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Privatisierung und Ökonomisierung
des Gesundheitswesens
Manfred Baberg
Werner Schüßler
Roland Heuwinkel
Konferenz gerecht – global – gesund, Forum IV, Umverteilung, Berlin, 17./18.09.2010
Ökonomische und ideologische
Hintergründe für
den Privatisierungsdruck
im Gesundheitswesen
Manfred Baberg
Gliederung
1. Ökonomische Hintergründe
• Umverteilung von unten nach oben in den letzten 30 Jahren
• Folge: überproportional hohes Wachstum des Finanzvermögens im
Vergleich zum Wachstum der Realwirtschaft („strukturelle
Überakkumulation“)
• Suche nach neuen Möglichkeiten der Kapitalverwertung:
Globalisierung, Privatisierung und Intensivierung der Arbeit
2. Finanzmarktgetriebener Kapitalismus und seine Auswirkungen
auf die Realwirtschaft
• Angelsächsischer Kapitalismus und „shareholder value“
• Unterordnung von Arbeitnehmer- und Klienteninteressen
(„stakeholder“) unter die Verwertungsinteressen des Kapitals
• Beispiele aus dem Gesundheitsbereich
3. Ideologische Hintergründe: Markt und Wettbewerb
• Markt als „Wissens- und Entwicklungsprozess"
• Negative Folgen des Wettbewerbs
Umverteilung von unten nach
oben in den letzten 30 Jahren
Weltweites Sinken der Lohnquote seit
Beginn der 80er Jahre:
Strukturelle Überakkumulation
• Anstieg des weltweiten Finanzvermögens von 1980
bis 2006 um das Vierzehnfache von 12 auf 167
Billionen Dollar
• Anstieg des Weltsozialprodukts in dieser Zeit nur um
das 4,8-fache von 10,1 auf 48,3 Billionen Dollar (s.
nächste Folie)
• Wenn die Ansprüche auf Gewinne schneller steigen
als die Wertschöpfung, wird die Verwertung des
angehäuften Kapitals schwieriger (strukturelle
Überakkumulation)
Entwicklung Sozialprodukt und
Finanzvermögen weltweit
Problemlösungsmöglichkeiten
•
•
Wertschöpfung durch Verlagerung des Kapitals
in bislang nicht erschlossene Gebiete
1. Internationale Expansion (Globalisierung)
2. Sektorale Expansion durch Privatisierung
(Gesundheit und Bildung)
Intensivierung der Arbeit
Die Bedeutung von Steuersenkungen
•
Hans-Böckler-Stiftung: zwischen 1998 und 2010
sind die Steuern in Deutschland um 51 Milliarden
Euro gesunken (u.a. durch die Senkung des
Spitzensteuersatzes)
•
Doppelte Funktion dieser Steuersenkungen:
1.
2.
Umverteilung von unten nach oben
Versiegende Einnahmen der öffentlichen Haushalte,
die dadurch zu Privatisierungen (PPP etc.)
gezwungen werden
2. Finanzmarktgetriebener Kapitalismus
und seine Auswirkungen auf die
Realwirtschaft
Angelsächsischer Kapitalismus vs. Rheinischer
Kapitalismus
Angelsächsisches Modell:
•Unternehmergesellschaft, individuelle Vertragsfreiheit
auch für das Aushandeln von Löhnen und Gehältern,
Arbeitszwang durch Reduzierung der Sozialhilfe
•Unternehmenspolitik orientiert sich am Gewinn der
Anteilseigner (shareholder value), nicht an den
Interessen der „stakeholder“ (Arbeitnehmer, Kunden)
Rheinisches (kontinentaleuropäisches) Modell:
• gleichberechtigte Berücksichtigung von shareholderund stakeholder-Interessen
• Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismus:
Ende des Rheinischen Kapitalismus
Auswirkungen der Finanzmarktorientierung im Gesundheitsbereich
• Konzentration der Pharmaindustrie auf Blockbuster
(patentgeschützte Medikamente mit einem
jährlichen Umsatz von einer Milliarde US-Dollar und
mehr)
• Einstieg der Finanzinvestoren in die ambulante und
stationäre Versorgung kann wegen der hohen
Gewinnerwartung von 15 – 20 % zu einer
Verschlechterung der Leistungen führen
(Amerikanische Studie zu Veränderung in
Pflegeheimen)
3. Ideologische Hintergründe:
Markt und Wettbewerb
•Dem Markt kommt im Neoliberalismus eine zentrale
Bedeutung zu. Er wird als ein „Wissens- und
Entwicklungsprozess" beschrieben, der große Ähnlichkeit
mit einem Spiel hat, das teils Geschicklichkeits-, teils
Glücksspiel ist.
