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Ärzte zwischen Staat und Markt
BARMER GEK Landesgeschäftsstelle NRW
Mecumstr. 10
40223 Düsseldorf
Datum: 18. September 2010
Ansprechpartner: Karsten Menn
[email protected]
Telefon 018 500 067-3100, Telefax 018 500 67-3190
Ausgangslage
Kummer und Probleme der Ärzteschaft:
Mehr oder weniger seit 1992 unterliegen die Ärzte im
Kollektivsystem der Budgetierung, zunächst über
Kopfpauschalen, ergänzt um HVV-Regelungen, wie z.B.
Individualbudgets und Regelleistungsvolumina.
Die Krankenkassen zahlen seit diesem Zeitpunkt zwar
deutlich mehr Honorar an die KV’en, aber durch
Arztzahlzuwachs und Fallzahlvermehrungen kommt beim
einzelnen Arzt nur bedingt mehr Honorar an.
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Der Arzt als Unternehmer
Der Arzt ist ein Freiberufler, also selbständig tätig und führt
mit seiner Arztpraxis auch ein Wirtschaftsunternehmen.
Der Vertragsarzt andererseits ist in seinen Entscheidungen
nicht frei, da er im Kollektivvertragssystem mit seiner
Zulassung Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung wurde
und diese mit Wirkung und Bindung für ihn Verträge schließt
und Regelungen umsetzt, die der Vertragsarzt zu beachten
hat (Satzungs- und Disziplinargewalt).
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Probleme in der Ausgangssituation
Arztzahlzuwachs
Wahlversprechen der Politik
EBM-Reformen
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Kollektiv- und Selektivverträge
Die heutige Vertragspolitik wird zum größten Teil durch die
Kollektivverträge bestimmt, Selektivverträge machen nur
einen marginalen Teil der Versorgung aus.
Der einzelne Arzt hat kaum eine Handlungsoption für
Selektivverträge, da sein Vertragsvolumen und seine
Verhandlungsmöglichkeiten zu gering sind.
Für einzelne Ärzte besteht nur die Möglichkeit, Rahmenoder Gruppen-Selektivverträgen, wie z.B. Netzverträgen
oder HZV-Verträgen beizutreten.
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Kollektiv- und Selektivverträge
Das kann aber in der Praxis bedeuten, das der Arzt mehrere
Verträge bedienen muss, die alle unterschiedlich gehandelt
werden müssen (Patientensteuerung, Abrechnung etc.).
Diese Lösung wird dauerhaft nicht funktionieren.
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Finanzierung der Krankenversicherung
Die Finanzierung der GKV wird seit dem 01.01.09 durch den
Gesundheitsfond unter Hinzuziehung des Morbi-RSA
geregelt.
Anschubfinanzierung für IV-Verträge zum 31.12.08
ausgelaufen. Zukünftig wird die Höhe der Zusatzbeiträge
auf die Wahl der Krankenkasse einen entscheidenden
Einfluss nehmen.
Selektivverträge müssen zwei wesentliche Elemente
beinhalten, es muss eine Qualitätssteigerung gegenüber der
heutigen Versorgung erzielt werden und es sollte eine
wirtschaftlichere Behandlung erreicht werden.
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Vertragspartner für Selektivverträge
Mögliche Vertragspartner für Selektivverträge:
Berufsgruppen, ggf. Berufsverbände
 MVZ
 Ärztenetze (verschiedene Rechtsformen, z. B. eG, AG,
GmbH, GBR)
 Praxisverbünde

