Fall 1 - Prof. Dr. Reinhard Singer

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Transcript Fall 1 - Prof. Dr. Reinhard Singer

Prof. Dr. Reinhard Singer
Humboldt – Universität zu Berlin
Anglo-German Law Programme:
King‘s College London Februar 2011
1. Teil
Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB)
Überblick §§ 812 - 822
Anspruchsgrundlagen: § 812;
§§ 813, 816, 817 S. 1, 822
Ausschlussgründe: §§ 814, 815, 817 S. 2
Umfang der Haftung: §§ 818 – 820
§ 1 Überblick über die gesetzliche Regelung
§ 812 enthält insgesamt vier Anspruchsgrundlagen:
Leistungskondiktion
Leistung ohne
Rechtsgrund
§ 812 I 1 F 1
Besondere
Formen
Bsp.: nichtiger Vertrag
Nicht-Leistungskondiktion
§ 812 I 1 F 2
EingriffsKondiktion
Sonderfälle
Bsp.: Verbrauch
fremden Vermögens
§ 812 I 2, Fall 1
Wegfall des
rechtlichen Grundes
§ 812 I 2, Fall 2
Nichteintritt eines
bezweckten Erfolges
Bsp.: auflösend
bedingter Vertrag
Bsp.: Leistung, um
Strafanzeige
abzuwenden
Verwendungs
-kondiktion
RückgriffsKondiktion
Bsp.: Reparatur
fremder Sachen
Bsp.: Bezahlung
fremder Schulden
Verwendungskondiktion
Verwendungen: werterhöhende Aufwendungen (verbessern)
Vorrang von Spezialregelungen: Vertrag, berechtigte GoA (§§ 677, 683), EBV (§§
994 ff.)
Bsp.: Dieb D stiehlt den PKW des E und lässt ihn neu lackieren – kein Vertrag, keine
GoA, da Fremdgeschäftsführungswille fehlt, wohl aber EBV: D = bösgläubiger
nicht berechtigter Besitzer
Konsequenz: Ausgleich für notwendige Verwendungen gem. §§ 994 II, 670, 683, 684
S 1 (Bereicherungsrecht: für aufgedrängte Bereicherung wird nur gehaftet, wenn
Bereicherter aus Verwendung oder ihrem Wert Nutzen zieht).
Ergebnis: Verwendungskondiktion selten; hauptsächlich dann, wenn jemand
Verwendungen auf nicht in seinem Besitz stehende Sachen macht, von denen er
irrig annimmt, dass sie ihm gehören (Bsp.: Hausmeister streicht den Zaun des
Grundstücks mit eigener Farbe, weil sein Vorrat aus dem Verwalterfonds erschöpft
ist).
Rückgriffskondiktion
Rückgriffskondiktion:
Hauptfall: Bezahlung fremder Schulden; im Regelfall im Interesse des
Schuldners – Konsequenz: berechtigte GoA
Bsp.: Leistender weiß, dass Schuldner Zahlung nicht will, zB bei Insolvenz
des Gläubigers – dann keine GoA
Konsequenz: § 812 I 1 F 2 nur dann einschlägig, wenn Zahlender davon
ausgeht und ausgehen darf, dass Schuldner an Zahlung nicht interessiert.
Folge: keine GoA; aber § 812 I 1 F 2
Kein Rückgriff Leistender - Schuldner, wenn getilgte Forderung nicht
besteht; zahlt D aus eigenem Antrieb: § 812 I 1 F 2 D – Gläubiger; handelt
er auf Weisung des S, § 812 I 1 F 2 des S gegen Gläubiger G
§ 2 Die Leistungskondiktion (1)
§ 2 Die Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Fall 1)
I. Das Erlangte gem. § § 812 I
Bereicherungsschuldner muss herausgeben, was er rechtsgrundlos „erlangt“
hat
Daher ist das Erlangte genau zu bestimmen
Beispiel 1: A verkauft und übereignet ein Buch an B. Kaufvertrag wegen
Dissenses nichtig.
Erlangt hat B Eigentum und Besitz am Buch; er muss daher das Buch
rückübereignen (§ 812 I 1, Fall 1).
Skizze
§ 433
A
§§ 154, 155
§ 929
B
Eigentum, Besitz
§ 2 Die Leistungskondiktion (2)
Beispiel 2: der geisteskranke A verkauft und übereignet ein Grundstück an B.
