Fallbeispiel 3

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Transcript Fallbeispiel 3

Fallbeispiel Geschwisterkind Katharina, 14 Jahre alt
Mutter, 45, Chemikerin, arbeitet nicht
Vater 53, Anlagenmechaniker, arbeitet auf Montage im Ausland
Tochter Sarah, 5: geistig und körperlich behindert; die Behinderung kam durch ein Ärztefehler bei der
Geburt zustande (Sauerstoffmangel)
Mutter: „ Aufgrund von vorzeitiger Plazentalösung, bei der sich der Mutterkuchen vor der Geburt des Kindes löste, habe
ich Sarah per Kaiserschnitt zur Welt bringen müssen. Dabei wurde ihr in den Kopf geschnitten, es entstand ein hoher
Blutverlust beim Baby, Sauerstoffmangel, Herzstillstand…3 Tage Intensivstation, Bluttransfusion…Nach einer Woche
wurde Sarah entlassen, nach zwei Monaten haben wir erfahren, dass eine spastische Behinderung vorliegt. Worte wie
Hemiparese, halbseitige Lähmung, unterentwickelte Feinmotorik benutze ich öfters als Worte wie Brot und Wasser.
Meine kleine Tochter kann nicht sprechen, kann nicht laufen, selbständig essen, sie braucht immer Windeln und ihr
Sehvermögen ist beeinträchtigt. Keiner kann sagen, wie stark ihre Sehbehinderung ist. Geistig ist sie auch nicht auf
ihrem Altersstand. Ich habe das Gefühl, dass ich mich nie damit abfinden werde, dass die Behinderung meiner Tochter
vermeidbar war. Katharina war für mich eine ganz große Stütze. Sie hat wortlos nach und nach die ganze Hausarbeit
übernommen und mich getröstet als ich weinte. Jetzt spricht sie mit mir nur das Nötigste, will mir nicht mehr helfen, sagt
sie sei ein „Freak“, weil sie nicht wie die anderen sein kann: unbeschwert und lustig. Ein Mitschüler hat ihr gesagt „Du
bist blöder als deine Schwester“ – seitdem will sie nicht mehr in die Schule gehen. Ihre Noten zwingen sie zum
Schulwechsel. Sie geht zur Zeit in die 7te Klasse Gymnasium. Aufgrund einiger Sechsen in Latein und schlechter
Leistungen in Mathe muss sie auf die Realschule wechseln. Es ist noch unklar, ob sie die siebte Klasse wiederholen
muss.“
Katharina´s Tagebuch-Eintrag
„Das Verhältnis zu meiner Schwester ist zur Zeit nicht so gut, aber ich habe sie wirklich lieb! Früher habe ich sehr viel
Zeit mit ihr verbracht. Grade jetzt ist es sehr stressig. Mich nervt es auch sehr, wenn meine Freundin sagt, dass etwas
„behindert ist“, wenn sie sich aufregt. Sie soll das lassen!!!
Ich habe mich die letzten 3 Monate sehr in unserer Gemeinde engagiert. Hat Spaß gemacht, ich mache es aber nicht
mehr. Warum? Hinter vorgehaltener Hand habe ich Sätze gehört wie, „ihre Schwester ist ja behindert, deswegen ist sie
so unglaublich sozial engagiert“. Ich sollte denen meine Meinung sagen. Ich mag aber nicht. Anfangs hat es mir Spaß
gemacht, anderen zu sagen wo´s langgeht. Jetzt nicht mehr. Ich muss - auch noch – die Schule wechseln. Wegen
Mathe und Latein. Zu viele Sechser. Aber das ist vielleicht gut? Hab´ sowieso keine Zeit zum büffeln. Muss wieder
anfangen Mama zu helfen. Sie packt es nicht alleine. Und Papa soll am liebsten gar nicht mehr nach Hause kommen.
Wir schaffen das alleine, sagt die Mama. Sie hat recht.“
Ausgefüllter
Fragebogen
Mutter
1. Schritt:
Allgemeine
Risikogruppe
bestimmen
Belastung und Leiden
1. Schritt:
Allgemeine
Risikogruppe
bestimmen



Farben von Fragen L und B
ablesen
entsprechende Felder in Tabelle
ausfüllen
Zeile ablesen, in der zwei
Markierungen sind
Mutter
2. Schritt:
Bereichsspezifische
Belastung bestimmen
Krankheitswissen
Familiäre Belastung
Geschwisterbeziehung
Schulkompetenz
Soziale Integration
2. Schritt:
Bereichsspezifische
Belastung bestimmen
Otional: Auswertung Zusatzfragen
(nur für psychosoziales
Fachpersonal):
Verifizierung B und L
Thematisierung GB
Hinweis spezieller
Versorgungsbedarf
Hinweise zur
Belastungsverarbeitung
Hinweise zur
Belastungsverarbeitung
zur Abklärung
emotionale- und
Verhaltensprobleme
Ausgefüllter
Fragebogen
Katharina
Kathi
14 Jahre alt
Ausgefüllter
Fragebogen
Katharina
1. Schritt:
Allgemeine
Risikogruppe
bestimmen



Farben von Fragen L und B
ablesen
entsprechende Felder in Tabelle
ausfüllen
Zeile ablesen, in der zwei
Markierungen sind
Katharina
2. Schritt:
Bereichsspezifische
Belastung bestimmen
Mutter+Tochter
Auswertung Zusatzfragen Katharina und ihre Mutter
Katharina
4
0
4
1
2
0
4 = hoher Versorgungsaufwand; 0 = niedriger Versorgungsaufwand
Mutter
3
0
4
2
3
3
4 = hoher Versorgungsaufwand; 0 = niedriger Versorgungsaufwand
Vorbereitung auf das Elterngespräch
 Welche Risikogruppe?
