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Prof. Dr. Ludwig Siep
Praktische Philosophie II
Einführung in die politische Philosophie
Demokratie und Republik
Übersicht
1.
Allgemeine Bestimmung der Begriffe
2.
Historischer Überblick
3.
Gegenwärtiges Verständnis und Probleme
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1) Bestimmung der Begriffe
1) Demokratie (von griech. demos=Volk und kratein =herrschen): Herrschaft des Volkes, d.h.
der Staatsbürger (Staat: legitimes Gewaltmonopol in einem Gebiet, Gerechtigkeit bzw.
Rechtsverfassung)
2) Republik (lat. res publica, die öffentliche Sache, das Gemeinwesen – Nachfolge bzw.
Übersetzung des griech. politeia): Staatswesen, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist und
in dem eine Gewaltenteilung gesichert ist. Heute: Volkssouveränität und allgemeines
Wahlrecht. (Unterschied zu Demokratie verschwindet)
3) Summierende bzw. lexikographische Bestimmung:
a) Demokratie: Herrschaftsform, in der das Volk die Herrschaft entweder direkt oder
durch Repräsentanten ausübt; Herrschaft durch Stimmenmehrheit; Prinzip der Rechtsund Chancengleichheit.
b) Republik: 1. Ein Staat oder eine Nation, in der die Herrschaft durch das Volk oder ihm
verantwortliche Repräsentanten ausgeübt wird.
2. Diese Verfassungsform selber
Quelle: New World Dictionary of the American Language. Cleveland/New York 1974
(zahlreiche Aufl.)
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2. Historischer Überblick
Aristoteles, Demokratie:
a) positiver (1) und negativer Gebrauch (2):
(1) Herrschaft des Volkes bzw. der Mehrzahl der Bürger zugunsten des
Gemeinwohls (gut, meistens „Politie“)
(2) nur zum Wohl der Regierenden, ohne Gesetze und Minderheitenschutz
(schlecht, oft „Ochlokratie“)
b) verfassungsrechtlicher (1) und „rechtssoziologischer“ Gebrauch (2):
(1) Herrschaft des Demos bzw. aller freien Bürger (Nicht-sklaven) im
Wechsel der Regierenden
(2) Herrschaft der Armen (zumeist Mehrzahl der Bevölkerung)
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2. Historischer Überblick (2)
Aristoteles, Politie (lat. res publica):
Mischung aus demokratischen und aristokratischen („oligarchischen“ im
soziologischen Sinne) Elementen:
(1) Jeder Bürger Mitglied der (gesetzgebenden) Volksversammlung und
des Volksgerichts
(2) Regierungs- und Richterämter durch Wahl unter besonders
Qualifizierten (meist: Gebildeten, Begüterten)
Rechtfertigung: Bürger gemeinsam entscheiden eher „gerecht“ über Gesetze und
Ämtervergabe.
Ziel: Förderung des Gemeinwohls durch Mehrung von Nutzen und Bedingungen
tugendhaften Lebens.
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2. Historischer Überblick (3)
Cicero, Republik (De re publica, ca. 54-51 v. Ch.):
Interpretation des römischen Staates als Mischverfassung aus allen drei „guten“
Staatsverfassungen (Monarchie: Konsuln, Aristokratie: Senat, Demokratie:
Volk).
Zusammenwirken von tugendhaften (vor allem: tapfer, gerecht, dem Staat dienend)
und wohlhabenden Mitgliedern alter Familien und dem Volk
(Volksversammlung, Tribunen).
Ziel: Größe und Ruhm des Staates, Tugenden der Bürger, Nutzen und Recht jedes
einzelnen (Entwicklung des römischen Rechts, Person und Eigentum).
Nachahmung und Fortentwicklung vor allem in den italienischen Stadtrepubliken
von MA und Renaissance (bis amerikanische und französische Revolution).
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2. Historischer Überblick (4)
Frühe Neuzeit (16.-18. Jh.):
Unterscheidung zwischen:
Republik (führender Begriff bis 18. Jh.): gewaltenteiliger Rechtsstaat, mit
Volkssouveränität, Primat der Legislative, Grundrechte
(„Konstitutionalismus“)
Demokratie: Ausübung der Regierung (Exekutive) durch die Mehrheit des Volkes
oder das ganze Volk (v. a. Rousseau, Kant)
Republik entspricht der Vernunft und dem Recht, „Demokratie“ dagegen mit
Gewaltenteilung unvereinbar, allenfalls Elemente in einer Mischverfassung
(Herrschaft des Rechts versus Mehrheitsherrschaft)
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2. Historischer Überblick (5)
Frühe Neuzeit (2):
Ausnahmen: Spinoza begründet den Vorzug der Demokratie wegen der größeren
Nähe zum Naturzustand der Freiheit aller
Achtung: a) Locke begründet die Herrschaft durch Mehrheit (majority rule), aber
nennt sie nicht Demokratie, sondern commonwealth, body politic etc.
b) Rousseaus Republik wird oft „direkte Demokratie“ genannt, weil alle
Vollbürger über die Gesetze abstimmen (uniformer Gemeinwille)
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2. Historischer Überblick (6)
19. und 20. Jahrhundert:
„Demokratie-Bewegung“ als Ausweitung des Wahlrechts auf alle Bürger
Beteiligung aller Stände bzw. Klassen an der staatlichen Macht.
