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§ 6 Furchtbare Juristen:
Die Richter des Nationalsozialismus
Literatur: I. Müller, Furchtbare Juristen 1987, 13 ff; B. Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und
Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Aufl. 1989; A. Rincken, Einführung in das juristische Studium, 3. Aufl.
1996, S. 148 ff.
I. Hitlers Machtergreifung:
1. Politischer Aufstieg
1930: NSDAP 18,3 % (zweitstärkste Partei)
1932: NSDAP 37,4 % (stärkste Partei)
30.1.1933:
Reichspräsident Hindenburg (Monarchist und Militarist)
ernennt Hitler zum Reichskanzler (Tag der "Machtübernahme");
Hintergrund: Wirtschaftskrise; keine stabile Regierung; Reichstag aufgelöst;
Angebot des ehem. Reichskanzlers von Papen (Zentrum, rechtskonservativ)
zu einer nationalkonservativen Regierung unter Hitler als Kanzler
5.3.1933:
NSDAP 43,9 % + Kampffront Schwarz-weiß-rot 8,0 %
= absolute Mehrheit
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2. Gesetze zur Übernahme der totalen Herrschaft:
a) Reichstagsbrandverordnung 28. 2. 1933 (RGBl.I, 83)
Außerkraftsetzung der Grundrechte (Verordnung des
Reichspräsidenten Hindenburg); Verordnungsermächtigung durch Art.
48 WRV
b) Ermächtigungsgesetz 23. 3. 1933 (RGBl. I, 141):Ausschaltung des
Gesetzgebers Erlass von Gesetzen durch Regierung
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Weimarer Reichsverfassung:
Art. 48
(1) Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung ohne den
Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der
Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht
anhalten.
(2) Der Reichspräsident kann, wenn im deutschen Reiche die
öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder
gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen,
erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten.
Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend in Art. 114, 115, 117,
118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum
Teil außer Kraft setzen.
Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933
(RGBL I, 1933, S. 83):
Aufgrund des Art. 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr
kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet:
§ 1 Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des
Deutschen Reichs werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher
Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien
Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und
Versammlungsrechts, Eingriff in das Brief-, Post-, Telegraphen- und
Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von
Beschlagnahmen sowie Beschränkung des Eigentums auch außerhalb der
sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig ...
§ 5 (1) Mit dem Tode sind die Verbrechen zu bestrafen, die das Strafgesetzbuch
in den §§ 81 (Hochverrat), 229 (Giftbeibringung), 307 (Brandstiftung), 311
(Explosion), 312 (Überschwemmung), 315 Abs. 2 (Beschädigung von
Eisenbahnanlagen), 324 (gemeingefährliche Vergiftung) mit lebenslangem
Zuchthaus bedroht ...
Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich
(Ermächtigungsgesetz) vom 23.3.1933 (RGBL 1, 1933, S. 141)
Reichsgesetze können außer indem in der Reichsverfassung
vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen
werden.
3. Rechtsbruch durch die Justiz: Der Reichstagsbrand-Prozess
(Müller, S. 36 ff)
a) Geschichte: Reichstagsbrand am 27.2.1933 Verhaftung des
niederländischen Arbeitslosen Marinus van der Lubbe.
Anstifter und Täterschaft bis heute umstritten (Verdacht nationalsozialistischer Inszenierung)
Beteiligung van der Lubbe unstreitig; ebenso unstreitig, dass
Kommunisten und Sozialdemokraten als Täter ausschieden.
3
b) Anklage beim 4. Strafsenat des Reichsgerichts:
Angeklagte: Marinus van der Lubbe, Exilbulgaren
Dimitroff, Popoff, Taneff, KPD - Fraktionsvorsitzender Torgler, ursprünglich auch Carl von Ossietzky
Beweisaufnahme ergab keine Anhaltspunkte für
Mittäterschaft der Exilbulgaren und von Torgler, den das
Reichsgericht freisprechen "musste".
Entsprach der Freispruch gegen die Mitangeklagten
noch rechtsstaatlichen Grundsätzen, wurden diese
bei der Verurteilung van der Lubbe rücksichtslos
missachtet.
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c) Todesstrafe für van der Lubbe beruhte auf der Reichstagsbrandverordnung, die einen Tag nach dem Reichstagsbrand
erlassen wurde.
Art. 116 WRV: „nulla poena sine lege“
Ausweg der Nationalsozialisten, Gesetz vom 29.3.1933 („lex
van der Lubbe“): Rückwirkende Strafverschärfung für die
Taten, die in der Zeit zwischen dem 31. Januar und dem 28.
