Grundstrukturen des SchVG 2009

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Transcript Grundstrukturen des SchVG 2009

Prof. Dr. iur. Christoph Thole, Dipl.-Kfm.
Die Anleihe in der Insolvenz
Norddeutsches Insolvenzforum 8.9.2014
Anleihen in der Insolvenz
Überblick
I.
Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsrechts und
rechtliche Grundlagen
II.
Verfahren nach dem SchVG 1899
III.
Verfahren nach dem SchVG 2009
IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
Prof. Dr. iur. Christoph Thole, Dipl.-Kfm.
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I. Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsrechts und
rechtliche Grundlagen
Rechtliche Grundlagen
•
SchVG 1899: Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der
Besitzer von Schuldverschreibungen vom 4.12.1899
•
SchVG 2009: Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse
bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom
4.8.2009, in Kraft seit dem 5.8.2009
•
Insolvenzordnung
•
§§ 793 ff. BGB
•
Ggf. wertpapierrechtliche und kapitalmarktrechtliche Vorgaben zu
beachten, zB nach WpPG beim Debt-Equity-Swap
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I. Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsrechts und
rechtliche Grundlagen
Was sind Anleihen und andere
Schuldverschreibungen?
•
Verbriefte Darlehensforderungen/Wertpapiere
→ Mehrzahl von Wertpapieren, die als Gegenleistung für die Überlassung von
Kapital in Serie zu gleichen Bedingungen ausgeben werden und in denen der
Emittent den Gläubigern Rückzahlung und Verzinsung zu den festgelegten
Bedingungen verspricht
•
§ 1 SchVG: „inhaltsgleiche Schuldverschreibungen“
•
Leitbild des SchVG ist die Inhaberschuldverschreibung (§§ 793 ff. BGB)
•
Fremdkapital, kein Eigenkapital wie bei Aktien
•
Börsennotiert oder nicht börsennotiert (private placements, retail bonds,
grauer Markt)
•
Ausgestaltung der Bedingungen und Stückelung vielfältig
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I. Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsrechts und
rechtliche Grundlagen
Was sind Anleihen und andere
Schuldverschreibungen?
•
Inhaberschuldverschreibungen (einzeln verbriefte Schuldverschreibung
ohne Gesamtemission aber nicht vom SchVG erfasst)
•
Namens- und Orderschuldverschreibungen (sofern fungibel)
•
Optionsanleihe, Zertifikate, ggf. auch Derivate
•
Wandelschuldverschreibungen
•
Asset-backed-securities (nach Tranchen zu unterscheiden)
•
Genussrechte
•
Nicht: Pfandbriefe, öffentl. Schuldverschreibungen (§ 1 II SchVG)
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II. Verfahren nach dem SchVG 1899
Grundstrukturen des SchVG 1899
•
Anwendungsbereich: Schuldverschreibungen mit im Voraus
bestimmten Nennwerten, die den Gläubiger gleiche Rechte gewähren;
Gesamtnennbetrag mind. 300.000 DM, mind. 300 Stücke
•
Emittent muss im Inland ansässig sein!
•
Außerhalb des Insolvenzverfahrens ≠ im Insolvenzverfahren
•
Bestellung eines Gläubigervertreters mit Mehrheitsbeschluss möglich,
§ 14 SchVG 1899
•
Beschlussfassung setzt Hinterlegung der Schuldverschreibungen
voraus: umständlich
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II. Verfahren nach dem SchVG 1899
Grundstrukturen des SchVG 1899
•
Änderungen der Anleihebedingungen nur eingeschränkt:

Ermäßigung Zinsen und Stundung für die Dauer von drei Jahren, § 11 I SchVG 1899 mit
¾ Mehrheit

Nur zur Abwendung der Zahlungseinstellung oder des Insolvenzverfahrens

Quorum: Mehrheit muss mind. Hälfte des Nennwerts betragen, ggf. sogar 2/3 (näher § 11
II SchVG 1899)

•
Keine Reduktion des Nennwerts (§ 12 III SchVG) durch Mehrheitsbeschluss
Nur bei Einstimmigkeit wegen § 12 III (z.B.):

