Psychologischer Hedonismus

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Transcript Psychologischer Hedonismus

Prof. Kirsten Meyer
WS 2010/11
VL Glück und gutes Leben
Glück und gutes Leben
Hedonismus I
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Hedonismus
• Der Hedonismus wird in der zeitgenössischen
Philosophie kaum diskutiert.
• Das ist erstaunlich, angesichts seiner
historischen Bedeutung.
• Ausnahmen in der zeitgenössischen
Philosophie: Roger Crisp, Fred Feldman,
Torbjörn Tännsjö.
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Klassische Vertreter des Hedonismus
• Jeremy Bentham
• (1748 - 1832)
• John Stuart Mill
• (1806-1873)
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Formen des Hedonismus
• Negativer und positiver Hedonismus
• Epikur als Vertreter des so genannten
negativen Hedonismus.
• Negativ, weil Lust/Freude negativ über die
Abwesenheit von Leid/Unlust bestimmt wird.
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Formen des Hedonismus
• In der Moderne wurde zumeist ein positiver
Hedonismus vertreten.
• Positiver Hedonismus: Varianten des
Hedonismus, die Freude als etwas Positives
bestimmen (z.B. positives Gefühl, Einstellung
o. Ä.)
• „Pleasure“: Wird mit „Lust“ und „Freude“
übersetzt. Vorteil von „Freude“: Wir haben an
etwas Freude.
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Psychologischer Hedonismus
Deskriptive These:
Alle Menschen streben nur nach Freude bzw.
nach Vermeidung von Leid als Endzweck.
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(Individual)ethischer Hedonismus
Normative These:
Freude ist für das gute Leben das einzige nichtinstrumentelle Gut.
Wir gut ein Leben verläuft, bemisst sich daran, wie
freudvoll es ist.
Achtung: Der (individual)ethische Hedonismus ist
eine Theorie des individuell guten Lebens, aber keine
Theorie der Moral.
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Hedonistischer Utilitarismus
• Dagegen ist der Hedonistische Utilitarismus
(von Sidgwick auch: universeller Hedonismus
genannt) eine Theorie der Moral.
• Er sagt: Es geht in der Moral um die
überindividuelle Maximierung von Freude
bzw. Minimierung von Leid.
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Hedonistischer Utilitarismus
Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder
das Prinzip des größten Glücks die Grundlage
der Moral ist, besagt, daß Handlungen insoweit
und in dem Maß moralisch richtig sind, als sie
die Tendenz haben, Glück zu befördern […]
Unter „Glück“ [happiness] ist dabei Lust
[pleasure] und das Freisein von Unlust [pain]
[…] verstanden.
John Stuart Mill: Der Utilitarismus. Reclam
2002, S. 13.
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Wichtiger Unterschied
• Der hedonistische Utilitarismus (A) ist eine
moraltheoretische Position, die sagt, wie zu
handeln richtig ist.
• Sie basiert auf dem (individual)ethischen
Hedonismus (B).
• Wer A sagt, muss auch B sagen, aber nicht
umgekehrt.
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Was spricht für den
(individual)ethischen Hedonismus?
• Benthams und Mills Antwort:
• Psychologischer Hedonismus. Alle Menschen
streben letztlich nur nach Freude.
• 1. Einwand dagegen: Aus dem, wonach wir
(bzw. viele Menschen) faktisch streben, ergibt
sich nicht zwingend, wonach wir streben
sollten.
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Was spricht für den
(individual)ethischen Hedonismus?
• Mögliche Antwort auf diesen Einwand:
• Es geht hier nicht um einen logischen Beweis.
Vielmehr ist das, wonach Menschen streben,
der einzige Anhaltspunkt dafür, wonach wir
streben sollten.
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Einwand gegen den
psychologischen Hedonismus
• 2. Einwand: Menschen streben nicht nur nach
Freude. Sie streben offensichtlich auch nach
anderen Dingen. Beispiel: Asketen
• Replik A: Menschen streben nach anderen
Dingen, aber nicht in Bezug auf ihr eigenes
gutes Leben. Sie streben nach anderen Dingen
z.B. in moralischen oder religiösen Kontexten.
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Gegen Replik A
• Einwand gegen diese Replik:
• Diese Antwort ist unbefriedigend: Menschen
streben beispielsweise nach Wahrheit, obwohl
diese ihre Freude nicht befördert (ohne dies
aus moralischen oder religiösen Gründen zu
tun).