Februar 1933 begangen wurden.
Reichsgericht: Rückwirkende Erhöhung der Strafe verstoße
nicht gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“. Grundsatz
betreffe nur Strafbarkeit an sich, nicht Strafschärfung.
Brandstiftung war schon immer strafbar.
Elementares Unrecht!
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Gesetz vom 29.3.1933 („Lex van der Lubbe“)
"§ 5 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und
Staat... (Reichstagsbrandverordnung) gilt auch für Taten, die in der
Zeit zwischen dem 31. Januar und dem 28. Februar 1933 begangen
sind."
II. Säuberung und Gleichschaltung
1. "Säuberung" der Justiz, Verwaltung, Rechtsanwaltschaft und
Rechtswissenschaft von "systemfremden Elementen„
Juden, "Kommunisten" (einschließlich Sozialdemokraten, von 122
Richtern des Reichsgerichts nur 1 Richter = Sozialdemokrat),
Frauen (!) [vgl. den zeitgenössischen Bericht Rincken 151 f]
1. April 1933: deutsche Justiz "judenfrei"
jüdische Rechtsanwälte: Vertretungsverbot,
Schikanen, später (1938) Entzug der Zulassung; nur
noch Status "jüdischer Rechtskonsulenten"
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2.
Statistik:
–
–
–
–
1933:
1935:
1937:
1938:
19.500 Anwälte
4.394 jüdisch
2.550 jüdisch
1.753 jüdisch
0 jüdisch
vor 1933:
in Berlin 60 % der Anwaltschaft jüdisch
(Gesamtbevölkerung: jüdischer Anteil 3 %)
Anwaltschaft gesamt: 22 %
Hintergrund: Staatsdienst und Miltitär blieb jüdischen Bewerbern
verwehrt (Diskriminierung)
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3. Rassismus in der Justiz
Bsp.: Urteil LG Neuruppin (Die Justiz 1933, 120 f):
Bezeichnung des Polizeipräsidenten Grzesinski als
"Judenbastard" = keine Beleidigung
Arg.:
Äußerung auf NSDAP-Versammlung; entspreche dem
Parteiprogramm (Kampf gegen Fremdrassige)
Begriff "Bastard" bezeichne Eltern verschiedener Rasse, sei
also wahr (Anm.: als Bastard bezeichnet Umgangssprache
uneheliches Kind)
keine Formalbeleidigung
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Parteiprogramm der NSDAP
4.
"Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse
ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen
Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession.
Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.
5.
Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in
Deutschland leben können und muss unter fremden
Gesetzgebungen stehen." (Zitat Rüthers, 92 f)
4. Hochschulen:
Boykott aller Lehrveranstaltungen jüdischer Hochschullehrer
(Lit.: Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“, 1990, 192 ff.)
Alle jüdischen Gelehrten entlassen (Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums 7.4.1933, RGBl. I, 195)
Preußischer Wissenschaftsminister Rust (6.5.1933 Rede an der
Berliner Universität): „Ich muss einen Teil der deutschen
Hochschullehrer ausschalten (!)… Die deutsche Jugend lässt
sich heute nun einmal von fremdrassigen (!) Professoren nicht
führen. Im kommenden Semester ist es Pflicht jedes deutschen
Studenten, weder bei jüdischen Dozenten Vorlesungen zu hören,
noch zu belegen“ (zit. Schröder, FS JurFak HU 2010, 94).
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Martin Wolff (1872 – 1953)
an der Berliner Universität
http://edoc.hu-berlin.de/humboldt-vl/135/dannemann-gerhard-3/PDF/dannemann.pdf
Martin Wolff ist einer der bedeutendsten Juristen, die an dieser Universität geforscht und
gelehrt haben.
Die grosse Sachenrechtsvorlesung im Auditorium Maximum … war ein Erlebnis – etwa
tausend Hörer, alle mäuschenstill, während der kleine Mann mit der dünnen Stimme die
Aufmerksamkeit von allen hatte.
Aktivisten der SA und des NS-Studentenbundes unterbrachen im Mai 1933 mehrfach
lautstark seine Vorlesungen und bedrohten Studenten, die daran teilnehmen wollten.
Unter dem Vorwand einer Umstrukturierung der Fakultät wurde Wolffs Lehrstuhl durch
einen in antiker Rechtsgeschichte ersetzt. Damit konnte Wolff rückwirkend zum 30. Juni
1935 von seinen amtlichen Verpflichtungen entbunden werden.
Wolff emigrierte nach England und setzte vor allem in Oxford seine Karriere fort.