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Umsetzung von Selektivverträgen
Aber:
Bundesweit gibt es inzwischen mehr als 400 Arztnetze,
alleine in NRW mehr als 150.
Die verschiedenen Arztnetze haben alle unterschiedliche
Zusammensetzungen (regional, fachgruppenspezifisch,
Rechtsformen, Ziele und Möglichkeiten), deshalb wird es
zunehmend schwierig, bei allen interessanten Varianten,
Modelle auszuprobieren bzw. bei den Krankenkassen
entsprechende Verträge zu bekommen.
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Ausgangslage bei den Krankenkassen
Krankenkassen agieren auch unterschiedlich, haben
unterschiedliche Sichtweisen und Schwerpunkte.
BARMER GEK ist traditionell eine Frauenkasse, nahezu 2/3
des Versichertenbestandes ist weiblich, Morbidität des
Versichertenklientels bewegt sich im bzw. um den
Durchschnitt der GKV.
BARMER GEK schließt grds. keine Selektivverträge aus
reinen Marketinggründen.
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Umsetzung von Selektivverträgen
Selektivverträge können sich nur aus Einsparungen
gegenüber der Regelversorgung finanzieren.
Die größte Herausforderung für die Selektivverträge ist
daher die Frage der Vergütungssystematik in Verbindung
mit der Messung der Erfolge des Vertrages.
Diese beiden Punkte müssen zum Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses bereits feststehen und im Vertrag
verbindlich geregelt sein (Vertragscontrolling und
Erfolgsmessung).
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Umsetzung von Selektivverträgen
Die Erfolgsmessung gegen die Regelversorgung kann nicht
mit einem prä-/post-Vergleich erfolgen, sondern muss
gegen eine im gleichen Vertragszeitraum behandelte
Vergleichspopulation gemessen werden, um z.B.
gesetzliche, aber auch preisliche Veränderungen
gleichermassen zu berücksichtigen.
Vergleichspopulationen müssen wiederum annähernd
gleiche Versichertenstruktur, ähnliche
Leistungserbringerstruktur, möglichst gleiche Morbidität und
Rahmenbedingungen abbilden.
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Umsetzung von Selektivverträgen
Zunächst müssen aber die Einschreibezahlen in dem
Selektivvertrag eine relevante Teilnehmerzahl erreicht
haben, bevor eine Evaluation gestartet werden kann
BQS 31.12.2008: 6407 Verträge mit 4.036.000 TN
Davon 32 Verträge > 10.000 TN
Durchschnitt: 629 bzw. 582 TN
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Herangehensweise an einen Selektivvertrag
Die Vorgehensweise zu einem Selektivvertrag:
 Angebotsunterbreitung
 Analyse
der Region und der Bedarfe
 Erstes Sondierungsgespräch
 Aufnahme von Vertragsverhandlungen
 Entwicklung der Behandlungspfade, Positivlisten,
netzinterner Leitlinien….
 Abschluß des Vertrages
 Kommunikations- und Öffentlichkeitskonzept
 Umsetzung des Vertrages
 Vertragscontrolling
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Herangehensweise an einen Selektivvertrag
Die BARMER GEK geht seit knapp 1 Jahr einen neuen
Weg, in dem sie Versorgungsprogramme und Schwerpunkte
für sich entwickelt und dann dafür geeignete und
interessierte Vertragspartner sucht.
Versorgungsprogramme:
Kardiologie
Rücken
Alte Menschen
Genetische Erkrankungen
MVZ- und Netzstrategie
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Herangehensweise an einen Selektivvertrag
Idealerweise lassen sich die Versorgungsprogramme mit
der Netzstrategie verbinden, d.h. wir haben eine gute
Versorgungsidee zu einer indikationsbezogenen Versorgung
in einer Versorgungsregion und können dazu Arztnetze
verbindlich einbinden.
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Umsetzung von Selektivverträgen
Die wirtschaftliche Erfolgsmessung ist noch “relativ” einfach,
wenn man ein entsprechendes Vergleichskollektiv findet.
Nutzung der Kosten- und Leistungsdaten der
Krankenkasse:
Bei entsprechend großem Teilnehmerkollektiv kann die
Messung pauschal erfolgen, entweder regional oder
matched pairs rsp. Propensity Score-Verfahren, allerdings
unter Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten wie
z.B. Versorgungsdichte.
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Umsetzung von Selektivverträgen
Bei der Bewertung von med. Qualitätsdaten oder Scores
wird es deutlich schwieriger:
Die an dem Selektivvertrag teilnehmenden Versicherten
erklären ihr Einverständnis für Datenanalysen, d.h. von den
TN im Selektivvertrag sind alle Daten – anonymisiert –
bekannt.
In der Regelversorgung liegen die notwendigen Daten zur
Vergleichsbetrachtung wenn überhaupt nur unzulänglich
vor.
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Umsetzung von Selektivverträgen
Abgrenzung der indikationsbezogenen Kosten aus einem
Selektivvertrag zu allen entstehenden Kosten des Patienten.
Aber auch Behandlung des Patienten ausserhalb des
Selektivvertrages vorstellbar.
Schwierigkeiten bestehen bei der Beurteilung der
ursächlichen Kausalität von Arzneimittel- und
Interventionskosten zu Diagnosedaten.
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Ausblick / Fazit
Der niedergelassene Vertragsarzt ist ein Freiberufler, in
seinen med. Entscheidungen weitgehend frei, aber in
seinem geschäftlichen Handeln relativ eingeschränkt.
Insofern gebührt ihm schon eine Sonderstellung.
Einzelpraxen wird es in Zukunft alleine aus wirtschaftlichem
Druck immer weniger geben, die Zukunft liegt in
Partnerschaften, in welcher Form auch immer, aber für
selektivvertragliches Handeln ist selbst diese Form zu klein,
da bedarf es größerer Strukturen.
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Zeitschiene einer möglichen Evaluation
Aber auch die Verfügbarkeit der Daten muss berücksichtigt
werden:
Krankenhausdaten liegen ca. 6 Wochen nach Entlassung zu
ca 80 % vor.
Arzneimitteldaten liegen ca. 6 Monate nach Quartalsende
unbereinigt vor.
Amb. Arztdaten liegen ca. 8 Monate nach Quartalsende vor.
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Planung ersetzt Zufall durch Irrtum !
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Für die flächendeckende Versorgung gibt es derzeit 2
Möglichkeiten, entweder indikationsbezogene
Versorgungskonzepte oder Vollversorgungsansätze. Für letzteres
fehlen aber vor allem die Daten- und Evaluationsansätze; das
würde in einem ersten Schritt nur virtuell möglich sein.
Beide Möglichkeiten müssen aber folgende Voraussetzungen
erfüllen:

Patientenfokussiert
(keine zentralistischen Modelle, sondern der Patient muss über alle Ebenen/
Sektoren hinweg begleitet werden)
 Arztzentriert
(Beteiligung von Haus- und Fachärzten)
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Ausblick / Fazit
Für die Etablierung von neuen Versorgungskonzepten ist
daher sowohl Geld als auch ein langer Atem erforderlich.
Selektivverträge sind kein Ansatz für eine schnelle
Systemveränderung.
Aber:
Das heutige System im reinen Kollektivvertrag wird nicht
überlebensfähig sein, da Engagement und Leistung sich
nicht lohnen; es wird ein vernünftiges Nebeneinander beider
Welten geben müssen. Im Selektivvertrag muss das Geld
der Leistung folgen.
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Erfolgsfaktoren

Bedarfs- und ressourcenorientiert:
Vermeidung von Fehl- und Überversorugng; soviel wie
nötig, aber so wenig wie möglich

Struktur- und flächenadjustiert:
Regionale Flexibilität, Berücksichtigung von regionalen
oder politischen Besonderheiten

Qualitätsgesicherte Medizin in pathways definiert
Evidence based medicine in SOP’s

Transparenz
auf allen Ebenen für alle Beteiligten
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Manche Menschen tun nichts, aber
sie tun es auf eine faszinierende
Weise
(Curzio Malaparte)
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Voraussetzungen für Selektivverträge
Was will die BARMER GEK ?
Auch wir müssen zunächst mit Netzen unsere Erfahrungen
sammeln, um zu wissen, was wir wollen. Aber folgende
Voraussetzungen sind jetzt bereits ein MUSS:
Elektronische Vernetzung
 Professionelles Management / Verbindlichkeit
 Abgestimmte Versorgungsprozesse / Orientierung an
Qualität und Wirtschaftlichkeit
 Einbindung nichtärztlicher Gesundheitsberufe

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Umsetzung von Selektivverträgen
Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich
auf die Diskussion mit Ihnen !
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Karsten Menn, BARMER GEK Landesgeschäftsstelle NRW │ 18.09.10 │ Seite 28