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Konzeption einer
Ontologie der österreichischen Rechtsordnung
IRIS 2004
Erich Schweighofer , Doris Liebwald
Universität Wien, Institut für Völkerrecht
Arbeitsgruppe Rechtisnformatik
Überblick

Begriff der Ontologie

Vorarbeiten zu einer Ontologie des österreichischen
Rechts

Modell der Schweighofer‘schen Ontologie

Konklusionen

Weitere Forschungen ...
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Begriff und Ziel der Ontologie

Explizite Formalisierung des Rechts

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
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
Formales Modell des Rechts
Computergerechte Verarbeitung
Vernetzung mit existierenden Weltbeschreibungen (Ontologien
der Informatik)
Wiederverwendung
Umsetzung in IT-Anwendungen
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Ontologien: Grundlagen I

Begriff

Philosophie



ontos, griech., „das Seiende“
Ontologie: „Seinslehre“, die Lehre dessen was ist; von den
Möglichkeiten und Bedingungen des Seienden (Paramenides von
Elea)
Wissensrepräsentation


Beschreibung dessen, was in einem definierten Teilbereich des
Wissens existiert;
Gruber: „explizite formale Spezifikation einer Formalisierung“
Uschold: „shared understanding of some domain of interests“
Formale Festlegung von Begriffshierarchien, Relationen und
Attributen
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Ontologien: Grundlagen II

Warum Ontologien?


Gemeinsame Nutzung von Wissen, Überprüfung einer
Wissensbasis, Notwendigkeiten des Software Engineering,
Wissensakquisition, Repräsentation und Wiederverwendung des
Wissens
Klassische Logik in den Rechtswissenschaften / Formale Logik
in der Informatik: Ontologien als Verbindung/Missing Link
zwischen AI&Recht und Rechtstheorie

Besonderheiten/Problematik des Rechts: Unbestimmte Begriffe,
Dynamik, systematischer Zusammenhang, syntaktische
Mehrdeutigkeiten
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Projekte/ FBO

Frames-basierte Ontologie, van Kralingen und Visser

Ziel: Entwicklungstechniken für juristische Wissenssysteme zu verbessern;
Wiederverwendung von Wissensspezifikationen
 Aufbau:



Allgemeine juristische Ontologie, wieder verwendbar, 3 Klassen von
Modellierungsprimitiven, für jede Einheit ist eine Framestruktur mit allen relevanten
Attributen definiert:
 Normen: 8 Elemente (Regelnamen, Regeltyp, Kundmachung, Betätigungsfeld,
Bedingungen der Anwendung, Normadressat, rechtliche Modalität, Namen von
Akten)
 Aktionen: 14 Elemente (Name der Aktion, Kundmachung, Regelungsgebiet,
Agent, Typ der Aktion, Modalität der Mittel, Art der Aktion, zeitliche Aspekte,
örtliche Aspekte, Umstände des Stattfindens einer Aktion, Grund für
Aktionsdurchführung, Ziel der Aktion, Absicht der Aktion, Konsequenz der Aktion)
 Begriffsbeschreibung: 7 Elemente (zu beschreibender Begriff, Art des Begriffs,
Gewicht eines Faktors, Kundmachung, Regelungsgebiet, Bedingungen zur
Anwendung des Begriffs, Beispiele für den Begriff)
Normspezifische Ontologie: muss für jede Sub-Domäne neu angelegt werden
(Vokabular)
Einsatz: Darstellung des niederländischen Arbeitslosenversicherungsgesetzes
(Bemessung, Planung)
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Projekte/ FOLaw 1

Funktionale Ontologie / Valente
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
Ziel: Organisation und Vernetzung von Rechtwissen, insb in
Hinblick auf konzeptionelles IR
6 Grundkategorien des Rechtswissens


Einsatz/Folgeprojekte:




Normatives Wissen, Weltwissen, Haftungswissen, Sanktionswissen,
Rechtschöpfungswissen, Metawissen
ON-LINE (Architektur für künstliche juristische Falllösung)
CLIME/MILE (Ziel: juristischer Informationsserver für größte
Textmengen; Testanwendungen: Schiffsklassifikation, Seerecht;
konzeptionelles IR, Dialogsystem, abstrakte Fallbeschreibung)
PROSA (Trainingssystem zur juristischen Falllösung)
Problem: Modellierung des “Weltwissens”
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Projekte/ FOLaw 2
Funktionale Ontologie / Valente
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Projekte/E-Court, LRI-Core 1

Projekt E-Court/University of Amsterdam

Ziel: Flexibles, multilinguales IR-System über heterogene Quellen (Audio, Video,
Text) für Bereich Strafprozess
 Hauptfunktionen: Audio-/Video-/Text-Synchronisation, Advanced IR, Database
Management, Workflow Management, Security Management
 LRI-Core: Breite Begriffsstruktur der typischen juristisch relevanten Oberbegriffe;

Grundannahmen:
 Objekte und Prozesse sind die Grundeinheiten der physikalischen Welt
 Mentale Entitäten verhalten sich weitgehend analog zu physikalischen Objekten
 Kommunikation erfolgt über physikalische Objekte (Dokumente) und Aktionen
(Sprache)
 Mentale und physische Welt überschneiden sich im Begriff „Akteur“
 Soziale Ordnung und Prozesse setzen sich aus Rollen/Funktionen zusammen,
die von den als individuelle Personen identifizierbaren Akteuren ausgeführt
werden
 Zeit und Raum haben zweideutigen Status (Position, ergänzende Eigenschaft)

Besteht aus etwa 200 Begriffen, in Entwicklung; umfasst bereits die wesentlichen
verbindenden “Ankerpunkte” wie Person, Rolle, Aktion, Prozess, Methode, Zeit, Raum,
Dokument, Information, Zweck etc
DAML+OIL/RDF, Protégé-2000

ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Projekte/E-Court, LRI-Core 2
Struktur LRI-Core/E-Court University of Amsterdam
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Projekte/E-Power, Automatische Textanalyse

E-Power, Projekt der NL Steuer- und Zollverwaltung

Anwendungsorientiertes Wissenssystem; Formalisierung von Gesetzen
und Verordnung als begriffliche Modelle
 Automatische Aufgabenerledigung (zB Subsumtion, Berechnung,
Ausfertigung); Umfangreiche Unterstützung von Gesetzgebung bis
Rechtsanwendung;
 Unified Modeling Language (UML)/Object Contraint Model (OCL)
 Prototyp: niederländisches Einkommensteuergesetz; Einsatz: Fortis
Bank/Belgien, Rentenverwaltungsabteilung des niederländischen
Finanzministeriums

Automatische Textanalyse/Begriffliche Indexierung:


KONTERM (Schweighofer 1999)
FLEXICON (Smith 1997), University of British Columbia
 SALOMON (Moens 1997)
 SMILE (Brünninghaus/Ashley 1999)
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Projekte/WordNet


WordNet: Englischsprachige lexikalische Datenbank, Linguist
George Miller/Princetone University
(http://www.cogsci.princeton.edu/~wn/)
EuroWordNet EWN


Ziel: mono- und crosslinguales Information Retrieval
WordNet-Lexika für verschiedene europäische Sprachen, verbunden
durch einen interlingualen Index (ILI), Basisstruktur amerikanisches
WordNet, erweiterte semantisch-lexikalische Relationen (insb
Synonymie, Antonymie oder Hyponymie). Drei Top-Level-Kategorien
("top-ontology" mit 63 semantischen Auszeichnungen/Merkmalen – 1st,
2nd, 3rdOrderEntity) bilden den gemeinsamen semantischen Rahmen
für alle Sprachen (http://www.illc.uva.nl/EuroWordNet/);
 Deutsche Variante: GermaNet (http://www.sfs.nphil.unituebingen.de/lsd/)

Aufbauend auf WordNet und EWN: Global WordNet
http://www.globalwordnet.org
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Vorarbeiten zu einer Ontologie des
österreichischen Rechts (1)

Rechtordnung als Informationssystem = syntaktische (und andere)
Zeichen von bestimmten Autoren und über bestimmte
Kommunikationskanäle (BGBl, RIS) [Schweighofer 1995/1999]

