Je schwerer desto Pädagogik

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Transcript Je schwerer desto Pädagogik

Je schwerer desto Pädagogik
Dr. Eva und Dr. Winfried
Tröbinger
Kennen Sie Menschen….
• Die unvermittelt von heftigen Emotionen
überfallen werden ?
• Die ihr Verhalten dann abrupt verändern ?
• Die an Albträumen leiden ?
• Die auf alltägliche Signale schreckhaft
reagieren?
• Die innerhalb kürzester Zeit des Gegenteil
von dem behaupten was sie zuvor vertreten
haben?
Oder…
• Die sich an etwas was sie zuvor gesagt oder
getan haben nicht erinnern können?
• Die konsequent Situationen vermeiden (die sie an
schlimme Erfahrungen erinnern könnten)?
• Die sich häufig ohne ersichtlichen Grund in
Alarmbereitschaft (Kampf/Fluchtbereitschaft)
befinden?
• die plötzlich von heftigen, beängstigenden
körperlichen Beschwerden befallen werden und
der Arzt keine körperliche Ursache dafür findet ?
Symptomgruppe: Erinnerungsdruck
(mind. 1 Symptom)
Intrusion
Alpträume
Flashbacks
Belastung durch Auslöser (Trigger)
Physiologische Reaktionen bei Erinnerungen
Symptomgruppe: Vermeidung /
Numbing
(mind. 3 Symptome)
Gedanken- / Gefühlsvermeidung
Aktivitäts- / Situationsvermeidung
Amnesien
Interessensverminderung
Entfremdungsgefühl
Eingeschränkter Affektspielraum
Eingeschränkte Zukunft
Symptomgruppe Chronische
Übererregung
(mind. 2 Symptome)
Schlafstörungen
Erhöhte Reizbarkeit
Konzentrationsschwierigkeiten
Alarmbereitschaft
Übermäßige Schreckreaktion
PTBS – eine Modediagnose?
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1859 Briquet: chron. Somatisierung
1871 Da Costa: „soldier´s heart“ „shell shock“
1889 Pierre Janet: Hysterie, Dissoziation
1916 Deutsche Militärpsychiatrie: „Kriegszitterer“,
Simulation
• 1941 Kardiner: „Physioneurose“
• Nach 1945 „Begehrneurose“, „Rentenneurose“
(F68.0)
• 1980 DSM III : posttraumatic stress disorder
Traumatisiert sind wir doch alle ?
• Bis zu 75 % der Menschen machen im Laufe ihres
Lebens eine traumatische Erfahrung
• 25 % davon entwickeln eine
Traumafolgeerkrankung
• Unter diesen ist die Wahrscheinlichkeit
• eine Depression zu bekommen 26 x
• eine Angst/Panikstörung zu bekommen 27x
• eine Alkoholkrankheit zu entwickeln 28 x
• häufiger als in der Normalbevölkerung
Viele Menschen erholen sich von selbst
• Etwa 1/3 erholen sich von selbst
• ALLERDINGS: von Vergewaltigungen
höchstens ¼
• Von Folter fast niemand alleine
• 1/3 erscheint gesund : Situationen von
Ohnmacht und Hilflosigkeit können das Trauma
wiederbeleben
Kennen sie Menschen, die……
• Längere Zeiträume nur dasitzen, vor sich hin starren und auf
nichts reagieren?
• Die in vergleichbaren Situationen völlig verschieden reagieren
• Deren Stimme, Sprache und Verhalten sich plötzlich deutlich
verändert, als ob sie eine andere Person oder zumindest
wesentlich jünger wären?
• Zeitweise das Gefühl haben, dass ihr Körper oder ein Teil
ihres Körpers nicht zu ihnen gehört?
• Die Stimmen in ihrem Kopf hören, die ihnen Anweisungen
und Kommentare abgeben?
• Die sich gelegentlich nicht sicher sind ob Ereignisse wirklich
geschehen sind oder sie diese lediglich geträumt haben.