Kapitalverzicht und sonstige Kapitalmaßnahmen

Debt-Equity-Swap
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II. Verfahren nach dem SchVG 1899
Grundstrukturen des SchVG 1899
•
Im Insolvenzfall § 18 SchVG 1899:

Vorrang des Insolvenzrechts

„Unverzügliche“ Einberufung einer Versammlung der Anleihegläubiger durch das
Insolvenzgericht

Leitung durch das Gericht

Alleiniger Zweck: Bestellung eines gemeinsamen Vertreters

Gemeinsamer Vertreter übernimmt die Forderungsanmeldung nach § 19 SchVG 1899:

Schuldverschreibungsurkunde muss nicht beigefügt werden

Vorlegung aber bei der Verteilung erforderlich

Str., ob daneben noch Anmeldung durch Gl. möglich (Ausschluss wohl nur mit ¾
Mehrheit nach §§ 14 II, 11 II SchVG 1899)
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Grundstrukturen des SchVG 2009
•
Flexibilisierung der Änderungsmöglichkeiten und Steigerung der Attraktivität des
SchVG
•
Sachlicher Anwendungsbereich: „inhaltsgleiche“ Schuldverschreibungen aus
Gesamtemission; keine Bagatellgrenzen
•
keine Aggregation (Aggregationsklauseln in Anleihebedingungen nach h.M.
unzulässig), gemeinsame Versammlung aber zulässig (nicht Beschlussfassung!)
•
Räumlich-persönlich: Entscheidend ist allein die Begebung nach deutschem Recht,
nicht mehr der Sitz des Emittenten! (fraglich, ob hier ein Reinheitsgebot gilt, also
deutsches Recht vollständig gewählt sein muss, so LG Frankfurt, 27.10.2011, 3-05 O
60/11, NZG 2012, 23.)
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Grundstrukturen des SchVG 2009
•
Bei Auslandsanleihen deutscher Emittenten gilt nicht SchVG, wohl aber
kann die Anleihe im deutschen Insolvenzplanverfahren restrukturiert
werden!

•
Dann stellen sich lediglich Fragen der verfahrensrechtlichen Anerkennung im Ausland
Zeitlicher Anwendungsbereich nach § 24 SchVG:
 Stichtag: 5.8.2009
 Möglichkeit eines Opt-In von Alt-Schuldverschreibungen nach § 24 Abs. 2 SchVG
2009
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Opt-In (§ 24 II SchVG)
•
Opt-In von Gläubigern vor dem 5.8.2009 ausgegebener
Schuldverschreibungen mit Zustimmung des Schuldners möglich,
qualifizierte Mehrheit
•
Vorteil:
 Außerhalb des Insolvenzverfahrens: Erweiterung der Restrukturierungsmöglichkeiten
 Im Insolvenzverfahren: Klarheit über die Rechte des gemeinsamen Vertreters –
Exklusivität der Forderungsanmeldung, nur Gesamtanmeldung
•
Gilt das auch, wenn die Schuldverschreibungen bisher nicht vom
SchVG 1899 erfasst waren?
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Opt-In

OLG Frankfurt ZIP 2012, 725 (Pfleiderer) und LG Frankfurt ZIP 2011, 2306: nein, § 24 Abs.
2 SchVG will nur für solche Fälle erweitern, in denen schon bisher
Mehrheitsentscheidungen nach dem SchVG möglich waren → keine Möglichkeit bei
Anleihen ausländischer Emittenten (wenn nicht in den Anleihebedingungen
Mehrheitsbeschluss vorgesehen, so LG Frankfurt ZIP 2012, 474 – Q-Cells.)