Formale Sprache zur Beschreibung des Wissensinhalts bzw der
Beziehungen (Links) zwischen Normen und Sachverhalten

Österreich = Dominanz der Verweisungen: Höchstgerichte
(Normenliste des VwGH (Paschinger)), Hohenecker Index
(nunmehr: Jahnel & Team), Neuner-Zechmeister-Index, CELEX
Verweisungen

Thesauri: Rida, Karlsruher Bibliographie, Bibliotheksthesaurus,
Eurovoc, Schlagwortliste des EuGH, Schlagwortlisten der
Höchstgerichte
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Vorarbeiten zu einer Ontologie des
österreichischen Rechts (2)

Klassifikationen: Index des Bundesrechts,
Fundstellennachweis des Gemeinschaftsrechts

Bewertung




Breite: sehr umfassend
Tiefe: außer Verweisungen oft unzureichend
Zusammenhänge: hierarchische Beziehungen, wenig ausgebaut
Attribute: sehr gering

Menschengerecht, unterstützen Juristen

Nicht computergerecht, aber IT unterstützt wesentlich
Nutzung für den Menschen
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Modell der Schweighofer‘schen Ontologie (1)

Reale Welt


Personen - Subjekte (Agenten)
Sachen - Objekte
 Handlungen und Unterlassungen (vorsätzlich, fahrlässig) - Prozesse
 Beschreibung durch existierende Ontologien (zB WordNet)

Rechtssystem als (gewollte, akzeptierte und erzwungene)
Normenordnung: Idee der sozioökonomischen Gestaltung durch
Recht bei Risikominimierungsziel

Informationssystem (Textarchiv)



Publizierte, kommunizierte und dokumentierte Rechtsordnung
 Texte + Zeichen + Bilder
 Früher: Gesetzesblätter, heute: Rechtsdokumentations- und
Rechtssuchmaschine
Analyse und Beschreibung - wissensbasiertes System
Kommentar und System (konventionelle Methode); IT-gestütztes
System (AI Forschungen)
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Modell der Schweighofer‘schen Ontologie (2)
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


Prinzipien
Materielle Regeln
Formelle Regeln
Rechtsanwendung
 Verfahrensordnungen
 Exekutionsordnungen
Rechtsschaffung und –fortbildung
Begriffsstruktur des Rechtsgebiets
Konventionelle Methode:
 Lehrbuch, Handbuch, Kommentar, System
 menschliche Denkleistung, unzureichend in Papier abgebildet
IT Methode: Automatisierung, pervasive computing, aber ungelöste
Probleme: Formalisierung, Normenquanität, Effizienz
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Modell der Schweighofer‘schen Ontologie (3)

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
Zwischenschritt: hybrides wissensbasiertes System
(Schweighofer 1996/1999)
Ausgangspunkt einer Formalisierung ist nicht mehr das
Informationssystem, sondern eine (mehr oder weniger)
effizientes hybrides wissensbasiertes System
Sämtliche Analysen werden (semi)automatisch erstellt
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




Normen als logische Sätze (materielle Regeln) oder
Prozessdiagramme (zB SoftLaw)
Klassifikation (zB GHSOM, LabelSOM)
Verweisungen (zB AustLII, SiteSeer)
Begriffsanalyse (zB KONTERM)
Zusammenfassungen (zB KONTERM, FLEXICON)
Textanalyse (zB die Forschungen in Leuven, Wien, Pittsburgh,
Amherst etc.)
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Modell der Schweighofer‘schen Ontologie (4)


Weiterentwicklung und Umsetzung als Ontologie
 Materielle Regeln: Personen, Sachen, Handlungen und
Unterlassungen
 Formelle Regeln: Rechtsanwendung, -durchsetzung,
Normenschaffung, Normenpublikation
 Prinzipien (Ideen) der Rechtsordnung
Regeln
 Typ der Norm
 Typologie der Normen nach Hohfeld oder besser nach
Herrestad
 Links zur Ontologie der realen Welt
 Personen, Sachen, Prozesse (Zeit, Abfolge), Sanktion
 Frames (zB van Kralingen)
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Modell der Schweighofer‘schen Ontologie (5)

