Gender Studies Informatik

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Transcript Gender Studies Informatik

Fachgesellschaft
Geschlechterstudien
Gender TechnoMed
Was ist, was kann, was soll
Genderforschung Informatik?
29C3 - Not my department
Hamburg 2012
Britta Schinzel
Überblick
Was haben Informatik und Geschlecht
miteinander zu tun?
Gender-Forschung in der Informatik
– was ist das?
• Genderbegriffe und -konzept
• Geschichte der Informatik und der
Gender Studies
• Geschlecht und Informatik
in drei Kategorien
• Beispiele
Geschlecht und Gender
Geschlecht:
• sex (biologisches Geschlecht)
• gender (soziales Geschlecht)
sind (wegen der Wechselwirkungen zwischen Biologie und
Erfahrungen) untrennbare Aspekte eines Begriffs: Geschlecht
Gender steht vereinfachend als isolierte Kategorie, die sich in
sozialen Interaktionen, in gesellschaftlichen Prozessen, in der
eigenen Körperwahrnehmung und
in technischen Artefakten realisiert.
Entsprechend bezeichnet der Begriff Gendering eben jene
Prozesse, die Geschlecht/Gender konstruieren.
Geschlecht/Gender zeigt sich auf struktureller, symbolischer
und individueller Ebene (Sandra Harding)
Geschlechterkonzept
konstruktivistische Arbeitshypothese: Geschlecht als
dynamische Einheit von in Wechselwirkung aus biologischem
und (auch dessen) soziokultureller Formung Hergestelltem
(Fausto Sterlings Embodymenttheorie)
setzt Konzepte von “männlich” oder “weiblich” nicht voraus,
sondern fragt z.B. danach,
ob die Beteiligten Annahmen darüber haben, was “Mann”
oder “Frau” im Zusammenhang mit der Informatik bedeutet,
ob bzw. wie sie sich als solche inszenieren, und
ob bzw. wie diese veränderlich/veränderbar sind.
These der Genderforschung Informatik
bei Software-Entwicklungsprozessen kommt es auf
individuelle Arbeitsstrategien und soziale Habitus an
U.a. Gender-Aspekte, Inszenierung von Gender, doing gender
Analytisch:
User perspective
Development perspective
unnötige Dichotomien, Hierarchien
Detransitivierung durch Code: verbirgt Verantwortliche,
macht Aussagen/Design schwer anzuzweifeln bzw. zu
eliminieren
konstruktiv gewendet:
qua Entwickler-Population können Diversity-Aspekte in den
Entwicklungsprozess und in Software einfließen
Dekonstuktion der Dichotomie Entwickeln-Benutzen und
anderer Dichotomisierungen
Informatik Geschlechter-Geschichte
• Erste Programmierin: Ada Gräfin Lovelace
• Computer: 1940-er Jahre Bezeichung eines weiblichen
kriegswichtigen Berufs, der Programmierung der Mark II und in
Bletchley Park für Dechiffrierung des deutschen Codes
• Programmiersprachenentwicklung 50-er und 60-er Jahre:
wesentlich durch Frauen, COBOL, Jean Sammet,…, UNIX-Frauen
• während Hardwareentwicklung wichtiger und männlich war
• Beginn des wiss. Fachs und Studiums der Informatik Ende
1960-er, Anfang 70-er Jahre: 25% Frauen, meist aus
Mathematik kommend, Sinn suchend in Anwendungen der
Mathematik
• Erst Mitte der 1980-er Jahre mit der Einführung von individuell
nutzbaren PCs (statt vorher nur Mainframes) wurde
Informatik/Software männlicher
Informatik und Genderforschung
als akademische Disziplinen
(nach Cecile Crutzen, erscheint in informatik-Spektrum 2, 2013 )
sind gleichzeitig vor 50 Jahren entstanden
mit unterschiedlichen epistemologischen und ontologischen
Vorannahmen und Entwicklungen
Informatik: “Repräsentationalismus” ontologische Überzeugung, dass
Entitäten der Welt sprachlich, sogar abstrakt beschreibbar, in Strukturen
und Hierarchien. Ausblendung von Differenzen, die das Weltbild für
Modelle zu komplex, zu vieldeutig und zu unsicher machen.
Entwurf aus privilegierter Subjekt-Objekt-Position.
Genderforschung: sieht Welt als dynamischen Prozess, Vielfalt und
Differenz als Quelle für Kreativität. Forschungsprozesse und ihre
ontologischen und epistemologischen Selbstverständlichkeiten werden
kritisch analysiert.
