Vorlesungen RSoz1 vom 21. und 28. März 2012

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Transcript Vorlesungen RSoz1 vom 21. und 28. März 2012

Rechtssoziologie I
Vorlesung vom 21. und 28. März 2012
Prof. Dr. Lukas Gschwend
Universität Zürich
Frühjahrssemester 2012
D. Theoretische Rechtssoziologie: Theorien
sozialer Ungleichheit
6. Theorien sozialer Ungleichheit
6.1 Die Gruppe
– Mehrzahl von Menschen
– Wechselseitige Beeinflussung des Verhaltens
– Abgrenzung von der Kategorie durch Verbundenheit
– Klein- und Grossgruppen
– Primär- und Sekundärgruppen
6.2 Gruppenprozesse
– Konformitätsdruck
– Führungsstil und Rollenverteilung
– Ethnozentrismus
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D. Theoretische Rechtssoziologie: Theorien
sozialer Ungleichheit
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6.3 Rechtssoziologische Anwendung
– Rechtsakteure bilden Grossgruppen (Arbeitgeber, Beamte,
Aktionäre etc.)
– Gericht und Kleingruppe: Richter als Gruppenmitglieder
– Gruppendynamik und Delinquenz
6.4 Schichten- und klassentheoretische Ansätze
– Gleichheit de iure versus Ungleichheit de facto
– Soziale Klassen
– Soziale Schichten, Lagen und Milieus
– Kriterien der Schichtzugehörigkeit
– Rechtssoziologische Anwendungen: Gleichheit als
faktenbezogener Begriff, Quotenregelung, Chancengleichheit
E.
Theoretische Rechtssoziologie:
Institutionstheoretische Ansätze
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7. Institutionstheoretische Ansätze
7.1 Die normsoziologische Theorie der Institution
– Institutionen werden durch Zusammenwirken einer Mehrzahl
von Normen begründet.
– Normsoziologische Theorien bezeichnen als Institutionen
bestimmte Komplexe sozialer Normen, die für die Gesellschaft
relevant sind.
– Jede Institution steht in Wechselwirkung der Bedürfnisse,
welche sie abdeckt.
– Kritik von Luhmann an der Voraussetzung eines sozialen
Normkonsenses innerhalb des Sozialsystems. Luhmann geht
nicht von einem tatsächlichen Normkonsens aus, sondern von
einem unterstellten, fiktiven Konsens.
E.
Theoretische Rechtssoziologie:
Institutionstheoretische Ansätze
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7.2 Rechtssoziologische Anwendung
– Rechtsinstitute als normative Begriffe
– Erfassen der Rechtswirklichkeit eines Rechtsinstituts
– Beispiele: Konkubinat – Ehe – Scheidung
– Institutionstheoretische Ansätze als rechtssoziologische
Hilfsmittel bei der Feststellung von gesetzlichem
Reformbedarf im Sinne normativer Kraft des Faktischen
– Vorsicht: Keine Vermischung der Faktizität einer sozialen
Institution mit ausserjuristischen Ordnungskriterien, die dann
in den rechtlichen Institutionenbegriff einfliessen sollen (Bsp.
völkischer Charakter der Familie im Nationalsozialismus, Carl
Schmitt)
F.
Theoretische Rechtssoziologie:
Systemtheoretische Ansätze
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8. Systemtheorie und Rechtssoziologie
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Niklas Luhmann (1927–1998), Jurist und Soziologe, Prof. für
Rechtssoziologie an der Universität Bielefeld
Die Systemtheorie folgt dem Grundgedanken nach der
Institutionentheorie, doch erklärt sie Institutionen nicht
normsoziologisch, sondern als Systeme innerhalb des
sozialen Systems.
Sie fokussiert
• die Funktion von Strukturelementen (Handlungen,
Normen, Rollen, Werte) zwecks Erhaltung des Systems
• den Leistungsaustausch des Systems mit der Umwelt
• die Einwirkungen, welchen das System durch die
Umwelt ausgesetzt ist.
F.
Theoretische Rechtssoziologie:
Systemtheoretische Ansätze
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8.1 Soziale Systeme und Autopoiesis
– Die Gesellschaft und ihre institutionellen Subeinheiten
(Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kunst, Familie, Religion,
Sport etc.) sind soziale Systeme.
– Das gesellschaftliche System ist ein in sich geschlossenes
Ganzes und ist daher fähig, sich von der Umwelt
abzugrenzen.
– Systeme entstehen und entwickeln sich dadurch, dass sie die
eigene Identität herstellen, sich optimal an die Umwelt
anpassen und sich immer wieder neu definieren.
– Systeme verfügen über ein Eigenleben.
– Die Steuerungs-, Erneuerungs- und Lernfähigkeit des
Systems erfolgt durch interne und externe Interaktion im
Rahmen der Selbstschöpfung (Autopoiesis)
– Autopoiesis bedeutet Selbstproduktion, -erhaltung und
-beschreibung eines Systems.
F.
Theoretische Rechtssoziologie:
Systemtheoretische Ansätze
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System = autonome Einheit, die sich selbst generiert und
selbstreferentiell weiterentwickelt
8.2 Recht und Gesellschaft
– Das Recht ist ein Subsystem des sozialen Gesamtsystems
– Das Recht dient dazu, die Gesellschaft als selbstreferentielles
System zu stabilisieren.
– Das Rechtssystem regeneriert sich fortwährend autopoietisch.
– Das Recht reguliert sich selbst. Die Individuen sind
Funktionen im rechtlichen wie auch im sozialen System.
– Das Recht legitimiert die vom politischen System erarbeiteten
Entscheidungen und setzt diese durch (Funktionalität).
– Das Recht absorbiert soziale Konflikte (Funktionalität).
F.
