informierte Wünsche

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Transcript informierte Wünsche

Prof. Kirsten Meyer
WS 2010/11
VL Glück und gutes Leben
Glück und gutes Leben
Wunschtheorien I
Zunächst: Ein weiterer Einwand gegen
den Hedonismus
• Einwand: Die so genannte „Freude“ ist kein
eigenständiges Phänomen
• Stattdessen: eine heterogene Ansammlung von
verschiedenen Erfahrungen, die weder als ein
Gefühl zu bezeichnen sind, noch von einem
Gefühl der Freude begleitet werden.
Kritik am Hedonismus
• Es lässt sich kein einheitliches Gefühl der
Freude ausmachen, welches alle die
Phänomene, die der Hedonist erfassen will, in
sich vereint.
Beispiele
• Freuden (pleasures), die sich einstellen, wenn
man großen Durst löscht (1), Freuden des
Musikhörens (2); die Freude daran, ein
intellektuelles Problem zu lösen (3); eine
Tragödie zu lesen (4); zu wissen, dass das
eigene Kind glücklich ist (5).
• Diese verschiedenen Erfahrungen haben keine
bestimmte gemeinsame Qualität.
• Siehe dazu auch Parfit, D. (1984): Reasons and Persons. Oxford
University Press, S. 493.
Strategie zur Lösung dieses Problems
• Der Hedonist kann versuchen, eine Theorie der
Freude zu entwickeln, die nicht auf der Idee
eines einheitlichen Gefühls basiert.
Henry Sidgwick (1838-1900):
Versuch einer Lösung des Problems
• [W]hen I reflect on the notion of pleasure,[…] the only common quality that I can find in
the feelings so designated seems to be that
relation to desire and volition expressed by the
general term “desirable“ […].
Sidgwick
• I propose therefore to define pleasure […] as a
feeling which, when experienced by intelligent
beings, is at least implicitly apprehended as
desirable or – in cases of comparison –
preferable.
• Henry Sidgwick (1981): The Methods of Ethics.
Indianapolis-Cambridge, Hackett Publish Company.
S.127. Orig. 1874.
Präferenz-Hedonismus
• Parfit bezeichnet Vorschläge dieser Art als
Präferenz-Hedonismus
• Preference-hedonism: „All pleasures are when
experienced wanted, and they are better or
greater the more they are wanted.“
Parfit 1984, S. 493.
• Vgl. bereits Mill zum zweiten Teil des Satzes!
Hedonismus und Wunschtheorien
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•
•
•
Parfit unterscheidet
„preference-hedonism“ von
„desire-fulfillment-theories.“
Worin besteht der Unterschied?
Der Unterschied
• Der Hedonismus bestimmt Glück über
bewusste Erfahrungen („Experiencerequirement“)
• „Desire (-fulfillment)-theories“, oder
Wunschtheorien, binden das, was gut für eine
Person ist, an die Erfüllung ihrer Wünsche.
• Daher z.B. unterschiedliche Einschätzungen zu
dem betrogenen Geschäftsmann, also zum
Phänomen der illusionären Freude.
Grundintuition der Wunschtheorie
• Das, was für eine Person gut ist, hängt in erster
Line davon ab, was sie für gut erachtet.
• Diese Grundintuition teilt die Wunschtheorie
(desire-theory) mit dem individualethischen
Hedonismus.
Desires?
Griffin: „[D]esiring something is, in the right
circumstances, going for it, or not avoiding or
being indifferent to getting it.“
Griffin, J. (1986): Well-being. Its Meaning, Measurement
and Moral Importance. Oxford: Clarendon Press, S. 14.
• Hier: „desire“ als Disposition.
• Alternativ: „desire“ als mentaler Zustand mit
einer bestimmten Qualität.
Desire-theories
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•
Deutsche Übersetzungen:
Wunschtheorien
Begehrenstheorien
Zieltheorien
Präferenztheorien
Präferenzen
• Was sind Präferenzen?
• Wenn man einen Zustand A gegenüber einem
anderen Zustand B präferiert, dann wünscht
man ihn sich stärker oder zieht ihn dem
anderen Zustand vor.
Wunschtheorien
• Zur Verbreitung der Wunschtheorien hat
maßgeblich die Wohlfahrtsökonomie
beigetragen.
• Denn: Freude und Schmerz sind als innere
Phänomene schwer zu messen.
• Noch schwerer ist es, die Freude verschiedener
Menschen miteinander zu vergleichen.
