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Grundzüge des Rechts
An Introduction to Law
Verhältnismässigkeit,
Treu und Glauben
Proportionality and Good Faith
Gérard Hertig (ETH Zurich)
www.hertig.ethz.ch
Herbst 2014
‚Skript‘: Tschentscher/Lienhard 81-83, 132-3, 150, 198-9
Inhaltsverzeichnis
Course Outline
1. Zusammenfassungen
2. Grundsatz der Verhältnismässigkeit
3. Grundsatz des Vertrauensschutzes
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Zusammenfassung
Gesetzmässigkeit Rechtsgleichheit, öffentliches Interesse
• Gesetzmässigkeit
– Rechtsstaatliche und demokratische Funktion
– Unbestimmtheit, Gesetzdelegation und Ermessen
• Rechtsgleichheit
– Gleiches gleich, ungleiches ungleich behandeln
– Praxisänderung und Gleichbehandlung in Unrecht
• Öffentliches Interesse
– Fall zu Fall bestimmt
– Materieller sowie ideeller Natur
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Art. 5 Bundesverfassung
Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns
1. Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das
Recht.
2. Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen
und verhältnismässig sein.
3. Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und
Glauben.
4. Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
1. Verhältnismässigkeit / Proportionality Principle
• Maßnahmen → öffentliches Interesse
+
Administrative measures
– Geeignet ≈ Zwecktauglich / Adequacy
– Erforderlich ≈ Notwendig / Necessity
– Zumutbar = Vernünftiges Verhältnis Ziel / Privatbelastung
Reasonable public benefits – private costs ratio
• Sämtliche Bereiche des öffentlichen Rechts (wie Gesetzmäßigkeit)
All domains of public law
– Rechtsetzung sowie Rechtsanwendung (Fall 1)
Lawmaking as well as executive implementation
– Eingriffs- sowie Leistungsverwaltung
Restrictive as well as promotional interventions
– Zentrale sowie dezentralisierte Verwaltung
Centralized and decentralized administration
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 1 Verordnungen (siehe BGE 140 II 194 - 2014)
• Das Bundesgericht kann unselbstständige Bundesratsverordnungen auf ihre
Verfassungsmässigkeit überprüfen, sofern die beanstandete Regelung nicht
bereits eine im Bundesgesetz angelegte Verfassungswidrigkeit übernimmt. Dies
gilt nicht nur für die abstrakte, sondern auch für die konkrete Normenkontrolle.
• Dabei kann es namentlich prüfen, ob sich eine Verordnungsbestimmung auf
ernsthafte Gründe stützt oder Art. 9 BV widerspricht, weil sie sinn- oder
zwecklos ist, rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund
in den tatsächlichen Verhältnissen fehlt, oder Unterscheidungen unterlässt, die
richtigerweise hätten getroffen werden sollen.
• Für die Zweckmässigkeit der angeordneten Massnahme trägt der Bundesrat die
Verantwortung; es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, sich zu deren
wirtschaftlicher oder politischer Sachgerechtigkeit zu äussern .
• Die Bundesratsverordnungen unterliegen also in keinem Fall einer
Angemessenheitskontrolle. Hingegen kann das Bundesgericht einer Bestimmung
im konkreten Fall die Anwendung versagen, wenn sie im Widerspruch zum
Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss Art. 5 Abs. 2 BV steht.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 2-1 EMRK (siehe BGE 139 I 16)
• X. (geb. 1987) stammt aus Mazedonien. Er reiste im
November 1994 im Rahmen eines Familiennachzugs in die
Schweiz ein, wo er in der Folge über eine
Niederlassungsbewilligung verfügte.
• Am 18. Juni 2010 wurde er wegen qualifizierter
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer
bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 18 Monaten
verurteilt.
• Das Migrationsamt des Kantons Thurgau widerrief am 30.
März 2011 die Niederlassungsbewilligung von X. und wies
ihn aus der Schweiz weg.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 2-2 EMRK (siehe BGE 139 I 16)
• Nach Art. 63 AuG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen
werden. Die Massnahme muss - wie jedes staatliche Handeln verhältnismässig sein.
• Zur Beurteilung der Frage, ob dies der Fall ist, sind namentlich die
Schwere des Delikts und des Verschuldens des Betroffenen, der seit
der Tat vergangene Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während
diesem, der Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen
Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile
zu berücksichtigen.
• Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich schon seit
langer Zeit hier aufhält, soll zwar nur mit besonderer Zurückhaltung
widerrufen werden, doch ist dies bei wiederholter bzw. schwerer
Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn er hier geboren
ist und sein ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 2-3 EMRK (siehe BGE 139 I 16 - 2013)
• Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK (Schutz des Privat- und
Familienlebens) sind im Rahmen der Beurteilung der
Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Massnahmen bei
Ausländern der zweiten Generation die gleichen Elemente
ausschlaggebend wie nach der bundesgerichtlichen Praxis
• Nach der Praxis des EGMR überwiegt bei
Betäubungsmitteldelikten (ohne Konsum) regelmässig das
öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts, falls
keine besonderen persönlichen oder familiären Bindungen im
Aufenthaltsstaat bestehen
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 2-4 EMRK (siehe BGE 139 I 16)
• Unter Berücksichtigung der EGMR Rechtsprechung hat der vorliegende
Widerruf der Niederlassungsbewilligung als unverhältnismässig zu gelten
• X. ist zwar zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt
worden; er hat als Drogenkurier fungiert und über sein Beziehungsnetz
zum Handel beigetragen, ohne sich in einer Notlage befunden zu haben
oder selber abhängig gewesen zu sein.
• Zu seinen Gunsten ist jedoch zu berücksichtigen, dass er seit seinem 7.
Altersjahr in der Schweiz lebt, hier die Schulen besucht hat und sich
hernach im Land als Maler anlernen liess.
• Zurzeit der Tat war X. 19 Jahre alt, ohne dass er zuvor oder danach je
anderweitig straffällig geworden wäre. X. war nicht der Haupttäter und
hat sich am Transport und Handel aus jugendlichem Leichtsinn naiv und
kritiklos beteiligt. Trotz des beträchtlichen Werts des Heroins, hat er keine
nennenswerten finanziellen Vorteile forderte oder erlangte.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
a. Eignung der Massnahmen / Adequacy
• Zwecktauglichkeit / Aims at objective
– Ja: Massnahme erlaubt das Erreichen des Zieles
Yes: Measure permits to reach objective
– Nein: Massnahme schiesst am Ziel vorbei
No: Measure does not permit to reach objective
– Nein: Massnahme erschwert das erreichen des Zieles
No: Measure makes it more difficult to reach objective
Beispiele:   
• Verhalten des Betroffenen / Adressee‘s behavior
– Kooperation wird erwartet / Cooperation is expected (Fall 3)
– Resistenz als Beweis der Tauglichkeit oder Untauglichkeit?
Opposition as evidence of adequacy or inadequacy?
Beispiel:
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Verlängerung der Durchsetzungshaft in einem Ausweisungsverfahren
(Migrationsamt Basel)
(↑ Zweck der Haft: Änderung des Verhaltens von jemand der sein
Heimatland nicht beweisen will obwohl er es könnte)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Beispiele: Zwecktauglichkeit
• Beispiel 1 : Gastwirtschaftspatent (Zürich)
Wird nicht erteilt weil Missverhältnis Mietzins  Erwartete Rendite
(↓ Kein Zusammenhang mit Gewähr ordentliche
Wirtschaftsführung)
• Beispiel 2 : Heliports (Bern)
Beschränkung der Einsatzgebieten aus Lärmschutz-gründen
(↓ Kürzere Anflugwege aber keine Exklusivität = keine effektive
Lärmbekämpfung)
• Beispiel 3 : Parkverbote
Werden durch die Polizei nicht durchgesetzt
(↓ Freihaltung von Verkehrsfläche wird nicht erreicht =
ungeeignete Beschränkung)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 3: Vormundschaft (siehe BGE 5A_13/2009)
Unter Vormundschaft gehört eine mündige Person, die infolge Geisteskrankheit oder
Geistesschwäche ihre Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, zu ihrem Schutze
dauernd des Beistandes/der Fürsorge bedarf oder die Sicherheit anderer gefährdet.
Die Verhältnismässigkeit der vormundschaftlichen Massnahme kann nur in Würdigung
der gesamten Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilt werden.
Laut dem Gutachten nehme B. ihre Einschränkungen nicht selbst wahr. Sie sei der
Ansicht, dass sie keine Hilfe und Pflege brauche und alleinstehend wohnen könne. Die
geplante Unterbringung in einem Heim lehne sie ab.
Alle Arten der Beistandschaften seien nicht geeignet, zumal diese ein Mindestmass an
Kooperationsbereitschaft voraussetzten, die gemäss Gutachten fehle. Nur mit der
Anordnung der Vormundschaft könne das bestehende Wohnproblem gelöst werden,
da der Vormund die Möglichkeit habe, eine adäquate Platzierung zu organisieren.