OLG Schleswig ZIP 2014, 221: auch dann möglich, wenn deutsches Recht schon bisher
gewählt war und Anwendbarkeit des SchVG 1899 lediglich zweifelhaft ist (in casu: wegen
gewinnabhängiger Rückzahlungsverpflichtung bei einem Genussschein)

Schrifttum: stets möglich, wenn deutsches Recht auf die Alt-Schuldverschreibung
anwendbar war
•
Opt-In und Wahl des gemeinsamen Vertreters oder Änderung der
Anleihebedingungen können in einer Versammlung erfolgen
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Restrukturierung nach dem SchVG 2009
außerhalb der Insolvenz
•
Bindung der unterlegenen Gläubiger
•
Anleihebedingungen können verbindliche Änderung durch
Mehrheitsbeschluss der Gläubiger vorsehen
•
Dazu gehören u.a. auch (§ 5 Abs. 3 SchVG 2009, mit ¾ Mehrheit):
 Veränderung und Ausschluss Zinsen
 Veränderung Hauptforderung und deren Fälligkeit
 Debt-Equity-Swap
 Verzicht auf Kündigungsrechte
 Schuldnerersetzung
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Restrukturierung nach dem SchVG 2009
außerhalb der Insolvenz
•
Gemeinsamer Vertreter wählbar, auch schon in den
Anleihebedingungen
•
Einberufung einer Gläubigerversammlung, auch auf
Minderheitsverlangen
•
§ 10 SchVG: keine Hinterlegung mehr erforderlich, § 10 III SchVG
•
Novum: Abstimmung ohne Versammlung, § 18 SchVG (zu den
Problemen Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353)
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Restrukturierung nach dem SchVG 2009
außerhalb der Insolvenz
•
Rechtsschutz nach § 20 SchVG durch Anfechtungsklage:

Partiell aktienrechtlichen Vorbilder nachgebildet

hier manches ungeklärt (Gestaltungswirkung analog § 248 AktG,
Nichtigkeitsgründe, Möglichkeit der Nichtigkeits/Feststellungsklageklage, u.a.m.)

Bea. § 20 Abs. 3 S. 4 SchVG: Grundsätzlich aufschiebende
Wirkung, aber Freigabeantrag möglich
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Können SV-Gläubiger vor dem
Insolvenzverfahren kündigen?
•
Vorrang der Regelungen in den Anleihebedingungen, bea. auch
§ 5 Abs. 5 SchVG
•
Fraglich, ob gesetzliche Rechte auch anfänglich
ausgeschlossen oder beschränkt sein können
•
das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund wohl über § 5 Abs. 5 SchVG hinaus
nicht: dazu LG Bonn ZIP 2014, 1073)
•
LG Köln, Urteile vom 26.1.2012, 30 O 13/11, 30 O 14/11 – juris, LG Köln, 30 O
63/11, BB 2012, 1821 mit Anm. Trautrims; kritisch Paulus, WM 2012, 1109:
→ Fristlose Kündigung bei unmittelbar drohender Insolvenz des Emittenten
nach § 314 BGB möglich
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III. Verfahren nach dem SchVG 2009
Können Anleihegläubiger vor dem
Insolvenzverfahren kündigen?
•
Kritik im Schrifttum:

Vorrang § 490 BGB (Trautrims, BB 2012, 1821)

Ggf. aber auch § 490 und § 314 BGB nicht erfüllt – keine
Unzumutbarkeit für den Gläubiger