•Wettbewerb und Selektion auf dem Markt gelten nicht nur
für Waren und Dienstleistungen, sondern auch für
Menschen.
Kritik: negative Folgen des Wettbewerbs
• Wettbewerb schafft nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer:
• Die von den Verlierern erarbeiteten Werte werden vernichtet,
obwohl die eine nützliche Funktion erfüllen könnten. Wenn z.B.
mehrere Teams von gleichermaßen qualifizierten Forschern an der
Entwicklung eines neuen Medikamentes arbeiten, wird in der Regel
nur die Arbeit eines Teams mit der Erteilung eines Patents belohnt.
• Wenn diese Teams sich nicht gegeneinander abschotten, sondern
durch regelmäßigen Austausch von Teilergebnissen miteinander
kooperieren, könnte die Entwicklung der Produkte erheblich
beschleunigt werden.
• Notwendig wäre hier eine Änderung des Patentrechtes, um eine
Wissensallmende zu schaffen, in welcher alle relevanten Daten frei
verfügbar sind.
Wettbewerb fördert Marketing
• Wettbewerb schafft nicht nur Innovationen bei Produkten und
Dienstleistungen, er fördert vor allem Marketingstrategien.
Zwischen 1950 und 1996 haben sich weltweit die
Werbeausgaben der gewerblichen Wirtschaft
versiebenfacht und 2001 die stolze Summe von 494
Milliarden Dollar erreicht.
• Werbungskosten entstehen im Gesundheitsbereich nicht
nur in der Pharmaindustrie, sondern auch durch den
Wettbewerb der Krankenkassen um Versicherte, die sich
Beitragszahler mit besonders günstigen Risiken abjagen und
z.B. durch Wellnessangebote neue Mitglieder werben. All
diese Werbemaßnahmen führen zu einer Erhöhung der
„overheads“, d.h. der Kosten, die nicht bei den Patienten
ankommen..
• Diese „overheads“ sind in den USA sechsmal so hoch wie im
staatlichen Versorgungssystem in Kanada. Sie werden in den
USA auf mehr als ein Drittel der Gesamteinnahmen geschätzt
Wettbewerb fördert Kartelle
und Korruption
In Managementseminaren wird gelehrt, wie man
Wettbewerb umgehen kann. Die Methoden hierzu sind
mehr oder weniger legal. Im Gesundheitsbereich
zählen hierzu:
•Bestechung von Ärzten
•„Einkauf“ von Selbsthilfegruppen durch die
Pharmaindustrie
•Zahlung von Prämien für
die Einweisung von PatientInnen an niedergelassene
Ärzte durch Krankenhäuser.
Wettbewerb führt zu einer
Spreizung der Angebote
• Wenn Krankenkassen miteinander konkurrieren, müssen
sie neue Angebote entwickeln, um neue Versicherte zu
gewinnen. In Chile z.B. können die Menschen zwischen
mehreren hundert Policen wählen. Eine sinnvolle Wahl
setzt Beratung voraus und führt zur Etablierung eines
neuen Berufstandes: des Versicherungsberaters. Die
Kosten für diese Beratung wären in einer Verbesserung
der medizinischen Versorgung sicher besser investiert.
• Spreizung bedeutet aber auch eine Staffelung nach
Preisklassen: von besonders billig bis zu sehr
hochwertig. Billigangebote der Krankenversicherungen
schränken die Leistungen für die PatientInnen ein – zum
Nachteil derjenigen, die sich teure Policen nicht leisten
können.
Wettbewerb der Kassen führt zu einer
Selektion von Versicherten mit geringen
Krankheitsrisiken
• Selektion von jungen Versicherten mit geringem
Krankheitsrisiko oder solchen, die im RSA höhere
Beiträge bringen
• In den USA haben Versicherungen die
Versorgungsqualität für Hoch-Risiko-PatientInnen
gezielt verschlechtert, um sie abzuschrecken
(„perverse incentive“), Smith, 2009,58)
Ausgewählte Literatur
• Huffschmid, Jörg: Fehlverhalten, Regulierungsmängel
oder Systemdynamik? Zu den Hintergründen und
Ursachen der Finanzkrise. In: Sauer/Ötsch/Wahl (Hrsg.):
Das Casino schließen. Analysen und Alternativen zum
Finanzkapitalismus. Hamburg, 2009, 33-46
• Kädtler, Jürgen: Finanzmarktkapitalismus und
Finanzmarktrationalität. In: Sauer/Ötsch/Wahl (Hrsg.):
Das Casino schließen. Analysen und Alternativen zum
Finanzkapitalismus. Hamburg, 2009, 47-60
• Reinders, Hartmut: Der homo oeconomicus in
Gesundheitwesen. Berlin 2006, WZB
Veröffentlichungsreihe
• Smith, Peter C.: Market Mechanisms in the Use of
Health Care Reources. In: OECD Health Policy Studies:
Achieving Better Value for Money in Health Care. OECD,
2009, 53-77
Finanzierung
der Gesundheitssysteme
zwischen
neoliberaler Begehrlichkeit
und
gesellschaftlichem Solidaritätsprinzip
Werner Schüßler
Workshop: Konferenz global gerecht gesund, Berlin
Finanzierungsmodelle*
Ein charakteristisches Merkmal eines Gesundheitssystems ist
die Art seiner Finanzierung.