 Welche Bereiche?
 Zusatzfragen
 Welche Ziele?*
 Unterschiedliche Aussagen Elternteil – Kind?**
 Welche Hilfen sind denkbar? Vernetzung
 Überlegungen zum Gesprächsablauf
*Im Gespräch Ressourcen, Prioritäten der Familie bei der Zielfindung besprechen
** „Kind (ge-) wichtiger!
Allgemeine Tipps vorweg
 Geschwisterangebote: Alle Geschwisterkinder profitieren von der
Teilnahme an speziellen Geschwisterangeboten. Spezielle Angebote für die
Geschwisterkinder (Seminare, Gruppenangebote, Freizeiten) können auf der
www. Initiative-familienbande.de recherchiert werden.
 Gesprächseröffnung: Viele Eltern reagieren auf manche Ergebnisse oder
Diskrepanzen bestürzt und voller Schuldgefühle. Aus diesem Grund drücken
Sie zuerst Ihre Wertschätzung aus. Worte wie z.B. „Vielen Dank, dass Sie sich
Zeit nehmen trotz ihrer vielen Sorgen! Ich finde es bewundernswert, wie viel
sie leisten!“ bilden einen guten Beratungsbeginn. Die Berater beginnen das
Elterngespräch mit den Themen, die ihrer Ansicht nach am wenigsten
problematisch sind, zuerst sagen z.B. „Die Auswertung hat gezeigt, dass keine
Probleme in den meisten Bereichen angezeigt werden.…“ (hier bitte lobend
hervorheben, was im „grünen Bereich“ liegt)“
 Die Vernetzung und Empfehlungen sollten schrittweise erfolgen um die
Familie nicht zu überfordern.
 Bei der Durchführung sollten die Ressourcen, Prioritäten und Tempo der
Familie beachtet und respektiert werden.
Vorbereitung auf das Elterngespräch
Welche Risikogruppe liegt vor?
Mutter
Katharina
Bestimmung der Allgemeinen Risikogruppe Die Ergebnisse des
Fragebogens zeigen einen klaren Beratungs- und Hilfebedarf. Kathis Mutter:
Einschätzung - rot; bei Kathi auch rot; Risikogruppe III, hohes Risiko; keine
kritischen Lebensereignisse wurden angegeben. Fachkreise beachten den
Zusammenhang mit Zusatzfragen.
An dieser Stelle kann bereits (z.B. von den Niedergelassenen Kinderärzten, die keine
zeitlichen Kapazitäten für die ausführliche Beratung haben) vernetzt werden – etwa
zur psychosozialen Beratung, die weitere Analyse der LARES-Ergebnisse vornehmen
kann, z.B. die Einrichtung, die das kranke Kind betreut.
Vorbereitung auf das Elterngespräch
In welchen Bereichen gibt es Probleme?
beide grün Krankheitswissen
beide rot Schulkompetenz
beide grün Soziale Integration
Mutter Familiäre Belastung
Kathi Familiäre Belastung
beide gelb Geschwistereziehung
Diskrepanz
Besprechung der einzelnen Bereiche Fall Kathi
Bereich Familiäre Belastung: Der Versorgungsaufwand aufgrund der Behinderung der jüngeren Tochter ist sehr
hoch. Kathi geht es sehr schlecht, sie gibt an sehr zu leiden (Risiko hoch);bei der Frage zur Familiären Belastung
sagt sie, dass sie sich nur manchmal um die Zukunft ihrer Familie Sorgen macht – „grün“. Die Zusatzfrage „Mir geht
es schlecht, weil meine Schwester krank ist“ wird mit „manchmal/etwas“ beantwortet. Es gilt zu klären, welche
Hilfen notwendig sind, damit Kathi ihrer Mutter helfen aber auch lernen und Freizeitaktivitäten pflegen kann.