Wohlfahrtsökonomie
• Ökonomen im 18. und 19. Jahrhundert haben
allgemein über Nutzen (utility) nachgedacht.
• Seit dem 20. Jahrhundert wurde ein größerer
Anspruch an eine empirische Überprüfbarkeit
formuliert.
• Präferenzen (als Wahlakte zwischen mehreren
Optionen) sind sehr gut empirisch überprüfbar.
Wohlfahrtsökonomie
• Ökonomen versuchen, das Wohlergehen (wellbeing, auch: individual welfare) einer Person
an der Befriedigung ihrer Wünsche
festzumachen.
• Deren relative Stärke erfasst man über
Präferenzen (preferences).
• „Most economists take welfare to be the
satisfaction of preference.“
• http://plato.stanford.edu/entries/economics/ S. 29
Wunschtheorien
• Einwände gegen den Hedonismus als weiteres
philosophisches Motiv dafür, eine
Wunschtheorie plausibel zu finden.
• Z.B.: Einwand des illusionären Glücks.
• Z.B.: die Erfahrungsmaschine
Wunschtheorien versus Hedonismus
• Wunschtheorien lassen sich also als Antwort
auf bestimmte Probleme des Hedonismus
verstehen.
• Sie sind vermeintlich in der Lage, diese
Probleme zu lösen.
Wunschtheorie und Utilitarismus
• Wunschtheorien werden in der
zeitgenössischen Philosophie vor allem von
Utilitaristen vertreten.
• Die sind dann keine hedonistischen
Utilitaristen, sondern so genannte
Präferenzutilitaristen.
Präferenzutilitarismus
• Position des Präferenzutilitarismus:
• „The moral good is seen as an aggregate of all
the individuals‘ good, and an individual‘s good
as the satisfaction of her preferences or
desires.“
Christoph Fehige (2006): „Preferences.“ In:
Encyclopedia of Social Theory. Routledge, S. 465466, hier S. 465.
Aber: Wer B sagt….
• Der Präferenztheoretiker (B) ist nicht auf den
Utilitarismus als Moraltheorie (A) festgelegt.
• Der Präferenz-Utilitarismus (A) legt sich aber
auf die Präferenztheorie des Guten fest (B).
• Vgl. dazu auch Vorlesung Hedonismus I: Wer
A sagt, muss auch B sagen, aber wer B sagt,
muss nicht A sagen.
Einfache Wunschtheorie
• Wenn eine Person S wünscht/begehrt (desires),
dass p eintritt, und p eingetreten ist, dann
wurde dieser Wunsch befriedigt.
• These: Ihr Leben gewinnt dadurch; sie hat
dadurch ein besseres Leben.
Problem: Instabile Wünsche
• Problem: Wünsche sind instabil.
• Vorschlag: Der Wunschtheoretiker sollte sich
stets auf die aktuellen Wünsche beziehen.
• Einwand: Auch die Befriedigung mancher
aktueller Wünsche ist nicht gut für uns, wenn
sie der Befriedigung künftiger Wünsche
entgegenstehen.
Mögliche Lösung
• Keine einfache, sondern eine umfassende
Wunschtheorie vertreten
• Danach zählt die Wunschbefriedigung über die
gesamte Lebensspanne bzw. das Leben als
Ganzes.
• Aber wie soll man hier „zählen“?
Aufsummieren
• Vorschlag der Aufsummierung: Je mehr
Wunschbefriedigung insgesamt, desto besser
verläuft das Leben.
• Problem damit: Parfits Gegenbeispiel des
Drogenabhängigen (Parfit 1984, S. 497).
Aufsummieren
• Der Abhängige hat jeden Tag ein großes
Verlangen nach der Droge. Sie verschafft ihm
keine Lust, aber ihr Fehlen große Qualen. Er
kann sich die Droge aber immerhin leicht
beschaffen.
• Führt er ein gutes Leben?
• Immerhin werden sehr viele seiner Wünsche
befriedigt.
Lösung für dieses Problem
• Wünsche, die sich auf die Gestalt des
gesamten Lebens beziehen, haben Priorität vor
den anderen Wünschen.
• Beispiel für einen solchen Wunsch: Nicht
drogenabhängig zu sein.
• Neues Problem: Aber ist solchen
übergreifenden Wünschen immer zu trauen?
Problematische Wünsche/Präferenzen?
• Jemand hat den Wunsch, sich zu Tode zu
trinken.