Bindungswirkung von Mehrheitsbeschlüssen nach SchVG laufe
dann leer (fraglich, inwieweit das wirklich so ist)
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IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
SchVG 2009 und Insolvenzverfahren
§ 19 SchVG:
(1) 1Ist über das Vermögen des Schuldners im Inland das Insolvenzverfahren
eröffnet worden, so unterliegen die Beschlüsse der Gläubiger den
Bestimmungen der Insolvenzordnung, soweit in den folgenden Absätzen
nichts anderes bestimmt ist. 2§ 340 der Insolvenzordnung bleibt unberührt.
(2) 1Die Gläubiger können durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer
Rechte im Insolvenzverfahren einen gemeinsamen Vertreter für alle
Gläubiger bestellen.
2Das
Gläubigerversammlung
Insolvenzgericht hat zu diesem Zweck eine
nach
den
Vorschriften
dieses
Gesetzes
einzuberufen, wenn ein gemeinsamer Vertreter für alle Gläubiger noch nicht
bestellt worden ist.
(3)-(5) ……
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IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
SchVG 2009 und Insolvenzverfahren
•
Grundsatz: umfassender Vorrang der InsO (auch bei Eigenverwaltung) –
Einpassung der Anleihegläubiger in die Gesamtgläubigerschaft - aber
teilweise Ansicht: auch § 5 SchVG bleibt unberührt! (s.a. Folie 30)
•
Erst ab Eröffnung, vorher gelten allgemeine Regeln, d.h. keine
Sonderregeln für Anleihegläubiger
•
Ausnahme sodann: § 19 Abs. 2 SchVG: Einberufung einer
Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger
•
Amtspflicht des Insolvenzgerichts! (Ausnahme bei Nachrang der
gesamten Anleihe, dazu sogleich); deshalb insoweit auch kein
Minderheitsverlangen gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 SchVG
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IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
SchVG 2009 und Insolvenzverfahren
•
Fraglich, ob erneute Versammlung auf Minderheitsverlangen nach § 9
Abs. 1 S. 2, wenn kein Vertreter gewählt worden war (so wohl OLG
Zweibrücken ZInsO 2013, 2119, 2120).
•
Für Beschlussfassung und -fähigkeit gilt dann InsO (§ 76 InsO analog)
•
Ggf. auch insoweit Ausschluss Stimmrecht (wie in der gewöhnlichen
Gläubigerversammlung, vgl. AG Itzehoe ZIP 2014, 1545)
•
Gemeinsamer Vertreter nimmt im Insolvenzverfahren die Rechte der
Schuldverschreibungsgläubiger exklusiv wahr (auch dann, wenn
Mehrheitsbeschluss der Gläubiger nach § 7 Abs. 2 S. 3 anderes
vorsähe) (aber nicht Feststellungsklage für den einzelnen Gläubiger nach
Bestreiten der Forderung) – bei Beschlüssen g. Vertreter = vertretene Köpfe
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IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
Gemeinsamer Vertreter
•
Bestellung nach §§ 7, 8 SchVG

Wahlvertreter

Vertragsvertreter (Anleihebedingungen)
•
Bei § 7 SchVG reicht Mehrheitsbeschluss aus

•
Vertragsbeziehungen unklar

Vertrag mit Emittent

Vertrag mit Gläubigerorganisation?

Vertrag mit einzelnen Gläubigern

Wenn bereits bestellt, dann im Insolvenzverfahren fortdauernd, § 19 II SchVG

fraglich dann, ob Vertrag beendet werden kann (§ 7 IV SchVG: nur durch Gläubiger?)
Angemessene Vergütung vom Schuldner zu tragen!  im Insolvenzverfahren
Masseverbindlichkeit?
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IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
Vergütung des gemeinsamen Vertreters im
Insolvenzverfahren – Masseverbindlichkeit?
•
Ausgangspunkt § 7 Abs. 6 SchVG: Schuldner trägt die Kosten
•
Bei fortdauerndem Amt (§ 19 II 2, Hs. 2 SchVG)
Masseverbindlichkeit nach § 55 I Nr. 2 Alt. 2 InsO (gegenseitiger
Vertrag)
•
Bei erstmaliger Bestellung in der Versammlung nach § 19 SchVG
ungeklärt (Thole ZIP 2014, 293 ff.)
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IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
Vergütung des gemeinsamen Vertreters im
Insolvenzverfahren – Masseverbindlichkeit?

Einerseits: Sollen alle Gläubiger den Vertreter der Anleihegläubiger
finanzieren?

Andererseits:
•
Gerichtliche Einberufung und Leitung (anders als zB bei
einem Pool-Vertreter)
•
gesetzgeberischer Wunsch nach Bestellung des Vertreters
zwecks Förderung des Insolvenzverfahrens
•
Vergleich mit vorher bestelltem gemeinsamen Vertreter
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IV. Besonderheiten bei Anleihen im Insolvenzverfahren
Vergütung des gemeinsamen Vertreters im
Insolvenzverfahren – Masseverbindlichkeit?