Bildung von Parteien zum Zweck dieser Beteilung und Beeinflussung des Staates durch
Weltanschauungen (von der „Weltanschauungspartei“ zur Volkspartei).
Veränderung der wirtschaftlichen Grundlagen von Klassenherrschaft durch
Verstaatlichung und Diktatur des Proletariats („Volksdemokratie“, Arbeiter- und
Bauernstaat, auch „Volksrepublik“)
Formen der Demokratie seit dem 18. Jh.:
a) Direkte Demokratie (jeder Staatsbürger Mitglied der gesetzgebenden Versammlung)
b) Indirekte oder repräsentative D. (Gesetzgebung durch gewählte Abgeordnete)
c) „Identitäre“ Demokratie (ungeteilter Volkswille, keine Parteien, keine Opposition,
einheitliche Weltanschauung, oft: Gleichschaltung der Gesellschaft)
d) Konkurrenzdemokratie (Konkurrenz der Gruppen und Parteien um Mehrheiten,
periodische Ausübung von Macht, meist: Markt, nicht-politische Macht)
b) und d) heute theoretisch und praktisch dominant
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3. Gegenwärtiges Verständnis und Probleme
Die beiden Begriffe Republik und Demokratien „überschneiden“ sich.
(K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, 14. Aufl. Heidelberg 1984, 48).
Beiden gemeinsam:
An Gesetz und Recht gebundene Staatsgewalt geht vom Volk aus.
a) „Republikanische“ Elemente: Gemeinwohlorientierung (Politie),
Rechtsgleichheit (gegen Monarchie, Standesrecht, Privilegien),
Gewaltenteilung (auch: Föderalismus). „Verfassungspatriotismus“
b) „Demokratische“: Volkssouveränität, Wahlrecht (gleich, geheim, frei),
Mehrheitsentscheidung, Mitwirkung der Bürger an der staatlichen
Willensbildung, v. a. durch Parteien (Mehrparteiensystem), anvertraute
und verantwortliche Amtsgewalt.
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3. Gegenwärtiges Verständnis und Probleme (2)
Weitere, nicht klar zuzuordnende Elemente von Demokratie und Republik:
•
Konkurrenz (regulierter Konflikt, Opposition etc. statt „Identitärer“ bzw.
Weltanschauungsdemokratie)
•
Pluralismus (auch: passive und aktive Religionsfreiheit)
•
Schutz der Minderheitenrechte und Chancengleichheit der Minderheiten
•
Öffentlichkeit und Freiheit der Meinungen und Überzeugungen (Meinungs-,
Wissenschafts- und Medienfreiheit, „Zivilgesellschaft“)
•
öffentliches Engagement („Republikanismus“)
•
weitere aus den Grundrechten und Staatszwecken sich ergebende Rechte und
Verfahren (z.B. Sozialstaat).
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3. Gegenwärtiges Verständnis und Probleme (3)
Gegenwärtige Probleme:
a) Mediatisierung durch Parteien und Medien (Isolierung u. Anonymisierung der
Bürger, Einfluss der Verbände)
b) Mangelnder Sachverstand der Bürger und Abgeordneten
c) Komplexität der Mehrheitsbildungen und Verantwortlichkeit („ich will, du
willst, wir wollen, was wir wollen geschieht – was geschieht hat keiner
gewollt“), Wahlbeteiligung.
d) „Mediendemokratie“ („Verkäufer“, „Druck“, „vierte Gewalt“)
e) Reduzierung staatlicher Regelungsmacht durch Globalisierung etc.
f) Multikulturalismus, „Parallelgesellschaften“ und Konsens
(„überlappender Konsens). Staatsbürgerschaft und „Volk“.
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3. Gegenwärtiges Verständnis und Probleme (4)
Konkurrenten der Demokratie:
a) Technokratie (Herrschaft der technisch-ökonomisch-administrativen Eliten)
b) „Autoritäre“ Regimes (gesetzlos, ohne Gewaltenteilung und Pluralismus, oft
formal-demokratische Elemente: „populistische“ Akklamation durch
Scheinwahlen und Einheitspartei, symbolische Opposition etc.)
c) Theokratie (Herrschaft der wahren Religion und ihrer moralischen und
rechtlichen Gebote, ausgelegt durch eine Priestergruppe mit „Kooptation“)
d) Monarchie – aber entweder autoritäre oder konstitutionelle (im Wesentlichen
demokratisch)
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3. Gegenwärtiges Verständnis und Probleme (5)
Philosophische Grundlagen der Demokratie:
Prinzipien bzw. Werte: Gleichheit; Autonomie durch Grundfreiheiten und
Mitbestimmung; Politische Natur des Menschen; Verantwortung, Begründung
und Rechtfertigung von Politik bzw. Gesetz; Pluralismus („offene“ Wahrheit).
Verfahren: Gesellschaftsvertrag, Wettbewerb um Zustimmung, Unparteilichkeit
(rechtliche Prozeduren), Öffentlichkeit, Dialog und Konsenssuche,
Kompromiss.
Philosophische Demokratietheorien als Mischung aus aristotelischer Tradition
(„kommunitaristisch“: öffentliches Leben, „republikanische Tugenden“),
neuzeitlichem Individualismus (Vertrag, liberale Rechte) und sozialer
Gerechtigkeit.
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