Dissoziative Störungen
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Amnesie
Imagination
Derealisation / Depersonalisation
Konversion
• Identitätsverwirrung / Identitätsänderung
• Prävalenz in Nord-Amerika und Europa:
– Dissoziative Störungen : 2 – 10 %
– Dissoziative Identitätsstörung: 1 %
Dissoziation
(Nijenhuis 2007)
psychisch – somatisch
• Negative Symptome
– Amnesie
– Depersonalistion
– Emotionale Betäubung
• Positive Symptome
– Stimmenhören
– „gemachte“ Emotionen
– Wieder-Erleben des
Traumas, Affektive und
kognitive Komponenten
• Negative Symptome
– Schmerzlosigkeit
– Körperliche Betäubung
– Motorische Hemmung
• Positive Symptome
– Lokalisierte Schmerzen
– „gemachte“
Körperempfindungen
– Wieder-Erleben des
Traumas, körperliche
Komponenten
Soziale Psychiatrie gehört zu den Menschen
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Resilienzfaktoren (Connor 2006)
• Innere Kontrollüberzeugung
• Starkes Gefühl von
Selbstbestimmung
• Gefühl von Sinnhaftigkeit
• Fähigkeit, Veränderung /
Stress als Herausforderung
zu sehen
• Unterstützendes
Engagement für andere
• Sicheres Bindungsmuster
• Persönliche und kollektive
Ziele
• Selbstwirksamkeit
• Handlungsorientierter
Ansatz
• Fähigkeit sich an
Veränderung anzupassen
• Fähigkeit frühere Erfolge zu
nutzen
• Geduld
• Toleranz von negativen
Affekten
• Optimismus
• Vertrauen
Diagnostik in Kooperation mit
Psychologie und Medizin
• Selbsteinschätzungsfragebögen
• Fremdeinschätzungsfragebögen
• Strukturierte klinische Interviews
• BEEINTRÄCHTIGUNGSKRITERIUM
• Dauer der Beeinträchtigung
Beeinträchtigungen
• Alltagskompetenzen
• Funktionsfähigkeit
(privat/schulisch/beruflich)
• Stabilität
• Sicherheit
• Aufbau / Aufrechterhalten von konstanten
nahen Beziehungen
Übertragung /
Gegenübertragung
• Patient „überträgt“ unbewusst seine Gefühle
gegenüber Autoritätspersonen seiner
Kindheit auf den Behandler/Betreuer
• Der Behandler/Betreuer kann unbewusst
eigene Vorerfahrungen und / oder intuitive
Wahrnehmungen von Prozessen des
Patientensystems auf den Patienten „gegenübertragen“
E. & W. Tröbinger
Soziale Psychiatrie gehört zu den Menchen
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Psychodynamische Aspekte
• Massive Spaltungstendenzen in Übertragung und
Gegenübertragung
• Bei traumatisierten Menschen sehr widersprüchlich
(„ausspielend“) gegenüber verschiedenen Betreuern /
Systemen
• Typischerweise widersprüchliche
Gegenübertragungen bei verschiedenen Helfern
Achtsame multiprofessionelle Reflexion der
widersprüchlichen Teile und professionellen Sichtweisen
hat heilsame Wirkung
Systemische Aspekte
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Familiensystem
Betreuungssystem
Behandlungssystem
Kontroll- /
Schutzsysteme
Dys- /Funktionalität
Wertsysteme
Verantwortung
Kontext
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Auftragsklärung
Motivation
Ressourcen
Zieldefinitionen
Vulnerabilitätsfaktoren
Vernetzung
Nicht verurteilende
Beschreibung
• Ökologie
Was geschieht im Gehirn?
• „Neuroplastizität“ =
Anpassungsvorgänge
im Gehirn an die
Lebenserfahrung
• Angst engt das
Denken ein
• Erhöhte
Cortisolspiegel wirken
sich ungünstig auf
Nervenzellen (bes.
Hippocampus) aus
Kampf
„fight“
TRAUMA
Erstarrung
Flucht
„Freeze and
„flight“
Fragment“
Soziale Psychiatrie gehört zu den Menschen
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Hippocampus
• Schaltstation im
limbischen System
• Vernetzung mit
Sprachzentren, Thalamus
und beiden
Großhirnhemisphären,
• Bewertung, Filterfunktion,
emotionale Tönung
• Wichtige Funktion bei
Lernen und Verarbeiten
Soziale Psychiatrie gehört zu den Menschen
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Amygdala
• „Feuerwehr“
• Evolutionär noch
älteres Alarmzentrum
• Verknüpft mit
Hippocampus
• Blitzartiges Erkennen
von Bedrohung
• Auslösen der Bereitstellungsreaktion
Soziale Psychiatrie gehört zu den Menschen
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Multimodale Behandlung und
Betreuung
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Ärzte
Psychotherapeuten
Psychologen
Sozialarbeiter
Pädagogen
Ämter / Behörden / Kranken- und
Sozialversichung
• Familien / Freunde / Nachbarn ….
Neue Erkenntnisse der
Traumatherapie
• Gehirntraining für positives Erleben und Verhalten
– Ressourcenarbeit
– Freudetagebuch …..
• Erlernen von Distanzierungstechniken für unvermeidbare Traumaerinnerungen
– Bildschirmtechnik
– Externalisierung
• Frühtraumatisierte haben destruktive Bindungsmuster und
dysfunktionale Stressbewältigungsmuster verinnerlicht.
– Nachlernen sicherer, verantwortungsvoller, positiver Bindung
• Trauma/bearbeitung und -integration in bits und pieces
– „Salamitechnik“
• langsame stressfreie Entwicklung von Sprach- und
Imaginationsformen für die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile.
Erst nach ausreichender Ich-stabilisierung Arbeit mit
täterimitierenden und täterloyalen Anteilen
Soziale Psychiatrie gehört zu den Menschen
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Wer ist „psychotherapietauglich“
?
• Welche Voraussetzungen muss ein Klient
/ Patient mitbringen um eine regelmäßige
Einzelpsychotherapie machen zu können
und davon zu profitieren?
• Je schwerer die Beeinträchtigung und die
Instabilität desto weniger kann
Psychotherapie alleine helfen.
Rolle der Traumapädagogik
• Alltägliche Hilfen zum Nachtrainieren positiver Hirnfunktionen
• Auf der Basis eines systemisch-multiprofessionellen Ansatzes ist
es notwendig die neuen Erkenntnisse aus Hirnforschung und
Traumatherapie nicht nur in die Psychotherapie sondern auch in
die medizinische Behandlung und die alltägliche Pädagogik zu
integrieren.
• Traumapädagogische Konzepte in der alltäglichen Begleitung
ermöglichen den Betroffenen ein Nachlernen von
krankheitsbedingt fehlenden Alltagskompetenzen und sozialen
Fertigkeiten.
• Traumapädagogisch orientierte Strukturen bieten ausreichend
Sicherheit, Wertschätzung und kompetente Hilfestellungen mit
dem Ziel der Selbstermächtigung.
Psychoedukation
• Psychoedukation ist eine pädagogische
Maßnahme in verschiedensten
Behandlungsformen, die Betroffenen und
Angehörigen detailliertes Wissen und
wesentliche Kompetenzen in diesem Fall
über posttraumatische Belastungsstörungen
und damit oft verbundene Erkrankungen
vermittelt um Betroffene zu Spezialisten ihrer
eigenen Störungen zu machen.
Traumapädagogische
Gesundheitsförderung
• „Händewaschen hält wesentlich mehr
Menschen gesund als Antibiotika“
• Es ist auch ein pädagogischer Auftrag
ausreichend Wissen um Traumafolgestörungen und deren Prävention in die
Öffentlichkeit, die Politik und alle anderen
gesellschaftlichen Institutionen zu bringen.