Alternative nicht praktikabel: Vergütungsforderung des Vertreters wäre
entweder Neuverbindlichkeit gegenüber Schuldner (da nach Eröffnung
entstanden iSd § 38 InsO) oder Vertreter müsste sich von Anleihegläubiger
vergüten lassen, die dann bezogen auf ihre einzelnen Forderungen anteilig
Rechtsverfolgungskosten geltend machen könnten (aber BGH IX ZB 57/12,
ZIP 2014, 480?)

Denkbar wäre allenfalls, dass gemeinsame Vertreter bei Auskehr der
Verteilung Anteil einbehält

Kosten der Versammlung selbst trägt zunächst das Gericht (Problem auch
hier: kein Auslagen und Gebührentatbestand; fraglich, ob und wie auf
Masse/Emittenten nach § 9 Abs. 4 SchVG abgewälzt werden kann)
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V. Offene Fragen und Probleme
Einzelfragen des § 19 SchVG
•
Stimmgewicht bei der Bestellung des gemeinsamen Vertreters:

§ 19 Abs. 1 SchVG iVm § 76 II InsO: Summenmehrheit (Beschlussfähigkeit bereits bei
Anwesenheit eines Gläubigers)

Bei § 19 II SchVG reicht einfache Mehrheit

Problem: Was ist Summenmehrheit? Entsprechend § 76 II käme es auf die
„Forderungsbeträge“ an – das meint die angemeldete Forderung (einschließlich
Zinsforderungen) - dies soll aber ja erst der gemeinsame Vertreter machen

•
Lösung: wohl § 6 SchVG: Berechnung nach Nennwert
Rechtsschutz gegen die Bestellung nach § 20 SchVG oder § 78 InsO?

M.E. § 78 InsO, da § 20 AktG nicht passt (aufschiebende Wirkung) und Insolvenzrecht bei
der Beschlussfassung Vorrang hat
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V. Offene Fragen und Probleme
Einzelfragen des § 19 SchVG
•
Weitere Versammlungen möglich?

ja, aber nur im Innenverhältnis  Weisungen an gemeinsamen Vertreter
möglich, aber kein unmittelbarer Einfluss auf das Insolvenzverfahren

Aber keine Pflicht des gemeinsamen Vertreters, sich im Innenverhältnis
Zustimmung zu einem Plan etc. absegnen lassen zu müssen

