Enger Friedensbegriff

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Transcript Enger Friedensbegriff

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Thorsten Gromes
Vorlesung
Politische Ordnungen
18. Juni 2010
Internationale Beziehungen I:
Anarchie des internationalen Systems
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Rückblick auf die letzte Sitzung
Friedensbegriffe
Friedensursachen
Friedens- und Konfliktforschung
in Deutschland
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Enger und breiter Friedensbegriff
Geltungsbereich
Frieden bezeichnet eine bestimmte Beziehung zwischen
sozialen und politischen Kollektiven.
Enger Friedensbegriff
Frieden als Abwesenheit von Krieg
Breiter Friedensbegriff
Frieden ist mehr als die bloße Abwesenheit von Krieg
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Negativer und positiver Frieden
nach Johan Galtung
Negativer Frieden
Abwesenheit personaler Gewalt.
Positiver Frieden
Abwesenheit personaler, struktureller
und kultureller Gewalt.
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Friedensdefinition von
Harald Müller
„Frieden ist ein Zustand
• zwischen bestimmten sozialen und politischen
Kollektiven,
• der gekennzeichnet ist durch die Abwesenheit direkter,
verletzender physischer Gewalt
• und in dem deren möglicher Gebrauch in den Diskursen
der Kollektive keinen Platz hat.“
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Innerstaatlicher Frieden durch Autokratie
• Extreme Marginalisierung bewirkt, dass sich die
Menschen aufs bloße Überleben konzentrieren müssen;
• aufgrund von Überwachung und Unterdrückung können
relativ deprivierte Menschen die Hürden des kollektiven
Handelns nicht überwinden.
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Innerstaatlicher Frieden
durch Demokratie
• Demokratische Partizipation verschafft den
friedensorientierten Neigungen der Bürger Geltung.
• Da die Regierenden von den Regierten abhängen,
können sie deren Interessen nicht ignorieren. Das
verhindert extreme relative Deprivation.
• Demokratie bietet Kanäle, gewaltlos für die eigenen
Anliegen einzutreten.
• Demokratie setzt zentrale Prinzipien der Konfliktregelung
um.
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Das zivilisatorische Hexagon von
Dieter Senghaas
staatliches
Gewaltmonopol
demokratische
Partizipation
Interdependenzen
und Affektkontrolle
Rechtsstaatlichkeit
soziale
Gerechtigkeit
konstruktive
Konfliktkultur
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Themen heute
Anarchie internationaler Politik
Sicherheitsdilemma
Kollektive Sicherheit
Internationale Regime
Hinweise zur Klausur
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Anarchie des internationalen Systems
• Im Innern von Staaten beendet der Staatsapparat mit
seinem überlegenen Gewaltpotenzial den Naturzustand
zwischen den Bürgern.
• Im internationalen System mag es zwar Supermächte
geben, aber keinen Super-Staat oder Super-Leviathan.
• Dort fehlt es an einer den Staaten übergeordneten
Autorität, die Verhaltensstandards gegenüber den
Staaten durchsetzen kann.
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Anarchie des internationalen Systems
• Die Staaten befinden sich daher in einem internationalen
Naturzustand.
• Anarchie ist damit die vorrangige Ordnung des
internationalen Systems.
• Die Absichten anderer Staaten bleiben ungewiss, sodass
die Anarchie auf allen Seiten Misstrauen und Furcht
bewirkt.
• Vor allem Vertreter der Realistischen Schule folgern
daraus: „Der Staat ist den Staaten ein Wolf.“
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Selbsthilfe als Folge
der internationalen Anarchie
Nach Kenneth Waltz:
• Weil es keine übergeordnete Instanz gibt, muss sich ein
Staat auf seine eigenen Mittel verlassen.
• Daher muss er sich vorrangig um die Fähigkeiten seiner
Selbsthilfe kümmern.
• Da jeder Staat zu jeder Zeit Zwang einsetzen kann,
müssen sich alle Staaten permanent bereit halten,
diesem Zwang mit Gegenzwang zu begegnen, oder den
Preis der Schwäche zahlen.
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Das Sicherheitsdilemma
als Folge der Selbsthilfe
• Durch ihr Gefühl der Unsicherheit sehen sich die Staaten
gezwungen, nach mehr Macht zu streben, um sich
gegebenenfalls selbst helfen zu können.
• Daraus entsteht das Sicherheitsdilemma:
Der Zugewinn an Sicherheit eines Staates bedeutet ein
Einbußen von Sicherheit bei einem anderen Staat.
Der Machtgewinn des einen Staates muss dem anderen als
bedrohlich erscheinen, sodass dieser nach mehr Macht
strebt.