Entscheidend sei somit, dass der Vormund - im Gegensatz zu einem Beistand nötigenfalls auch gegen den Willen der Beschwerdeführerin für diese handeln,
Handlungen verbieten, bzw. deren Genehmigung verweigern könne, wenn B. ihre
Zusammenarbeit unterlassen sollte, womit wegen der zu erwartenden
Krankheitsuneinsicht zu rechnen sei.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
b) Erforderlichkeit der Massnahmen / Necessity
• Sachlich: rechtmässiger Zustand kann nicht anders erreicht werden
Material: lawful result cannot be achieved in another way
• Räumlich: adäquate Beschränkung der Gebiete
Territorial: adequate domain delineation
• Zeitlich: dauert nicht länger als notwendig
Temporal: does not last longer than necessary
• Persönlich: es betrifft nicht mehr Personen als notwendig
Personal: no more people are affected than necessary
• Adressaten und Kosten der Massnahmen
Addressees and costs
– Störer (polizeiliche Massnahmen), diejenige die Anlass geben
Perpetrator (police intervention), originators
– Verursacher Prinzip (Umweltschutz) / Causation principle (Environment)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Beispiele: Sachliche Erforderlichkeit
• Beispiel 1: Verkauf von Brillen (Basel)
Verweigerung der Bewilligung da kein Augenoptik-Meisterdiplom
(↓ Heute genügt für den blossen Verkauf von Brillen ein
Fähigkeitszeugnis)
• Beispiel 2: Belieferung von Arzneimitteln aus D (Thurgau)
CH Firma muss CH Lager benützen (↓ CH Behörde können
grenznahe D-Lager ohne grossen Aufwand kontrollieren)
• Beispiel 3: Demonstration
Wird aus Ordnung und Sicherheitsgründen verboten
(↓ Auflagen betreffend Marschroute und Zeit würden genügen)
• Beispiel 4: Lotterie (Zürich)
Monopolisierung (↓ ↑ Spielsuchtprävention kann auch durch
Bewilligungspflicht erreicht werden)
• Fall 4 : Wasserpfeifen (Bern)
• Fall 5 : Zwangsmedikation (Zug)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 4: Wasserpfeifen (siehe BGE 136 I 91 – 2009)
•
Im Kanton Bern ist das Rauchen in öffentlich zugänglichen Innenräumen von
Betrieben verboten, die eine Betriebs- oder Einzelbewilligung gemäss
Gastgewerbegesetz benötigen
•
Frau A. bietet im Rahmen einer klassischen Barkultur ein ausgewähltes Angebot an
alkoholischen und alkoholfreien Getränken, das durch Wasserpfeifen (Shisha) in
verschiedenen Aromen ergänzt wird.
•
Sie macht geltend, die Gesetzesordnung führe bei ihr zu einem Betriebsverbot, weil
der Konsum von Wasserpfeifen unverzichtbarer Bestandteil ihres Angebotes
darstelle.
•
Frau A. stellt die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung für das Rauchen
klassischer Tabakwaren wie Zigaretten, Pfeifen oder Zigarren ausdrücklich nicht in
Frage.
•
Eine andere Einschätzung bei Wasserpfeifen erscheint nur zulässig, wenn sich das
Rauchen bzw. die Auswirkungen des Passivrauchens von solchen maßgeblich von
klassischen Tabakwaren unterscheiden würden. Unterschiedliche Rauchertechniken
für sich allein begründen allerdings keine erhebliche Differenz.
•
Das Rauchen von Wasserpfeifen in Fachkreisen ist genauso schädlich wie dasjenige
anderer Raucherwaren. Der Gesetzgeber ist daher nicht verpflichtet, eine
Sonderlösung für Gaststätten mit einem Angebot von Wasserpfeifen zu treffen.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 5-1: Zwangsmedikation (siehe BGE 130 I 16 –
2004)
•
•
•
•
•
•
•
•
Gemäss ärztlicher Beurteilung leidet Frau X. seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie und ist
mehrmals hospitalisiert worden.
Wegen aktuell schwerwiegender Störung des Zusammenlebens wurde X. am 22. August und 29.
September 2003 zwangsmediziert.
Das Verwaltungsgerichts bezeichnete die Zwangsmedikation als notwendig und angemessen, um
einer unmittelbaren und schweren Gefährdung des Lebens/Gesundheit der Betroffenen oder
Dritter zu begegnen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und hebt den angefochtenen Entscheid auf.
Aufgrund der ärztlichen Berichte kann davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin
tatsächlich gut auf die Medikation anspricht, dass sich ihr Zustand beruhigt hat und dass die
Injektionen des Depotmedikaments zu längeren Phasen der Stabilisierung geführt haben.
