Der Sport als Realisierung der NS

Download Report

Transcript Der Sport als Realisierung der NS

Der Sport als Aktionsfeld zur Realisierung der NS-Volksgemeinschaft

Prof. Dr. Lorenz Peiffer (Leibniz Universität Hannover)

Aspekte des Vortrags

   Wie verlief der Prozess des Ausschlusses der jüdischen Sportlerinnen und Sportler aus den sogen. paritätischen Turn- und Sportvereinen sowie aus den -verbänden nach dem 30. Januar 1933?

Wie gingen Vereine und Verbände nach dem erfolgten Ausschluss mit der Erinnerung an ihre ehemaligen jüdischen Mitglieder um?

Wie entwickelte sich der jüdische Sport in den Jahren 1933 – 1938?

Seite 2

Turn- und Sportorganisationen in Deutschland 1930 Deutsche Turnerschaft

Deutscher Fußball-Bund Arbeiter-Turn- und Sportbund Deutsche Jugendkraft Eichenkreuz Deutscher Makkabikreis Sportgruppen im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten VINTUS – Verband Jüdisch-Neutraler Turn und Sportvereine Westdeutschlands

12.863 Vereine

7.117 Vereine 6.886 Vereine 5.987 Vereine 5.780 Vereine ca. 17 Vereine 18 Vereine

1.618792 Mitglieder

890.688 Mitglieder 738.048 Mitglieder 699.870 Mitglieder 226.719 Mitglieder ca. 3.000 Mitglieder ca. 7.000 Mitglieder ca. 5.000 Mitglieder Seite 3

Peter Longerich „Tendenzen und Perspektiven der Täterforschung

(2007)

 Ausschluss der Juden aus der deutschen – und später der europäischen – Gesellschaft war von Beginn an der zentrale Aspekt der nationalsozialistischen Politik  Ziel: Die Schaffung einer „rassisch homogenen Volksgemeinschaft “ . Und dies konnte - so Longerich durch „Negativmaßnahmen (wie) Diskriminierung, Entfernung, Ausschaltung und Beseitigung von Fremden “ erfolgen. Für diesen Prozess bedurfte es aber einerseits der „Hilfe bloßer Befehlsempfänger (NS-Regierung) von ihnen wollte “ .

“ (SA etc.) und andererseits „solcher Akteure, die Eigeninitiative entwickelten und intuitiv verstanden, was die Führung Seite 4

 Zu diesen „Akteuren “ zählten auch nichtstaatliche und parteiungebundene Organisationen: Turn- und Sportvereine und ihre Verbände    Erste Schritt: Entdemokratisierung der Vereins- und Verbandsstrukturen Zweite Schritt: Aufgabe der parteipolitischen Neutralität (z.B. Deutsche Turnerschaft: Tragen von SA-und SS Uniformen bei Veranstaltungen der DT gestattet <23. März 1933>) Dritter Schritt: Einführung des Arierparagraphen Ausschluss jüdischer Sportler im Spiegel von Verbandszeitschriften, 24.Mai 2010 Seite 5

Osterbotschaft von DT Führer E. Neuendorff in der DTZ, 19.4.1933:

„Darum haben wir den Arier-Paragraphen angenommen. Er verpflichtet alle Vereine, alle jüdischen Mitglieder aus ihren Reihen auszuscheiden. Mit dieser Ausscheidung ist sofort zu beginnen und sie ist so durchzuführen, daß es zur Zeit des Deutschen Turnfestes in Stuttgart keine jüdischen Turner mehr unter uns gibt. Der Begriff des Juden aber wird nicht durch den Glauben, sondern durch das Blut bestimmt. Jude ist, wer von jüdischen Eltern stammt. Dazu genügt, dass ein Teil der Großeltern jüdischen Blutes ist. Jüdische Turner, die am Weltkriege als Frontkämpfer teilgenommen haben oder deren Söhne oder Väter im Weltkriege gefallen sind, können in allen Ehren in der Turnerschaft bleiben.

“ Seite 6

Arier-Grundsatz der Deutschen Turnerschaft

Seite 7

Arisierung im DFB

9. April 1933: 14 Vereine aus dem Süden und Südwesten des Deutschen Reiches stellen sich „freudig und entschieden “ der nationalen Regierung zur Verfügung und bieten ihre Mitarbeit „insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen “ an

Brief des FCN-Verwaltungsrats an seine jüdischen Mitglieder, 28. April 1933 Seite 9

Arisierung im DFB

19. April 1933: Mitteilung des DFB und der DSB: „Der Vorstand des DFB und der DSB halten Angehörige der jüdischen Rasse (…) in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar (…) “

Arisierung im DFB

Mai 1933: Mitteilung des Verbandsführers des WSV, Josef Klein: An den Verbandsspielen des WSV dürfen „nur Deutschstämmige “ teilnehmen 18. Februar 1934 Die Aufgaben des Deutschen Fußball-Bundes sind: 2. Seine Mitglieder zu staatsbejahenden, einsatzbereiten Volksgenossen des nationalsozialistischen Staates her anzubilden.

Linnemann

Resolution des Verbandes Deutscher Faustkämpfer (VDF) vom 4.4.33:

       1. Sämtliche Juden, auch getaufte, sind von der Mitgliederliste zu streichen. Alle neu aufzunehmenden Mitglieder müssen arischer Abstammung sein.

2. Alle Juden, die sich im Besitz der Ehrenmitgliedschaft des VDF befinden, werden aufgefordert, diese umgehend niederzulegen.

3. Jeder deutsche Berufsboxer ist mit sofortiger Wirkung von der weiteren Erfüllung eines mit einem Juden eingegangenen Arbeits- oder Managervertrages entbunden.

