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Die moralische Ökonomie von
Riot und Revolte
Ein neuer sozialer Konflikt?
Forum Politische Bildung, 9. Januar 2012, IG Metall Bildungsstätte
Sprockhövel
Dr. Oliver Nachtwey
Lehrstuhl Wirtschaftssoziologie
Gliederung
1.
2.
3.
4.
Moralische Ökonomie und
Gesellschaftsvertrag – Was führt zu
Protesten?
Die Unruhen in Großbritannien
Der Wandel des demokratischen
Kapitalismus
Ein neuer sozialer Konflikt?
Dr. Oliver Nachtwey
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Was führt (nicht) zu Protesten?
Proteste sind die Ausnahme, nicht die
Regel (Moore, Piven/Cloward)
 Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten
führen nicht automatisch zu Protest

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GINI-Koeffizient OECD
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OECD Lohnquote
Theorien des Protest
Verletzung der moralischen Ökonomie
(Thompson)
 Moralisch nicht gerechtfertigte
Ungerechtigkeiten (Moore)
 Relative Deprivation (Gurr)

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Moralische Ökonomie und
Gesellschaftsvertrag

E.P. Thompson: Moralische Ökonomie Unterklassen
bestimmt, was auf dem Markt legitim ist und was nicht

Barrington Moore: Impliziter Gesellschaftsvertrag als
Reziprozitätsnorm zwischen Herrschern und
Beherrschten
Dr. Oliver Nachtwey
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Was führt zu Protesten und
Aufruhr?


1.
2.
3.
4.

Bruch der moralischen Ökonomie und der
Reziprozitätsnorm im impliziten Gesellschaftsvertrag
Erweiterte Deprivationstheorie:
Grad der relativen Deprivation
Vertrauensverlust in die Problemlösungsfähigkeit der bestehen Institutionen
Wirksamkeit des Handeln
Faktoren: Status, Bildung
„Zusammenbruch der regulativen Fähigkeiten
gesellschaftlicher Institutionen“ (Piven/Cloward)
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Die Unruhen in Großbritannien

Reaktionen der Politik:

Randalierer, Plünderer, Vandalen,
„Unterschichtsmob“
 Dysfunktionale Familien
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Soziale Mobilität
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UK Arbeitslosigkeit
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Gesellschaftliche Aspekte der
Stadtviertel mit Unruhen

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



Der Stadtteil, in dem die Krawalle ausbrachen, hat die höchste
Arbeitslosigkeit von London
Zahlreiche Jugendclubs wurden geschlossen, weil das Jungendbudget um
75% gekürzt wurde.
In London ist der Wohlstand der reichsten 10 Prozent der Bevölkerung 276
mal größer als der ärmsten 10 Prozent.
Durch Deindustrialisierung ist der Anteil des produzierenden Gewerbes auf
13% an der Wirtschaftsleistung gesunken. Die zwischenzeitlich
entstandenen Arbeitsplätze waren vor allem prekäre Teilzeit- und
Dienstleistungsjobs.
Fünfzig Prozente der Verhafteten sind unter 18 Jahre alt, die meisten noch
keine 23, davon die meisten arbeitslos.
Farbige in Großbritannien 26 mal häufiger von der Polizei kontrolliert als
Weiße. Seit 1998 sind mehr als 300 Menschen im Polizeigewahrsam
gestorben.
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Austerität und Restrukturierung



Bedeutende Veränderungen des Wohlfahrtsstaates und des
Arbeitsmarktes seit 1979
mit 94 Milliarden Euro das größte Kürzungsprogramm der
britischen Geschichte. Kein Industrieland spart mehr
(Öffentlicher Dienst, Wohlfahrtsleistungen, Streichungen,
Ausbildungsförderung für Kinder aus sozial schwachen Familien
gänzlich abgeschafft, Studiengebühren verdreifacht und
Zuwendungen für Jungendförderung und -integration in
sozialschwachen Quartieren massiv gekürzt.
Verschärfung der Workfare-Politik für junge Menschen
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„Anomische Aufstände“
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