Erschwerend fällt umgekehrt ins Gewicht, dass es sich bei der umstrittenen Medikation nicht (mehr)
um eine dringliche und unmittelbar unerlässliche Intervention handelt, um das Leben der
Beschwerdeführerin zu erhalten oder eine unmittelbare Gefahr einer schweren
Gesundheitsschädigung abzuwenden. Die Medikation hat vielmehr die Bedeutung einer eigentlichen
und auf eine gewisse Dauer angelegten Therapie und Heilbehandlung.
Frau X. beschwert sich über nachhaltige Nebenwirkungen der Neuroleptika-Behandlung wie
insbesondere starkes Augenbrennen und Mundtrockenheit. Zu diesen Nebenfolgen der Behandlung
äussert sich das angefochtene Urteil indessen kaum. Es wird lediglich ausgeführt, dass sie
unangenehm und schmerzhaft seien und ihnen mit weiteren Medikamenten begegnet werden
könne―wobei sich das Urteil über Auswirkungen und allfällig positive Resultate der entsprechenden
Sekundärmedikation nicht ausspricht.
Gesamthaft lässt sich somit die konkrete Schwere der Zwangsmassnahme - über den jeder
zwangsweisen Behandlung anhaftenden Eingriff hinaus - nicht hinreichend entnehmen.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 5-2: Zwangsmedikation
•
Unter dem Gesichtswinkel der Verhältnismässigkeit ist weiter zu prüfen, welche Auswirkungen eine NichtBehandlung hätte, welche Ersatzmassnahmen diesfalls erforderlich wären und wie sich diese im Vergleich zur
Schwere der Zwangsmedikation auf die persönliche Freiheit auswirken.
•
In dieser Hinsicht wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, ein Unterbruch der Behandlung und das damit
verbundene Absinken des Risperdal-Spiegels - etwa in Folge des unerlaubten Entfernens aus der Klinik - führten zu
akuten psychotischen Zuständen, zu psychotischer Dekompensation, zur ganzen Palette von Verhaltensmustern
bei paranoider Schizophrenie und zu einem psychotisch paranoid angetriebenen, beleidigenden, distanzlosen,
parathymen, nicht-absprachefähigen sowie verwahrlosten Zustand.
•
Es wird jedoch nicht konkret dargetan, dass im Falle des Absetzens der Medikation ernsthaft mit einer physischen
Gesundheits- oder Lebensgefährdung zu rechnen wäre. Nur vage wird angetönt, dass eine Verschlechterung des
momentanen Zustandes eine erfolgreiche Medikation möglicherweise in der Zukunft erschweren oder gar
verunmöglichen könnte.
•
Es wird kaum in Rechnung gestellt, dass die Beschwerdeführerin trotz ihres psychotischen Zustandes im Sommer
2003 freiwillig in die Klinik eingetreten und nach ihrer unerlaubten Entfernung aus der Klinik wieder aus eigenem
Antrieb zurückgekehrt ist. Gesamthaft gesehen ist demnach eine konkrete Gewichtung der Schwere des Zustandes,
in dem sich die Beschwerdeführerin befindet, sowie der ernsthaften Gesundheitsgefährdung im Falle des
Absetzens der Medikation nicht möglich.
•
In dieser Hinsicht weist die Beschwerdeführerin auf die vorerst freiwillige Einnahme der Medikamente hin und
macht geltend, dass sie sich nicht gegen jegliche und insbesondere nicht gegen schwächere Neuroleptika zur Wehr
setzt, vielmehr lediglich die starken, ihr verabreichten Medikamente (mit den erwähnten Nebenfolgen) ablehnt.
