Frauen - Trauma - Sucht online 27.04.201[...]

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Transcript Frauen - Trauma - Sucht online 27.04.201[...]

Frauen-Trauma-Sucht
27. April 2012
Referentin: Dr. med. Brigitte Bosse
Mainz
TAGUNGSABLAUF
13.00-14.15: Block I
• Einstiegsrunde - Vorstellung
• Gewalt - Sucht – PTSD
• Das Trauma und seine Folgen
14.15-14.45: Pause
14.45-16.15: Block II
• Dissoziative Identitätsstörung
• Therapie
• Übungen
16.15-16.30: Pause
16.30-18.00: Block III
• Fallbesprechung und Supervision
• Persönliche Checkliste und Feedback
1. Gewalt – Sucht - PTSD
Gewalt - Häufigkeit
•
•
•
•
•
•
1. Studie Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend 2004
Untersucht wurden 10264 Frauen zwischen 16 und 85
Jahren
40% der Frauen haben körperliche oder sex. Gewalt
erlebt
58% der Frauen haben sexuelle Belästigung erlebt
42% der Frauen haben psychische Gewalt erlebt
25% aller in hier lebender Frauen haben körperliche
oder sex. Gewalt – oder beides durch aktuelle oder
frühere Beziehungspartner erlebt
Gewalt macht krank
ACE- Studie (n= 17 000), die Vincent Felitti zwischen 1991
und 1998 in San Diego an einem internistischen Klinikum
durchgeführt hat. (www.acestudy.org) ACE= adversed
childhood experience:
• Es konnte nachgewiesen werden, dass in Korrelation zu der
Anzahl belastender Kindheitserlebnisse die
Erkrankungshäufigkeit im Erwachsenenalter zunimmt
(Ströhle, 2008)
• Nikotin-, Alkohol- und Drogenkonsum nahm proportional
zu den belastenden Kindheitserlebenissen zu, auch wenn die
belastenden Erlebnisse subjektiv als nicht mehr relevant
beschrieben wurden (Lüdecke, Sachsse, Faure, 2010)
Gewalt macht krank - körperlich
•
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•
•
•
Diabetes
Hypertonie/KHK/Schlaganfall
Schmerzstörungen/Fibromyalgie
Gastrointestinale Erkankungen
Gynäkologische „funktionelle“ Störungen
Gewalt macht krank - sozial
• Psychosoziale Beeinträchtigung
• Bindungsstörung – gescheiterte Partnerschaft,
gescheitere Kindererziehung
• Defizitäre schulische oder berufliche Entwicklung
• Untersuchung von Frauen im Strafvollzug:
• Bei sieben oder mehr Formen stattgefundener
Traumatisierung steigt das Risiko für eine psych.
Erkrankung um 980%!!
Gewalt macht krank - seelisch
•
•
•
•
•
Persönlichkeitsstörungen
Adipositas / Bulimie/Anorexie
Depressionen/ Suicidalität/SVV
Angsterkrankungen/Zwangserkrankung
Suchterkrankungen
Der kleine Unterschied:
Männer und Frauen
• Das Risiko körperlich oder sexuell mißhandelt zu werden
ist in der frühen Kindheit für Mädchen und Jungen
annähernd gleich
• Mit zunehmendem Alter steigt für Mädchen und Frauen
das Risiko für Mißhandlung im sozialen Nahraum, durch
ihre Lebens-und Liebespartner. Jungen und Männer
werden eher von Fremden angegriffen
• Frauen neigen zu autoagressiver, internaler Verarbeitung:
„Ich bin schuld“ - Flucht und Opferfixierung
• Männer neigen zu agressiver, externaler Verarbeitung:
Angriff und Täterfixierung
• Frauen in der Psychiatrie – Männer im Gefängnis
Suchtentwicklung
• Sucht ist das unabweisbare Verlangen Lustgefühle
herbeizuführen oder Unlust zu vermeiden
• Drogenmißbrauch – ein „Phänomen des
Unverbundenseins“
• Opioide „betäuben“ den Schmerz bei Verlust von
Bindungspersonen oder „ersetzen“ die Bindung zu
anderen Menschen
• Fehlende gute Beziehungen – fehlende emotionale
Unterstützung
• Im impliziten Gedächtnis fehlt die „Kaskade zur
emotionalen Beruhigung“
Abhängigkeiten
•
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•
Nikotin 16 Mio – Abhängig vom soz. Status: 19% der
Hauptschüler 4% der Gymnasisten
Alkohol 9,5% riskantes Trinken – 1.3 Mio Abhängigkeit
8% der 12-17Jährigen zeigen riskanten Alk. Konsum
60% der Frauen trinken während der Schwangerschaft
10000 Neugeb. / Jahr weisen alkoholbed. Schäden auf
Med.Abhängigkeit: 1.4 Mio
THC: 600000-2 Mio
“harteDrogen”: 250000
Transgenerationale Weitergabe
• Sucht als „Coping-Strategie“ auf Stress
• Spiegelneurone (Rizzolatti 2002/ Bauer „Warum ich
fühle, was Du fühlst“ , 2006)
• „genetische“ Faktoren – Genexpressivität abhängig
vom mütterlichen Stresslevel
• Kaskadenmodell (Teicher 2000) Stress verändert die
neuronale Morphologie
Sucht und Gewalt
• 74% der süchtigen Frauen geben an sexuell mißbraucht
worden zu sein
• 72% der süchtigen Frauen geben emotionale Mißhandlung
an
• 52% der süchtigen Frauen geben an körperlich mißhandelt
worden zu sein
• Häufig erfolgten die Mißhandlungen über einen längeren
Zeitraum und durch mehrer Täter
• Hoch signifikanter Zusammenhang zwischen BPS und
kindlichem sexuellem Mißbrauch
• 33-59% der suchtkranken Frauen haben eine PTSD
• Traumatisierung ist bei suchtkranken Frauen 5-15 mal so
hoch wie in der Allgemeinbevölkerung (Sachsse et al 2010)
Sucht und PTSD
• Sucht ist schwerer behandelbar, wenn eine PTSD
vorliegt
• Alkohol oder Drogen wirken als „Selbstmedikation“
• Drohende Dekompensation ohne „Medikation“
• Schwere der intrusiven Symptomatik - Prädiktor für
Rückfallswahrscheinlichkeit
(cave : Benzodiazepine erhöhen das Risiko für
Intrusionen )
• Entzugssymptomatik/Craving Hyperarousal/Flashbacks
• Albträume/Entzug - PTSD/ nächtl. Wiedererleben
2. Das Trauma und seine Folgen
Posttraumatische Belastungsstörung:
•
•
Was ist ein Trauma?
Psychopathologie der Trauma-Folgestörungen
Definition eines Traumas nach ICD 10 I

Ein Trauma ist ein
„belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher
Bedrohung oder
katastrophenartigen Ausmaßes (kurz- oder lang anhaltend), die
bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde.“
Definition eines Traumas nach ICD10 II
•
Ein Trauma wird verursacht durch:
• Naturereignisse
• Kampfhandlungen
• Schwere Unfälle
• Von Menschen herbeigeführte Katastrophen
• Miterleben des gewaltsamen Todes anderer
• Erleben oder Miterleben von Folter, Geiselnahme
oder Vergewaltigung
Trauma-Definition nach DSM-IV
•
Objektive Merkmale eines Traumas:
•
Bedrohung des eigenen Lebens
•
Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit
•
Schädigung oder tödliche Bedrohung anderer Personen
Trauma-Definition nach DSM-IV
•
Subjektive Merkmale eines Traumas:
•
Das Erleben intensiver Hilflosigkeit
•
Erleben intensiver Furcht
•
Erleben intensiven Entsetzens
Unmittelbare Überlebensreaktionen
•
Konzentration auf existenziell Notwendiges:
•
klares, überwaches Bewusstsein
•
Ausblenden „unwichtiger“ Details
•
keine Schmerzwahrnehmung
•
keine Gefühlswahrnehmung
•
automatisiertes Handeln
•
Nicht-Wahrnehmung der körperl. Belastungsgrenze
Typische Symptomatik nach
Traumatisierung I
1. Wiedererleben
•
Intrusionen: sich aufdrängende Erinnerungen in Form von
•
•
•
•
•
Gedanken und Bildern
Geräuschen
Gerüchen
Haptischem Erleben
Flashback: Wiedererleben; sich fühlen „wie im falschen
Film“
•
Albträume
Typische Symptomatik nach
Traumatisierung II
2. Vermeiden und emotionales Abstumpfen
•
Vermeidungsverhalten in Bezug auf
•
•
•
Orte
Situationen
Gedanken, die an das traumatische Ereignis erinnern
•
Gedächtnisschwierigkeiten
•
Entfremdungsgefühl
•
Interessensverlust
Typische Symptomatik nach
Traumatisierung III
3. Erhöhte Anspannung
•
Hypervigilanz (= Zustand einer überhöhten
Wachsamkeit und dauernder Anspannung)
•
Schlafstörungen
•
Reizbarkeit und Wutausbrüche
•
Konzentrationsschwierigkeiten
Pathologie der PTSD
•
Ein Trauma ist ein extrem stressreiches äußeres
Ereignis, das den Betroffenen überwältigt.
•
normale Abwehmechanismen funktionieren in der
Regel nicht mehr
• no fight
• no flight
 freeze or fragment
Fight or Flight – Handlung ist möglich
•
•
•
•
Aktivierung des sympathischen Nervensystems,
Freisetzung von Katecholaminen (Adrenalin,
Noradrenalin, Cortisol)
Starke Durchblutung der Muskulatur
Bereitstellung von Glukose als „Kampfreserve“
Geschlechtsspezifische Unterschiede:
• Frauen neigen zu Flucht
• Männer eher zum Kampf
Freeze or Fragment – Handlung ist
unmöglich
•
Der Organismus distanziert sich vom äußeren
Geschehen (= Dissoziation)
•
Endorphinausschüttung führt zu einer „Betäubung“
•
Die Erinnerung wird fragmentiert
•
Geordnete Gedächtnisverarbeitung ist nicht möglich
Gedächtnissystem der Stressverarbeitung
•
Hippocampus - Archiv des Gedächtnisses
• Biografisch
• Episodisch
• narrativ
•
Amygdala - „Feuerwehr“ und Notsystem
• extreme Reize sind der normalen Verarbeitung
entzogen
• Erinnerung ist fragmentiert, leicht zu „triggern“
• gestörte Überleitung zur Großhirnrinde Sprachzentren blockiert
Traumafolgestörungen I
• Reaktionen auf schwere Belastungen und
Anpassungsstörungen (PTSD)
• Depressionen
• Angststörungen
• Zwangsstörungen
• Somatoforme Störungen
• Schmerzstörungen
• Essstörungen
Traumafolgestörungen II/Sucht
• psychische und Verhaltensstörungen durch
psychotrope Substanzen
• Störungen durch Alkohol F (10.-)
• Störungen durch Cannabinoide (F 12.-)
• Störungen durch Sedativa oder Hypnotika (F 13.-)
• Nicht stoffgebundene Sucht
• Spielsucht
• Kaufsucht
• Sexsucht
Traumafolgestörungen III
Persönlichkeitsstörung
• andauernde Persönlichkeitsänderng nach
Extrembelastung (F 62.0)
• Borderlinestörung – emotional instabile
Persönlichkeitsstörung (F 60.31)
• Dissoziative Identitätsstörung (F 44.81)
– multiple Persönlichkeitsstörung
PAUSE
3. Die Dissoziative Identitätsstörung
Dissoziative Identitätsstörungen I
• Häufigkeit:
• bis zu 1% der Bevölkerung
• bis zu 5% bei stationären psychiatrischen Patienten
• bis zu 7% der Borderline-Patienten
• Ätiologie:
• schwere frühkindliche Gewalterfahrungen
• extreme sadistische Gewalt
• „verraten und verkauft“ – Betrayal-Trauma
Dissoziative Identitätsstörungen II
strukturelle Dissoziation nach Nijenhuis
primäre strukturelle Dissoziation
1 ANP, 1 EP  PTSD
sekundäre strukturelle Dissoziation
1 ANP, mehrere EPs  komplexe PTSD, DDnos
tertiäre strukturelle Dissoziation
mehrere ANPs, mehrere EPs  DID
Dissoziative Identitätsstörungen III
• negative Symptome der Dissoziation
– psychisch:
• Amnesie
• Depersonalisation
• Emotionale Betäubung
– somatisch
• „Schmerzlosigkeit"
• sensorischer Wahrnehmungsverluste
• Motorischer Funktionsausfall
Dissoziative Identitätsstörungen IV
• positive Symptome der Dissoziation
– psychisch:
• Stimmen hören
• plötzlich auftretende Emotionen
• Intrusionen, Flashbacks
– somatisch
• „Körpererinnerungen“ mit plötzlich auftretenden
Körperempfindungen und Schmerzen;
körperliches Wiedererleben des Traumas
4. Therapie
Suchtverhalten als
Selbstmedikation
• Trauma = Kontrollverlust =Ohnmachtserleben
• PTSD- Symptome sind z.B.
• Intrusionen
• Körperliches Wiedererleben
• Schmerzen
• Drogenkonsum =(scheinbare) Kontrolle über
• Gedanken
• Gefühle
• Körperliche Zustände
• Drogenkonsum macht Erleben „berechenbar“
Sucht – Trauma - Therapie
• Therapieziele:
– Erhöhung der Stresstoleranz
– Erhöhung der Frustrationstoleranz
– Verbesserung der Konfliktfähigkeit
– Dem ist die Abstinenz (zunächst) nachgeordnet
• Therapieinhalte:
– Entwicklung von Copingstrategie
– Skills-Training
– Exposition
Behandlung: Achtsamkeit
• Achtsamkeit ist das Gegenteil von Dissoziation
• Achtsamkeit bedeutet neugierig und offen
wahrnehmen, was ist ohne sofort etwas ändern
zu müssen.
• Annähern statt Vermeiden
• Stabilisierungsübungen
• Verbesserung der Prognose durch Kombination
von Trauma- und Suchttherapie
Traumatherapie bedeutet
neuronale Neuverknüpfung
Für die Verarbeitung eines traumatischen Erlebnisses sind
folgende Verknüpfungen notwendig:
• Was ist passiert ?
• Was habe ich gefühlt ?
• Was habe ich gedacht ?
• Wie habe ich reagiert ?
• Es ist vorbei. Ich habe überlebt.
• (Reddemann, 2008)
Inhalte der Traumatherapie I - Bindung
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•
Psychotherapie mit komplex dissoziativen Menschen
dauert lange
Und ist bindungsintensiv
Einerseits „sicheres Geländer“: halt- und
strukturgebende Beziehung
Andererseits Feinfühligkeit und WachstumsOrientierung: das Persönlichkeitssystem fördern, damit
die „Puzzlestücke zusammenfallen“.
Unser Klientel ist das mit den meisten „Drop-Outs“
und Rückfällen.
Ergo: Sichere und verlässliche Bindungserfahrung
herstellen und fördern.
Copyright: Michaela Huber
02.11.2015
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Inhalte der Traumatherapie II
•
•
Stabilisierung
• Psychoedukation
• Herstellen äußerer Sicherheit
• Vermitteln trauma-distanzierender Techniken
• imaginative Übungen
Traumakonfrontation
• EMDR
• Screen-Technik
• Verhaltenstherapie
Inhalte der Traumatherapie III:
Imaginationsübungen
• Dissoziative Fähigkeiten nutzen
• Dissoziative Zustände regulieren Spannung und Stress
• Stress führt zum Suchtverhalten – Suchtdruck wird oft eher
wahrgenommen als der zugrunde liegende Stress
• Dissoziation dient dem Rückzug aus einer schwierigen (über-)
fordernden Umwelt
• Selbststeuerung und Affektkontrolle durch imaginative
Stabilisierungsübungen wie
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•
•
•
Tresortechnik
Sicherer innerer Rückzugsort
Innerer Garten
Reorientierungsübung
5. Übungen, Supervision und
Fallbesprechung