Es werden grundsätzlich drei Klassen unterschieden:
• Nationaler Gesundheitsdienst: Finanzierung aus
Steuermitteln (z.B. Großbritannien, Irland, Dänemark, Portugal)
• Sozialversicherungsmodell: Finanzierung über gesetzliche
Pflichtversicherung (z.B. Deutschland, Frankreich, Benelux)
• Privatversicherungsmodell: Finanzierung über freiwillige
private Krankenversicherung (z.B. USA).
*Quelle: Wikipedia
Gesundheitspolitik der Staaten
in der EU
Ziele der EU-Kommission für das Gesundheitswesen und die
Altenpflege, 2001*:
• Zugang für alle,
• hohe Qualität und
• langfristige Finanzierbarkeit.
Die Gesundheitspolitik in der EU ist Angelegenheit der einzelnen
Nationalstaaten.
Sie ist traditionell und vom gesellschaftlichen Verständnis her
überwiegend :
• am Prinzip öffentlicher Daseinsvorsorge orientiert
• solidarisch orientiert (Finanzstarke zahlen mehr als
Finanzschwache; Gesunde zahlen für Kranke)
• überwiegend paritätisch ausgerichtet
(z.B. aus allen Steuerquellen oder durch Beteiligung der Arbeitgeber)
* EU-Presseerklärung IP/01/1747, 12/2001
Veränderungen in der Finanzierung von
Gesundheit in Europa*
Der Anteil der öffentlichen Ausgaben an den Gesamtausgaben ist in
Europa in den letzten Jahren weiter zurückgegangen
Der relative Rückgang der öffentlichen
Gesundheitsausgaben geht einher mit einer Zunahme der
Bedeutung privater Versicherungen und der Zunahme von
persönlich zu leistenden Zuzahlungen an der Finanzierung
der Gesundheitsausgaben
Die Bedeutung von privaten Gesundheitsversicherungen ist
in Ländern mit gesetzlichen Sozialversicherungen größer als
in den steuerfinanzierten Systemen.
*Quelle: Christoph Hermann: Die Privatisierung von Gesundheit in Europa FORBA-Schriftenreihe 2/2007
Die Herausbildung europäischer
Gesundheitskonzerne
Die Privatisierung und Ökonomisierung der europäischen
Gesundheitssysteme hat gleichzeitig zur Verschiebung weg von
öffentlicher Gesundheitsversorgung hin zur Versorgung durch
europäische und internationale Gesundheitskonzerne geführt
Konsequenz:
Zunehmende Verschiebung der Finanzmittel im
Gesundheitswesen von die Finanzierung der
Gesundheitsausgaben hin zur Erwirtschaftung und
Abschöpfung von Gewinnen und Renditen
Auswirkung privater Krankenversicherung am Beispiel der USA 1/3
Dem Gesundheitssystem wird Geld für die Finanzierung von
Gesundheitsleistungen entzogen:
- durch Gewinn- und Renditenerbringung für die
Versicherungseigner
- erhöhte Kosten durch Verwaltungs- und Werbekosten
- Risikoselektion: Ausschluss hoher Kostenrisiken bei
Erkrankung des Versicherungsnehmers oder höhere
Risikozuzahlungen
- Entstehung eines Mehrklassensystem
- Gesundheit als Ware und in Abhängigkeit vom Geldbeutel!
- Kapitalgedeckte Versicherungen sind Akteure und gfls.
Opfer der Finanzmarktrisiken
Auswirkung privater Krankenversicherung am Beispiel der USA 2/3
- Das amerik. Gesundheitssystem ist das mit Abstand teuerste
der Welt
- Fast 50 Millionen US-Amerikaner sind nicht
krankenversichert; für weitere 40 Millionen ist der
Versicherungsschutz mangelhaft, da sie sich nur
Versicherungspolicen mit unzureichendem Leistungskatalog
leisten können!
- Selbst bei „Vollversicherung“ droht Privatinsolvenz wg.
fehlendem Krankengeldanspruch, sehr hohe Zuzahlungen oder
hohe Selbstbehalte (fast 50% der Privatinsolvenzen in den
USA aufgrund von Arztrechnungen!!)