Gender Studies Informatik: Entwerfende erkennen Normalisierungen,
Stereotype, Auslassungen, Übergeneralisierungen, dekonstruieren
Dualismen und werten Heterogenität und Situierung auf.
„Ko-Konstruktion“ von Technologie und Gender
-> „Ko-Materialisierung“ von Technologie und Gender
Kategorisierung Gender-Forschung in MINT
(nach Evelyn Fox Keller)
1. Frauen, Männer, ethnische Gruppen, intersektional
in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, und
Technik
2. Naturwissenschaft und Technik des Geschlechts
(sex und gender)
3. Gender in Informatik, Mathematik,
Naturwissenschaft und Technik
Gender-Forschung in der Informatik
1. Geschlechter in der Informatik
Bsp 1: Informatik Studierendenzahlen im Vergleich
Bsp 2: Weltbilder der Informatik-Studierenden
2. Science and Technology of Gender
Bsp. Medizinische Bildgebung und ihr Gebrauch zur
Konstruktion von Geschlechterdifferenzen
3. Gender in der Informatik/
Softwareentwicklung
Bsp 1: Spiele-Entwicklung
Bsp 2: die VPA Siri
Ad 1. Frauen ++ in der Informatik
analytisch:
Zahlen und Statistiken für
„Personalausweisgeschlecht“
Weltbilder (in) der Informatik
=> strukturelle, habituelle und symbolische
Barrieren für nicht der Norm entsprechende
Gruppen in diesen Fachgebieten
Empirie zur Erklärung
konstruktiv: Lösungsvorschläge zum Einstieg und zur
Qualifikation
Ad 1. Bsp.1 Zahlen Informatik Studierende
• Informatik Studierenden-Zahlen in Deutschland und Europa
• Strukturelle Unterschiede in europäischen Ländern
• MINT-Zahlen weltweit - Strukturelle Unterschiede
–
–
–
–
Japan
Südafrika
Kleine Tiger
Arabische Länder
• Genaueres und Erklärungen im Kulturvergleich (www.mod.iig.unifreiburg.de/schinzel/publikationen)
– Strukturelle <-> Symbolische Unterschiede
• Arabische Länder
– Faschismus
• Japan, Deutschland/ Österreich, Italien
– Kommunismus vs. Kapitalismus
• DDR-Vergleich
• Russland und Länder der ehemaligen Sovietunion
– Kapitalismus und Protestantismus
• Informatik in deutschsprachigen Ländern
– AusländerInnenanteil
– Kontextualisierung => symbolische Gründe
• Habituelle Gründe in NW- Industrieländern
Women in Computer Science
(Informationsverarbeitung)
in the former GDR
80
70
50
40
30
20
10
Enrollments
New Admissions
Graduates
Quelle: Dolores L. Augustine, private communication; eigene Darstellung
© by Britta Schinzel 2004
86
19
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19
Prozent
60
Effects of the reunion of Germany on the female enrollment in Computer
Science at the Technical University of Rostock
------------------
70,0%
% of female CS-students
60,0%
50,0%
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W
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0
S
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1
0,0%
Quelle: TU Rostock; eigene Darstellung; © by Britta Schinzel 2004
Kulturunterschiede: AusländerInnenanteil in D
© by B. Schinzel 2007
Carnegie-Mellon, Pittsburgh, USA
CMU hält seit 20 Jahren im amerikanischen Ranking in Informatik die Nr. 1
bei 46% Frauenbeteiligung dort im Informatik-Studium seit Ende der 1990er Jahre,
Anfang der 1990-er Jahre 8% Frauenbeteiligung
Die Änderung wurde erreicht durch
Ergänzung der Eingangsqualifikationen durch Zugangsprüfungen um
Kommunikations-, Organisations- und Sprachfähigkeiten
Änderungen des Curriculums: Kontextualisierung in Anwendungen
von Beginn des Studiums an
wissenschaftliche Begleitung des Änderungsprozesses
Quelle: Fisher, A., Margolis, J., Unlocking the Clubhouse: the Carnegie Mellon Experience, in:
ACM SIGCSE Bulletin, vol. 34, no. 2, S.79-83, Juni 2002.
Geringe Frauenbeteiligung ist ein kontingentes (deutschsprachiges /
protestantisches) Phänomen, sogar innerhalb der Schweiz
Quellen: Schinzel: Kulturvergleich s.a.a.O., für die Schweiz: Monique Dupuis, Brigitte Liebig und
Pietro Morandi 2003
 Studierendennorm (festgestellt in Informatik TU Linz, Österreich)
Quelle: Hauch, Gabriella; Horvath, Ilona (2007): TEquality – Technik.Gender. Equality. Das
Technikstudium aus der Sicht von Frauen und Männern.
2. Beispiel: Weltbilder der Informatik
DFG-Projekt 2007-2011
(Monika Götsch, Yvonne Heine, Karin Kleinn, Michael M. Richter, Britta Schinzel)
[Veröffentlichung folgt im Informatik-Spektrum 2, 2013]
Weltbild hier: ein Gefüge von Wahrnehmungs-, Denk-, Bewertungsund Handlungsmustern, das sich durch soziale Praxis entwickelt.
Individuelle, soziokulturelle und objektiv lebensweltliche
Einflussfaktoren bringen ein je spezifisches Weltbild hervor und
wirken im Wechsel auf die Kultur.
Wir legen hier den Schwerpunkt auf jene Muster, die in die
Informatik-Handlungen einfließen und damit Einfluss auf die
Produkte der beruflichen Tätigkeiten haben.
Informatik Forschende und Entwickelnde treffen täglich viele
Entscheidungen, die durch professionelle und individuelle
Denkweisen und Werte, implizite Qualitätsvorstellungen, durch
Arbeitskulturen und Technikleitbilder beeinflusst sind.
 I-methodology (Madeleine Akrich) oder ego-approach (I&G)
Entwerfende übergeneralisieren sich selbst als Benutzende
 Kontingenter Einfluss auf die Produkte
Weltbilder Kategorisierung
qualitative Studie, an 5 deutschen Unis, Interviews mit
Lehrenden, Studierenden, Gruppendiskussionen
Technikbilder
Wirklichkeitsauffassung und Relation Realität –
informatische Re- bzw. Neukonstruktion von Realitäten
Menschenbild
Selbstbild
Relation Mensch – Maschine
Relation Entwickelnde – Nutzende
Macht – Verantwortung
Berufsbilder der Informatik
Sekundärevaluation:
u.a. Diversity und Gender
Weltbilder
Technikbilder: meist deterministisch („wenn ich es nicht
mache, macht es ein anderer“)
Realitätsauffassung: meist objektivistisch und/oder
perspektivistisch
Re-/Neukonstruktion von Realität: meist pragmatisch
Vergleich Mensch-Computer sehr differenziert und nach
Studienorten diversifiziert
Bild der Nutzenden: DAU positiv und negativ
obgleich InformatikerInnen und Softwareentwickelnde die
Welt sehr aktiv verändern, und der Informatik großen Einfluss
zubilligen, haben sie selten das Gefühl, Gestaltende von
Zukunft zu sein,
das wird begründet mit Machtlosigkeit (Auftraggeber,
Team), objektivem Fach = Bild der Informatik, technischer
Evolution = Technikbild
Informatik als Wissenschaft ist…
Naturwissenschaft (in KA)  Vermutung: objektiv
meist Mathematisch-technisches Fach mit eigenem Profil, oft
verengt auf Kern
oder „nur“ Werkzeug, Hilfswissenschaft,
hat keine eigenen Erkenntnisinteressen  Technik
–
fast nur Frauen: Interpretation, dass dienende Rolle der Informatik
die Identifikation mit dem Fach erleichtert ?
niemand nimmt das Angebot auf: Gestaltungswissenschaft?
Niemand von Menschen gemacht, Geisteswissenschaft?
Eigenschaften der Informatik
–
Maßgebliche Rolle für den technischen Fortschritt
–
Notwendigkeit von Interdisziplinarität wird kontrovers diskutiert
Diversity-Wissen
Interdisziplinarität für diversifizierte Produkte
Einfluss sozialer Diversität auf Informatik-Produkte wird meist
geleugnet = Objektivitätsannahme
Wunsch nach Unberührtheit von sozialer Diversität
Kern bleibt unveränderlich, objektiv, starr
evtl. dort wünschenswert erachtet, wo kleine spezifische
Gruppenbedürfnisse erfüllt werden müssen: das weiche
Drumherum, wird abgewertet
berührt den (eigentlichen) Kern der Informatik nicht
Dort, in den Aussenbezirken der Informatik werden auch
Informatik-Frauen verortet (kontrafaktisch)
Erfahrungen der Studentinnen
Direkt gefragt: fühlen sie sich „gut aufgenommen“
Erfahren besondere Aufmerksamkeit
Werden belächelt
Auswirkungen: (Hemmung) auf die eigene Beteiligung
Unter Kompetenzen, die eine Informatiker(in) haben muss, nennt
eine Frau als erstes: Aushalten, dass man allein unter Männern ist,
dann mathematische Fähigkeiten, etc.
