organisierte Suizidhilfe: Was soll die Politik jetzt regeln?

Download Report

Transcript organisierte Suizidhilfe: Was soll die Politik jetzt regeln?

Selbstbestimmung – Palliative Care –
organisierte Suizidhilfe:
Was soll die Politik jetzt regeln?
Eine knappe Einführung aus theologisch-ethischer Sicht
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
1
Selbstbestimmung – Palliative Care – organisierte Suizidhilfe:
Was soll die Politik jetzt regeln?
(1) Worum es geht:
Vordergründiges und Hintergründiges
(2) Selbstbestimmung:
„der Macht der eigenen Entscheidung überlassen“
(3) Palliative Care:
„Schutzmantel“ schwerstkranker und sterbender Menschen
(4) Organisierte Suizidbeihilfe:
der erwartungsvolle Sog des ‚Normalisierten‘
(5) Was soll die Politik jetzt tun?
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
2
(1) Worum es geht:
Vordergründiges und Hintergründiges
 eigentümlich paradoxe Aufgabe:
 einerseits:
Sondierung eines komplexen Themenfeld
 andererseits:
Erläuterungen von Begriffen (mit Signalwirkung),
die manchmal eher verdecken, um was es eigentlich geht
 Vordergründiges
(beachte: nicht Unwichtiges!)





Selbstbestimmung
Palliative Care
Organisierte Suizidbeihilfe
ärztlich assistierter Suizid
Tötung auf Verlangen
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
3
(1) Worum es geht:
Vordergründiges und Hintergründiges
 Hintergründiges
(= worum es eigentlich gehen müsste)

Ängste:
• vor Selbstläufertum einer anonymen Apparatemedizin
• vor Verlust der Selbstkontrolle
• vor Entscheidungen anderer
• vor gravierendem Verlust der Lebensqualität unter besonders
erschwerten Bedingungen (des Alters, von Krankheit, von
Behinderung)
 Sehnsüchte:
• an einem vertrauten Ort sterben
• unerledigte Dinge tun
• mit vertrauten Menschen zu kommunizieren
• unzumutbare Belastungen von Angehörigen vermeiden
• ohne unerträgliche körperliche oder seelische Schmerzen
den eigenen Tod sterben
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
4
(2) Selbstbestimmung:
„der Macht der eigenen Entscheidung überlassen“
 „Selbstbestimmung“
 Signalwort des Selbstverständnisses ‚moderner‘ Menschen
 Ausdruck und Konsequenz menschlicher Würde
• ‚Um-seiner-selbst-willen-Dasein‘
• niemals bloßes Instrument eines fremden Willens
 Autonomie gegen Heteronomie:
„Ich selbst entscheide in höchst persönlichen Fragen und über den
‚roten Faden‘ meiner Lebensführung‘“
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
5
(2) Selbstbestimmung:
„der Macht der eigenen Entscheidung überlassen“
 Opposition zum christlichen Menschenbild?
 oftmals behauptet (und kirchlich praktiziert)
 im Kern aber falsch:
Freiheit des Menschen als Ausdruck Gottes Schöpferwillens
• „Er hat am Anfang den Menschen erschaffen und ihn der Macht der
eigenen Entscheidung überlassen“ (Sir 14,15)
• „Die wahre Freiheit aber ist ein erhabenes Kennzeichen des Bildes
Gottes im Menschen: Gott wollte nämlich den Menschen ‚in der Hand
seines Entschlusses lassen‘ (…). Die Würde des Menschen verlangt
daher, dass er in bewußter und freier Wahl handle, das heißt
personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem
inneren Drang oder unter bloßem äußeren Zwang.“ (GS 17)
 Theonome Autonomie
(= Gott gewollte Autonomie des Menschen)
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
6
(2) Selbstbestimmung:
„der Macht der eigenen Entscheidung überlassen“
 Warnung vor Missverständnisse:
Autonomie
 nicht
• Beliebigkeit (‚anything goes‘)
• Bindungslosigkeit (Autarkie)
 sondern
„selbstgestaltete und selbstverantwortete Lebensführung inmitten jener
Beziehungen zu anderen, in denen jeder Mensch als Individuum und
Person überhaupt erst selbst werden kann“ (ZdK)
 Konsequenzen der Selbstentscheide müssen verantwortet werden
können
• vor sich selbst
• vor anderen
• vor Gott
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
7
(3) Palliative Care:
„Schutzmantel“ schwerstkranker und sterbender Menschen
 Ambivalente Assoziationen
„Pallium“
 (schamvolles) Bemänteln: Vertuschen, Verschweigen, Verbergen
 sorgenvolles Ummänteln: Umsorgen, Behüten, Abschirmen
 „Schutzmantelmadonna“
 Care, nicht cure
(= Sorgen, nicht (mehr) kurieren)
 „Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren
Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer
lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen“ (WHO 2002)
 Cecil Saunders Def. Tumorschmerz (1967)
„somato-psyscho-sozio-spirituelles Phänomen“
 Umfassende ‚Schmerztherapie‘
• Medizin, Pflege, Soziale Arbeit, Spiritualität/Seelsorge
• Präterminal (= prophylaktisch), terminal, final
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
8
(3) Palliative Care:
„Schutzmantel“ schwerstkranker und sterbender Menschen
 Gewährleistung der „Letztverlässlichkeit“
 verlässlich organisiert
 strukturell abgesichert am Ort und in der Fläche
 auskömmlich finanziert
 Palliative care als besondere Form
organisierter Sterbehilfe
 Weil: Hilfe im Sterben,
bis hin zur indirekt aktiven Sterbehilfe dann, wenn durch palliative
Interventionen finaler Sterbeprozess beschleunigt wird
 Beachte: nicht Hilfe zum Sterben!
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
9
(4) Organisierte Suizidbeihilfe:
der erwartungsvolle Sog des ‚Normalisierten‘
 Organisierte Suizidbeihilfe




Hilfe zum Sterben (= auslösende Sterbehilfe)
Angebote werden auf Dauer vorgehalten
gemeinnützig oder gewerbsmäßig
als Einzelperson/en oder Vereine verlässlich organisiert
 Spezifische oder sogar notwendige Form der
„Letztverlässlichkeit“ zum Vollzug der Selbstbestimmung?
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
10
(4) Organisierte Suizidbeihilfe:
der erwartungsvolle Sog des ‚Normalisierten‘
 Faktisch:
 möglicherweise:
Vollzugsinstrument der Selbstbestimmung einiger (Weniger)
 sicherlich:
Gefährdung der Selbstbestimmung vieler
 Begründung
 Entscheidung über Inanspruchnahme zwar immer ein gewissenhafter
Selbstentscheid der Betroffenen
 Jeder Selbstentscheid aber immer eingebunden in ein
gesamtgesellschaftliches Klima
 Zulassen organisierter Formen der Suizidbeihilfe stiftet
• Anschein der Normalität
• Erwartungshaltung auf rechtzeitige „Selbstentsorgung“
 Besondere Legitimationspflicht auf Seiten derer,
die nicht Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
11
(5) Was soll die Politik jetzt tun?
 wird die anschließende Podiumsdiskussion erkunden
 Politik
 Gestaltung des öffentlichen Raumes
 mit (zum Teil) erheblichen Auswirkungen
für die höchstpersönliche Lebensführung im Privaten
 Christliche Option:
Gestaltung aus der Perspektive der schwächsten Gruppe
 starke ‚Geschwächte‘ im Sterben
 ohnmächtig ‚Geschwächte‘ im Sterben
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
12