B hat nicht Eigentum erlangt (dies würde eine wirksame Übereignung
voraussetzen)
Erlangt hat B vielmehr Besitz an dem Grundstück und gegebenenfalls eine
Eintragung ins Grundbuch.
Rechtsfolge: B muss Besitz (insbesondere auch Hausschlüssel) und
Buchposition zurückgeben
Rückgabe Buchposition: Erteilung einer Eintragungsbewilligung (§ 29
GBO) für den Bereicherungsgläubiger A
Fall 1: Parkplatzfall
Rathausmarkt
Stadt Hamburg
parkgeldpflichtig und bewacht
U
A („kein Entgelt“)
Fall 1: Parkplatzfall (1)
Fall 1: Parkplatzfall
Anspruch U gegen A auf Bezahlung der Parkplatzgebühren
I. §§ 535, 611, 612 BGB: kombinierter Miet- und Dienstvertrag
Keine übereinstimmenden Willenserklärungen; A will keinen Vertrag,
keine Bewachung und kein Entgelt entrichten.
Berliner U-Bahnfahrer: T-Shirt mit Aufschrift: „Schwarzfahrer“
Fall 1: Parkplatzfall (2)
II. Ausweg:
Lehre vom sozialtypischen Verhalten (Haupt, 1941; Larenz bis zur 6.
Aufl.)
1. Zustandekommen des Vertrages nicht nur durch übereinstimmende
Willenserklärungen, sondern auch durch sozialtypisches Verhalten
(=tatsächliche Inanspruchnahme einer angebotenen entgeltlichen
Leistung).
Begründung: BGB angeblich zu individualistisch; Bedürfnisse des
modernen Massenverkehrs.
BGHZ 21, 319, 333 ff. folgte der Lehre im Parkplatzfall
Folge: A musste Parkgebühren zahlen.
2. Bedenken: Lehre verstößt gegen das Prinzip der Privatautonomie.
Fall 1: Parkplatzfall (3)
III. § 823 I BGB?
1. Rechtsgut:
a) Eigentum: U nicht Eigentümer des Platzes
b) Besitz: § 823 I schützt auch (berechtigten) Besitzer; Besitzstörung:
unbefugtes Parken (+)
2. Rechtswidrigkeit, Schuld: (+)
3. Rechtsfolge: Schadensersatz (§ 249 I); Grundsatz:
Naturalrestitution: wie stünde U ohne Pflichtverletzung des A?
Fall 1: Parkplatzfall (4)
a) Vertragsschluss als pflichtgemäßes Verhalten? A nicht zum
Vertragsschluss bereit und auch nicht verpflichtet (-)
b) Vermögensschaden nur, wenn U einen anderen Kunden, der
zahlungswillig gewesen wäre, abgewiesen hätte.
Denkbar, wenn Parkplatz restlos überfüllt war, aber eben nur dann!
Fall 1: Parkplatzfall (5)
IV. Bereicherungsrechtlicher Anspruch: § 812 Abs. 1 S. 1, Fall 2 BGB
1. Etwas erlangt:
a) Vom BGH nicht sauber geprüft: „Aufwendungsersparnis“
BGH lehnte Kondiktion ab, weil es schwierig sei, Aufwendungsersparnis
des A zu berechnen (wie viel Benzin benötigt A für Parkplatzsuche?).
b) Besser: erlangt hat A nicht Aufwendungsersparnis, sondern Nutzung des
Parkplatzes.
2. Nutzung kann zwar nicht herausgegeben werden, aber gem. § 818 Abs. 2
BGB schuldet A dann Wertersatz (= übliche Vergütung).
Fall 1: Parkplatzfall (6)
3. Wegfall der Bereicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB?
A war bösgläubig, haftet verschärft gemäß § 819 Abs. 1 BGB und darf
sich daher nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen.
Ergebnis: A haftet gem. §§ 812, 818, 819 Abs. 1 BGB und muss die übliche
Vergütung zahlen.
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen
V
104
K
433, 929 (50.000.-)
433,
929 (55.000.-)
D
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (1)
II. Der Leistungsbegriff
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen
Ausgangsfall: V war geisteskrank (§ 104)
A. Ansprüche V/D gem. § 985:
Voraussetzung ist, dass V = Eigentümer ist. Ursprünglich war V
Eigentümer (§ 1006).