Anomie (Durkheim, Merton): Vertrauen in soziale Normen, Regeln
und Institutionen schwindet, wenn gesellschaftliche Erwartungen
und kulturelle Ziele mit den verfügbaren Gelegenheiten und Mitteln
nicht mehr erreicht werden können.
Mitglieder einer Gesellschaft verinnerlichen kulturelle Ziele, die
allgemein als erstrebenswert angesehen werden.
Wenn es den Menschen an legitimen Möglichkeiten fehlt, diese
Ziele zu erreichen, würden sie entweder aufgeben, frustriert werden
oder: sie verfolgen ihre Ziele auf nicht-konforme, nicht-legitime
Weise.
Mangelnde soziale Kontrolle befördert Anomie
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Moralische
Ökonomie/Gesellschaftsvertrag in
Großbritannien
Fairness, Verantwortung, liberale
Meritokratie, Konsumteilhabe
 Die Moral der Oberklassen:

 Eton-Regierung
 Spesen-Skandal
des Parlaments
 Boni nach der Krise

David Harvey: Politische Ökonomie der
Massenenteignung
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Erklärungsversuche




Unruhen folgen einer "(a-)moralischen Ökonomie“, in
der man der eigenen Enteignung mit dem Mittel der
Plünderung begegnet.
Riots sind anomische Aufstände, sie folgen keinen
konventionellen, legitimen und demokratischen
Protestformen, beachten keine sozialen Regeln,
Normen und Ordnungen.
Abnorme Kämpfe um Teilhabe in einer Gesellschaft, in
die Moral von den Eliten beständig unterlaufen wird.
„Bargaining by riot“ (Hobsbawm)
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Eine neuer Protestzyklus, ein neuer
Typus des sozialen Konflikts?
Generalstreiks
 Studentenproteste
 Bewegung der Empörten/Indignados
 Occupy
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Neue soziale Bewegungen






Postmaterialismus, Cross-Class Coalitions
Kultur, Identität, Lebensweise statt Macht
(Themenbezogene) Demokratisierung der Demokratie,
pluralistische Agenda
Selbstbegrenzung: „Projekte in der Gesellschaft“ statt
„Gesellschaft als Projekt“ (Rucht 1999)
Herausforderungen für das „Immunsystem der
Gesellschaft“ (Luhmann)
These: NSB als Bewegungen des Spätkapitalismus
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Ein neuer Protesttyp?
 „Systemischer“ Protest

Politisierung des spätkapitalistischen
Klassenkompromisses


Habermas, Offe: Konflikt zwischen ökonomischer Ungleichheit
und demokratisch-republikanischer Gleichheit
Moralische Ökonomie/impliziter
Gesellschaftsvertrag
 (Soziale)
Staatsbürgerrechte, Mobilität, System- und
Sozialintegration, demokratische Mitbestimmung
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Demokratischer Kapitalismus

Spätkapitalistischer Staat



Institutionalisierter Klassenkompromiss




funktionale Notwendigkeit nichtkapitalistischer Strukturelemente –
zur Bestandserhaltung des Systems (Offe, Habermas)
Verrechtlichung und Verregelung
System- und Sozialintegration
Wohlfahrtsstaat
Regulierte Arbeitsmärkte
Institutionalisierte Gerechtigkeit



Unparteilichkeit und Fairness der Normen führt zu Legitimation
(z.B. Rawls, Dworkin)
Soziale Mobilität
Steuerstaat
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Liberal-Regressive
Modernisierung

Kapitalistische Landnahme (Dörre)
 Deregulierung
der Arbeitsmärkte
 Wirtschaftsliberale Reduzierung der sozialen
Staatsbürgerrechte

Postdemokratie
 Politik
der Sachzwänge
 Abbau der Bürgerrechte
 Schuldenkonflikte (Streeck)
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Gewerkschaften in der OECD
70
70
60
60
50
50
40
40
30
30
20
10
20
0
10
Australia
Chile
France
Hungary
Japan
Korea
Mexico
Poland
Turkey
United
States
Czech
Republic
Canada
Germany
Greece
Netherlands
New
Zealand
Portugal
Slovak
Republic
Switzerland
Wandel des Klassenkonflikts
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Varianten neuer Konflikte
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Neu Konflikte?
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