Auswirkung privater Krankenversicherung am Beispiel der USA 3/3
- Für alle „Nichtversicherten“ wird nur eine medizinische
Notfallbehandlung kostenlos gewährt, alle anderen
Behandlungen müssen privat bezahlt werden!
(45 % der gesamten Gesundheitsaufwendung für
medizinische Notfallbehandlung)
- Primat des Ökonomischen führt zu teilweise unwürdigem
und menschenverachtenden Umgang mit Kranken
(siehe Michael Moore`s Film „SICKO“ )
Forderungen
Öffentlichen Daseinsvorsorge statt Gesundheitskonzerne
Keine Ökonomisierung und Profitlogik
im Gesundheitswesen
Für ein solidarisch und paritätisch finanziertes
Gesundheitssystem
Privatisierung und Ökonomisierung
der Finanzierung des
Gesundheitssystems
am Beispiel der Kopfpauschale
(Zusatzbeiträge) und der Abschaffung des
Sachleistungsprinzips
Roland Heuwinkel
Agenda
Entsolidarisierung der Arbeitgeber und Gutverdiener
Einführung von einkommensunabhängigen Pauschalen
Schleichende Abschaffung des Sachleistungsprinzips
und Einführung der Kostenerstattung
Verlagern aller zukünftiger Ausgabensteigerungen
auf die Arbeitnehmer
Entsolidarisierung der Arbeitgeber
+ Zuzahlungen auf ArzneiHeil- und Hilfsmittel 10%
+ Praxisgebühr 10 EUR / Q.
0,00 EUR
+ Zusatzbeitrag 2%
(bis 75 EUR mtl.)
+ Arbeitnehmer-Zuschlag
0,9%
Arbeitgeber-Beitrag 7,3%
Arbeitnehmer-Beitrag 7,3%
Die Last wird schon heute
zum Großteil von den Arbeitnehmern getragen!!
Entsolidarisierung der Gutverdiener
Einfacherer Wechsel von der GKV in die PKV / nur noch ein
Jahr Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze z. Zt.
4.162,50 EUR monatlich nötig
PKV umwirbt besonders junge und gesunde Versicherte,
Folgen:
• Kranke und ältere Versicherte bleiben in der GKV
• Der GKV fehlen die Beiträge der Gesunden
zur Finanzierung der Ausgaben für die Kranken
• Die Schieflage des Solidarsystem wird größer
Einkommensunabhängige Pauschalen
ab 2011 in Deutschland Realität
• Krankenkassen können ab 2011 beliebig hohe Zusatzbeiträge
erheben
• Sozialausgleich soll ab 2% des Einkommens greifen, die Methode
ist noch ungeklärt, die Zusatzbeiträge kommen aber sicher
Folge:
Je geringer das Einkommen, desto größer der prozentuale
Beitrag zur Krankenversicherung = es trifft die Geringverdiener
am härtesten
Einkommensunabhängige Pauschalen
sind keine Lösung! Beispiel: Schweiz
Kopfpauschalen sind kein Erfolgsmodell!
Beispiel Schweiz:
• Schweizer Gesundheitssystem ist nach den USA
das zweitteuerste der Welt!
• durch hohe Selbstbeteiligungen viele Leistungen nur für
Besserverdienende
• ca. 30% der Bevölkerung ist auf Transferleistungen angewiesen –
mit steigender Tendenz
• mittlerweile wird nach 13 Jahren nach Alternativen gesucht
Abschaffung des Sachleistungsprinzips
• jeder gesetzlich Versicherte bekommt ambulante und stationäre
Leistungen „auf KV-Karte“, d. h. ohne eigene Vorleistung
• Ärzte, Apotheken und Kliniken rechnen direkt mit Krankenkassen ab
• Leistungskatalog soll reduziert werden, um die PKV zu fördern
• Ärzteverbände fordern Abschaffung des o. a. Sachleistungsprinzips
und Einführung der Kostenerstattung
Folgen:
• Krankenkassen werden nur noch einen einen Teil der
Rechnungsbeträge erstatten
• Kostenerstattung setzt falsche Anreize zur Mengenausweitung
Arbeitnehmer tragen
alle zukünftigen Ausgaben
Die Arbeitgeberbeiträge sind auf einem niedrigen Niveau
eingefroren
Arbeitnehmer zahlen neben den regulären Beiträgen,
Zusatzbeiträge, Zuzahlungen zu Arznei-/Heil- und Hilfsmitteln
etc.
vor allem:
• Alle Preissteigerungen der Pharmaindustrie
• Alle Honorarsteigerungen der niedergelassenen Ärzte
• Den medizinischen Fortschritt an Kliniken
Arbeitnehmer zahlen ALLE zukünftigen
Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen