DG
AW GW DM PT DT
TW JM AM GT DW
AG
JP
GM
DJ
DP
AP
MT
AT
– ungerader Geburtstag:
DT GP DW DP JM AD
AP PW GJ JT GW AM
DG DM MP JP GM MW
AW GT AJ AG TW AT
JW
MT
DJ
PT
– D1: 8000
– D2: 3400
– O2: 6245
MAIL
– E+: 7676245
SMSMAIL
• 93 SMS mit
je 28 Ratings
• Skala: 1 = sehr unähnlich, 3 = neutral, 5 = sehr ähnlich
• SMS-Text: chris*kaernbach.de data AJ7 jg9 ...
Plutchiks Emotionskreis revised
• Wie viele Dimensionen?
– Scree plot: Wo ist der „Knick“?
Stress
simulierte Daten
Anzahl der angenommenen Dimensionen
Plutchiks Emotionskreis revised
0,4
• Wie viele Dimensionen?
Stress
– Scree plot: Wo ist der „Knick“?
– Signifikanz: Vergleich mit Zufallsdaten
0,308
0,3
p  0.001
0,2
0,125
0,1
• Interpretation (post hoc)
p  0.005
Arousal
A–
A+
Valence Valence
Stress: 0,125
0,083
p > 0.1
0
0
– Valenz / Erregung
– A– / A+
A: Abscheu
D: Billigung
G: Erwartung
J: Freude
M: Furcht
P: Traurigkeit
T: Überraschung
W: Wut
Hörsaalexperiment
zu Basisemotionen
nach Plutchik
kreisförmig:
Stress: 0,235
1
2
3
Anzahl der angenommenen Dimensionen
Original:
Stress: 0,312
Frage
• Was ist das Gegenteil von süß?
Polemik
• Demonstration des dimensionalen Ansatzes
in der Gustatorik
Gustatorik
• Fünf Hauptqualitäten (basic qualities)
–
–
–
–
–
süß
sauer
salzig
bitter
umami
Vergessen
entsprechen fünf spezifischen Rezeptoren
– kein spezifischer Rezeptor  keine Hauptqualität
• Rezeptoren für Hauptqualitäten
arbeiten unabhängig voneinander
Geschmacksdimensionen
• Neun Flüssigkeiten
Zitronensaft
3 Konzentrationen von Zucker (10 30 60 Würfel / l)
 3 Konzentrationen von Zitronensaft (20 60 120 ml / l)
– Hörsaalexperiment SS08, 52 Teilnehmer, 4 Tests pro Person
– Unähnlichkeits-Ratings auf einer Skala von 0 bis 4
– Jedes Paar (9 ∙ 8 / 2 = 36) wurde ungefähr sechs mal getestet
Zucker
Ergebnisse
• Scree Plot:
– 1 Dimension sehr gut
– 2 Dimensionen signifikant
0,4
Streß
0,3
• Konfigurationen:
1-dimensional
2-dimensional
0,241
p  0.001
0,2
0,119
0,1
p  0.025
p > 0.1
0
süß
sauer
• Interpretation:
Intensität
0
sauer
0,059
1
2
3
Zahl der angenommenen Dimensionen
süß
Zitronensaft
– 1. Dimension „sauer / süß“ (Valenz?)
– 2. Dimension „Intensität“ (Erregung?)
Zucker
Ergebnisse
Erinnern!
• Konfirmatorische MDS
sauer
– Korrelationen mit
• Konzentration von Zucker
• Konzentration von Zitronensaft
– nicht/fast/orthogonales Koordinatensystem
süß
sauer
süß
sauer
• Interpretation:
Intensität
• Winkel zwischen den Achsen: 113°
süß
Zitronensaft
– 1. Dimension „sauer / süß“ (Valenz?)
– 2. Dimension „Intensität“ (Erregung?)
Zucker
sauer
Vorwissen
süß
Vor einem Urteil über den dimensionalen Ansatz sollte man klären:
• Wieviel ist bekannt über die zugrunde liegenden Mechanismen?
– Gustatorik:
• Die zugrunde liegenden Mechanismen sind wohlbekannt.
• Die leichte Abweichung von der Orthogonalität von süß und sauer
regt zum Nachdenken an.
– Farbwahrnehmung:
• Elementar Dreifarbentheorie (Helmholtz/Young, Rezeptoren)
• Perzeptuell Gegenfarbentheorie (Hering, Bipolarzellen)
– Emotionspsychologie:
• Die zugrunde liegenden Mechanismen sind strittig.
Gibt es Basisemotionen? Wie viele gibt es?
Sind sie voneinander unabhängig? ...
Dimensionszahl bei MDS
• MDS von Klangfarben (timbre) von
Musikinstrumenten (Lakatos, 2000)
– perkussive Klänge:
– harmonische Klänge:
– beide Arten von Klängen:
dreidimensional
dreidimensional
dreidimensional
• Die Dimensionszahl einer MDS-Konfiguration
spiegelt nicht notwendig eine Begrenzung des in
Frage stehenden (perzeptiven/emotionalen/...)
Raumes, sondern eher eine Begrenzung der
kognitiven Repräsentation dieses Raumes wider.
Metamerie
• Farben, die in einem dreidimensionalen Farbraum durch
das gleiche Koordinatentripel beschrieben werden, sind
ununterscheidbar
• Flüssigkeiten+, die in einem fünfdimensionalen
Geschmacksraum durch die gleichen Koordinaten
beschrieben werden, sind ununterscheidbar
+
geruchlos, keine Nebenqualitäten, gleiche Temperatur...
 IAPS-Bilder, die durch die gleichen Werte für
Valenz, Erregung und Dominanz beschrieben werden,
lösen teilweise recht gut unterscheidbare Emotionen aus
Metamerie
Bild 4531:
• Valenz:
• Erregung:
• Dominanz:
5,81  1,94
4,28  2,76
5,87  1,96
erotic male
Bild 7351:
• Valenz:
• Erregung:
• Dominanz:
5,82  1,67
4,25  2,28
6,00  1,67
pizza
 IAPS-Bilder, die durch die gleichen Werte für
Valenz, Erregung und Dominanz beschrieben werden,
lösen teilweise recht gut unterscheidbare Emotionen aus
Basisemotionen
•
•
•
•
•
•
–
Trauer
Angst
negativ
Ärger
Ekel
Überraschung
neutral
etwas differenzierter
als dimensionale Modelle
– Positive Emotionen
werden nicht differenziert
 sollten sie aber
Stimuli aus KASPAR, dem
Kiel Affective SPeech ARchive
arousal
• Plutchik, 1980: 8 Basisemotionen
• Ekman, 1984: 6 Basisemotionen
positiv
• Freude
valence
Der ganz normale Wahnsinn:
Der Mr. Hyde in jedem von uns
Anmerkungen zur frühen Interaktion
zweier positiver Emotionen
Hast du Hunger?
keine
kognitive
Kontrolle
Stoppe deinen Speichelfluss!
Das geht nicht. Speicheln ist eine autonome Reaktion.
Wie dumm ist das
Autonome Nervensystem?
• James, W., The Principles of Psychology, 1890, p. 449
– Our natural way of thinking ... is that ... perception ... excites ... emotion,
and that this latter state of mind gives rise to the bodily expression.
My theory, on the contrary, is that
the bodily changes follow directly the perception of the exciting fact,
and that our feeling of the same changes as they occur IS the emotion.
• Cannon-Bard, Schachter-Singer
– Kritik / Alternativen zum Ursprung der Emotion
• Nicht in Frage gestellt:
The bodily changes follow directly the perception
• „Autonom“ heißt keine kognitive Kontrolle.
• Heißt das, dass das Autonome Nervensystem
ein „dummes“ Reiz-Reaktions-System ist?
Wozu dienen autonome Reaktionen?
• Autonome Reaktionen bereiten Handlungen vor
– Spezifische Reaktionen für spezifische Reize/Handlungen
• Furchtreize
• Essensreize
• Sexreize



Herzrate steigt
Speichelfluss
Durchblutung der
Genitalien steigt



“Fight or flight”
Essenseinnahme
Sexualakt
• Was geschieht im Konfliktfall?
– zum Beispiel zwei gleichzeitige Reize,
die zwei inkompatible Handlungen triggern
• Vorhersage für ein Reiz-Reaktions-System
– Jeder Reiz triggert eine spezifische körperliche Reaktion
unabhängig von der Anwesenheit anderer Reize
– Die Entscheidung wird späteren kognitiven Stufen
überlassen...
Autonome Reaktion auf Essensreize
• Hungrigen Menschen Bilder von Essen zeigen
– Speichelfluss nimmt zu
– Schluckfrequenz steigt
• Oberflächenelektromyographie
– Elektrodenplazierung:
• Musculus digastricus
• Infrahyoid Muskeln
– Automatische Schluckdetektion aus den EMG-Daten
Schluck-EMG
musculus digastricus
infrahyoid Muskeln
Autonome Reaktion auf Sexreize
• Lüsternen Menschen Sexbilder zeigen
– Durchblutung der Genitalien steigt
– Umfang des männlichen Genitals nimmt zu
• Penisplethysmografie
– Messung des Penisumfangs mit einem
Dehnungsmessstreifen (Indium/Gallium in Gummischlauch)
Penisumfangsvergrößerung [mm]
• Eichung mit Kalibrationszylinder
Zeit [min]
Conflicting input
• 30 Teilnehmer (m.)
– Heterosexuell, keine Paraphilien
– 3 Tage sexuell enthaltsam
– 15 Stunden nichts gegessen
• Reize
– Landschaftsbilder
– Sexbilder
– Essensbilder
• Reizdarbietung
– 2 Bildströme:
4 s S1, 4 s S2, ...
• Mausklick
bei jedem neuen Bild
• Versuchsbedingungen
S1
LL: Landschaft Landschaft
LE: Landschaft Essen
LS: Landschaft
Sex
ES:
Essen
Sex
Strom 1 (S1)
Strom 2 (S2)
S2
Bildwechsel  Mausklick
Versuchsbedingungen
Ergebnisse
S1
S2
LL: Landschaft Landschaft
LE: Landschaft Essen
LS: Landschaft
Sex
ES:
Essen
Sex
unabhängige additive Reaktionen,
das autonome Nervensystem hat
keine Entscheidung gefällt
das kognitive System
soll entscheiden
Versuchsbedingungen
Ergebnisse
S1
S2
LL: Landschaft Landschaft
LE: Landschaft Essen
LS: Landschaft
Sex
ES:
Essen
Sex
unabhängige additive Reaktionen,
das autonome Nervensystem hat
keine Entscheidung gefällt
das kognitive System
soll entscheiden
Fazit
• Sex wins
– Evolutionär gesehen ist Sex (für Männer) wichtiger als Essen
– Je nach Grad der Deprivation könnte sich ein anderes Ergebnis
einstellen
• Zwei positive Emotionen (Sex und Appetit)
treten früh (bereits im ANS) in Konflikt
– Sie sollten nicht unter derselben Elementaremotion „Freude“
subsummiert werden.
