Pubertaet_und_Adoleszenz_2

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Pubertät und Adoleszenz (das
Jugendalter)
Wie aus Kindern Erwachsene
werden
Pubertät und Adoleszenz
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Eine kritische Lebensphase?
Ein mehrere Jahre anhaltender Ausnahmezustand?
Eine Entwicklungsstörung?
Eine „normale Psychose“ (Lempp, 1984)
Oder schlicht und einfach: eine Transition (wie viele
andere Transitionen im Laufe eines
Menschenlebens), nämlich der Übergang zwischen
Kindheit und Erwachsenenalter?
Beim weiblichen Geschlecht von ca. 12-17 Jahren,
beim männlichen von ca. 14-19 Jahren
(früherer, genetisch gesteuerter Beginn beim
Mädchen und frühere Beendigung!)
Die zeitliche Abgrenzung von Pubertät und
Adoleszenz ist relativ willkürlich
Zeitliche Abgrenzung von Pubertät und
Adoleszenz (s. Kasten 1999, S. 15)
Mädchen
Jungen
Phase
8-10 Jahre
10-12 Jahre
späte Kindheit
10-12 Jahre
12-14 Jahre
Vorpubertät
12-14 Jahre
14-16 Jahre
Pubertät
14-15 Jahre
16-17 Jahre
frühe Adoleszenz
15-17 Jahre
17-19 Jahre
mittlere Adoleszenz
17-19 Jahre
19-21 Jahre
späte Adoleszenz
Entwicklungsaufgaben (Begriffsklärung!)
während der Pubertät und Adoleszenz
– Akzeptanz des eigenen Körpers
(unterschiedliche weibliche + männliche
Schönheitsideale = zuweilen eine Bürde)
– Aneignung der Geschlechtsrolle
– Ablösung von den Eltern
– Aufnahme von intimeren
Partnerbeziehungen
– Aufbau eines realistischen Selbstkonzepts
– Aufbau von Plänen und Perspektiven
– Aufbau von Wertorientierungen
Pubertät und Adoleszenz
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Ein komplexer, vielschichtiger, ganzheitlicher
Prozess, an dem zumindest die folgenden
Faktorenbündel beteiligt sind:
Psychische (kognitive, sozial-kognitive,
emotionale, motivationale, verhaltensbezogene)
Faktoren
Soziale (kulturelle, ethnische, weltanschauliche,
sozioökonomische, erziehungsbedingte) Faktoren
Körperliche (physische, genetische, hormonelle,
neurophysiologische) Faktoren
Wichtig: Der werdende Jugendliche gestaltet,
sozusagen als Ko-Produzent, seine eigene
Entwicklung aktiv (wenn auch nicht immer
bewusst und intendiert) mit
Körperliche Veränderungen
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beginnen bei den Mädchen früher und sind bei den Jungen
umfangreicher – verantwortlich dafür sind die
Geschlechtschromosomen XY und XX (unpaariges GH =
kompliziertere Entwicklung beim Jungen? Androgenunempfindlichkeit und die Folgen!)
Hormonell: Testosteron und Östrogen bewirken, dass sich
der Körper in der Pubertät entweder typisch männlich oder
typisch weiblich entwickelt.
An Fällen von Testosteron-Unempfindlichkeit lässt sich
zeigen, dass das Urgeschlecht weiblich ist
Physisch: Ausreifung der primären und sekundären
Geschlechtsmerkmale
Neurophysiologisch (Gehirn): Vollständiger Umbau,
neuronale Neuverschaltungen und synaptische
Neuvernetzungen – aus einem Pentium-Prozessor wird ein
moderner Dual core-Prozessor
Phänomen der Akzeleration und ihre Ursachen (Ernährung,
Reizüberflutung)
Körperliche Veränderungen (2)
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Physische Kraft: Stärkeres und schnelleres
Muskelwachstum bei den Jungen
Grob- u. Feinmotorik: Vorübergehende
Unsicherheiten bei Jungen und Mädchen
Gehirnwachstum bei Mädchen früher
abgeschlossen, bei Jungen dauert die
Hemisphärenlateralisation an
Geschlechtshormone und die Folgen: bei
Mädchen die erste Regelblutung (der Eintritt der
Menarche hängt vom Körpergewicht/Körperfettanteil) ab, bei Jungen der erste Samenerguss
Unterschiedliches elterliches Verhalten!
Mädchen klagen häufiger über körperliche
Beschwerden während der gesamten Pubertät
(größere Sensibilität für körpereigene
Phänomene?)