Kosten für weitere Versammlungen im Innenverhältnis muss gleichwohl der
Schuldner tragen (weil i.d.R., soweit nicht § 9 SchVG greift, von ihm einberufen
wird) – hM: dann aber nur Insolvenzforderung (unklar)
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V. Offene Fragen und Probleme
Schuldverschreibungsgläubiger im
Insolvenz(plan)verfahren
•
Restrukturierung im Insolvenzplan möglich – SV-Gläubiger können eine
Gruppe bilden, Obstruktionsverbot gilt auch für sie
•
Aggregation von Anleihen im Plan möglich
•
Rechtsschutz nach § 253 InsO: Vergleichsmaßstab Regelinsolvenz
•
Debt-Equity-Swap möglich für alle SV-Gläubiger trotz
§§ 225a Abs. 2 S. 2, 230 Abs. 2 InsO?
•
Siehe nächste Folie
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V. Offene Fragen und Probleme
Debt-Equity-Swap nach SchVG und nach InsO
•
SV-Gläubiger können sich durch internen Beschluss für Debt-Equity-Swap
aussprechen  dann Bindung auch der unterlegenen Gläubiger trotz
§§ 225a Abs. 2 S. 2, 230 Abs. 2 InsO
•
Mehrheitsbeschluss wird im Planverfahren vorgelegt (so auch ESUG-Begr.
RegE), d.h. eigentlicher Debt-Equity-Swap findet im Plan nach den Regeln
der InsO statt
•
Kann man darüber hinaus Debt-Equity-Swap nach SchVG außerhalb des
Plans machen und damit Anleihengläubiger aus dem Plan raushalten?
(bejahend Kessler/Rühle BB 2014, 907)
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V. Offene Fragen und Probleme
Debt-Equity-Swap nach SchVG und nach InsO
•
Vorbild Solarworld
•
SV-Gläubiger tauschen durch Beschluss Forderungen in Erwerbsrechte
•
Damit Forderungen bei Abwicklungsstelle
•
Kapitalerhöhung im Plan mit Bezugsrechtsausschluss und Zeichnung und
Übernahme durch eine Bank als Abwicklungsstelle gegen Einbringung
Forderung
•
Angebot an SV-Gläubiger, Erwerbsrechte in Aktien zu tauschen
•
Bei Nichtannahme: Verwertung der Aktien durch anderweitige Vergabe und
ggf. Barausgleich an SV-Gläubiger
•
Verzahnung mit Plan über § 249 InsO
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Solarworld reloaded im Insolvenzplan?
Dritter Erwerber
Aktien oder Bargeld
SV-Gläubiger
Abtretung der Anleihenforderung
Erwerbsrechte
Beschluss
nach § 5
SchVG
Außerhalb
Plan
Verkauf nicht
gewollter Aktien
Abwicklungsstelle (Bank)
Anleihenforderung
Zeichnung und
Übernahme von neuen
Anteilen/Aktien
(Kapitalerhöhung im
Insolvenzplan)
Insolvenzschuldner
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V. Offene Fragen und Probleme
Debt-Equity-Swap nach SchVG und nach InsO
•
Vorteil soll sein:
•
kein Schlechterstellungsverbot (Minderheitenschutz) bei SV-Gläubiger (Barausgleich geringer
als Quote, bezieht sich nur auf Verwertungserlös Anteil)
•
•
Schutz nur nach § 20 SchVG
Prämissen
•
§ 5 SchVG gilt auch im Insolvenzverfahren trotz § 19 Abs. 1 SchVG ? M.E. ja, aber nur für das
Innenverhältnis: Vorrang Planverfahren muss durch Planbedingung gewährt werden (sonst
könnten SV-Gläubiger der Gesamtgläubigerschaft eine Restrukturierungsoption aufzwingen)
•
Bei Planbedingung greift § 251 für die SV-Gläubiger nicht, weil diese mangels Forderung nicht
mehr am Plan teilnehmen – wohl richtig
•
Problem: § 245 Abs. 2 Nr. 3? Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger
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V. Offene Fragen und Probleme
Nachranganleihen
•
Teleologische Reduktion der Einberufungspflicht, wenn es sich
um eine Nachranganleihe (iSd § 39 II InsO) handelt?

M.E. keine Einberufungspflicht, wenn und weil mit Befriedigung ohnehin nicht
zu rechnen ist (zuletzt LG Bonn ZIP 2014, 983)

