Was bringt der Kreißsaalführerschein Osnabrück für die tägliche

Download Report

Transcript Was bringt der Kreißsaalführerschein Osnabrück für die tägliche

FORTBILDUNG + KONGRESS
GEBURTSHILFE
Was bringt der Kreißsaalführerschein
Osnabrück für die tägliche Praxis?
Michael Butterwegge
Wie macht man einen angehenden Frauenarzt schnell und
sicher so weit fit für den Kreißsaal, dass er dort verantwortungsbewusst arbeiten kann? Ein Team von erfahrenen Geburtshelfern überlegte sich 2004, welche Art der Fortbildung
dem beruflichen Nachwuchs den schnellsten Zuwachs an relevantem Wissen und vor allem praktischen Fähigkeiten bringen
könnte. Seither haben rund 250 Lernbegierige in Osnabrück
ihren „Kreißsaalführerschein“ gemacht. Im Folgenden berichten einer der Initiatoren und eine Teilnehmerin.
Während die Ausbildung von Hebammen in einem dreijährigen intensiven, sehr praxisorientierten Ausbildungsmodul erfolgt, werden die GeburtshelferInnen
weitestgehend
theoretisch ausgebildet. Studiert man
das alte Handbuch „Geburtshilfe“ von
Willibald Pschyrembel, so kommt man
schnell zu dem Schluss, dass noch vor
einigen Jahrzehnten, in Ermangelung
der jetzigen technischen Möglichkeiten, auch in der Ausbildung von Frauenärztinnen und Frauenärzten wesentlich stärker als heute handwerklich-manuelle Fertigkeiten diskutiert,
am Phantom demonstriert und in der
Praxis gelehrt wurden.
Der Wandel in der Medizin hat uns alle zunehmend in eine theoretische
Nische gedrängt, sodass heute junge
Leute vornehmlich DRG-optimiert und
weniger praktisch geburtsmechanisch
ausgebildet werden (können). Ärztliche Fortbildungen wurden in den letzten Jahrzehnten eher theoretisch, in
Form von Frontalvorträgen gehalten.
Die praktische Ausbildung wurde häufig vom Klinikdirektor zunehmend in
die Hände von Hebammen verlagert.
Nur so ist erklärbar, dass neben der
Tatsache, dass die Sectiorate seit Jahren kontinuierlich steigt, die Rate an
hypoxämischen Neugeborenen nicht
sinkt, sondern parallel ebenso ansteigt.
472
FRAUENARZT „ 48 (2007) „ Nr. 5
Hohe Anforderungen,
hohe Risiken
Intensives Risikomanagement sub
partu mit Abschätzung der Geburtsmechanik, Interpretation der fetalen
Herzfrequenz im CTG sowie der Prozedur der Fetalblutanalyse – manchmal
sogar mehrfach – setzen große Expertise und klinische Erfahrung beim
Geburtshelfer voraus. Vergleicht man
nach einer schwierigen und zeitaufwändigen vaginalen Geburt die finanziellen DRG-Erträge für das Krankenhaus, so wird man betrübt feststellen,
dass die Durchführung einer primären
Sectio wesentlich höhere Einnahmen
gebracht hätte. Um so paradoxer erscheint es, dass auf der einen Seite
das perinatale Risiko für Mutter und
Kind durch eine gute Geburtsmedizin
im Vergleich zu früheren Zeiten deutlich sinkt, auf der anderen Seite aber
das forensische Risiko für alle Kreißsaalmitarbeiter steigt.
Komplexe Situationen erfordern eine solide Ausbildung
An die Kreißsaalärzte werden heute
hohe Anforderungen gestellt, nicht nur
im Hinblick auf eine gute Medizin,
sondern vor allen Dingen im Hinblick
auf Kreißsaalorganisation und -dokumentation. Nur so können langjährige
Begutachtungen von Krankenblättern
und gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden. Es ist heute
nicht mehr zeitgemäß, junge Mitarbeiter mit Eintritt in eine Frauenklinik
im Bereich von Kreißsaal und Wochenstation „mitlaufen“ zu lassen. Die
fachlich engagierte und korrekte Versorgung von schwangeren Frauen ante und sub partu sowie post partum
stellt hohe Ansprüche an die betreuenden Ärzte. Komplexe Abläufe im
Kreißsaal mit Entscheidungsfindung
sowie fach- und zeitgerechten Rückschlüssen daraus sind Eckpunkte, an
die unsere jungen Ärzte zeitnah herangeführt werden müssen.