Gehirnentwicklung
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Myelinisierung (Markscheidenreifung) der
Nervenbahnen (Geschwindigkeit der
Signalübertragung wird erhöht)
In der Folge: Zunahme der weißen Substanz
(Insgesamt der Nervenfasern) und Abnahme
der grauen Substanz (Insgesamt der
Zellkörper)
Synapsendichte im präfrontalen Kortex
(Stirnhirn) nimmt zu (in dem die Steuerungs, Koordinations- und Regulationsfunktionen
lokalisiert sind)
Parallel dazu spielt sich eine Reduktion der
Synapsendichte in anderen Hirnregionen ab
Gehirnentwicklung (2)
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Das ermöglicht insgesamt eine erhöhte Effizienz
und Feinabstimmung der neuronalen Prozessen
Zunahme des (vorübergehenden) Verlustes
grauer Substanz mit dem Einsetzen der
Pubertät
Prosaisch könnte man sagen: Durch die
schnellere Reizweiterleitung und die zahlreichen
Neuvernetzungen (auch zwischen weit
voneinander entfernten Nervenzellregionen)
wird das Gehirn in seiner Funktionalität
optimiert. Auch wenn dabei ein paar Millionen
Nervenzellen, die kaum benutzt worden waren,
auf der Strecke bleiben…
Psychische (kognitive, emotionale)
Faktoren
Ingesamt betrachtet kann man durchaus
von einem vorübergehenden, intervallhaft
auftretenden psychischen DeRangiertsein, einem kognitiven
Tohuwabohu und einem emotionalen
Chaos sprechen,
 Zustände, die jedoch schlussendlich zu
einem höheren, in sich konsolidierten
Entwicklungsniveau führen
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Kognitive Veränderungen während der
Pubertät und Adoleszenz
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Jungen wie Mädchen klettern von der Stufe des konkretoperationalen Denkens auf die Stufe des formal-operationalen
Denkens
Voraussetzung dafür sind (genetisch gesteuerte)
Reifungsprozesse im präfrontalen Kortex
Sie verabschieden sich ganz allmählich vom
anschauungsgebundenen Denken
Und lernen es Denkoperationen abstrakt, nur unter Rückgriff
auf Zeichen, Symbole und Begriffe, auszuführen
Wenn sie die Stufe des formal-operationalen Denkens erreicht
haben, können sie hypothetisch-deduktiv vorgehen, d. h. sich
mit den Konsequenzen einer vorangehend aufgestellten
theoretischen Annahme (Hypothese) beschäftigen.
Dies entspricht der höchsten Form des logischen Denkens. Ihr
Denken stützt sich jetzt vorwiegend auf verbale bzw.
symbolische Elemente und nicht mehr auf anschauliche
Gegenstände und Ereignisse.
Kognitive Veränderungen während der
Pubertät und Adoleszenz – Jugendliche lernen
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kognitive Operationen nur abstrakt, unter Rückgriff
auf Zeichen und Symbole - durchzuführen.
Sie verstehen mathematische Beweisführungen und
die Begriffe analytische Wahrheit und logische
Notwendigkeit.
Sie lernen Hypothesen geleitet zu denken (gesetzt
der Fall: was wäre dann?) !
Sie lernen deduktiv zu denken (ohne sich auf
konkrete Kontexte beziehen zu müssen) und
logische Schlussfolgerungen aus Prämissen zu
ziehen.
Sie verstehen, dass mehrere Faktoren am
Zustandekommen eines Effekts beteiligt sein
können.
Sie lernen es Variablen zu isolieren und zu
kontrollieren.
Kognitive Veränderungen während der
Pubertät und Adoleszenz
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Das Arbeitsgedächtnis nimmt an Umfang zu
Die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
steigt an bis zum 16. Lebensjahr und flacht
dann wieder etwas ab
Impulse können wirksamer gehemmt und
reguliert werden
Exekutive Funktionen werden effizienter
Intelligente Problemlösungsstrategien werden
immer häufiger eingesetzt
Der Umfang und der Organisiertheitsgrad des
Wissens nehmen zu
Kognitive Veränderungen während der
Pubertät und Adoleszenz (2)
 Zunahme
der Leistung in
Intelligenztests (abstraktes Denken
nimmt zu, mehr Aspekte eines
Problems werden berücksichtigt)
 „Bildungsfreie“ Leistungen steigen,
bildungsabhängige sinken eher
 Enormer Wissenszuwachs in
Bereichen, die den Jugendlichen
interessieren
Kognitive und sozial-kognitive Veränderungen
während der Pubertät und Adoleszenz
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Die anfänglich nur beschränkt vorhandene
Fähigkeit zu dezentrieren und der damit
verbundene relative Egozentrismus wandeln
sich allmählich zum
Relativismus (genereller Zweifel an der
Möglichkeit zu absoluter Erkenntnis)
Verbunden damit kann es zum Skeptizismus
und Dogmatismus kommen
Im Bereich der Entwicklung des moralischen,
wertbezogenen Denkens: moralischer
Relativismus
Sozial-kognitive Veränderungen
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Ausdifferenzierung des Selbstkonzepts (Komponenten) –
Aufbau und Ausbau der persönlichen Identität
Als Selbstkonzept bezeichnet man das Insgesamt der
Kognitionen und Emotionen eines Menschen, die sich auf
die eigene persönliche Identität zentrieren, also die
Gedanken und Gefühle, die bei der Beantwortung der Frage
»Wer bin ich?« entstehen. Das Selbstkonzept entspricht
also schlussendlich dem Bild, das man von sich selbst hat.