• Das Autonome Nervensystem trifft eine Entscheidung
– Vorbereitung auf nur eine von zwei inkompatiblen Handlungen
– Das ANS steht im Dienste der Handlungskontrolle
Elementaremotionen
• Die Erforschung kulturunabhängiger angeborener
Grundlagen der Emotion ist sachangemessen
– Differenzierter als der dimensionale Ansatz
– Insbesondere bei positiven Emotionen
muss noch mehr differenziert werden
• Elementaremotionen sind nicht die „Urfarben“
(Plutchick u. ä.) aller anderen Emotionen
• Elementaremotionen beschreiben Emotionen
als statisch
– Emotionen sind dynamische Prozesse
Ekel z. B. kann man als „Burst-Emotion“ beschreiben
• Problem für affektive Sprachdatenbanken (z. B. KASPAR):
Es ist schwierig, einen ganzen Satz in der Emotion „Ekel“ zu sprechen
Appraisal-Theorien
• Appraisal-Theorien (Arnold, Scherer) sind dynamisch
– Appraisal-Theorien erklären den Prozess,
wie ein Stimulus eine Emotion auslöst.
– Das Appraisal kann unbewusst bleiben und
kann sehr schnell und automatisch geschehen
• Appraisal ist feed forward
– Stimulus – Appraisal – Emotion – Reaktion
– Kein Platz für die Body Loop
• Karikaturen werden als witziger geratet von Teilnehmern,
die einen Stift zwischen den Zähnen halten sollen,
als von Teilnehmern, die ihn mit den Lippen halten.
Strack, Martin & Stepper, 1988
Dynamical systems approach
• Emotionen sind sowohl Ursache als auch Auswirkung von Appraisals
• Rekurrente Interaktionen (Rückkopplung, Schleifenbildung)
• Stabile emotionale Zustände resultieren von einem Wechselspiel
von verstärkenden Effekten und negativen Feedback-Schleifen
– “The basic emotional systems may act as ‘strange attractors’ within
widespread neural networks that exert a certain type of ‘neurogravitational’
force on many ongoing activities of the brain, from physiological to
cognitive.” (Panksepp, 1998)
Lewis, M.D.: Bridging emotion theory and neurobiology
through dynamic systems modeling.
Behavioral and Brain Sciences 28 (2005) 169–245.
• Periphere physiologische Erregung ist nur Output des Systems,
wird nicht in rekurrente Interaktionen einbezogen.
Somatic Marker Hypothese
(Damasio, 1991, 1996)
• Verhalten (besonders Entscheidungen)
wird durch kognitive und emotionale
Wikipedia
Prozesse gesteuert
• Emotionale Evaluierung über „Somatic Markers“
– Assoziationen von Stimuli und affektivem physiologischem Zustand
– Verarbeitung im ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPFC)
• Iowa Gambling Task
– Teilnehmer ziehen eine Karte von einem von vier Stapeln
• zwei sichere Stapel
regelmäßig kleine Gewinne
gelegentlich hohe Verluste
zwei riskante Stapel
regelmäßig hohe Gewinne
gelegentlich sehr hohe Verluste
– Gesunde Teilnehmer zeigen Stressreaktion (Hautleitwertreaktion)
wenn sie eine Karte von einem riskanten Stapel ziehen
– VMPFC-Patienten zeigen keine Stressreaktion und keinen Lerneffekt
The True Theory of Emotions
• Dynamical Systems Somatic Marker Theory
Systemkritik
• Kritisch zu sehen sind „Systeme“,
die die „ganze Emotion“ erklären
– Limbisches System
– ein vollständiger Satz von
gleichberechtigten
Elementaremotionen
• komplexere Emotionen werden gemischt
– Dimensionale Erfassung des emotionalen Raumes
• Emotionale Vorgänge verwenden elementare Module
 Mimik 
– hierarchische Struktur
• z. B. Sex-Modul aktiviert übergeordnetes Belohnungssystem
– keine Mischungen, sondern komplexe Interaktionen
– Forschung über einzelne Module
und über deren Vernetzung tut not
Furcht
Warum konzentriert LeDoux sich auf Furcht?
• Furcht ist allgegenwärtig
– keineswegs „erledigt“ mit Überwindung der Raubtiere
– beim Menschen: intellektuell begründete Existenzängste
• Furcht ist bedeutend in der Psychopathologie
– Phobien, Panikstörung, posttraumatische Belastungsstörung
• Furcht ist bei Mensch und Tier ähnlich
– Notwendigkeit zum Schutz vor gefährlichen Situation ist
universal, Reaktionsmöglichkeiten begrenzt:
• Rückzug, Regungslosigkeit, (defensive) Aggression, Unterwerfung.
Six degrees of separation
Small World Network
• Verhalten
– Furchtkonditionierung
• Neurobiologie
– Läsionsexperimente
– Tracer
Furchtkonditionierung
• unkonditionierter Stimulus (US)
– Pawlow: Fleisch
– z. B. Stromstoß (bei Ratten)
• konditionierter Stimulus (CS)
– Pawlow: Klingel
– z. B. Ton
• konditionierte Reaktion (UR/CR)
– Pawlow: Speichelbildung
– Furchtreaktion: Starre,
Herzschlag & Blutdruck ,
Piloreaktion, Stresshormone.
Lernen und Vergessen
• Die CS-US Koppelung wird schnell gelernt.
– eine einzige Koppelung kann ausreichen.
• Sie kann zwar gelöscht werden,
– wiederholte Darbietung von CS ohne US.
• aber sie wird nie vergessen.
– bei weiterer CS-US Koppelung:
• Ersparnis
– ohne weitere CS-US Koppelung:
•
•
•
•
spontane Erholung
Kontext (Erneuerung)
US o.ä. (Wiederherstellung)
Relevanz: Stabilität der Phobie
Unterschiedliche Gedächtnissysteme
• deklaratives, explizites
Gedächtnis
• prozedurales, implizites
Gedächtnis
• Gedächtnis an Emotionen
• emotionales Gedächtnis
• ein System
• viele Systeme
(Temporallappen, Hippocampus, ...)
(LeDoux: Furchtgedächtnis,
Amygdala)
• Claparède, 1911:
emotionales Gedächtnis bei einer Amnestikerin
• Graff, Squire, Mandler, 1984:
Erinnerung bei Amnestikern je nach Instruktion
Beteiligte Hirnstrukturen
•
Amygdala (Mandelkern), Substrukturen
– Amygdalaläsion:  keine Furchtkonditionierung
(bei Vögeln, Ratten, Kaninchen, Affen, Menschen...)
– Damasio (1995): Patientin mit Amygdalaläsion konnte
Emotionen von Gesichtern ablesen... außer Furcht!
•
•
•
•
allgemein: Basalganglien (emotionale Aktionen)
Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
Hippocampus (Kontext)
präfrontaler Kortex
(Bewertungen,  Sorge, Löschung)
• ...
Spuren zweier Gedächtnissysteme
• Infantile Amnesie
– Hippocampus reift langsam
– implizites Gedächtnis nicht betroffen
• Blitzlichterinnerungen
– Adrenalin verstärkt Erinnerung.
– Adrenalinblocker hebt emotionalen
Gedächtnisvorteil auf.
(möglicher Teil-) Schaltplan der Furcht
sensorischer
Kortex
Reiz
Hippocampus
Thalamus
Amygdala
Hypothalamus
CRF
Hypophyse
Noradrenalin
Medula
Locus
caeruleus
ACTH
Vagus
ANS
Nebennieren
mark
Nebennieren
rinde
Adrenalin
Corticoide
Alternativer Schaltplan
• Pessoa & Adolph (2011).
Emotion and the brain: multiple roads are better than one.
Nature Reviews Neuroscience 12, 425
– Der „Schaltplan“ von LeDoux bezieht sich auf das auditive System
– Pessoa & Adolph entwerfen einen Schaltplan für das visuelle System
– Rein „zentraler“ Schaltplan,
kein Bezug zum Körper
Was bleibt ...
... sind Gefühle