I. Eigentumsverlust durch Veräußerung V/K? ( - ), §§ 929, 104, 105 I BGB.
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (2)
II. Eigentumsverlust durch Veräußerung K/D? § 929 BGB:
1. Einigung ( + )
2. Übergabe ( + )
3. Berechtigung: fehlt, aber gem. §§ 929, 932 BGB gutgläubiger
Erwerb des D.
Grund: Verkehrsschutz.
Ergebnis: V hat Eigentum an D verloren.
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (3)
B. Bereicherungsansprüche
§ 812 I 1, Fall 1 oder Fall 2 V/D
I. Etwas erlangt: D hat Eigentum und Besitz am Porsche erlangt.
II. Durch Leistung oder in sonstiger Weise?
1. Eigentumserwerb des D geschah durch Leistung des K, nicht durch
Leistung des V.
2. Durchgriffskondiktion V gegen D?
a) H.M. lehnt ab, da D aufgrund des gutgläubigen Erwerbs einen
Rechtsgrund zum Behaltendürfen hat.
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (4)
b) BGH lehnt eine Durchgriffskondiktion ebenfalls ab.
arg.: Rückabwicklung grds. nur innerhalb der Leistungsbeziehungen
(jeder hat seinen Vertragspartner ausgesucht und muss daher Insolvenzrisiko des jeweiligen Partners tragen, nicht das von Dritten)
Prinzip vom Vorrang der Leistung schließt Durchgriffskondiktion aus.
Verbot der Durchgriffskondiktion folgt auch aus § 816 I 1 und 2 BGB
Verfügt ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand in der Weise, dass
die Verfügung gegenüber dem Berechtigten wirksam war, dann schuldet
der Verfügende K (nicht der Empfänger D!) Herausgabe des Erlangten
(§ 816 I 1: 55.000.- Euro)
Empfänger D haftet nur, wenn er unentgeltlich erworben hat (§ 816 I 2
BGB); unentgeltlicher Erwerb weniger schutzwürdig (vgl. auch § 822
BGB).
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (5)
Variante 2: Wie ist die Rechtslage, wenn nur Kaufvertrag V- K wegen
Dissenses (§ 154) nichtig ist?
1. Kondiktion V – K (= Vertragspartner); §§ 812 I 1, 818 II.
2. Keine Durchgriffskondiktion V/D
Mängel im Verhältnis V/K gehen D nichts an; D haftet nur, wenn er
unentgeltlich erworben hat und K deswegen nicht mehr bereichert ist (§
822 BGB).
Vergleich zum Ausgangsfall: Selbst bei nichtiger Übereignung besteht
keine Direktkondiktion wegen der Wertungen der §§ 816 I, 932 BGB.
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (6)
Variante 3: Sog. Doppelmangel:
a) Kondiktion im Verhältnis V/K und K/D
b) Kondiktion der Kondiktion?
aa) K ist im Ergebnis nur um seinen Bereicherungsanspruch gegen D
bereichert!
bb) Dennoch nach h.M. Haftung des K auf Wertersatz; dieser darf sich nicht
auf den Wegfall seiner Bereicherung berufen.
arg.: Kondiktion der Kondiktion würde die Nachteile für V kumulieren; er
hätte sowohl Einwendungen des K, als auch die des D gegen sich, und
trüge das doppelte Insolvenzrisiko.
Ergebnis: V – K §§ 812 I 1, F. 1, 818 II (+)
Variante 4: abgekürzte Lieferung
V
104
433, 929 (50.000.-)
Direktlieferung
K
433, 929 (55.000.-)
D
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (7)
Variante 4: Wenn K den V gebeten hat, den Porsche direkt an D zu liefern
(sog. abgekürzte Lieferung), stellt sich die Frage, ob eine Leistung V/D
vorliegt?
1. Bei beweglichen Sachen: Keine Übereignung V/D, sondern zwei
Übereignungen entlang der Kausalketten V/K und K/D.
§ 929 verlangt „Übergabe“.
H.M.: Übergabe an eine sog. „Geheißperson“ genügt.
a) Bei der Übereignung V/K ist D Geheißperson für K.
b) Bei der Übereignung K/D ist V die Geheißperson für K.
Da die Übereignung entlang den Kausalverhältnissen verläuft, wird
ebenfalls entlang der Kausalverhältnisse geleistet i.S.v. § 812.
Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (8)
2. Bei der Übereignung von Grundstücken:
Kondiktion verläuft auch hier innerhalb der defekten
Kausalverhältnisse; erforderlich ist dann Zwischeneintragung des K
C. Gesamtergebnisse:
I. Bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung sind die Wertungen
des Sachenrechts zu beachten (§§ 816, 822, 932 ff. BGB).
II. Kondiktion erfolgt grundsätzlich innerhalb der defekten Kausalverhältnisse, es findet kein Durchgriff statt.
III. Insolvenz- und Einwendungsrisiken bestehen immer nur bezüglich des
jeweiligen Vertragspartners
IV. Leistungsempfänger ist von Einwendungen aus dem
Rechtsverhältnis zu Dritten geschützt.
§ 2 Die Leistungskondiktion (3)
III. Die Leistungskondiktionen gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB
1. § 812 I 2, Fall 1: condictio ob causam finitam
a) Voraussetzung: späterer Wegfall des rechtlichen Grundes
b) Bsp.:
(aa) Eintritt einer auflösenden Bedingung, Vertragsaufhebung oder
vorzeitige Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses
(bb) nicht Anfechtung gem. §§ 119 ff.; arg. § 142 I Nichtigkeit der
angefochtenen WE ex tunc ( = § 812 I 1 Fall 1; str.; a.A. vertretbar).
§ 2 Die Leistungskondiktion (4)
2. § 812 I 2, Fall 2: Nichteintritt mit der Leistung bezweckten des Erfolges
(sog. „condictio ob rem“ oder „causa data, causa non secuta“)
a) Voraussetzung: Nichteintritt eines mit der Leistung bezweckten Erfolges
„Erfolg“: nicht der Erfolg, der durch Erfüllung einer Verbindlichkeit
angestrebt wird (solvendi causa); dieser Fall wird bereits von § 812 I 1 Fall
1 erfasst.
§ 812 I 2 Fall 2 meint nur solche Erfolge, auf die der Leistungsempfänger
keinen erzwingbaren Anspruch hat.
§ 2 Die Leistungskondiktion (5)
b)
Beispiel: untreuer Geschäftsführer gibt gegenüber Gesellschaftern
Schuldanerkenntnis ab, um diese von einer Strafanzeige abzuhalten.
Ges.ter
780
Gf
812 I 2 F 2
Falls diese dennoch Strafanzeige erstatten, kann er sein
Schuldanerkenntnis gem. § 812 I 2 Fall 2 zurückfordern.
Erfolg (Nichtanzeige der Straftat) kann nicht Gegenstand eines
wirksamen Rechtsgeschäfts sein (§ 134)
arg.: Rechtsgeschäft verstieße gegen gesetzliches Verbot - § 258 StGB.
c)
Bsp. 2 – Schwarzkauf (dazu Fall 3):
Schwarzkauf – Fall 3
V
433, 311b (100.000.-€)
150.000.-
812 I 2 F 2
K
Schwarzkauf – Fall 3 (1)
I. Anspruch K gegen V aus § 812 I 1, Fall 1 BGB
1. Etwas erlangt: Eigentum und Besitz am Geld 150.000 € (oder Gutschrift)
2. durch Leistung: bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens
(+)
a) Leistungszweck § 812 I 1, Fall 1 BGB: Erfüllung einer Verbindlichkeit?
Wird ein unwirksamer Vertrag erfüllt, hat Leistender i.d.R.
Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 BGB
Wenn Leistender weiß, dass noch keine Verbindlichkeit bestanden hat, ist §
812 I 1 F 1 nicht interessengerecht.
Grund: Leistungskondiktion gem. § 812 I 1 Fall 1 wegen § 814
ausgeschlossen.
Schwarzkauf – Fall 3 (2)
b) Leistungszweck § 812 I 2 Fall 2
Leistung bezweckt einen bestimmten Erfolg, der nicht Gegenstand einer
erfüllbaren vertraglichen Verpflichtung sein kann: Erwerb des Eigentums
aa) Wirksamer Kaufvertrag über 150.000.- (§ 433)?
(1) Einigung über Parteien, Gegenstand und Kaufpreis (150.000 €)
(2) Form: Kaufvertrag über Grundstück bedarf der notariellen
Beurkundung (§ 311 b I Satz 1).
Kaufvertrag bei „Schwarzkauf“ nicht wirksam
Schwarzkauf – Fall 3 (3)
bb) Wirksamkeit des Kaufvertrages bei Schwarzbeurkundung
(1) Beurkundet waren 100.000 € als Kaufpreis.