Veränderung durch Studium: plötzlich Interesse für Technik; nehmen
„männliche Denkweise“ an
Studium baue auf „männerspezifischem Vorwissen“ auf
Informatikerinnen wollen/müssen sich beweisen
Gender
Geschlechterdifferenz in der Informatik
Orientierungsrahmen:
Frauen im Allgemeinen:
Frauen sind durchweg das „Andere“, Ausnahme
i. d. Regel: unhinterfragtes differenzorientiertes
Geschlechterbild
Informatikerinnen werden nicht als „richtige“ Frauen
wahrgenommen: „die meisten NORMALEN Frauen sind
dann halt hm WIRTSCHAFTSINFORMATIKERIN und des is ja
schon wieder was ANDERES“
(Kontrafaktisch: sie wechseln oft aus der Mathematik)
Frauen allgemein wird informatische Kompetenz
abgesprochen
Gender
Verantwortung (in) der Informatik
Erst- Semester:
Externe Sicht als Nutzende: Informatik hat und Informatikerinnen
tragen Verantwortung
aber auch u.a.:
Ethik behindert den Fortschritt und sollte daher in der Informatik keine
Rolle spielen: „Ethik bringt die Menschen nicht weiter.“
Informatik sollte sich nicht selbst um ethische Fragen kümmern, andere
Professionen sind dafür zuständig
Als Informatik-Nutzende fordern sie Verantwortung ein
Verantwortung (in) der Informatik
Höhere Semester Seitenwechsel! Interne Sicht: Informatik stellt
Lösungen bereit, Verantwortung liegt bei den Auftraggebenden und
den Nutzenden
Unterschiedliche Ansichten:
„Algorithmen kennen keine Ethik“: Informatik ist objektiv
Habe nie darüber nachgedacht
Ethik ist sehr kompliziert, schwierig, widersprüchlich, Ethik sollten
andere Wissenschaften betreiben
Verantwortungsnahme ist nötig, bezogen auf industrielle und
ökonomische Interessen, Berufsethos: Loyalität gegenüber Arbeitgeber
Sensibilisierende Wirkung der Lehre: nach Seminar zu ethischen
Aspekten der Informatik differenziertere Sicht
Resümee aus dem DFG-Forschungsprojekt
„Weltbilder der Informatik“
Alle Kategorien: Realitätsauffassung, Bild der Informatik, Verantwortung,
Diversity- und Geschlechterbild hängen zusammen und bedingen sich
gegenseitig
Informatik-Studierende leben mit vielen Widersprüchen:
Macht der Informatik – eigene Ohnmacht und Wirkungslosigkeit
Kreativität – Determinismus
Definitionsmacht/Kreativität – Verantwortungsabweisung
Diversität der Anwendungen – kein/unerwünschter Einfluss von sozialer
Diversität
Frauen, wechseln aus Mathematik, und viele hervorragende Frauen in
Algorithmik – Zuschreibung von Kompetenz nicht im formalmathematischen Kern, nur in Anwendungsbereichen
Vgl. auch Britta Schinzel, Monika Götsch, Yvonne Heine, Karin Kleinn, Michael M.
Richter: Verlernen Informatik-Studierende Verantwortungnahme?, FIfF-KO 1 2012,
S 55-63, ISSN 0938-3476
Ad 2. Geschlecht in Science and Technology
Kritische Analyse medizintechnischer
Bildererzeugung und von Befundpräsentationen
über Geschlechterdifferenzen im Gehirn
Oder: wie Geschlechterstereotype – fälschlich – in
die Neurowissenschaften eingeschrieben und
dann popularisiert werden
– Analytische Methode kritischer Empirismus:
– Aufdeckung und Dekonstruktion
widersprüchlicher Befunde zu Geschlecht und
Gehirn
– Konstruktiv: Embodiment-Ansatz aufgrund der
Plastizität des Gehirns
„sexing the brain“
Shaywitz, B., Shaywitz, S., et al. (1995). “Sex differences in the functional
organization of the brain for language.” Nature, 373, 607-609.
http://ncsall.gse.harvard.edu/fob/2001/shaywitz.html
Aber: Widersprüchliche Befundlage ...