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Die Schärfe des Sicherheitsdilemmas
nach Robert Jervis
Zwei Faktoren bestimmen die Schärfe des
Sicherheitsdilemmas:
1. Lassen sich defensive Waffen strikt von offensiven
unterscheiden?
2. Gibt es einen militärischen Vorteil der Defensive oder
der Offensive?
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Die Schärfe des Sicherheitsdilemmas
nach Robert Jervis
Das Sicherheitsdilemma ist beinahe außer Kraft, wenn
•
sich defensive Waffen klar von offensiven unterscheiden
lassen und
•
es einen Vorteil der Defensive gibt.
Das Sicherheitsdilemma ist am schärfsten, wenn
•
Defensivwaffen zugleich auch Offensivwaffen sind und
•
es einen Vorteil der Offensive gibt.
 Status-quo-Mächte müssen wie Aggressoren handeln.
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Arbeit in der Nachbarschaftsgruppe
Diskutieren Sie folgende Fragen:
1. Inwiefern kann es auch innerhalb von Staaten ein
Sicherheitsdilemma geben?
2. Trifft es zu, dass sich der internationale Raum durch
seinen Naturzustand fundamental vom innerstaatlichen
unterscheidet?
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„Anarchy is what states make of it“
Alexander Wendt
Internationale Anarchie
führt zwangsläufig zu
Selbsthilfe & Machtpolitik
bewirkt
Sicherheitsdilemma
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„Anarchy is what states make of it“
Alexander Wendt
• Die Selbsthilfe und damit das Sicherheitsdilemma
ergeben sich nicht notwendigerweise aus der
anarchischen Struktur des internationalen Systems.
• Die Selbsthilfe ist nur eine von mehreren möglichen
Institutionen in Reaktion auf Anarchie.
• Erinnerung an den soziologischen Begriff von Institution:
 Institutionen bringen gleichförmiges Handeln hervor.
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Der Institutionenbegriff
bei Wendt
• Institutionen sind relative stabile Strukturen von
Identitäten und Interessen und damit kognitive Gebilde.
• Identitäten
- sind relativ stabile rollenspezifische Verständnisse
über sich und Erwartungen an sich selbst,
- resultieren aus Beziehungen,
- bilden die Basis von Interessen.
• Akteure bestimmen ihre Interessen bei der Definition
einer Situation.
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Das Sicherheitsdilemma als Folge einer
Geschichte bestimmter Interaktionen
• Das Sicherheitsdilemma ergibt sich nicht allein aus der
Anarchie.
• Es setzt eine Geschichte von Interaktionen voraus, in
der die Akteure selbstsüchtige Identitäten und Interessen
entwickelt haben.
• Gesellschaft wäre unmöglich, gingen die Akteure stets
vom Schlimmsten aus („Die Anderen wollen uns
vernichten“).
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Das Entstehen von Identitäten
und Interessen
• Die meisten Entscheidungen resultieren aus Annahmen
über Wahrscheinlichkeiten.
• Diese Annahmen bilden sich in Interaktionen aus.
• In Interaktionen schaffen und stabilisieren die beteiligten
Akteure ein Bild über sich selbst und den anderen.
• Identitäten und Interessen entstehen erst durch Abfolgen
von Interaktionen.
 Beim ersten Kontakt mit einem völlig fremden Akteur
startet man nicht unbedingt im Sicherheitsdilemma!
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Systeme kollektiver Sicherheit als
Antwort auf die internationale Anarchie
“Security represents the end;
collective defines the nature of the means;
system denotes the institutional component of the effort”.
Inis L. Claude
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Kollektive Sicherheit
nach Inis L. Claude
Systeme kollektiver Sicherheit sollen für Sicherheit sorgen,
wenn
• Sicherheit durch Isolation anachronistisch,
• Sicherheit durch Selbsthilfe unmöglich,
• Sicherheit durch eine Weltregierung ein Traum ist.
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Kollektive Sicherheit
nach Inis L. Claude
Kollektive Sicherheit ist die Übersetzung von:
„Einer für alle, alle für einen.“
Der (potenziellen) Aggression eines Staates soll durch
Zusammenstehen aller anderen Staaten begegnet
werden.
Kriege sollen verhindert werden durch die abschreckende
Macht der zusammenstehenden Staaten.
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Funktionsvoraussetzungen der
kollektiven Sicherheit
• Ablehnung der Idee, von lokal begrenzten Kriegen /
Aggressionen nicht betroffen zu sein.
• Überzeugung, dass Frieden unteilbar ist.
• Einsicht der Beteiligten, dass etwas Gutes für den
Weltfrieden auch dem eigenen Staat hilft, selbst wenn es
dadurch etwa zu wirtschaftlichen Nachteilen kommt.