Dieser beurkundete Preis ist freilich nicht gewollt (§ 117 I), sondern als
Scheingeschäft nichtig.
(2) Gewollt ist Kaufpreis in Höhe von 150.000 €.
Dieser Preis ist aber nicht beurkundet worden (§ 311 b I Satz 1); gem.
§ 117 II BGB ist das verdeckte Rechtsgeschäft nur wirksam, wenn
dessen Voraussetzungen im vollen Umfang erfüllt sind.
(3) „falsa demonstratio“?
schadet zwar nicht bei versehentlicher Falschbezeichnung
(Parzellenverwechslung), wohl aber bei einer absichtlichen
Falschbeurkundung.
Schwarzkauf – Fall 3 (4)
cc) Mangel heilbar, wenn Erwerber als Eigentümer ins Grundbuch
eingetragen wird (§ 311 b I Satz 2).
Wegen der Heilungsmöglichkeit wird nun angenommen, dass der Zweck
der Leistung nicht in der Erfüllung einer nichtigen Verbindlichkeit besteht,
sondern darin, den Gegner zu veranlassen, die Voraussetzungen für die
Heilung herbeizuführen (Mitwirkung bei Auflassung und Eintragung).
Auf diesen Erfolg (Heilung) besteht wegen § 311 b I Satz 1 kein
Anspruch.
3. Erfolg iSd § 812 I 2 F 2 nicht eingetreten: V weigert sich, Grundstück
aufzulassen
Schwarzkauf – Fall 3 (5)
4. Ausschlussgrund:
a) § 814: gilt nur für Leistungskondiktion (§ 812 I 1 F 1)
b) § 815 BGB
aa) Anwendbar: Kondiktion wegen Nichteintritt des bezweckten Erfolges
(§ 812 I 2 Fall 2)
bb) § 815 Fall 1: der Leistende hat gewusst, dass der Erfolgseintritt von
Anfang an unmöglich war (-)
cc) § 815 Fall 2: der Leistende hat den Eintritt des Erfolges wider Treu
und Glauben verhindert.
Schwarzkauf – Fall 3 (6)
(1) Berufung auf den Formmangel nur unter besonderen Umständen
treuwidrig
Grund: sonst Aushöhlung der Form über § 242 BGB
(2) Fallgruppen:
- arglistige Täuschung über die Form oder
- Veranlassen eines Formmangels durch schuldhaftes Verhalten
- widersprüchliches Verhalten (z.B., wenn eine Seite die Vorteile aus dem
Geschäft gezogen hat und sich nun auf den Formmangel beruft;
Bürgschaft Gf – Kreditgewährung GmbH – Berufung Gf auf
Formmangel der Bürgschaft, § 766)
Für Treuwidrigkeit genügt es nicht, dass Veräußerer die Auflassung
verweigert, da der Erwerber darauf keinen Anspruch hat.
Deshalb liegt insoweit auch kein widersprüchliches Verhalten vor.
Ergebnis: kein Ausschlussgrund; Rückforderung K – V gem. § 812 I 2, Fall 2
(+).
§ 2 Die Leistungskondiktion (6)
IV. Die Leistungskondiktion gem. § 817 BGB
1. § 817 Satz 1: Verstößt der Zweck einer Leistung gegen die guten Sitten
oder ein gesetzliches Verbot, besteht gem. § 817 Satz 1 eine Kondiktion
gegen den Empfänger (condictio ob turpem vel iniustam causam).
Wenn Rechtsgeschäft gegen die §§ 134, 138 BGB verstößt und nichtig ist,
liegt freilich immer auch eine Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1
vor (condictio indebiti).
Insofern ist fraglich, worin der eigenständige Anwendungsbereich von §
817 S. 1 BGB bestehen soll.
Beispiel (Medicus/Lorenz, SR II, Rn. 645):
Erpressung von Schutzgeldern (nur Erpresser = Leistungsempfänger macht
sich strafbar); m.E. auch hier § 812 I 1 F.1 einschlägig (condictio indebiti)
§ 2 Die Leistungskondiktion (7)
-
Einschlägig sind Fälle, in denen condictio indebiti (§ 812 I 1 F 1) wegen
Kenntnis des Leistenden vom fehlenden Rechtsgrund an § 814 scheitert.
(z.B. Kauf eines Radarwarngeräts – Fall 5; Verkäufer klärt Kunden auf,
dass Geschäft sittenwidrig; BGH NJW 2010, 610: § 817 S.1 +)
Ergebnis: § 817 Satz 1 hat kaum praktische Bedeutung, weil in der Regel
zugleich § 812 I 1, Fall 1 BGB erfüllt ist.
2. Viel wichtiger ist Ausschlussgrund der Kondiktion gem. § 817 Satz 2:
Kondiktion gem. § 817 Satz 1 ausgeschlossen, wenn auch dem Leistenden
ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last
fällt.
§ 817 Satz 2 muss auch für die Kondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 gelten,
weil sonst der Ausschlussgrund weitgehend leer liefe. Immer wenn § 817
Satz 1 erfüllt ist, ist ja fast immer auch § 812 I 1, Fall 1 gegeben.
§ 2 Die Leistungskondiktion (8)
3. Umstritten ist die ratio legis von § 817 Satz 2 BGB:
a) Früher Strafsanktion für sittenwidriges oder gesetzwidriges Tun
dagegen spricht,
- dass nur der Leistende bestraft wird, nicht aber derjenige, der die
Leistung empfangen hat (deshalb häufig Korrektur durch § 242!)
.
- die fehlende Proportionalität zwischen Verschulden und Strafmaß:
Wer viel leistet, wird viel härter bestraft, als derjenige, der weniger
leistet.
b) H.L.: Rechtsschutzverweigerung
wenig überzeugend, weil alleine der Verstoß gegen Gesetze oder die guten
Sitten nicht rechtfertigen würde, den Leistenden für quasi „vogelfrei“ zu
erklären.
§ 2 Die Leistungskondiktion (9)
c) Generalprävention:
(aa) Kondiktionsausschluss trägt zur Prävention bei.
arg.: Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts keine ausreichende Sanktion für
Sitten- und Gesetzesverstöße; häufig liegt keine Straftat vor;
Ordnungswidrigkeiten werden aus der Portokasse bezahlt.
(bb) Präventionsgedanke eingeschränkt durch Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Konsequenzen:
§ 817 Satz 2 setzt wenigstens Kenntnis vom Sitten- oder Gesetzesverstoß
voraus.
Außerdem ist der Leistungsbegriff i.S.v. § 817 einschränkend
auszulegen.
Fall 4: Wucherdarlehen
Adler
Gierig
488: 5.000.- €
Zinsen: 30%
488 (138)
812 I 1 F 1
Fall 4: Wucherdarlehen (1)
A. Vertraglicher Rückzahlungsanspruch
I. Voraussetzungen des § 488 I 2:
1. Wirksamer Darlehensvertrag
2. Fälligkeit der Rückzahlung (§ 488 I 2).
Zu 2.: Bei Verbraucherdarlehen (§ 491 I) hat Kündigung aus wichtigem
Grund gem. § 498 I besondere Voraussetzungen:
- Verzug des Darlehensnehmers (§ 286) mit mindestens zwei Raten,
- 10 % der Darlehenssumme oder - bei einer Laufzeit über drei Jahre 5 % (Nr.1) und
- zweiwöchige Frist mit Androhung der Restfälligstellung (Nr. 2).
Fall 4: Wucherdarlehen (2)
Zu 1.: Wirksamkeit des Darlehensvertrages; dazu II.
II. Wucher gem. § 138 II BGB
1. Erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung:
= sobald Marktzins relativ um mehr als 100 % überschritten wird oder
absolut gesehen um mehr als 12 % Punkte (BGHZ 80, 153).
2. subjektive Voraussetzungen
a) Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an
Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen =
bewusstes Ausnutzen der Lage des Geschäftspartners, um übermäßigen
Gewinn zu erzielen.
Fall 4: Wucherdarlehen (3)
aa) Zwangslage
= dringendes Bedürfnis nach der Leistung des Wucherers
bb) Unerfahrenheit
Mangel an Lebens- und Geschäftserfahrung
- regelmäßig nur bei Jugendlichen und geistig beschränkten Personen
- Unerfahrenheit auf einem bestimmten Rechtsgebiet genügt nicht
(BGH NJW 1979, 758), wenn im allgemeinen Lebenserfahrung besteht
(hier: Geschäftsmann).