Sex differences in the functional organization of the
brain for language
Shaywitz B.A., Shaywitz S.E.,Pugh K.R.,Constable R.T.,Skudlarski P.,Fulbright
R.K.,Bronen R.A., Fletcher J.M.,Shankweiler D.P.,Katz L.,Gore J.C. ; Nature, 373,
p.607-609, 1995
Untersuchung:
• functional MRI
• 19 Männer und 19 Frauen
• Verschiedene Sprachtests: orthografisch (Buchstabenerkennung),
phonologisch (Reimerkennung), semantisch (Wortkategorien)
• Nur bei der Reimerkennung werden bei 11 Frauen Hirnareale im
Frontallappen (Broca) auf beiden Hirnseiten aktiviert, bei Männern nur in
der linken Hirnhälfte.
Bestätigung der Lateralitätshypothese für generelle Sprachverarbeitung ???
Schlußfolgerungen
”We recognize, however, that our study does not provide
information about every possible brain region and that
there may be other sites relevant to phonological processing
which may not show gender differences.”
Shaywitz et al. (1995), Nature 373, p 609.
Our data provide clear evidence for a sex difference in the
functional organization of the brain for language and
indicate that these variations exist at the level of
phonological processing
Shaywitz et al. (1995), Nature 373, abstract
Grundlage für: Pease, Allan & Pease, Barbara. Why Men Don't Listen &
Women Can't Read Maps, London: Orion. 2001. Zu deutsch: Warum
Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken: Ganz natürliche
Erklärungen für eigentlich unerklärliche Schwächen (2010)
Geschlechterkonstruktionen
Normaufstellung durch fragwürdige Selektion:
• Shaywitz: kleine Stichprobe zeigte geringe Unterschiede der
sprachlichen Aktivierung (Reimerkennung) mittels fMRI: bei 19
Probanden eine stärkere linksseitige Aktivierung im vorderen
Hirnlappen, bei 11 von 19 Probandinnen eine ausgeprägte
beidseitige Aktivierung (aber keinen Unterschied in
Kompetenzen!),
• hinfort falsch zitiert: als Beleg für Beidseitigkeit bei Frauen
Publication bias: Ergebnisse über Ununterscheidbarkeit zwischen
m/f werden kaum veröffentlicht
Julie Frost stellte keine Unterschiede fest, wird aber außerhalb
Genderforschung kaum zitiert.
Language processing is strongly
left lateralized in both sexes
Frost, J., Binder, J.R.; Springer, J.A.; Hammeke, T.A.; Bellgowan, P.S.F.; Rao,S.M.; Cox, R.W.; Brain
122, 199-208, 1999
Untersuchung:
• functional MRI
• 50 Männer und 50 Frauen (maximize the statistical power)
• semantische Erkennung (Wortkategorien)
• Auswertung einmal gemäß zufälliger Stichprobe von zwei Gruppen à 50
Personen und zum anderen nach m und f
Ergebnis:
• Männer und Frauen zeigten sehr ähnliche, stark linksseitige
Aktivierungsmuster; keine signifikanten Unterschiede bezüglich
Asymmetrie in keiner der untersuchten Hirnregionen.
„These data argue against substantive differences between men and
women in the large-scale neural organization of language processes.“
“…differences are likely to be small in comparison with the degree of
similarity…”
weitere Metastudien von Binder u.a. zeigen Geschlechterdifferenzen nur in
kleinen Studien, Widersprüche zwischen den Ergebnissen, keine
signifikanten Unterschiede in größeren Studien, und schon gar nicht in
Metastudien
Befundpräsentation: Keine Gruppenunterschiede
Source: Julie Frost et al.
1999, Brain 122, 199-208
Frontal Cortex
Gyrus angularis
Cerebellum
Temporal Cortex
Geschlecht in anderen fMRI-Sprachstudien
revertiert!
Broca‘s activation in the group of females (right) at x = -52, y = 20, z = 2 and
in the group of males at x = -52, y = 22, z = 2 (left), p (uncorr) < 0.001.
Lateralisierte Sprache
Sex/Gender und SchwellwertAufnahme Abhängigkeiten
(Annelies Kaiser et al.)