• Die Beteiligten weisen sowohl militärische Selbsthilfe als
auch Pazifismus zurück. Sie müssen bereit sein, „Krieg
für Frieden“ zu führen.
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Funktionsvoraussetzungen
kollektiver Sicherheit
• Kollektive Sicherheit muss unparteiisch funktionieren,
also dem Zwerg ebenso begegnen können wie dem
Riesen.
• Kollektive Sicherheit duldet keine Allianzen:
„Whoever commits aggression is everybody‘s enemy“
(Inis L. Claude).
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Funktionsvoraussetzungen
kollektiver Sicherheit
• Universelle Mitgliedschaft, die potenzielle Aggressoren
ebenso einschließt wie alle Großmächte.
• Es gibt keine Supermacht, die nahezu die Hälfte der
Macht auf sich konzentriert, denn diese könnte nicht
abgeschreckt werden.
• Organisation, die über Sanktionen gegen einen
Aggressor entscheidet und diese umsetzt.
• Staaten besitzen in dieser Organisation kein Veto.
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Arbeit in Nachbarschaftsgruppen
Inwieweit erfüllen die Vereinten Nationen die genannten
Funktionsvoraussetzungen Systeme kollektiver
Sicherheit?
• Einsicht aller, dass Frieden unteilbar ist,
• unparteiisch,
• universell,
• keine Supermacht mit fast der Hälfte der Macht,
• Entscheidungsorgane ohne Veto-Recht.
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Internationale Regime
Ein internationales Regime ist ein
• von internationalen Akteuren akzeptiertes
• System aus Prinzipien, Normen, Regeln und
Entscheidungsverfahren,
• um bestimmte Problemfelder zu steuern.
Internationale Regime besitzen, anders als internationale
Organisationen, keine Akteursqualität.
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Internationale Regime
• Prinzipien: Annahmen über Fakten, Kausalitäten,
Standards der Rechtschaffenheit.
• Normen: Allgemeine Verhaltensstandards.
• Regeln: Detaillierte Verhaltensvorschriften.
• Entscheidungsverfahren: treffen Beschlüsse und setzen
sie um.
• Beispiel: Regime zur Nichtverbreitung von Atomwaffen.
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Bedingungen der Stabilität von Regimen
nach Harald Müller
• Vertrauen, dass ein verlässliches Verfahren die Regeln
gegen Regelbrecher durchsetzt,
• negative Kosten-Nutzen-Bilanz regelbrechender
Mitglieder,
• positive Kosten-Nutzen-Bilanz regeltreuer Mitglieder,
• intrinsische Stärke der Normen, die angemessenes
Verhalten definieren,
• Mitglieder nehmen Regime als gerecht wahr.
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Ausblick auf nächste Sitzung
• Vorstellungen der neuen Weltordnung
- Ende der Geschichte
- Kampf der Kulturen
- Der Aufstieg Chinas im Lichte der
Machtübergangstheorie
• Rückblick auf die Vorlesung
• Evaluierung
• Hinweise zum weiteren Studium
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Hinweise zur Klausur
• Mischung aus reinen Wissensfragen und Anwendungen.
• Ein Vortest stellt sicher, dass bei befriedigender Kenntnis
des Stoffs kein großer Zeitdruck entsteht.
• Nachschreibetermin wahrscheinlich in letzter JuliWoche.
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Hinweise zur Klausur
Beispiele für reine Wissensfragen:
• Wodurch zeichnet sich eine politische Ordnung aus?
• Benennen Sie Unterschiede zwischen Sozial- und
Naturwissenschaften!
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Hinweise zur Klausur
Beispiele für Aufgaben der Anwendung:
• Wo treffen Sie in dieser Klausur auf Macht?
• Handelt es sich bei der Bundesrepublik um eine
defektive Demokratie?
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Rausschmeißer
„Die Furcht, von einem andern Schaden zu erleiden,
spornt uns an, dem zuvorzukommen,
oder sich Anhang zu verschaffen;
denn ein anderes Mittel,
sich Leben und Freiheit zu sichern,
gibt es nicht.“
Thomas Hobbes
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Aufgaben zur Nachbereitung
1. Lesen Sie den aktuellen HSFK-Standpunkt von Harald
Müller unter
www.hsfk.de/fileadmin/downloads/Standpunkte_2_2010
_hp.pdf .
2. Beschreiben Sie das Sicherheitsdilemma einmal aus
der Sicht Israels, einmal aus der Sicht des Irans.
3. Warum oder warum nicht können Systeme kollektiver
Sicherheit dazu beitragen, die im Standpunkt
skizzierten Probleme zu lindern?