Fall 4: Wucherdarlehen (4)
cc) Mangel an Urteilsvermögen
Wenn der Geschäftspartner die Bedeutung des konkreten Geschäfts
bzw. das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht vernünftig
beurteilen kann (Verstandesschwäche, allgemeine Sorglosigkeit).
dd) erhebliche Willensschwäche
Der Geschäftspartner erfasst zwar Umfang und Bedeutung des
Geschäfts, hat aber nicht die Willenskraft, sein Verhalten entsprechend
zu steuern (Alkohol- und Drogensucht).
b) Kriterien aa) – dd) nur in Extremfällen erfüllt; deshalb hat die
Rechtsprechung für sog. „wucherähnliche Rechtsgeschäfte“ die
Sittenwidrigkeit nicht mit 138 II begründet, sondern mit § 138 I BGB
Fall 4: Wucherdarlehen (5)
Unterschied Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 I
BGB:
bei einem objektiv wucherischen Darlehensvertrag (Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung) wird die fehlende
Geschäftserfahrung vermutet (BGHZ 104, 102, 107; 80, 153 ff.).
c) Fallbezogen:
§ 138 II: A evtl. in Zwangslage, weil er nicht in der Lage war, die Miete für
seine existentiell notwendige Unterkunft zu zahlen; allerdings ist § 138 II
nur erfüllt, wenn Gierig dies weiß (Tatfrage).
§ 138 I: Darlehensvertrag ist jedenfalls nach § 138 I nichtig, da 30 %
Kreditzinsen deutlich über den Marktzinsen für Konsumentenkredite
liegen (z.B. Berliner Volksbank 2010: 6,99 – 13,99 %)
Folge: subjektiver Tatbestand (Ausnutzung) wird vermutet
Fall 4: Wucherdarlehen (6)
B. Anspruch aus § 812 I 1 Fall 1
I. Etwas erlangt: ( + )
II. Durch Leistung: ( + )
III. Ohne Rechtsgrund: §§ 488 I i.V.m. § 138 I BGB (Wucherdarlehen) (+)
IV. Rechtsfolge:
1. Herausgabe des Erlangten; erlangt hat A die Darlehensvaluta (5.000
€).
Fall 4: Wucherdarlehen (7)
2. § 818 I: Nutzungen = gezogene Zinsen (§ 100 III)
Nutzungen gegenständlich nicht mehr vorhanden, aber dafür schuldet A
Wertersatz in Höhe des üblichen Marktzinses gem. § 818 II.
V. Ausschlussgrund § 817 Satz 2 BGB:
1. § 817 Satz 2 gilt auch für Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 (s.o.
Folie 33).
2. Sittenverstoß des Leistenden?
a) G ist der Wucherer, hat also einen Sittenverstoß begangen; merkwürdige
Konsequenz: A dürfte Darlehen behalten.
Empfehlung, in Zukunft bei Wucherern Geld zu borgen?
Fall 4: Wucherdarlehen (8)
b) Rspr. korrigiert dieses Ergebnis mit Hilfe eines modifizierten
Leistungsbegriffs: anstößige Leistung nicht Kapitalüberlassung, sondern
Kapitalnutzung.
aa) A darf also für die Laufzeit des Vertrages das Darlehen zinslos
behalten, muss aber die Darlehensvaluta an G zurückbezahlen.
bb) Dies muss er im Übrigen nicht in einem Schritt, sondern entsprechend
den vertraglichen Vereinbarungen ratenweise.
Rückzahlung des Kapitals trotz § 817 Satz 2 sachlich gerechtfertigt,
weil dem bereicherten A stets klar war, dass er das Kapital selbst nicht
endgültig würde behalten dürfen.
Exkurs § 817 S. 2
§ 817 S. 2 wird bei unbilligen Ergebnissen oft mit Hilfe von § 242 BGB
korrigiert
1. Beim Bordellkauf verwehrt RGZ 71, 432 dem Käufer, sich gegen den
Herausgabeanspruch des Verkäufers gem. §§ 812, 817 auf § 817 S. 2 zu
berufen (§ 242 – Einrede der Arglist)
2. Ähnlich entscheidet BGHZ 41, 341 bei der Bordellpacht; hier würde der
Ausschluss der Rückforderung der Leistung (Gebrauchsüberlassung) im
Ergebnis dazu führen, dass der gesetzeswidrige Zustand aufrechterhalten
bleibt (§ 242)
3. BGHZ 111, 308 verwehrt dem Leistungsempfänger, der Leistungen unter
Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz erhalten hat, die Berufung auf §
817 S. 2 (über 10.000.- Euro „Handwerker“-Lohn); arg.: Auftraggeber ist
häufig wirtschaftlich stärker
Fall 5: Radarwarngerät (1)
A. Anspruch K – V auf Rückzahlung des Kaufpreises:
§§ 346 i.V.m. §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 323, 326 V BGB
I. Kaufvertrag K - V (+)
II. Wirksamkeitshindernisse:
1. § 134 BGB:
§ 23 Abs. 1b StVO verbietet das Benutzen oder Mitführen von
Radarwarngeräten, nicht den Erwerb.