Männliche Sachorientierung vs. Weibliche Personorientierung im Selbstkonzept
Geschlechtsrolle: Hohe traditionelle Konformität während
des gesamten Jugendalters bei beiden Geschlechtern –
Sexualmoral und Sexualverhalten
Moral- und Wertorientierungen: männliche und weibliche
Moralmaßstäbe (generelle Regeln vs. situationsangepasste
Bewertungen, männliche und weibliche Werte (Leistung,
Kontrolle und Ordnung vs. Zwischenmenschlichkeit, soziale
Interessen und (Aus-)Bildung
Emotionale Veränderungen
 Empathie
(Mitgefühl und Einfühlung)
 Mitgefühl als emotionale Basis von
Empathie variiert um das aus der
Kindheit mitgebrachte Niveau,
verändert sich aber im Wesentlichen
nicht
 Einfühlung als kognitive Komponente
von Empathie wird qualitativ verbessert
und ausdifferenziert
 Gezieltes (auch strategisches) sich in
die Lage einer anderen Person
Versetzen wird ausgebaut
Motivationale Veränderungen
Vorübergehende Leistungseinbußen in
der Pubertät in Funktionen, die vom
präfrontalen Kortex gesteuert werden,
z.B. also
 Einbußen im Bereich der Selbstkontrolle
und im Hinblick auf sozial kognitive
Leistungen (Schwanken zwischen
Egozentrik oder Dezentrierung)
 Misserfolgsängstliche Mädchen und
erfolgszuversichtliche Jungen: u. U.
stabil über das gesamte Jugendalter
hinweg

Soziale Veränderungen
Gesellschaftliche Fundierung:
Schichtunterschiede (Benachteiligung
durch Armut und Bildungsferne)
 Bedeutung der Gleichaltrigengruppe als
soziales Lernfeld nimmt zu
 Sekundäre Sozialisationseinflüsse über die
modernen Medien: Smartphones,
Facebook und die Folgen
 Parallel dazu: Soziale Ablösung und
Distanzierung vom Elternhaus

Wegen Umbauarbeiten
vorübergehend geschlossen…
Klare Regeln während dieser Zeit oder
flexible, situationsangepasstes elterliches
Verhalten?
 Bitte bedenken Sie: Jede Pubertät ist ein
einzigartiges singuläres Ereignis – jedes
Kind pubertiert auf seine Weise – es gibt
z. B. Frühreife und Spätentwickler
 Manche Forscher meinen, es gibt mehr
individuelle Unterschiede zwischen
einzelnen Kindern und Jugendlichen als
zwischen den Geschlechtern im
Pubertätsverlauf
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Achtung! Baustelle…
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Stereotype oder nicht? Mädchen neigen zu
mehr Stimmungsschwankungen in der
Pubertät (himmelhochjauchzend, zu Tode
betrübt, auch das Selbstbewusstsein leidet
darunter: Depressivität)
Jungen sind in der Pubertät auf der Suche
nach dem Kick (agieren ihre überschüssigen
körperlichen Kräfte häufiger aus)
Einige Heranwachsende pubertieren heftig
über Jahre, andere entwickeln sich fast
unbemerkt und „nebenbei“ zum Mann oder
zur Frau
Wege des Erwachsenwerden
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Es gibt 13jährige, die wie Barbiepuppen sexy in
Highheels und voller Kriegsbemalung
herumstolzieren
Und es gibt 19jährige, die sich nie schminken,
abgewetzte Turnschuhe tragen und immer in
Jeans und XL-Sweatshirts herumlaufen
Dazwischen entfaltet sich eine breite Palette
unterschiedlicher Wege ins Erwachsenenalter
Die Peergroup bestimmt i. a. entscheidend mit,
was man macht und was man lässt, was „cool“ ist
und was „ultra out“ ist
Eltern stehen in der Regel ratlos vis-a-vis, wenn
ihre Sprösslinge sich piercen oder tätowieren
lassen möchten
Wann sind Interventionen notwendig?
Wie sollten sie erfolgen?
Bei totalem Rückzug, Isolation,
depressivem Verhalten
 Bei extrem aggressivem Verhalten (Gewalt
gegen Andere)
 Bei delinquentem Verhalten
(Drogenmissbrauch, Kleinkriminalität)
 Sorgfältige Analyse der verursachenden
und auslösenden Bedingungen
 Ggf. Hinzuziehen von professionellem
Sachverstand

Entwicklungsaufgaben für die
Eltern pubertierender Kinder?
 Loslassen,
endgültig abnabeln
 bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung
des Kontaktes auf Augenhöhe
 und emotionalem Verbundenbleiben
 Eine Gratwanderung, die immer
wieder neu austariert werden muss!
Empfehlungen
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im Vortrag verwendeten Folien
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