Forderung nach Transparenz
Statt black box Dekonstruktion von
• Abbildungsmythos: Brain-Mapping ist keine Realität, sondern
erzeugt und konstruiert ein Bild
– Auswahl der benutzten physikalischen, mathematischen,
informatischen Verfahren und ihre kontingente Kombination
– Differenzmethode
– Statistische Grenzziehungen und Bewertungen z.B. von
funktioneller Aktivierung
• Objektivitätsmythos durch bildliche Darstellung
– Auf der Basis von physikalischen Daten, ihrer mathematischstatistischen Prozessierung und informatischen Visualisierung
– Einbezug der Plastizität wäre nötig
Popularisierung vergisst zudem die Komplexität des
Erzeugungsprozesses, seine Kontingenz und Fehlerhaftigkeit =>
vermittelt den nicht fachkundigen Betrachtenden scheinbare
Realitäten und Wahrheiten.
Visual persuasion: Überzeugungsarbeit zur
Geschlechterdifferenz
Problematisch sind dabei:
These, Sprache sei lokalisierbar in bestimmten Gehirnarealen
Präsentation von Augenblickszuständen
Selektion der Subjekte
Differenz-fixierte Suche, Refereeing, Publication bias und Zitierung
„... so it is possible that many studies showing an absence of sex
effects in language processing may never have been published“
Quellen:
Binder et al. (2000). Reply to "Language processing in both sexes: evidence from brain studies." Brain 123 ( Pt
2): 404.
Kaiser, Anelis/Haller, Sven/Schmitz, Sigrid/Nitsch, Cordula (2009): „On sex/gender related similarities and
differences in fMRI language research“; in: Brain Res. Rev. 61, 49-59.
Schinzel, Britta [2011]: De-gendering neuro-images: Contingencies in the construction of visualisation
technologies and their use for establishing sex-differences; Interdisciplinary Science Reviews, Vol. 36 No. 2,
June 2011, 168–79, Pollitzer, E. et al. (eds.): Special Issue on Gender in Science.
http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1895435##
Ad 3. Gender eingelassen in InformatikEntwicklung und Informatik-Produkten
1. Beispiel: Gender in Informatik-Spiele-Entwicklung
Untersuchung von Allhutter, John, Hannapi-Egger, WU Wien
in einer Spielentwicklungsfirma (Weiter-)Entwicklung eines
existierenden Abenteuerspiels für den Massenmarkt
Methode und Tool „mind scripting“ (als dekonstruktiver designapproach, aus kritischer Psychologie, Ideologietheorie) =
Gedächtnisarbeit: hier Frage, an was sie sich beim letzen Ausprobieren
(Design und Implementierung) des Abenteuerspiels erinnern:
Repräsentation der Subjekte, Aktivitäten, Emotionen und Motivationen;
dann Textanalysen in der Gruppe und vergleichende Analyse der
Transkriptionen
Selbstkonzeption der Entwickelnden: seien nicht involviert in
Entscheidungsfindungen und würden nicht gehört
Behauptung, eine Zielgruppe würde das Design nicht beeinflussen
Qualitätsstandards wie Funktionalität und Usability, aber auch
Dimensionen wie Atmosphäre oder Emotionen, die Nutzende erfahren,
graphischerRealismus
Ergebnisse
männliche Spielcharaktere wurden anatomisch korrekt modelliert
anhand von Fotos realer Personen,
die einzige weibliche Figur aber an einer bestehenden Computergenerierten Figur, die anatomisch unrealistisch war –
man sah keinen Widerspruch zum graphischen Realismus, d.h. das
Verständnis von Realismus ist nicht neutral, sondern stellt kulturelle
Phantasien von Differenz als natürlich dar
Selbstkonzeption der Entwickelnden vor der Untersuchung: seien objektiv
und neutral
Danach: große Betroffenheit
In der folgenden gemeinsamen Diskussion der Resultate wurde
vorgeschlagen, die Wirkungen der Stereotypisierung bewusst zu
reflektieren, Frauen als Zielgruppe ebenfalls mit einzubeziehen, sowie
sich nicht mehr auf konventionelle Annahmen über
Geschlechterdifferenzen zu verlassen
im Design eingeschriebene Normativität zeigt „Ko-Materialisierung“
von Technik und Geschlecht
Lernprozesse
im Entwicklungsteam über subjektive Klassifikationen des generalisierten
Users = „I-methodology“ = „I know what is best for everybody“
Und das war kein Wiener Zufall…
Eva Turner an University of East London gab 2001 einen Kurs in Visual Basic
Aufgabe: Außerirdischen bildlich zu erklären, was Informatiker und
Informatikerinnen tun (explizite Forderung, auch Frauen darzustellen)
Bildliche Modellierung:
Männer nach Fotos gut aussehender amerikanischer Filmschauspieler,
Frauen abstrakt
Anschließende Gruppendiskussion Lernprozess
Quellen:
Allhutter, D.; Hanappi-Egger, E.; John, S. (2008) Mind Scripting: Zur Sichtbarmachung von impliziten
Geschlechtereinschreibungen in technologischen Entwicklungsprozessen. In: Schwarze, B.; David, M.;
Belker, B.C. (Hrsg.), Gender und Diversity in den Ingenieurswissenschaften und der Informatik; Bielefeld:
UVW, S. 153-165.