Lesen Sie bitte weiter auf S. 474
Themenangebote beim Kreißsaalführerschein Osnabrück
„ Von der Kreißsaalaufnahme bis zur Entlassung – Minimalstandards
„ CTG-Leitlinie: Indikation und Interpretation
„ Fetalblutanalyse: Richtige Techniken und Interpretation der Ergebnisse
„ Additive Messmethoden sub partu (Pulsoxymetrie, STAN, Doppler)
„ Indikation und Durchführung von vaginal operativen Entbindungen
„ Risikomanagement und korrekte Dokumentation
„ Korrekte Versorgung von geburtshilflichen Verletzungen
„ Management einer Schulterdystokie
„ Leitlinie Beckenendlage
„ Phantomkurs mit zahlreichen praktischen Erfahrungen
Kreißsaalführerschein in Osnabrück – ein Erfahrungsbericht
ine Fortbildung mit dem Titel „Kreißsaalführerschein“ lässt unweigerlich an Fahrschule denken.
Der pragmatisch klingende Name spiegelt sehr anschaulich wider, in welcher Weise man während eines Tages durch verschiedene heikle geburtshilfliche Situationen zu steuern hat. Referentin PD Dr. Maritta Kühnert
dazu: „Als ich meinen Führerschein erhalten hatte, sagte
mein Vater zu mir: Den Schein besitzt du jetzt, fahren
lernen wir in der nächsten Zeit.“ Von einigen Kolleginnen und Kollegen aus unserer Abteilung, die an dem
Kurs bereits im Jahr zuvor teilgenommen hatten, wussten wir, dass neben der Aneignung vieler praktischer
Fertigkeiten der Kurs auch viel Spaß gemacht hat. Zu
dritt fuhren wir nach Osnabrück, in der Hoffnung, in
möglichst kurzer Zeit die wesentlichen Notfallsituationen der Geburtshilfe so dargestellt zu
bekommen, dass wir sie am Ende des Tages am
Phantom meistern konnten.
E
der Lage, eine eingetretene Schulterdystokie zu lösen. Die
Wiederholung und Verinnerlichung der Algorithmen erscheint u.a. entscheidend, um dem Geburtshelfer die Ruhe
und Selbstsicherheit zu geben, von der vor allem Kind und
Mutter profitieren.
Das Programm wurde abgerundet durch die Themen Fetalblutanalyse, Minimalstandards im Kreißsaal und Versorgung geburtshilflicher Traumen. In Diskussionen wurden unterschiedliche Vorgehensweisen, verschiedene
Therapiekonzepte und sehr fortschrittliche Überwachungsmöglichkeiten aufgezeigt, die Anregung für die
klinikinterne Umsetzung sein könnten. Darüber hinaus
wurde intensiv auf neueste CTG-Leitlinien eingegangen.
Den Kurs eröffnete Professor Butterwegge. Er
begann mit einem CTG-Quiz mit TED-Analyse.
Nach Einschätzungen aus dem Auditorium zu
einzelnen CTG-Streifen wurden Expertenmeinungen von 20 Geburtshelfern bekannt gegeben, die zum Teil erheblich hinsichtlich „normal“, „suspekt“ und „pathologisch“ divergierten. Dieses Ergebnis zeigte, dass eine konkrete
Einschätzung der Situation allein aufgrund von
objektiven Fakten ohne weitere Informationen
zur Patientin nur unzureichend getroffen werden kann. Dagegen wurde deutlich, wie wichtig
differenzialdiagnostische Überlegungen zu Ursache und Therapie der Fälle sind.
FORTBILDUNG + KONGRESS
„Den Schein besitzt du jetzt, fahren lernen wir in der nächsten Zeit“
Am Phantom übten die Teilnehmer wichtige geburtshilfliche Handgriffe.
Am Phantom wurden in kleinen Arbeitsgruppen
die jeweiligen Algorithmen der Schulterdystokie, verschiedener Entwicklungen aus Beckenendlage und vaginal operativer Entbindungen erprobt, wobei jeder Teilnehmer die Möglichkeit hatte, unter Anleitung einmal
selbstständig die einzelnen Handgriffe auszuführen. Die
zuvor gezeigten Videos waren sehr hilfreich, um sich die
einzelnen Abläufe nochmals vor Augen zu führen, ersetzen jedoch nicht die praktische Übung. Dies wurde an
den unkonventionell bis abenteuerlich ausgeführten
Kindsentwicklungen innerhalb der Gruppe deutlich. Offensichtlich kann aber bereits die Auseinandersetzung
mit „Notfallsituationen“ in der Kindsentwicklung von
verschiedenen Standpunkten aus dazu führen, dass während der alltäglichen Arbeit im Kreißsaal auf dieses Wissen zurückgegriffen werden kann.