Eine derartige alternative Behandlungsmethode wird im angefochtenen Entscheid nicht näher geprüft. Auch
anderweitige Alternativen werden nicht diskutiert und in Betracht gezogen. Schliesslich können alternative
Methoden mit sog. pflegerischen Zwangsmassnahmen kombiniert werden.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Beispiele: Räumliche / Zeitliche Erforderlichkeit
•
Beispiel 1: Naturschutz Eigental (Zürich)
Verbot anderer als landwirtschaftliche Gebäude
(↑ harmonische + ansprechende Landschaft, kein Kanalisationsnetz)
•
Beispiel 2: Uferweg (Zug)
Bau eines Uferwegs entlang eines Sees
(↑ Einzelne Stichwege genügen nicht um Zugang zu verwirklichen)
•
Beispiel 3 : Bahnhof (Basel)
Aufnahme des Badischen Bahnhofs ins Denkmalverzeichnis
(↓ Nur Schutz des Gebäuderäussere wenn das Innere nicht schutzwürdig ist)
•
Beispiel 3: Anwalt (Bern)
Patententziehung (↓ Befristete Einstellung im Beruf kann ein
standesgemässes Verhalten bewirken)
•
Beispiel 4: Tanzveranstaltung (Appenzell IR)
Verbot während der gesamten Advents- und Fastenzeit (↓ Kein Bedürfnis der
Bevölkerung nach Ruhe und Besinnung während dieser ganzen Zeit)
•
Beispiel 5: Ausschaffungshaft (Zug)
6 Monate Verlängerung (↓ 3 Monate sollten für die Beschaffung der
notwendigen Papiere genügen)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Beispiele Persönliche Erforderlichkeit
• Beispiel 1: Film (Zürich)
Verbot der Vorführung (↓ Altersgrenze genügt)
• Beispiel
2:
Bergführer
(Graubünden)
Dienstverweigerung
schliesst
Zulassung
zu
Bergführerkurs aus (↓ Nicht wegen körperlichem oder
geistigem Gebrechen vom Militärdienst befreit)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
c) Zumutbarkeit der Massnahmen
Impact Justified by Objective
Vernünftiges Verhältnis Ziel – Eingriff → Öffentliches Interesse
überwiegt private Interessen
Reasonable relation objective – invasiveness → Public interest dominates private
interest
• Beispiel 1: Zonenplan (Zürich)
Verkleinerung des ausserdimensionierten Bauzone
(↓ Ausmass und konkrete Lage der Parzellen sprechen gegen Auszonung)
• Beispiel 2: Naturschutz Eigental
Allgemeines Bauverbot
(↓ Rand der Schutzzone + überbaute Grundstücke daneben)
• Beispiel 3: Gleichgeschlechtlich CH/Nicht CH Partnerschaft
Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung
(↑ Partnerinnen können ihre Beziehung ausserhalb der Schweiz führen)
• Beispiel 4: Invalidenversicherung (Zürich)
Kein Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen
(↓ Oberschenkel-Prothese erlaubt berufliche Tätigkeit in gewohnter Weise)
• Fall 6: Anstellungschancen (Basel-Land)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 6: Anstellungschancen (siehe BGE 9C_610/2007)
•
Die IV-Stelle Basel-Landschaft lehnte den Anspruch des zuletzt in seinem erlernten Beruf
selbstständig tätigen Schuhmachers C. (1948), auf eine Invalidenrente mangels eines
leistungsbegründenden Invaliditätsgrades ab.
•
Für die Invaliditätsbemessung ist nicht darauf abzustellen, ob ein Invalider unter den
konkreten Arbeitsmarktverhältnissen vermittelt werden kann, sondern einzig darauf, ob er
die ihm verbliebene Arbeitskraft noch wirtschaftlich nutzen könnte, wenn die verfügbaren
Arbeitsplätze dem Angebot an Arbeitskräften entsprechen würden.
Das fortgeschrittene Alter kann, zusammen mit weiteren persönlichen und beruflichen
Gegebenheiten dazu führen kann, dass die verbliebene Resterwerbsfähigkeit auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nicht mehr nachgefragt wird.
Hier kann von einem erheblichen fehlenden Zugang des C. zum Arbeitsmarkt nicht
gesprochen werden. Er war im massgebenden Zeitpunkt 57 Jahre alt. Daher war er zwar
nicht leicht vermittelbar; doch bestanden auch für ihn auf dem Arbeitsmarkt intakte
Anstellungschancen.
Einerseits werden Hilfsarbeiten altersunabhängig nachgefragt ; anderseits und vor allem ist
C. nach wie vor im Rahmen eines angepassten Vollpensums arbeitsfähig. Die ihm
offenstehenden zumutbaren Tätigkeiten unterliegen keineswegs so vielen Einschränkungen,
dass eine Anstellung nicht mehr als realistisch zu bezeichnen wäre.