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Das Streben nach Wahrheit
Menschen
streben
nach
Wahrheit,
obwohl
ihnen das
erhebliches
Leid
zufügen
kann.
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Eine weitere Replik auf den zweiten
Einwand
• Replik B: Freude war am Anfang. Andere
Wünsche haben sich erst dadurch ergeben,
dass sie mit Freude verbunden sind.
• Beispiel: In der Regel kann mit dem Wissen
über die wahren Verhältnisse mehr Freude
erreicht werden => Wahrheit wird assoziiert
mit Freude => der Wunsch nach Wahrheit
bleibt auch unabhängig von der jeweils
konkret zu erwartenden Freude bestehen.
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Gegen Replik B
• Das erklärt zwar, wie Menschen dazu
gekommen sind, nach anderen Dingen als
Freude zu streben.
• Aber jetzt, wo wir den assoziativen Prozess
durchlaufen haben, streben wir faktisch nicht
nur nach Lust, sondern auch nach anderen
Dingen (wie z.B. Wahrheit).
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Replik C
Zugeständnis:
• Der psychologische Hedonismus ist falsch.
Menschen streben nach anderen Dingen.
Aber:
Dennoch ist es allein die Freude, an der sich
letztlich ablesen lässt, wie gut das Leben
einer Person verläuft.
Daher ist es z.B. manchmal irrational, die
Wahrheit herausfinden zu wollen, wenn das
nur zu Leid führt.
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Weiterer Einwand gegen den
(individual)ethischen Hedonismus
• Einwand: Der Hedonist ist ein Freund des
Schweinelebens.
• Carlyle (1850): „ pig-philosophy“
• Wir als Menschen geben uns aber nicht allein
mit tierischen Gelüsten zufrieden, sondern
schreiben den geistigen Freuden einen höheren
Wert zu.
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Mill verteidigt Epikur
„Aber wir kennen keine epikureische
Lebensauffassung, die nicht den Freuden des
Verstandes, der Empfindung und
Vorstellungskraft einen höheren Wert
zuschreibt als denen der bloßen Sinnlichkeit.“
Mill, Der Utilitarismus, S. 15.
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Aber stimmt das?
• Mehr als fraglich, ob sich das in Epikurs
Ausführungen hineinlesen lässt.
• Vgl. z.B. folgendes Zitat:
• „Alle Bildung, Seliger, flieh mit vollen
Segeln!“
Epikur bei Diogenes Laertius 10,6
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Mills Kritik an Bentham
• Bentham hatte den so genannten quantitativen
Hedonismus vertreten.
• D.h. die Beurteilung, ob eine Handlung besser
ist als eine andere, soll z.B. nach der Intensität
und der Dauer der zu erwartenden Freude
vorgenommen werden.
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Bentham über Freude
• „Quantity of pleasure being equal, push-pin
(d.i. ein Kinderspiel) is as good as poetry.“
• Bentham (zitiert von Mill), in: Mill:
Dissertations and Discussions, Vol. I, London:
Parker, 1859, S. 389.
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Mills qualitativer Hedonismus
• Mill behauptet jedoch, dass verschiedene
Freuden unabhängig von den quantitativen
Unterschieden auch qualitative Unterschiede
aufweisen.
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Mills qualitativer Hedonismus
• Einige Freuden sind also laut Mill wertvoller
als andere.
• Die Freuden, die bloß auf sinnlichen
Empfindungen basieren (die
„Schweinefreuden“) seien weniger wert als
beispielsweise die Freuden des Intellekts.
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Mills Begründung
• Aber wie ist diese These begründet?
• Mill: „Von zwei Freuden ist diejenige
wünschenswerter, die von allen oder nahezu
allen, die beide erfahren haben – ungeachtet
des Gefühls, eine von beiden aus moralischen
Gründen vorziehen zu müssen –, entschieden
bevorzugt wird. …
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Mills Begründung
• … Wird die eine von zwei Freuden von denen,
die beide kennen und beurteilen können, so
weit über die andere gestellt, daß sie sie auch
dann noch vorziehen, wenn sie wissen, daß sie
die größere Unzufriedenheit verursacht, und
sie gegen noch so viele andere Freuden, die sie
erfahren könnten, nicht eintauschen
möchten…
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Mills Begründung
• … sind wir berechtigt, jener Freude eine
höhere Qualität zuzuschreiben, die die
Quantität so weit übertrifft, daß diese im
Vergleich nur gering ins Gesicht fällt.