• Er möchte sein Leben auf diese Weise
verbringen – und zu Ende bringen.
• Hat er ein gutes Leben?
Mögliche Antwort
• Wichtig ist offenbar, wie reflektiert dieser
Wunsch ist.
• Wenn er wirklich Ausdruck einer autonomen
oder selbstbestimmten Entscheidung über sich
und sein Leben ist, dann soll er zählen.
Antwort also:
• Die übergreifenden Wünsche müssen
Ausdruck von Autonomie sein.
• Damit dann aber Einschränkung der
Wunschtheorie:
• Nur die Befriedigung der übergreifenden
Wünsche, die auf eine Form von Autonomie
oder Selbstbestimmung zurückgehen, macht
das Leben auch tatsächlich besser.
Problem dieser Anforderung
• Aber gibt man damit nicht die Grundintuition
preis?
• Die Grundintuition: Das, was für eine Person
gut ist, hängt in erster Line davon ab, was sie
als gut erachtet.
• Im Folgenden: Zunächst ein etwas weniger
problematischer Verweis darauf, dass unsere
Wünsche „informiert“ sein müssen.
Unkontroverser Ausgangspunkt:
Falsch-informierte Wünsche
• Angenommen, jemand möchte das Glas mit
der Flüssigkeit vor ihm trinken, bekommt es,
und trinkt es aus. (Er denkt, dass es sich bei
der Flüssigkeit um Wasser handelt).
• In dem Glas befand sich aber tatsächlich kein
Wasser, sondern eine giftige Flüssigkeit.
• Die Befriedigung seines Wunsches war dann
offensichtlich nicht gut für ihn.
Informierte Wünsche
• Mögliche Lösung: Nur wohl informierte
Wünsche zählen, also solche Wünsche, in
denen man sich nicht über bestimmte
Tatsachen täuscht.
• Anspruchsvoller: Eine richtige Einschätzung
der Wünsche, die man morgen haben wird
(z.B. ausgeschlafen zu sein).
• Noch anspruchsvoller: Nur selbstbestimmte
Wünsche zählen.
Was leistet der Verweis auf die
Informiertheit unserer Wünsche?
• Angenommen, ich möchte, dass Julia mit mir
Schach spielt.
• Sie tut das, aber dann langweilt mich das Spiel
sehr.
• Es war also nicht gut für mich, dass sich mein
Wunsch (Schach mit Julia zu spielen) erfüllt
hat.
• Wie kann ein Wunschtheoretiker das erklären?
Mögliche Lösung
• Er könnte sagen: Es hat sich hier nicht um
einen informierten Wunsch gehandelt.
• Vorschlag: Wir nennen nur solche Wünsche
informiert, deren Erfüllung tatsächlich
Befriedigung verschafft.
• Aber dann scheint es uns letztlich um die
Befriedigung zu gehen, und nicht um die
Wunscherfüllung. (Also wieder Hedonismus)
Verschärfung des Problems
• Zudem haben wir manchmal Freude an
Dingen, denen gar kein Wunsch vorausgeht.
• Beispiele:
• Ich wollte nicht in den Urlaub nach Spanien
fahren, dann war es aber doch großartig.
• Ich wollte lieber alleine bleiben als Besuch
bekommen, aber dann hatten wir doch eine
sehr gute Zeit zusammen.
Fazit
Aber dann ist die Befriedigung eines
vorgängigen Wunsches weder eine
hinreichende, noch eine notwendige
Bedingung dafür, dass etwas mein Leben
besser macht.
• Vgl. dazu auch Sumner, L. W.: (1993): „Welfare, preference,
and rationality.“ In: Frey, R.G./ Morris C. W. (Hrsg.): Value,
Welfare, and Morality. Cambridge University Press, S. 74-92,
besonders S. 84.
Fazit
• Die Wunschtheorie ist also einerseits zu weit
(denn zu viele Wünsche zählen) und
andererseits zu begrenzt (denn nicht nur
Wünsche zählen).
• Verdacht: Das Problem liegt aber eigentlich
tiefer als in der Reichweite. Die
Wunschtheorie operiert auf der falschen
Ebene.
Nächste Vorlesung
• Vorbereitung:
• Scanlon, Thomas (1993): „Value, Desire, and
Quality of Life.“ In: M. C. Nussbaum/A. Sen
(Hrsg.): The Quality of Life. New York:
Oxford University Press, S. 185-205.
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