•
•
•
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
2. Vertrauensschutz / Protecting Good Faith
a)Loyales und vertrauenswürdiges Verhalten
Loyal and trustworthy behavior
– Berechtigtes Vertrauen in behördliche Zusicherungen
Justified reliance upon administrative assurances
– Verbot von widersprüchlichem Verhalten sowie
Rechtsmissbrauch
Contradictory and abusive behavior is prohibited
b) Voraussetzungen
Preconditions
– Verhalten von staatlichem Organ löst Erwartungen aus
Behavior by state agent creates expectations
– Kenntnis davon / Behavior is known
– Tätigkeit / Activity is undertaken
– Öffentliches Interesse steht nicht dagegen
No public interest objections
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
a) Vertrauenstatbestand / Reliance framework
• Potential aller Staatsgewalten
All state act
• Rechtsanwendungsakte / Implementation activity
– Verfügungen und Entscheide / Decisions and judgments
– Verwaltungsrechtliche Verträge / Administrative contracts
– Verwaltungs- und Gerichtspraxis
Administrative and judicial practice
• Rechtssetzungsakte / Lawmaking
• Raumpläne / Zoning (Fall 7)
• Duldung eines rechtswidrigen Zustandes
Tolerating an illegal situation
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 7: Nutzungsplan (siehe BGE 116 Ib 185 - 1990)
•
Üblicherweise fällt eine Baubewilligung dahin, wenn nicht innert eines Jahres mit den
Bauarbeiten begonnen wird. Auch Vorentscheide sind zeitlich nur begrenzt gültig. Für
Sondernutzungspläne im Sinne von Quartierplänen, welche die Art und Lage der Bauten
detailliert festlegen, ist ein längerer Bestand dann gerechtfertigt, wenn gestützt darauf gebaut
worden ist.
•
Wird jedoch nicht gebaut und dient der Plan vielmehr - wie dies hier zutrifft - als Grundlage eines
wiederholten Verkaufes, so können sich die Eigentümer jedenfalls nach einem Zeitablauf von
über 10 Jahren nicht mehr auf die Beständigkeit dieser speziellen Planung berufen (das
Raumplanungsgesetz verlangt in der Regel alle 10 Jahre eine gesamthafte Überprüfung der
Richtpläne).
•
Die seit der Genehmigung des Quartierplanes bis zum Waldfestsetzungsbeschluss verstrichene
Frist von über 14 Jahren ist derart lang, dass sich die Grundeigentümer, welche nach der
Plangenehmigung keine Anstalten zur baulichen Verwirklichung der Treppenhaussiedlung
getroffen haben, nicht mit Erfolg auf die Beständigkeit dieses Sondernutzungsplanes berufen
können.
•
Im vorliegenden Falle mussten die Eigentümer umso mehr mit einer Änderung der
Nutzungsplanung rechnen, als der im Jahre 1973 ausgearbeitete Plan einer Treppenhaussiedlung
wohl kaum als ein den Anforderungen der Raumplanungsgesetzgebung genügender Plan
bezeichnet werden kann.
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
b) Vertrauen in staatliches Verhalten
Trusting State Behavior
• Kenntnis der Vertrauensgrundlage
Knowledge of state act
– Gesetze, Verordnungen, Praxis (Fall 8)
Law, ordinance, practice
– Verfügungen, Auskünfte und Zusagen
Decision, information and promises
• Fehlen der Kenntnis der Fehlerhaftigkeit
Ignoring deficiencies
– Gehörige Sorgfalt / Due diligence
– Eigentliche Nachforschung nicht erwartet
Active research not expected
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 8: Klaviervortrag (siehe BGE 2C_120/2010)
•
•
•
•
•
•
X. bestand nach vier Jahren Schule in der Berufsklasse der Musikhochschule die
Ausscheidungsprüfung. Diese berechtigte ihn zur Abschlussprüfung, welche - als
öffentlich vorgetragener Klaviervortrag - er am 26. Juni 2008 nicht bestand. Der Grund
lag darin, dass er sich in einem Zustand eines offensichtlichen Unwohlseins und einer
emotionalen Blockade befand.
Die Prüfungskommission entschied danach, dass X. die Prüfung unter Ausschluss der
Öffentlichkeit wiederholen könne. Am 13. Oktober 2008 bestand dieser das Examen. Der
Direktor des Konservatoriums beantragte danach bei der zuständigen Behörde, X. kein
Diplom auszustellen, da der Klaviervortrag nicht öffentlich erfolgt sei.
Für die Vorinstanz hätte X. zumindest aufgrund der ersten Prüfung, erkennen müssen,
dass die Abschlussprüfung nur vor Publikum durchzuführen gewesen sei.
Die zu beachtende Sorgfaltspflicht hat sich hier nach den Kenntnissen und Fähigkeiten
eines Musikschülers und nicht eines Juristen zu richten. Ein Konsultieren der Verordnung
kann deshalb nicht verlangt werden. Schüler dürfen sich auf die Aussagen der
Prüfungsexperten und der -kommission grundsätzlich verlassen.