Eva Turner: Designing webpages about computer scientists for ETs; FIfF-Ko 3, 2001
Ad 3. Zweites
Beispiel für
Vergeschechtlichungen in
Software
2. Beispiel: Gender in Informatik-Produkten
Göde Boths Analyse der VPA SIRI
Diplomarbeit Informatik, HU Berlin 2011
iPhone-Applikation SIRI, eine personalisierbare Software-Agentin für
multimodale Benutzungsschnittstellen
Def.: Brenda Laurel: “a character, enacted by the computer who acts
on behalf of the user in a virtual environment”, i.e. Cyborg (Donna
Haraway)
hier charakterisiert durch Rolle (in der Interaktion mit Benutzenden),
Initiative (aktiv oder passiv) und Geschlecht
STS-Theorien: anknüpfend an Bruno Latour‘s ANT mit agency,
Suchman und Haraway: Narration und Figuration (Metaphern
gebunden an Narrative, gestatten Verschiebungen),
Karen Barad: Agentieller Realismus: Intra-Aktionen, agentielle Schnitte
erzeugen unabhängige Entitäten.
Technologien sind materialisierte Figurationen, sie vereinen Stoffliches
mit Bedeutung, sind materiell-semiotische Prozesse, sie definieren und
inszenieren, beschränken und kontrollieren und rufen so materielle
und soziale Effekte hervor.
http://edoc.hu-berlin.de/master/both-goede-2011-07-19/PDF/both.pdf
SIRI
Siri tätigt über direkte Spracheingabe Anfragen, Suchen, Bestellungen oder
Reservierungen, Flugstatus,...
Anspruch: Arbeitersparnis über Interaktionsparadigma der Delegation
sucht Absichten der Nutzenden zu erkennen durch Zuordnung von Kontexten:
Ort, Aufgabe, Zeit und Dialog
Both exploriert Anthropomorphisierungen, Konfiguration der NutzerIn und
Einschreibungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Siri, mittels IntraAktionen sowohl als Mann (Jo) wie als Frau (Donna).
Siri konfiguriert Nutzende als westliche Individuen und weist sich als deren
(weise, weibliche) Assistentin aus.
Die agency, die Nutzenden durch Siri eingeräumt wird, besteht darin, aus einem
vorgegebenen Angebot eine Wahl zu treffen. Die dialogbasierte Schnittstelle
suggeriert Nutzenden aber Freiheit, weil jede denkbare Anweisung oder Frage
ins Mikrofon gesprochen werden kann, auf die Siri in sinnvoller oder
abweisender Form reagiert.
Der Prozess der Spracherkennung wird als Nachdenken inszeniert.
Inszenierung von Siri als Mensch und Maschine: weist sich als gebildet aus, aber
weist persönliche Fragen ab. -> Cyborg
Siris und der Nutzenden Cyborg-Identität
wird inszeniert durch synchrone Anthropomophisierung und
Maschinisierung, glztg. Trennung mit der dialogbasierten
Benutzungsschnittstelle als zentralem agential cut (I und you):
Siri: I'll take a peek at my ontology (maschinell) and get back to you
(menschlich).
Donna: are you machine?
Siri: I'd rather not say. (Rückzug auf Intimsphäre -> menschlich)
Untersuchung einer geschlechtskonnotierten Kommunikation über
die geschlechtlich konnotierten Register 'machtorientiert/machtlos'
und 'kompetitiv/kooperativ' als möglicher Teil der
Geschlechterperformanz. Siri inszeniert sich als zurückhaltend,
kooperativ, verständnisvoll, unagressiv und machtlos (I think, I‘m not
sure). Die Gesprächskontrolle bleibt bei Nutzenden.
