Transcript These 1

Serviceportfolios von Bibliotheken im Umbruch:
Herausforderungen an Management und Organisation
Überblick zur Thematik aus
betriebswirtschaftlicher Sicht
Vortrag beim 4. Leipziger Kongress für Information und Bibliothek am 15.3.2010
Themenkreis 04: Bibliotheken für die Menschen
VDB – Kommission für Management und betriebliche Steuerung
zusammen mit der DBV – Managementkommission
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
1
Vier Thesen
These 1: Der betriebswirtschaftliche Portfolio-Ansatz ist
mit seinem Lebenszyklus-Modell für Bibliotheken
nicht geeignet
These 2: Für originäre Bibliotheksprodukte gibt es
keinen Produktlebenszyklus
These 3: Portfolio-Erweiterungen sind immer Ausweitungen
des Kerngeschäfts der Bibliotheken
These 4: Produkt-, Personal- und Ressourcenmanagement
sind für Portfolio-Überlegungen der Bibliotheken
untrennbar miteinander verbunden.
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
2
• Wirtschaftliches Handeln ist ein Jahrtausende
altes menschliches Verhalten (homo oeconomicus)
• Das Portfolio-Denken entspringt diesem Verhalten:
 Welche Produkte lohnen die Herstellung ?
 Auf welche Produkte kann verzichtet werden ?
Robinson Crusoe überlegt,
was er mit seinem Holz herstellen soll:
• Die Betriebswirtschaftslehre analysiert dieses
Verhalten und versucht es in Formeln darzustellen:
Portfolio-Analyse
aus: H. Markowitz: Portfolio Selection, Journal of Finance, 1952, S. 81
ein Boot: ja
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
ein Kinderbett: nein
3
1969: Allgemeine Fassung des finanzwirtschaftlichen
Portfolio-Ansatzes (von Markowitz) durch die
Fa. Boston Consulting Group:
Ausgangspunkt ist der Produktlebenszyklus:
I
II
III
IV
V
Quelle: http://www.at-mix.de/images/internet/produktlebenszyklus.gif
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
4
Alle Produkte werden nach ihrem Zyklus
entsprechend dem erwarteten Marktwachstum
und dem relativen Marktanteil bewertet:
Question
mark
Stars
Marktwachstum
Hoch
Niedrig
Zone der Mittelbindung
Cash
cows
Poor
dogs
Niedrig
Zone der Mittelfreisetzung
Hoch
Relativer Marktanteil
Quelle: http://classic.unister.de/Unister/wissen/sf_lexikon/ausgabe_stichwort439_3.html
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
5
Aus der Beurteilung in der Portfolio-Analyse
ergeben sich Produktstrategien:
Question Marks: fördern oder fallen lassen
Stars: beibehalten, weil Ertrag größer als
Aufwand ist
Cash cows: weiter melken, da Ertrag
wesentlich größer als Aufwand ist
Poor dogs: fallen lassen, weil der Aufwand
größer als der Ertrag ist
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
6
Der Portfolio-Ansatz orientiert sich am Formalziel
eines Betriebes:
dem Gewinn.
Die Bibliothek verfolgt ein
Sachziel: die optimale
Bedürfnisbefriedigung mit
Medien und Informationen.
Daraus wird These 1 abgeleitet:
Der betriebswirtschaftliche Portfolio-Ansatz ist
mit seinem gewinnorientierten Lebenszyklus-Modell
für Bibliotheken nicht geeignet.
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
7
Beispiel für eine Portfolio-Analyse mit den
Parametern Image-Nutzen und Kosten Auch als Ergebnis
einer StärkenSchwächenAnalyse (SWOT) !
hoch
Nutzen
für das
Image
der
Bibliothek
• 7/24-Öffnungs7/24-Öffnungszeit
zeit
• LearningResource-Center
Nutzerorientiertes
Medienangebot
(z.B. Lehrbuchsammlung
Komfortable
niedrig Nutzerarbeitsplätze
(nach der Investitionsphase)
Intellektuelle verbale
Erschließung
niedrig
hoch
Kosten
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
8
These 2: Für originäre Bibliotheksprodukte gibt
es keinen Produktlebenszyklus
Die Hauptprodukte einer Bibliothek:
 sachziel-orientierte Prozessketten der
• Medienbeschaffung
• Medienerschließung
• Medienbereitstellung
• Medienvermittlung.
 im zeitlichen Ablauf inhaltlich verändert
 in ihrer instrumentellen Produktfunktionalität
unverändert und unverzichtbar
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
9
z. B. Entwicklungen beim Medienerwerb:
• Antike: Raub einzelner Handschriften
• Mittelalter: Vervielfältigung von Handschriften zum Verkauf
durch Klöster
• Neuzeit: gedruckte Massenproduktion
• Jetztzeit: digitalisierte Angebote, die gegen eine Lizenz
erworben und zur Nutzung bereit gestellt werden
Aber: Keine Änderung der instrumentellen Produktfunktionalität Medienerwerb
Medienerwerb kennt
keinen Lebenszyklus
Ähnliches gilt für die anderen Hauptprodukte.