Kauf bloße Vorbereitungshandlung (§ 134 - ).
Fall 5: Radarwarngerät (2)
2. Nichtigkeit des Kaufvertrags gem. § 138 I BGB
a)
Sittenverstoß wegen Zweck des Kaufs: Kaufvertrag ist auf die
Begehung eines ordnungswidrigen Verhaltens im Straßenverkehr
gerichtet; Verbot des § 23 Abs. 1b StVO dient dem Schutz anderer
Verkehrsteilnehmer.
b)
Subjektiver Tatbestand: wenn Beteiligte Tatsachen, welche die
Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich ihrer Kenntnis grob
fahrlässig verschließen.
Kaufvertrag nichtig (§ 138 I BGB); kein Rückzahlungsanspruch
gem. § 346 i.V.m. §§ 433 ff.
Fall 5: Radarwarngerät (3)
II. Anspruch aus § 812 I 1 F. 1 BGB:
1.
K hat durch Leistung des V jedenfalls Besitz an dem Radarwarngerät
erlangt
2.
Ohne Rechtsgrund: Kaufvertrag nichtig (§ 138 I)
3.
Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten (Besitz)
4.
Ausschluss gem. § 814? - ja, da K aufgeklärt: positive Kenntnis von
Nichtigkeit des Vertrages
Grund für Kondiktionsausschluss? Verbot widersprüchlichen Verhaltens;
Selbstschutz zumutbar
Fall 5: Radarwarngerät (4)
5.
Aber K hat auch einen Anspruch aus § 817 S. 1
Dieser Anspruch scheitert aber an § 817 S. 2 BGB, da dem Leistenden
auch ein Sittenverstoß zur Last fällt.
BGH: Keine Korrektur des § 817 S. 2 mit Hilfe von Treu und Glauben
(§ 242 BGB)
Käufer eher noch weniger schutzwürdig als Verkäufer, da er die
Verkehrsteilnehmer unmittelbar gefährdet.
Fall 5: Radarwarngerät (5)
III. Rechtslage bei Widerruf des Kaufvertrages:
1. Herausgabeanspruch K – V gem. § 346 I iVm §§ 312b, 312d, 355,
357
2. Problem: Vertrag nichtig
BGH NJW 2010, 610: Widerruf auch bei nichtigen Verträgen möglich;
arg.: Sinn des Widerrufsrechts ist es, dem Verbraucher ein an keine
materiellen Voraussetzungen geknüpftes Recht zur Lösung vom Vertrag
einzuräumen (Verbraucherschutz).
Nichtige Verträge können auch angefochten werden (Lehre von den
Doppelwirkungen im Recht);
Fall 5: Radarwarngerät (6)
Anfechtung eines nichtigen Rechtsgeschäfts wichtig, wenn Erwerber
Sache weiterveräußert und Dritter zwar gutgläubig in Bezug auf
Nichtigkeit ist, aber bösgläubig in Bezug auf Anfechtungsgrund
V
104
K
123
929 932
D
3. BGH NJW 2010, 610: § 817 S. 2 nicht analog anwendbar, da sonst
redlicher Verkäufer schlechter stünde als unredlicher.
V. Kosten der Rücksendung: trägt V ebenfalls gem. § 357 II 2.
Fall 6: § 951 BGB als besonderer Fall der Eingriffskondiktion (1)
Anspruch V/K auf Herausgabe der Einbauküche:
I. § 985 BGB:
1. V = Eigentümer?
a) Ursprünglich war V Eigentümer: (+)
b) Übereignung V/K gem. § 929
Eigentumsvorbehalt: Übereignung steht unter der Bedingung (§ 158)
vollständiger Kaufpreiszahlung (§ 449 I)
Bedingung kann wegen Dissenses (Nichtigkeit des Vertrages) nicht
eintreten.