Immerhin wäre naheliegend, aus der nicht bestandenen Prüfung abzuleiten, die zu
wiederholende Prüfung habe ebenfalls vor Publikum zu erfolgen. Allerdings wurden die
Schüler verschiedentlich nicht verordnungskonform geprüft.
Es musste daher für X. nicht aussergewöhnlich erscheinen und im Rahmen des Zulässigen
liegen, als die Prüfungskommission ihm den Vorschlag unterbreitete, die Prüfung unter
Ausschluss der Öffentlichkeit zu wiederholen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist
auch das Verhalten der Prüfungskommission zu berücksichtigen. Es wäre primär an ihr
gewesen, die Verordnung zu konsultieren und den Widerspruch zum vorgeschlagenen
Vorgehen zu feststellen.
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G. Hertig
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
c) Vertrauensbetätigung + Interessenabwägung
Active Reliance and Balancing Interests
• Disposition kann nicht ohne Nachteil rückgängig
gemacht werden
Act cannot be reversed without disadvantage
• Kausalzusammenhang Vertrauen – Disposition
Trust is at origin of act
• Interesse am Vertrauensschutz ↔
entgegenstehende öffentliche Interessen
Reliance interest  Affected public interests (Fall 9)
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Fall 9: Ablagerung von Abfällen (siehe BGE 1A.208/1999)
•
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•
•
•
Die innere Rechtfertigung des Vertrauensschutzes bei Rechtsänderungen liege im
Schutz gutgläubig getätigter, nicht leicht rückgängig zu machender Dispositionen bzw.
im Schutz des Bürgers vor einer Belastung in einem Masse, das in keinem vernünftigen
Verhältnis zum Zweck der Gesetzesänderung stehe.
Insbesondere gehe es darum, eine angemessene Amortisation von Investitionen zu
ermöglichen. Dabei sei das Interesse am Vertrauensschutz abzuwägen gegenüber dem
öffentlichen Interesse daran, dass Gesetzesänderungen aufgrund des Legalitätsprinzips
grundsätzlich ohne Verzug in Kraft gesetzt werden, wenn keine besonderen Gründe
dagegen.
Das öffentliche Interesse an der baldigen Beendigung der Ablagerung von Abfällen mit
einem hohen organischen Anteil, d.h. namentlich von Siedlungsabfall, sei angesichts
der immer wieder auftretenden Probleme vor allem hinsichtlich des Schutzes des
Grundwassers, aber auch der Lufthygiene, ausgesprochen gross.
Das Ziel, mit Entsorgungssystemen nur noch zwei Arten von Stoffklassen, nämlich
wiederverwertbare Stoffe und endlagerfähige Reststoffe zu produzieren, sei bereits
1986 in das Eidgenössische Abfall-Leitbild aufgenommen und anschliessend der
interessierten Öffentlichkeit bekannt gemacht worden.
Die Technischen Verordnung über Abfälle habe allerdings in der bis 1996 gültigen
Fassung ausreichende Verbrennungskapazitäten vorbehalten. Das ändere nichts
daran, dass die Pflicht der Kantone, für ausreichende Verbrennungskapazitäten zu
sorgen, schon seit 1991 bestanden habe.
Angesichts dieser Entwicklung hätten sich Deponiebetreiber nicht darauf verlassen
können, noch während Jahren Investitionen in Deponien für unbehandelte
Siedlungsabfälle tätigen und amortisieren zu können.