Es ist nun aber eine unbestreitbare Tatsache,
daß diejenigen, die mit beidem gleichermaßen
bekannt und für beide gleichermaßen
empfänglich sind, der Lebensweise
entschieden den Vorzug geben, an der auch
ihre höheren Fähigkeiten beteiligt sind.
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Mill, Der Utilitarismus, S. 16.
1. Kritik am qualitativen Hedonismus
• Kritik: Die empirische These stimmt nicht.
Wenn es nach dem geht, was Menschen
tatsächlich bevorzugen, dann geben einige (die
beides kennen) den sinnlichen Freuden den
Vorzug vor den geistigen.
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2. Kritik am qualitativen Hedonismus
• Kritik: Die Rede von qualitativ wertvolleren
Freuden impliziert, dass zusätzlich andere
Werte als Freude angenommen werden.
• Freude ist dann nicht länger der einzige nichtinstrumentelle Wert.
• Diese Kritik findet sich bei
George Edward Moore.
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Moores Kritik an Mill
„Nehmen wir einmal
an, seiner [Mills]
Meinung nach gebe
es mehrere Arten von
Lust in dem Sinne,
wie es mehrere Arten
von Farben gibt,
Blau, Rot, Grün usw.
[…]
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Moores Kritik an Mill
Wenn man sagt: „Farbe allein ist als Zweck
gut“, ist offensichtlich kein Grund mehr
denkbar, weshalb eine Farbe gegenüber einer
anderen bevorzugt wird. Der einzige Maßstab
für „gut“ und „schlecht“ ist dann „Farbe“, und
weil rot und blau beide diesen Maßstab
gleichermaßen genügen, kann es keinen
anderen geben, mit dem zu entscheiden wäre,
ob rot besser als blau ist.
G. E. Moore: Principia Ethica. Reclam 1996,
S. 127f.
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Moores Kritik
Wenn also Freude das
einzige Kriterium zur
Beurteilung darstellt,
dann sind zwei
gleichermaßen
freudvolle
Erfahrungen auch
gleich gut.
Wer nur wichtig findet, dass
die Pfeife, die man ihm gibt,
farbig ist, hat keine
Präferenz für eine blaue
gegenüber einer roten.
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Eine Verteidigung
• Mill sagt: Die geistigen Freuden sind
besonders gut, weil sie besonders
begehrenswert sind.
• Dass sie besonders begehrenswert sind, sehen
wir daran, dass sie besonders begehrt werden.
• => Manche Freuden sind begehrenswerter.
Warum das so ist, kann man nicht
beantworten.
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Eine Verteidigung
• Das Kriterium zur Beurteilung einer Freude ist
also das Begehren.
• Wenn dieses Begehren nach einer Freude
stärker oder schwächer ausfällt, ist die Freude
mehr oder weniger wert.
• Es stimmt insofern nicht, dass ein Kriterium
zur Beurteilung der Qualität der verschiedenen
Freuden fehlt.
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Einwände dagegen
1. Wenn der psychologische Hedonismus nicht
stimmt, dann stimmt auch Mills These nicht.
2. Wenn unser Begehren der einzige
Anhaltspunkt dafür ist, wie begehrenswert
etwas ist, dann sollte man besser eine Wunschund Präferenztheorie vertreten und nicht
behaupten, Hedonist zu sein.
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Einwände dagegen
3. Dass etwas faktisch begehrt wird, zeigt nicht
unbedingt an, dass es auch begehrenswert ist.
4. Der qualitative Hedonismus braucht eine
Antwort auf die Frage, warum manche
Freuden begehrenswerter sind als andere.
5. Diese Antwort kann er nicht geben, ohne
Moores Einwand auf sich zu ziehen.
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Was dennoch einleuchtet
• Wer die Freuden A und B kennt und B den
Vorzug gibt, dessen Urteil sollte den
beeindrucken, der nur A kennt.
• Verschiedene Freuden sind quantitativ schlecht
vergleichbar. Daher irritiert es, wenn
verschiedene Freuden auf einer Skala (z.B. von
1-10) angeordnet werden.
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Was dennoch einleuchtet
• Auch wenn wir vielleicht nicht nur nach
Freude streben, so ist Freude jedoch faktisch
ein sehr wichtiges Ziel.
• Dies darf eine Theorie des guten Lebens nicht
übersehen.
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Vorbereitung
• Nozicks Gedankenexperiment:
• Die Erfahrungsmaschine.
• Nozick, Robert (1974): Anarchy, State, and
Utopia. Basic Books, New York, S. 42–45.
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