Gegenausnahme: wenn ausnahmsweise mit teilweiser Befriedigung zu
rechnen ist, bei Einbeziehung in einen Insolvenzplan oder ggf. auch dann,
wenn der Nachrang möglicherweise unwirksam ist
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V. Offene Fragen und Probleme
Nachranganleihen und Eröffnungsgründe
•
(Einfacher) Nachrang bei Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen?
•
BGHZ 173, 286 v. 19.7.2007: „Forderungen, deren Gläubiger sich für die
Zeit vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit einer späteren oder
nachrangigen Befriedigung einverstanden erklärt haben, sind bei der
Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nicht zu berücksichtigen.“
•
Obiter dictum BGH ZIP 2010, 2055 v. 23.9.2010: „Nachrangige
Forderungen i. S. des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind – wenn keine
weitergehende Nachrangvereinbarung getroffen (§ 39 Abs. 2 InsO)
wurde –… bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) in die
Liquiditätsprognose einzubeziehen.“
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V. Offene Fragen und Probleme
Nachranganleihen und Eröffnungsgründe
•
Zeitliche Komponente, da Entkräftung zur grundsätzlich nach
§ 271 BGB zu bemessenden Fälligkeit
→ ein einfacher, auf die Zeit nach der Eröffnung konditionierter
Rangrücktritt als solcher genügt nicht
→ es muss deutlich werden, dass sich der Gläubiger auch schon vor
dem Verfahren damit zufrieden gibt, dass er zumindest
vorübergehend nicht befriedigt wird.
→ Auslegung der Anleihebedingungen!
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V. Offene Fragen und Probleme
Nachrang einzelner Gläubiger iSd § 39 Abs. 1 Nr.
5 InsO
•
Zwei Fragen:
1.
Sind Anleiheforderungen von Gesellschaftern Forderungen iSd § 39
Abs. 1 Nr. 5 InsO?
→ ja
2.
Zessionsfälle: Gilt die Rechtsprechung des BGH vom 21.2.2013 (ZIP
2013, 582 - Karibik-Entscheidung) auch hier  Nachrang nach § 404
BGB analog auch gegenüber dem Zessionar (der NichtGesellschafter ist)?
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V. Offene Fragen und Probleme
Nachrang iSd § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO
•
D‘Avoine, NZI 2013, 321: wegen § 796 BGB nicht, Einwendung aus
Urkunde nicht ersichtlich
•
§ 796 BGB gilt aber nicht bei bloßer Forderungsabtretung (nur bei heute
unüblicher Übertragung der Urkunde durch Einigung und Übergabe)
•
dennoch: zweifelhaft, ob § 404 BGB gerechtfertigt, wenn Zessionar
(selbständig agierender) Nicht-Gesellschafter ist (Thole, ZIP 2014, 293,
300; ZInsO 2012, 661, 662)
•
Nachrang (+), wenn der Zessionar ein Gesellschafter ist
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V. Offene Fragen und Probleme
SV-Gläubiger im Insolvenzverfahren
•
Prüfung und Anmeldung der Forderung nach §§ 174 ff. InsO
unterschiedlich, je nachdem, ob ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist (§
19 Abs. 3, 2. Hs. SchVG)
•
Gemeinsamer Vertreter meldet namenslos an (Vorteil: keine ständige Berichtigung des
Tabelleneintrags)
•
Einzelner Gläubiger muss eigentlich Urkunde vorlegen, aber ggf.
Abwicklung über Wertpapiersammelbank/Clearstream?, vgl.
Kuder/Obermüller ZInsO 2009, 2025, 2029)
•
Damit verbunden sind zwei Problembereiche:

Feststellung der Forderung

Verteilung der Quote
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V. Offene Fragen und Probleme
SV-Gläubiger im Insolvenzverfahren
•
Prüfung der Forderung schwierig, wenn noch handelbar und dadurch
ggf. mehr Anmeldungen als Emissionsvolumen? (siehe auch Problem
des Nachrangs)

letztlich allgemeine Regeln (Stichtag Prüfungstermin)

u.a. Titelumschreibung nach § 727 ZPO

ggf. § 767 ZPO (schwierig, wenn Abtretung vor Prüfungstermin)

M.E.: ggf. Hinterlegung durch Verwalter entsprechend der Lösung bei BGH
NJW 2001, 231, dann Prätendentenstreit entsprechend § 372 S. 2 BGB
außerhalb des Insolvenzverfahrens, vgl. a. OLG Brandenburg NZI 2009, 479)
Prof. Dr. iur. Christoph Thole, Dipl.-Kfm.
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V. Offene Fragen und Probleme
SV-Gläubiger im Insolvenzverfahren
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Verteilung über Clearstream denkbar (aber auch ohne
Titelumschreibung nach § 727 ZPO?)
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funktioniert naturgemäß nicht bei „altmodischen“
Schuldverschreibungen, ggf. Sperrfristen
(P: nach BGH kann man auch ohne Urkunde übertragen – Problem
bei § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO)
•
Oder Übertragung auf ein Depot des Verwalters (Penzlin/Klerx ZInsO
2004, 311, 313)
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Darf Börsenhandel mit Anleihen vom Insolvenzverwalter eingestellt
werden? M.E. grundsätzlich ja
Prof. Dr. iur. Christoph Thole, Dipl.-Kfm.
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