Angehörigenintegration in die Palliativversorgung

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Transcript Angehörigenintegration in die Palliativversorgung

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“
Palliative Care bei Menschen mit Demenz aus Sicht von
Angehörigen und Mitarbeitern
Stephan Kostrzewa
Institut für palliative und gerontopsychiatrische Interventionen
Mülheim an der Ruhr
[email protected]
Stephan Kostrzewa - Luxembourg 2012
Fragestellungen des Vortrags:
Was ist Palliative Care?
Wer sind die Angehörigen?
Was ist Demenz?
Welche Bedürfnisse haben Sterbende und
ihre Angehörigen?
Wie können Angehörige in Palliative Care
und Sterbebegleitung bei MmD integriert
werden?
Was ist Palliative Care?
 Hospizidee als Wurzel von Palliative Care
 Vom Tumorpatienten zum Menschen mit Demenz
 Palliative Care „erobert“ das Gesundheitssystem
 Laut WHO ist Palliative Care:
„Lindern eines weit fortgeschrittenen
Krankheitsgeschehens mit begrenzter Lebenserwartung.
Ziel von Palliative Care ist dabei die Lebensqualität zu
steigern und das Wohlbefinden zu fördern. Palliative Care
spricht den Betroffenen und seine Angehörigen als
gemeinsamen Adressaten an“
Welche Rolle hat Palliative Care bei Demenz?
 Palliative Care ist nicht nur „Sterbebegleitung“
 Palliative Care setzt mit der Diagnoseübermittlung ein
 Palliative Care hat den Betroffenen und dessen Angehörige als
gemeinsamen Adressaten im Blick
 Palliative Care begleitet durch alle Phasen der Demenz
 Palliative Care vermittelt Informationen, macht Demenz verstehbar
und verschafft Linderung bei verschiedenen Symptomen
 Palliative Care sieht den Betroffenen als ganzheitlichen Menschen
 Palliative Care ermutigt Angehörige, den Lebensweg des
Betroffenen bis zum Ende begleiten zu können
 Palliative Care bietet eine nachgehende Begleitung für
Angehörige an
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Der Angehörige – das unbekannte Wesen
Bevor Angehörige eine Pflegeleistung durch
Profis in Anspruch nehmen (z.B. ambulanter
Pflegedienst, Pflegeheim, Hospizdienst etc.),
haben sie meist schon eine lange Geschichte
mit dem zu Pflegenden…
Stephan Kostrzewa - Luxembourg 2012
Der Angehörige – das unbekannte Wesen
Wer pflegt?
 Der größte Pflegedienst ist die Familie
 Frauen (Töchter, Schwiegertöchter, Ehefrauen)
 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei pflegenden
Angehörigen
 Durchschnittsalter aller pflegenden Frauen = 55 Jahre,
Ehefrauen = 75 Jahre
 Oft in der Pflegerolle: Das „Schwarze Schaf“ der Familie
(Vorsicht: Vagabundierende Schuld!)
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Pflegedauer im häuslichen Bereich
 Die Pflegedauer nimmt immer weiter zu, unter anderem wegen der
guten medizinischen Versorgung:

1 - 3 Jahre Pflegedauer
= 14 %

3 - 10 Jahre Pflegedauer
= 49 %

10 - 20 Jahre Pflegedauer
= 18 %

über 20 Jahre Pflegedauer
= 9%
 (Bis Ende der 40er Jahre dauerte die häusliche Pflegesituation ca.
½ Jahr)
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Belastung der pflegenden Angehörigen zeigt sich in …