Theoretische Rechtssoziologie:
Systemtheoretische Ansätze
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Recht schafft keine Werte
Stellenwert der Menschenrechte?
Gerechtigkeit und Kontingenz
Funktionalität statt Idealität
8.3 Umsetzung und Anwendung des Rechts
– Rechtsumsetzung mittels Kommunikationsprozess
– Kommunikation durch gleichförmige Verfahren (begriffliche
Klassifikation, Entscheidungsregeln, rechtliches Wissen)
– Die Rechtsanwendung dient der Sicherung des
Rechtssystems.
– Die erfolgreiche autopoietische Reproduktion positiven Rechts
ist das einzige Kriterium für die „Richtigkeit“ des Rechts.
F.
Theoretische Rechtssoziologie:
Systemtheoretische Ansätze
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8.4 Legitimation durch Verfahren
– Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren (1969)
– rechtlich verbindliche Entscheidungen und damit die
autopoietische Begründung des Rechtssystems beruhen auf
der Legitimation durch rechtlich geordnete Verfahren.
– Das Recht lebt im Gerichts- oder Verwaltungsverfahren auf.
– Durch Verfahren verschaffen sich sowohl das politischadministrative wie auch das justizielle System ihre
Legitimation.
– Verfahren als Lernprozess zum Zwecke der Umgestaltung von
Erwartungen hin zur Akzeptanz des Entscheids
– Rechtsverfahren als ritualisierter Kommunikationsprozess
– Die Legitimität hängt ab von der strengen Einhaltung des
Verfahrens.
F.
Theoretische Rechtssoziologie:
Systemtheoretische Ansätze
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Resignation führt zu Akzeptanz des gerichtlichen Entscheids.
Durch das Verfahren hat sich das Recht autopoietisch
verwirklich, bestätigt und fortentwickelt.
Durch Rechtsbewährung im Verfahren hat sich das
Rechtssystem als berechenbar erwiesen.
Der Konflikt wird nicht gelöst, aber im Hinblick auf sein
Gefährdungspotenzial gegenüber dem sozialen System
entschärft.
Stärken der systemtheoretischen Legitimation durch
Verfahren?
F.
Theoretische Rechtssoziologie:
Systemtheoretische Ansätze
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8.5 Kritik
– Funktionalität dominiert alle anderen Gesichtspunkte
– Problematische Fiktion der Gesellschaft als geschlossenes
System.
– Das Recht ist im Zeitalter der Globalisierung nicht nur ein
Subsystem, sondern zieht weitere Kreise als das
gesellschaftliche System innerhalb eines Staates.
– Die Anerkennungswürdigkeit des Rechtssystems scheint als
irrelevanter Faktor
– Der tatsächliche Normkonsens innerhalb des sozialen
Systems wird negiert.
– Die Konzeption liefert keine Argumente zur Kritik an der
verfahrensmässigen Umsetzung von Unrecht im traditionellen
Sinn.
G.
Theoretische Rechtssoziologie:
Konflikttheoretische Ansätze
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9. Konflikttheoretische Ansätze
9.1 Interessen – Konflikt – Recht
– Sicherung und Verbesserung der Lebenschancen durch das
utilitaristisch denkende Individuum führt zu sozialen Konflikten
– Rudolf von Jhering
– Philipp Heck (1858–1943): Der Prozess ist Ausdruck eines
Interessenkonflikts der Parteien. Im Rahmen der Auslegung
und Lückenfüllung hat der Richter die Lebensinteressen der
Parteien zu berücksichtigen.
– Die Interessenjurisprudenz berücksichtigt den Kampf der
Interessen bei der Erklärung der Entstehung des Rechts und
bei dessen Auslegung.
G.
Theoretische Rechtssoziologie:
Konflikttheoretische Ansätze
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9.2 Vom soziologischen Wesen des Konflikts
– Konfliktarten
– Für die Rechtssoziologie relevante Konfliktarten?
– Konflikttypen:
• Interessenkonflikte (das begehrte Objekt ist knapp,
weshalb darum gestritten wird)
• Wertkonflikte (Streit um die Wahrheit von Tatsachen und
Meinungen)
• traditionale Konflikte (Konfliktursachen sind eingelebte
Gewohnheiten)
• Beziehungskonflikte (dem Konflikt liegt emotionales
Verhalten zugrunde)
G.
Theoretische Rechtssoziologie:
Konflikttheoretische Ansätze
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9.3 Konfliktlösung
– Kriterium der Zweckrationalität
– Strategien:
• Umdeutung der Situation
• Selbsthilfe
• Rückzug
• Verhandlungsstrategien (Koalitionen, Vermitteln und
Schlichten)
• Gerichtliche Austragung des Konflikts. Dadurch wird der
Konflikt zum Wertkonflikt! Folge: Der Konflikt kann nicht
gelöst, sondern nur am Recht gemessen werden.
– Der Rechtsweg ist nur eine von mehreren
Konfliktaustragungsstrategien: Alternative
Streiterledigungsformen (dispute settlement, Mediation etc.)
G.
Theoretische Rechtssoziologie:
Konflikttheoretische Ansätze
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9.4 Funktionale Wechselwirkung von Recht und Konflikt
– Konflikte als Bewährungsfälle für soziale und rechtliche
Normen
– Konflikte ermöglichen die Anpassung von Normen an
Machtverhältnisse (Gefahr und Chance)
– Konflikte sind der Motor der Rechtsentwicklung
– Grenzen der Konflikterledigungsfähigkeit des Rechts
– Wann wird der Konflikt zum Rechtsstreit?
• Naming
• Blaiming
• Claiming
– Rechtsrelevante Konflikte verteilen sich ungleichmässig in der
Bevölkerung. Was für Kriterien sind wirksam?