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
10
These 3: Portfolio-Erweiterungen sind immer
Ausweitungen des Kerngeschäfts der
Bibliotheken
Für Portfolio-Analysen in Bibliotheken kann
auf die Ansoff-Matrix zurückgegriffen werden:
Märkte
gegenwärtige Märkte
neue Märkte
gegenwärtige
Dienstleistungen
Marktdurchdringung
Marktentwicklung
neue
Dienstleistungen
Dienstleistungsentwicklung/
-innovation
Markterweiterung
Dienstleistungen
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
11
Märkte
gegenwärtige Märkte
neue Märkte
Dienstleistungen
gegenwärtige
Dienstleistungen
neue
Dienstleistungen
Marktdurchdringung
Dienstleistungsentwicklung/
-innovation
Marktentwicklung
Markterweiterung
definieren
blau eingefärbte Felder:
die Hauptprodukte einer Bibliothek werden neuen
Entwicklungen z.B. im Medienerwerb angepasst !
KEINE Portfolio-Erweiterung !
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
12
Märkte
gegenwärtige Märkte
neue Märkte
Marktdurchdringung
definieren
definieren
Marktentwicklung
Dienstleistungen
gegenwärtige
Dienstleistungen
neue
Dienstleistungen
Dienstleistungsdefinieren
entwicklung/
-innovation
Markterweiterung
nur bei der Markterweiterung können Überlegungen
zur Ausweitung oder Reduzierung des Portfolios greifen !
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
13
Ausweitungen des Portfolios der Bibliotheken sind
z. B.:
• Herstellen einer Universitätsbibliographie / Publikationsdatenbank
• Verlegerische Tätigkeiten im Print- und Online-Bereich
• Verwalten des Hochschularchivs
• Herstellen von Digitalisaten
• Mitwirkung an der Hochschullehre (BA- und MA-Ausbildung)
• Sprachen- und Übersetzerdienste für die Institution
• Veranstaltungsservice für kulturelle Veranstaltungen
• Hausaufgabenhilfe in Zusammenarbeit mit den Schulen
(teilweise nach Rafael Ball, 1999)
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
14
Keine Portfolio-Ausweitungen sind z. B. :
• Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten der Bibliothek
durch die Einführung verlängerter Öffnungszeiten
• das verbesserte Angebot von Komfort-Arbeitsplätzen in der
Bibliothek
• erweiterte Schulungsmaßnahmen zur Vermittlung von
Medien- und Informationskompetenz („teaching library“)
• Roadshows zur Vermittlung des Online-Angebots
• Vermietungen der Bibliotheksräume für bibliotheksfremde
Zwecke
weil es sich nicht um Ausweitungen, sondern um
Verbesserungen der funktionalen Aufgaben Erwerb,
Erschließung, Bereitstellung und Vermittlung handelt.
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
15
Für Portfolio-Entscheidungen in Bibliotheken gelten
zwei Grundregeln:
• Produkte, die für die Erfüllung des Sachziels
notwendig sind, dürfen nicht aus dem Portfolio
gestrichen werden.
• Portfolio-Ausweitungen außerhalb des Kerngeschäfts dürfen das Kerngeschäft weder personell
noch finanziell belasten.
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
16
These 4: Produkt-, Personal- und Ressourcenmanagement
sind für Portfolio-Überlegungen der Bibliotheken
untrennbar miteinander verbunden.
Vor jeder Portfolio-Ausweitung muss gefragt werden:
 Wird das Sachziel der Bibliothek beeinträchtigt ?
 Gibt es entsprechende qualifizierte personelle
Ressourcen ?
 Gibt es entsprechende räumliche und
technische Ressourcen ?
Wenn nur einmal Nein: Schuster, bleib bei deinem Leisten!
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
17
Ich danke für die
Aufmerksamkeit !
Eine ausführlichere und weitergehende
Darstellung dieser Überlegungen finden
Sie unter:
http://www.ub.fu-berlin.de/~naumann/Portfolio.pdf
http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2010/829/
15.3.2010
Prof. Dr. Ulrich Naumann
18