50% mehr Krankschreibungen

60% mehr Depressionen
als bei der nicht-pflegende Vergleichsbevölkerung
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Gründe für die Übernahme der Pflege von Angehörigen
Pro:
 Tradition, Familienmythos
 Versprechen, Vertrag oder Pflichtgefühl
 anerkannt werden, wenn man sich gegenüber den Geschwistern
benachteiligt fühlte
 Schuldgefühle wiedergutmachen
 Dankbarkeit, innere Verbundenheit, Mitleid
 Selbstbestätigung in selbstloser Nächstenliebe
 durch den Machtzuwachs eigene Minderwertigkeitsgefühle
bewältigen
 sich an dem Pflegebedürftigen rächen, denn aufopferungsvolle
Pflege beschämt den
 Pflegebedürftigen
 finanzielle Vorteile (Rente, Erbschaft, Pflegegeld)
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Gründe für die Ablehnung der Pflege von Angehörigen
Contra:
 zu kleine Wohnung
 Berufstätigkeit
 Krankheit (eigene, aber auch überfordert sein durch das
Krankheitsbild des Angehörigen)
 Resignation, die Pflege wird als sinnlos bewertet
 das Fehlen emotionaler Gratifikation (Dank)
 der zu Pflegende wird als unsympathisch empfunden
 Kinder und Partner halten die Pflege für unzumutbar
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Merkmale familiärer Pflege
Aus soziologischer Sicht lässt sich die häusliche Altenpflege wie folgt
charakterisieren:
 unvorbereitet in die Helferrolle
 Pflegende Ehefrauen sind selber alt und unterstützungsbedürftig
sind im Durchschnitt 75 Jahre alt),
(Ehefrauen
 erheblichen zeitlichen, physischen und psychischen Aufwendungen, neben
der alltäglichen Haus- und Familienarbeit,
 gesellschaftliche Isolation
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Merkmale familiärer Pflege
 Angehörige leisten Grund- und Behandlungspflege , die eigentlich einer
spezialisierten Fachausbildung bedürfen,
 die Pflege unter unzureichenden räumlichen und technischen Bedingungen
 völlige Vereinnahmung durch den pflegebedürftigen alten Menschen
 ständiger Sorge, ob sie den Anforderungen auf Dauer gewachsen sind
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Merkmale familiärer Pflege
 fehlende Entlastungen führt zu dauerhafter Überforderungssituation
 demenzieller Veränderungen lösen bisherige Rollenmuster auf (ElternKind),
 auf Dauer: Erschöpfung der Hilfemotivation - latente Gefahr der
Gewaltanwendung gegen den Pflegebedürftigen
 Wahrscheinlichkeit eigener Erkrankung durch die Überlastung,
 Beziehungen zu den übrigen Familienmitgliedern gerät in eine Krise
 Leistungen werden sozial und finanziell nicht honoriert
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Demenz – die „unheimliche“ Krankheit
Demenz:
macht Angst,
betrifft die ganze Familie,
Rollenmuster lösen sich auf,
führt zu Rückzug und Isolation,
ist unverständlich
überfordert
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„…und jetzt stirbt Mutti auch noch!“
• Für viele Angehörige ist das eigentliche Sterben nur der
Schlussakt eines mehrjährigen Sterbeprozesses
(insbesondere bei Demenz)
• Viele Angehörige werden von ihrem schweren Los durch den
„Tod“ des zu Pflegenden erlöst – was aber nicht gewünscht
werden darf
• Viele „soziale Hypotheken“ brechen im Angesicht des Todes
auf
• Schulderleben führt häufig zu unrealistischen Forderungen
an das Team (Pflegedienst/ Pflegeheim) und den Hausarzt
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Die Bedürfnisse des Sterbende:
Abhängig vom Grad der Demenz:
Schmerzfreiheit/ Nicht lange leiden müssen
Nicht unbedingt kontinuierlich begleitet zu werden
Nicht von irgendjemand begleitet zu werden
Der Kontakt für die Begleitung geht vom Betroffenen aus
Kontrolle behalten – nicht fremdbestimmt sein
Sozial integriert sein
Gute Wohnverhältnisse (Intimität)
Kommunikation über das Sterben
Mit fortschreitender Demenz ändert sich das Erleben von Sterben (Leben
und Sterben im ewigen Augenblick)
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Bedürfnisse der Angehörigen
(A. Heller/ S. Pleschberger 1998)
 Sie wollen über das Sterben sprechen
 Trotz Überforderung möchten sie beim Sterben anwesend sein
 Ihre Erfahrungen sollen mehr von den Ärzten und Pflegekräften
genutzt werden (auch Angehörige sind Experten!)
 Infos über das Ableben anderer Bewohner/innen
 Bedürfnis nach optimaler Betreuung
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Mögliche Strategien für eine Angehörigenintegration:
 Früh einsetzende strukturierte Angehörigenarbeit (z.B. Konzepte
erläutern – z.B. Demenzbetreuung)
 Demenz und ihre Phänomene erläutern (z.B. Agnosie)
 Sorgen der Angehörigen gezielt erfragen, Schulderleben erheben –
Verständnis für die Sichtweise der Angehörigen entwickeln
 Angehörige als Patienten 2. Ordnung sehen
 Angehörigen als Trauernden sehen
 Die Leistungen der Einrichtungen realistisch aufzeigen
 Charakter der Einrichtung auch als Ort des Sterbens benennen
 Hauseigene Angehörigenselbsthilfegruppe gründen
 Bezugspflegekraft für den Angehörigen
 Externe Selbsthilfegruppen vermitteln, z.B. Gruppen von
Angehörigen von Menschen mit Demenz
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Wie können nun Angehörige in die Palliativversorgung
und Sterbebegleitung integriert werden?
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Palliativkonzept vorstellen („Zeigen Sie auf, dass noch viel getan
werden kann – aber nicht muss“)
Nach ca. 4 – 6 Wochen ein Gesprächsangebot mithilfe eines
Gesprächsleitfadens zum Lebensende
Aufzeigen, wo Angehörige in die Sterbebegleitung und
Palliativversorgung einbezogen werden können (z.B. Spezielle
Mundpflege, Gestaltung der gemeinsamen Zeit etc.)
Angehörige als integraler Bestandteil der palliativen und ethischen
Fallarbeit begreifen
Regelmäßige Angehörigenabende zur Palliativ- und Hospizarbeit
Informationsmaterial zu einzelnen Symptomen (z.B. Umgang mit
Verweigerung von Flüssigkeit und Nahrung; Umgang mit dem
Todesrasseln) anbieten
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Angehörigenintegration in die Sterbebegleitung
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Immer wieder den Unterstützungsbedarf aktuell erfragen
Angehörige und Hospizhelfer zusammenbringen
Konkrete palliative Maßnahmen erläutern und anleiten
Aktiv einbeziehen in das Schmerzmanagement
Sicht der Angehörigen auf den Menschen mit Demenz nutzen
Den Bedarf des Sterbenden nicht aus den Augen verlieren (in
seltenen Fällen müssen Sterbende vor ihren Angehörigen geschützt
werden)
Deutlich machen, dass viele Sterbende dann versterben, wenn sie
allein sind – daher immer wieder „Zeitinseln“ anbieten
Nachgehende Angebote zur Unterstützung anbieten (z.B. externe
Trauergruppen oder eigene Gedenktreffen anbieten)
Ehemalige Angehörige eventuell als zukünftige Ehrenamtliche sehen
Stephan Kostrzewa - Luxembourg 2012
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
[email protected]
Institut für palliative
und
gerontopsychiatrische
Interventionen
45468 Mülheim an der Ruhr,
Wallstraße 4
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