17.11.2014
G. Hertig
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
c) Anwendungsfall: Unrichtige Auskunft
Application: Erroneous Information
1. Eignung der Auskunft zur Begründung von Vertrauen
Information can reasonably be relied upon
2. Zuständigkeit der auskunftserteilenden Behörde
Source of information has required powers
3. Vorbehaltlosigkeit der Auskunft
Information is without conditions
4. Unrichtigkeit der Auskunft nicht erkennbar
Invalidity of information is not recognizable
5. Nachteilige Disposition auf Grund der Auskunft
Information results in disadvantageous act
6. Keine Änderung des Sachverhaltes oder der Gesetzgebung
Law or facts have not changed since information
7. Überwiegen des Interesses am Schutz des Vertrauen
Dominance of interest to protect trust
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Beispiele Unrichtige Auskunft
1. Beispiel Eignung: Versteuerung Liegenschaftertrag (Aargau)
Pauschalabzug Verweigerung (↓ Merkblatt gibt Wahl Pauschal – Abrechnung)
2. Beispiel Zuständigkeit: Erleichterte Einbürgerung (Basel-Stadt)
10 Jahre Wohnsitz durch Englandaufenthalt unterbrochen (↓ Kann annehmen, dass
Kontrollbüro der Fremdenpolizei Zuständig für Infos ist)
3. Beispiel Vorbehaltlosigkeit: Wohnsitz im Kanton (Winterthur)
Lehrer kann nicht nach Thurgau umziehen (↑ Sachbearbeiter hat Auskunft unter
Vorbehalt Gesamtregierungsrat zuständig ist)
4. Beispiel nicht erkennbar: Erstreckung einer Frist (Genf)
Zusicherung ist ungültig (↓ Unternehmer weisst nicht besser als 2 Beamte)
5. Beispiel nachteilige Disposition: AHV-Rentenanspruch (CH)
Witwe im Ausland, < als 1 Jahr Beitrage (↓ Hätte Arbeit finden können)
6. Beispiel keine Änderung: Grundstück Überbaubarkeit (Aargau)
Zusicherung ist über 15 Jahre alt (↑ Wiederholte Gesetzänderung, Zeitablauf)
7. Beispiel Schutzinteresse: Baubewilligung (Genf)
Verweigert da schon zu viele Gebäude (↓ Öffentliches Interesse < Privatinteresse )
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Verhältnismässigkeit: Eignung/Erforderlich/Zumutbar/ Vertrauensschutz: Verhalten / Interessen
Rechtswirkungen des Vertrauensschutzes / Remedies
• Bestandschutz / Maintaining the status quo
– Verfügung wird nicht wiederrufen
Decision is not repelled
– Praxis- oder Planänderung muss unterbleiben
Modification of practice or plan remains without effect
– Auskünfte sind trotz Unrichtigkeit verbindlich (Waldrodung)
Information is binding even though incorrect
• Wiederherstellung von Fristen / Postponing deadlines
– Falsche Rechtsmittelbelehrung / Procedural mistake (Fall 10)
– Verpasste materiell-rechtliche Fristen / Substantive error
• Übergangsregelungen / Transition period (Neue Amtsbesoldung)
• Entschädigungsanspruch / Damage claim
– Bindung kommt nicht in Frage / State cannot remain bound
– Zurückhaltend zugesprochen / Restrictive approach
17.11.2014
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Fall 10: Rekurs Frist (siehe auch BGE 135 III 374/2009)
•
In der von der Stiftung S. gegen die X. AG in A. eingeleiteten Betreibung Nr. 1 erliess das Betreibungsamt Z. am 9.
Oktober 2008 die Konkursandrohung.
•
Mit einer am 22.10 2008 der Post übergebenen Eingabe erhob die X. AG Beschwerde gegen die
Konkursandrohung. Am 3.11 2008 erkannte der Einzelrichter, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werde.
•
In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Entscheids wird auf die für Beschwerden an das Bundesgericht
im Allgemeinen geltende Beschwerdefrist von 30 (statt 10) Tagen hingewiesen. Gemäss Art. 49 BGG dürfen den
Parteien aus unrichtiger Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen.
•
Den erwähnten Schutz kann eine Prozesspartei nur dann beanspruchen, wenn sie sich nach Treu und Glauben auf
die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte.
•
Wer die Unrichtigkeit erkannte oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen können, kann sich nicht auf
Art. 49 BGG berufen, wobei allerdings nur eine grobe prozessuale Unsorgfalt der betroffenen Partei oder ihres
Anwalts eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen vermag. Wann der Prozesspartei eine als grob zu
wertende Unsorgfalt vorzuwerfen ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen und nach ihren
Rechtskenntnissen.
•
Ist die Partei rechtsunkundig und auch nicht rechtskundig vertreten, darf sie nicht der anwaltlich vertretenen
Partei gleichgestellt werden, es sei denn, sie verfüge namentlich aus früheren Verfahren über einschlägige
Erfahrungen.
•
Der Vertrauensschutz versagt zudem nur dann, wenn der Mangel allein schon durch Konsultierung der
massgebenden Verfahrensbestimmung ersichtlich gewesen wäre. Eine solche Konsultierung kann im Übrigen nur
dann verlangt werden, wenn die Partei über die Kenntnisse verfügt, die es ihr überhaupt ermöglichen, die
massgebende Gesetzesbestimmung ausfindig zu machen und gegebenenfalls auszulegen.
•
Wenn die Partei unter den gegebenen Umständen den Angaben des Einzelrichters vertraut und diese nicht
überprüft hat, liegt darin keine Unsorgfalt. Im Übrigen ist zu bemerken, dass die Vorinstanz den die
Beschwerdefrist regelnden Art. 100 BGG nicht ausdrücklich genannt hat und dass zudem diese Bestimmung nicht
für jeden juristischen Laien ohne weiteres verständlich ist.
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