Ziel der Rechtsordnung: Risikoreduktion (juristische und
soziologische Bewertung)



Leben ist lebensgefährlich; Recht als Ordnung dient zur
Reduktion dieser Risiken
Effizienz und Zweckmäßigkeit als wesentliche Kriterien
Vorüberlegungen zu Bewertungskriterien (bench-marking)
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
Verständlichkeit der Norm
Anerkennungswahrscheinlichkeit
Praktische Anwendbarkeit
Erforderliche Kontrolldichte (Überwachung + Sanktionierung)
Einhaltungswahrscheinlichkeit
Normverletzungsrisiko
Verhaltensstabilisierung (Luhmann)
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Modell der Schweighofer‘schen Ontologie (6)

Notwendiger Zwischenschritt: Weiterentwicklung von Thesauri,
Vokabulare, Klassifikationen

Brücke von realer Welt zur Rechtsordnung
 Sprachlich, nicht-sprachlich
 Verschiedene Thesaurusniveaus




Juristen
Laien
Bibliothekare, Dokumentare
Intellektuelle Leistung




Reduktion der Wortkomplexität
Beschreibung der Wortstruktur: Synonyme, Homonyme, Polyseme,
Gegensätze, Ober- und Unterbegriffe
Vernetzung unterschiedlicher Sprachniveaus
Vernetzung unterschiedlicher Sprachen (Wörterbücher)
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Konklusionen

Ontologien sind der Schlüssel zur computergerechten
Formalisierung der Welt und des Rechtssystems

Integration aller bestehenden Ontologien notwendig

Reine formale Beschreibung einer Norm zuwenig, weil
Rechtsinformationssystem + Jurist bessere Ergebnisse erzielen

Zwischenschritte notwendig

Rechtsinformationssystem
 Hybrides wissensbasiertes System
 Weiterentwicklung von Thesauri

Ontologie als neue Form eines wissenschaftliches juristischen
Kommentars

Ontologie muss umfassendes Analyseinstrument der
Rechtsordnung sein; Risikominimierung ist zentrales Element der
Effizienzbewertung!
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Weitere Forschungen ...

LOIS Projekt mit europäischen Partnern (Universitäten
und Wirtschafts-unternehmen)

Universität Wien/Gruppe Schweighofer + Wiener
Zentrum für Rechtsinformatik (früher: Arbeitsgruppe
Rechtsinformatik)


Entwicklung eines komplexen Thesaurus für den deutschen
Rechtskreises
Elektronischer Kommentar für Agrarstaatsbeihilfen
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
LOIS

LOIS Lexical Ontologies for legal Information Serving

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
Projekt mit 10 europäischen Partnern (Universitäten und Wirtschaftsunternehmen)
Ziel: Multilingualer Zugang zu europäischen Rechtsdatenbanken;
Mittel: Formale Repräsentationen juristischer Begriffe in allen Sprachen
auf Grundlage der WordNet Technik; ähnliche Konzepte 6
verschiedenen Sprachen (Synsets, EWN) sollen verlinkt werden

Sprachen: Italienisch, Holländisch, Portugiesisch, Deutsch, Tschechisch,
Englisch

Projektdauer: 24 Monate; Ergebnis: 5000 Synsets in jeder Sprache
 Weitere Forschungsbereiche im Rahmen von LOIS:





Information Retrieval: Verbesserte Information Retrieval Techniken
Document Standards: Gemeinsamer XML-Standard für die Repräsentation
juristischer Dokumente
Business-Plan: Kommerzielle Nutzung von Public Sector Information
Showcase Applications: Test- und Demonstrationszwecke
Produktintegration: Integration in kommerzielle Anwendungen
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna
Kontakt
Erich Schweighofer, Doris Liebwald
Universität Wien
Arbeitsgruppe Rechtsinformatik
Wiener Zentrum für Rechtsinformatik (in Gründung)
[email protected]
[email protected]
http://www.univie.ac.at/RI
ARI Center for Legal Informatics, University of Vienna