Welche familiäre Ressourcen sind vorhanden? Eine Beratung der Einrichtung, die die behinderte Tochter betreut,
soll für die Mutter statt finden. Ermutigung zu offenen Gesprächen (altersgerecht) über die Situation.
Entlastung für Kathi: Sie sollte eigene Interessen finden und pflegen können. Sie benötigt psychologische
Beratung und Hilfe. Sie soll an Geschwisterseminaren und – freizeiten teilnehmen.
Entlastung für die Mutter: sie könnte mit erwachsenen Betroffenen - Müttern und Vätern - kontakt aufnehmen
(Internet, Selbsthilfegruppe), um von den anderen zu lernen, Tipps zu bekommen, wie die anderen ihren
Problemen begegnen; das Gespräch mit der Einrichtung, die Sarah betreut suchen, um die eigenen Belastungen
besser zu bewältigen.
Zu Klären wären auch familiäre Ressourcen. Gibt es in der Familie oder im Freundeskreis Helfer? Die Eltern sollten
die Chance bekommen, neue Lösungswege zu finden, Alternativen – evtl. Vater sucht Arbeit in der Nähe oder im
Inland? Die Zeit, die Katharina Hilfe im Haushalt leistet und sich um ihre Schwester kümmert, sollte reduziert
werden, damit das Mädchen ihre Freizeit gestalten kann.
Bereich Schulkompetenz: im roten Bereich - ist Kathis Schulwechsel wirklich nötig? Sie ist der Erklärungen
müde und muss wegen schlechten Noten ihre Schule verlassen. Beratung mit dem
Vertrauenslehrer/Schulpsychologen suchen um zu klären, ob Kathis Schulschwierigkeiten mit dem Zeitmangel
zusammenhängen. Kommt evtl. eine Wiederholung der Klasse infrage?
Bereich Geschwisterbeziehung: im gelben Bereich – Kathi gibt an, sich nur manchmal mit ihrer Schwester zu
vertragen, Mutter – dass die Schwester Kathi manchmal peinlich ist. Die Zusatzfrage - Kathi sagt, ihre Schwester
immer/ganz stark gern zu haben, Mutter bestätigt diese Aussage. Klärung der Gründe, warum die Schwestern sich
nur manchmal vertragen, über die Peinlichkeit - offenes Gespräch über die Probleme in der Geschwisterbeziehung
ist notwendig. Spezielle Geschwisterseminare, Literaturhinweise, Beratung z.B. der Einrichtung die das kranke
Kind betreut können helfen.
Bereich Soziale Integration: im grünen Bereich
Bereich Krankheitswissen: im grünen Bereich
Gespräch mit Mutter und Katharina direkt nach der Auswertung:
Mutter und Tochter behaaren darauf, mit allen Belastungen allein fertig werden zu wollen. Als allerdings die
Fachkraft die Vermutung äußert, dass Kathis schlechten schulischen Leistungen daraus resultieren könnten, dass
wegen des hohen Versorgungsaufwandes Kathi vielleicht zu wenig Zeit zum Lernen hat, reagiert die Mutter
erschrocken und möchte diesen Zustand ändern.
Es wird beschlossen, verschiedene Alternativen auszuprobieren.
Die Mutter will die Beratung der Einrichtung, die die kleine Tochter betreut in Anspruch nehmen. Die jüngere Tochter
soll eine Kindergartenschule für Kinder mit unterschiedlichen Behinderungsformen oder gesundheitlichen
Einschränkungen besuchen. Eine Putzhilfe wird engagiert. Kathi kann nach der Schule zur Großmutter gehen, zum
Mittagessen und Hausaufgaben machen.
Sie soll aber auch zu Hause Zeit für sich bekommen.
Katharina reagiert zunächst mit Trauer und Unverständnis auf diese Pläne. Es ist sehr wichtig für sie, ihrer Mutter zu
helfen, für sie da zu sein. Sie willigt aber ein, da es sich um eine Versuchsphase handelt.
Ein Termin mit dem Schulpsychologen wird vereinbart. Das Thema Schulwechsel oder Wiederholjahr soll auch mit
dem Vater besprochen werden.
Kathis Mutter möchte es nicht ansprechen, dass der Ehemann eine Arbeit in der Nähe sucht. Die Familie hätte sich
so gut arrangiert.
Ein spezielles Freizeitangebot für Geschwisterkinder wurde vorgeschlagen.
Nach 6 Monaten
Die Ideen wurden umgesetzt, Katharina und ihre Mutter kommen besser zurecht. Katharina geht zu einem
Jugendpsychotherapeuten, wechselt doch nicht die Schule. Sie hat an einem Geschwisterwochenende
teilgenommen, ist auch an weiteren Angeboten interessiert. Sie hat mehr Zeit für die Freunde, geht auch regelmäßig
in das Gemeindezentrum und hat angefangen Taekwondo zu trainieren.