Einem Bericht zufolge war eine Assistenzärztin aufgrund
der in diesem Kurs erworbenen Fertigkeiten im Dienst in
Die täglichen Fragen zu hinreichender Dokumentation,
der Art und Weise von Aufklärungen in dringlichen oder
Notfallsituationen wurden aus juristischer Sicht erläutert
und mögliche Fehlerquellen aufgezeigt. Insgesamt bestand das Programm aus einer guten Mischung von
knappen Vorträgen und praktischen Übungen. Für das
leibliche Wohl wurde zwischendurch mit einem ansprechenden, vitaminreichen Büffet in entspannter Atmosphäre gesorgt.
Für jeden, der im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe neu beginnt, aber offensichtlich auch für viele erfahrene Hebammen und Geburtshelfer ist der von Professor Butterwegge in Osnabrück ins Leben gerufene
„Kreißsaalführerschein“ eine Unterstützung in den Anfängen und eine Bereicherung und Untermauerung des
eigenen Wissens und der eigenen Fertigkeiten.
Hanna Lilienfein, Essen
FRAUENARZT „ 48 (2007) „ Nr. 5
473
FORTBILDUNG + KONGRESS
Zwei der Referenten: Prof. Dr. Michael Butterwegge (links) und Prof. Dr. Klaus Vetter.
Praxisorientierte Fortbildung
statt Frontalvorträge
Im Sommer 2004 hatten Prof. KTM
Schneider und der Autor die Idee,
statt der üblichen perinatologischen
Frontalvorträge im Rahmen eines eintägigen Ausbildungsprogramms eine
praxisorientierte Fortbildung zu ermöglichen. In bisher drei Kursen sind
in Osnabrück etwa 250 GeburtshelferInnen und Hebammen theoretisch
sowie praktisch ausgebildet worden.
Unter dem Thema „Von der Kreißsaalaufnahme der Patientin bis zur Entlassung“ sollen alle praxisrelevanten
Themen wie bei einer Führerscheinausbildung angesprochen werden. Mithilfe erfahrener Geburtshelfer werden
alle Teilnehmer in Kleingruppen am
Phantom angeleitet. Praktische Übungen zu den Themen Beckenendlagengeburt, Behandlung einer Schulterdystokie, richtige Durchführung vaginal operativer Entbindungen und Versorgung des Neonaten inklusive
Intubation gehören zum fünfstündigen praktischen Ausbildungsprogramm. Klinisch ausgebildete Geburtshelfer mit akademischer Expertise geben in Kurzvorträgen eine
Zusammenfassung zu aktuellen wissenschaftlichen Themen sowie Leitlinien. In Osnabrück werden besonders
das praxisrelevante Wissen und die anschließende intensive Diskussion mit
den Teilnehmern in den Vordergrund
474
FRAUENARZT „ 48 (2007) „ Nr. 5
gestellt. Der Autor stellt, insbesondere neben der CTG-Leitlinie, viele Fallbeispiele mit Interpretation nach FIGO-Score in Verbindung mit pH-Metrie
und neonatalem Outcome vor.
Gute Grundlage
für die weitere Arbeit
Alle Teilnehmer erhalten ein entsprechendes Kreißsaalzertifikat, das
belegt, dass sie für ihre Tätigkeit im
Kreißsaal auf den neuesten wissenschaftlichen Stand gebracht wurden.
Aber auch in diesem Zusammenhang
gilt wie beim PKW-Führerschein: Es
werden keine „Formel-1-Fahrer“ ausgebildet, sondern theoretische und
praktische Fähigkeiten vermittelt,
sodass die Teilnehmer anschließend
zu Hause „ohne Beulen und Lackschäden“ die Fahrt durch den Kreißsaal aufnehmen können. Interessenten finden aktuelle Informationen
und Anmeldeformulare unter www.
kreisssaalfuehrerschein.de.
Autor
Prof. Dr. med.
Michael Butterwegge
Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie
Marienhospital Osnabrück
Johannisfreiheit 2–4
49074 Osnabrück