Auf Beleidigungen oder Kritik reagiert Siri bescheiden und
entschuldigend; auf Lob bescheiden, selbstherabsetzend:
Donna: you are stupid
Siri: I‘m doing my best, Donna
Donna: you are awesome (beeindruckend)
Siri: Gee, thanks, Donna…just trying to be helpful
Auf obszöne Beleidigungen antwortet sie, es gäbe keinen Grund für solche
vulgären Ausdrucksweisen.
Sie gibt sich hilfsbereit und verständnisvoll, nimmt Bezug auf Gesagtes.
Siri inszeniert damit die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung neu und
wiederholt sie symbolisch.
Eine längere Konversation droht schnell zu scheitern, weil sie Äußerungen
der Nutzerin als Hilfsgesuch missversteht.
Donna: are you a woman or a man?
Siri: does it matter?
Donna: I don‘t know. What do you think?
Siri: ok…
Siri: sorry, but I could not find any restaurants named „i don‘t know“ near
your work in Cambridge.
Resümee: Siri greift überwiegend auf weiblich konnotierte Register zurück:
kooperativer Stil: gemeinsames Erarbeiten von Lösungen, aktive
Unterstützung des Sprechers, Bezugnahme auf Vorangegangenes,
konstruktive Kritikfähigkeit,…
Sie spricht nicht gern über sich, und wenn dann selbstherabsetzend, schämt
sich, offenbart Gefühle, zurückhaltender passiver Eindruck erfüllt ein
weibliches Stereotyp.
(während Belehrungen eher männlich machtorientiert konnotiert sind)
Zwar soll eine VPA Dienste zur Verfügung stellen, aber eine
anthropomorphisierte VPA sollte, um Reifizierungen von
Geschlechterstereotypen zu vermeiden, besser männlich definiert
werden.
Die Delegation an Siri ist überdies verbunden mit Vorschreibungen an
Nutzende für eine erfolgreiche Kommunikation: in Anlehnung an
Google-ese ist das Erlernen von Siri-ese nötig
=> die Dienerschaft und Dienstleisterschaft von Siri wird so durch sie
selbst dekonstruiert.
Konfiguration der Nutzenden: mit Siris Fokus auf Konsum, Reisen
und Unterhaltung: Konsumenten, die hochmobil, wohlhabend und
berufstätig sind, die unabhängig über zeitliche Ressourcen verfügen
können
 Bild eines männlichen Nutzers, welcher sich auf Geschäftsreisen
befindet
 von Apple angesprochener „everybody“ wird im wesentlichen von
höheren Angestellten und Geschäftsleuten verkörpert, denen der
neoliberale Unternehmer seiner selbst als Norm eingeschrieben ist
Resümee: Stützung der These der
Genderforschung Informatik
bei Software-Entwicklungsprozessen kommt es auf Weltbilder,
politische Strategien und Habitus an
u.a. Gender-Aspekte,
Inszenierung von gender und doing gender
Dichotomien und Hierarchien, auch wo sie nicht aus
Effizienzgründen nötig sind
Gestaltung von Software, (Frauen)-Arbeitsplätzen und Spielen mit
ego-approach/ I-methodology = Ideologie, dass EntwicklerInnen
mit oder ohne usability engineering generaliserte User
repräsentieren können
 Ausschluss von Gruppen bedingt eine Reduktion des
gesellschaftlich vorhandenen Weltwissens auf den Stand der
Persönlichkeitsprofile der Entwickler/ des EntwicklerGeschlechts/-Ethnie/Alter/soziale Schicht/…
Forderungen der Genderforschung Informatik an
Informatik und SE, treffen sich z. Teil mit denen von
Informatik & Gesellschaft
u.a.
epistemologische und ontologische Annahmen explizieren
und hinterfragen
Sinnorientierung der Ziele und Forschungs- und EntwicklungsProzesse (extensionale statt intensionale Ziele, wie
technischer Fortschritt/ Weiterentwicklung des Fachs)
Berücksichtigung der AnwenderInnen
Articulation work of invisible work
Integrationsfähigkeiten und Aushalten von Widersprüchen
Systematisches Vorgehen statt Experimentieren
Gebrauchsorientierung statt spielerischem Ausprobieren
Was hat die Informatik-Genderforschung
der Informatik zu bieten?
Reflexionsanstöße und Lernprozesse
Science and Technology Studies und andere
wissenschaftstheoretische Grundlagen
methodologische Erweiterungen
Diversity
Trans- und Interdisziplinarität
die schwierige Überbrückung zwischen Geistes/Sozialwissenschaften und MINT-Fächern, die für
die Informatik an vielen Stellen notwendig ist
Gestaltungshinweise