• Tragisch auch das Schicksal des Strafverteidigers und
Honorarprofessors Max Alsberg
u.a. Verteidiger von Carl von Ossietzky (Friedensnobelpreisträger 1935;
angeklagt wegen Landesverrats wegen eines kritischen Artikels über
die verdeckte Aufrüstung des Reiches)
Alsberg, der von Entlassung bedroht war (100%ig nicht-arisch), nahm
sich 11.9.1933 das Leben.
Bücherverbrennung
• Bebelplatz, Berlin Mitte: Hier fand am 10. Mai 1933 unter der
Losung "Wider den undeutschen Geist" die Bücherverbrennung statt
• organisiert von der deutschen Studentenschaft und von den
führenden Institutionen der Nationalsozialisten unterstützt.
• Seit dem 20. Mai 1994 erinnert Micha Ullmans Mahnmal
"Bibliothek" an die Ereignisse von 1933.
• »Dies war ein Vorspiel nur; dort wo man Bücher verbrennt,
verbrennt man auch am Ende Menschen.« Heinrich Heine
(über die Bücherverbrennung während des Wartburgfestes am 18.10. 1817, bei der von
Burschenschaften als reaktionär, antinational oder undeutsch eingestufte Bücher
verbrannt wurden).
Widerstand an der Berliner Universität: selten; 2 Honorarprofessoren
gehörten dem späteren Kreis der Attentäter vom 20. Juli 1944 an und
wurden vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt (Popitz und
Schleicher)
• Schröder, FS 200 Jahre Jur. Fak. Humboldt-Universität 2010, S. 93:
„Wenn sich bei diesen Ereignissen … keine Stimme erhebt, macht das
nicht nur traurig, sondern deutet auf persönliches Scheitern und
Systemversagen hin“.
• und: „Verrat an der Rechtsidee“ – Wissenschaftler, die
wissenschaftlich erstklassig waren (Heidegger), haben menschlich
versagt (Schröder, aaO. 102 f.).
III. Elemente des Unrechtsstaats:
1. Strukturprinzipien:
a) Führerprinzip:
Führungsrolle umfassend, total und unbeschränkt
b) Volksgemeinschaftsprinzip:
Volksgemeinschaft = organisatorische Einheit
Konstitutives Prinzip: völkische Einheit (Gleichheit)
= Nichtarier als "Artfremde" nicht zugehörig
c) Einheit von Partei und Staat
Partei bildet den Kern des Volkes, ist politischer
Willensträger
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d) Verneinung des Verfassungsstaates:
Demontage der Grundrechte, Gewaltenteilung, Parlamentarische
Demokratie
e) Grundprinzip:
„Gemeinnutz geht vor Eigennutz“; statt Anerkennung der
Selbstbestimmung wird der Einzelne für die (völkische)
Gemeinschaft in Pflicht genommen
f)
Absage an Rechtsgleichheit:
Gegenutopie: Vernichtung derer, die nicht zur Volksgemeinschaft
gehören (Sinti, Juden, Osteuropäer [sog. "Fremdvölkische"])
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2. Beteiligung der Juristen:
Vordenker: Carl Schmitt, Ernst Forsthoff, Ernst Rudolf
Huber
"Der Führer schützt das Recht" (C. Schmitt): Plumpe
Rechtfertigung der Ermordung des SA-Führerstabs um Röhm, der
eigene Machtansprüche geltend machte, durch Hitler. Gesetz über
Staatsnotwehr vom 3.7.1934 (RGBl. I, 529)
Widerstand: Gerhard Anschütz (Heidelberger Prof. für
öffentliches Recht) bat um Emeritierung, weil er die zur Erziehung
der Studenten erforderliche geistige Verbundenheit mit dem neuen
Staatsrecht nicht aufbringen könne.
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Carl Schmitt: „Der Führer schützt das Recht“ (DJZ 1934, Sp. 945, 946 f)
„Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im
Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr
unmittelbar Recht schafft(!). 'In dieser Stunde war ich verantwortlich für das
Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster
Gerichtsherr' [Zitat Hitler, Völkischer Beobachter vom 14.7.1934]. Der wahre
Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer
beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will, macht den Richter
entweder zum Gegenführer oder zum Werkzeug eines Gegenführers und sucht
den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben. Das ist eine oft
erprobte Methode nicht nur der Staats-, sondern auch der Rechtszerstörung. In
Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht
der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz.“
•
Berufung auf eine neue, spezifisch nationalsozialistische Rechtsquelle,
nämlich das Führertum!