4. Allen Juden ist das Betreten der Verbandsräume verboten.

5. Den lizensierten technischen Leitern ist es untersagt, sich bei Ausrichtung von Box Veranstaltungen jüdischen Kapitals oder jüdischer Personen zu bedienen.

6. Den Verbandsmitgliedern ist verboten, jüdische Ärzte, Dentisten oder Rechtsanwälte in Anspruch zu nehmen.

7. Nicht reichsdeutsche Mitglieder und Funktionäre sind bis auf Weiteres zu suspendieren.

Seite 12

   Der Deutsche Ruderverband beschloss im Mai 1933, fortan ausschließlich arische Mitglieder in seine Vereine aufzunehmen Der Deutsche Skiverband beschloss im April/Mai 1933 den Ausschluss von „Rassefremden “ aus den Vorständen der Verbände und der Vereine und sprach die Erwartung aus, dass die Neuaufnahme von „Rassefremden “ unterbleibt.

!! Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen!!!

 Magistrat der Stadt Hannover verpflichtete gemäß eines Ratsbeschlusses vom 23.6.1933 alle Turn- und Sportvereine am Ort, einen Arierparagraphen in die Vereinssatzung aufzunehmen, um weiterhin städtische Zuschüsse zu erhalten.

Seite 13

Wie reagierten die jüdischen Sportlerinnen und Sportler auf den Ausschluss aus ihren ‚alten

Vereinen?

Seite 14

Wie gingen Vereine und Verbände nach dem erfolgten Ausschluss mit der Erinnerung an ihre ehemaligen jüdischen Mitglieder um?

Seite 15

Beispiel Fußballwoche Berlin

Fußballwoche Mai 1933

Tabelle Kreisliga Westen

[…] 12. BFC Nordwest 12 - 22 13. Hakoah Berlin 10 - 24 14. Wacker 05 6 - 28 Fußballwoche Juni 1933

Tabelle Kreisliga Westen

[…] 12. BFC Nordwest 14 - 22 13. Wacker 05 8 - 28  Der jüdische Klub wird einfach aus der laufenden Tabelle herausgerechnet: als ob es ihn nie gegeben hätte Seite 16

Beispiel TKH-Nachrichten Hannover

…bis Ausgabe 1/1933 …ab Ausgabe 3/1933 Seite 17

Festschriften Turnverein Lemgo

Festschrift 1932 Festschrift 1937 Seite 18

Neu- bzw. Selbstorganisation nach dem 30. Januar 1933

November 1933 Reichssportführer von Tschammer und Osten genehmigt die Gründung jüdischer Vereine und erkennt Makkabi und Sportbund Schild als Spitzenverbände an Januar 1934 „Richtlinien für den Sportbetrieb von Juden und sonstigen Nichtariern

Sondersituation in Bayern Jüdische Vereine durften aufgrund behördlicher Bestimmungen weder Makkabi noch dem Sportbund Schild angehören

Entwicklung der Mitgliedszahlen im Sportbund des RjF Dez. 1933

Dez. 1934 1935

ca. 7.000 Mitglieder

17.000 Mitglieder 20.000 Mitglieder

90 Sportgruppen

156 Sportgruppen 182 / 197 / 216 Sportgruppen

Seite 20

Entwicklung der Mitgliedszahlen im Makkabi Januar 1933

1934 1935

ca. 3.000 Mitglieder

ca. 18.000 Mitglieder ca. 21.500 Mitglieder 1936 1938

17 Vereine

79 Vereine 136 Vereine 120 Vereine 105 Vereine

Seite 21

Emden Aurich Esens Leer Bremerhaven Oldenburg Bremen Uelzen Twistringen Fürstenau Bentheim Osnabrück Hannover Peine Braunschweig Wolfenbüttel Hameln Hildesheim Stadt-

Vereine nach Verbandszugehörigkeit blau

= Makkabi ,

rot

= RjF ,

weiß

= freie Klubs Hann. Münden Göttingen

Jüdische Vereine: Erste und letzte Nennung in Quellen

<1933 1933 1934 1935 1936 1937 1938 Aurich Bentheim Braunschweig Bremen Bremerhaven Emden Esens Fürstenau Hameln Hannover Hildesheim Göttingen Leer Oldenburg Osnabrück Peine Stadtoldendorf Twistringen Uelzen Wolfenbüttel Seite 23

183 jüdische Fußballvereine

in Deutschland insgesamt

Aufteilung nach heutigen Ländern:

52 NRW 23 Hessen 21 Frühere Ostgebiete 18 Baden Württemberg 16 Rheinland-Pfalz 12 Bayern 9 Niedersachsen 8 Sachsen je 5 Berlin, Sachsen-A. u Thüringen 4 Hamburg 2 Bremen je 1 MV, Saarland, Schleswig-H.

Sportbund Schild

Playoff

- Runde um die Deutsche Meisterschaft 1934/35

Westkreis Ostkreis

RjF Stuttgart Meister Württemberg RjF Bruchsal Meister Baden 2 1 Endspiel, 4. September 1935 Schild Frankfurt – Schild Leipzig 3 : 2 15. Mai RjF Breslau Schild Leipzig 1 6 RjF Beuthen Meister Oberschl.

RiF Breslau Meister Schlesien RjF Meiningen Meister Mitteldt..

23. Juni RjF Stuttgart 0 16. Juni, Berlin Schild Leipzig 3 Schild Leipzig Meister Sachsen Schild Frankfurt 3 BSG 33 Berlin 1 1 ?

3 ?

Schild Frankfurt Meister Südwesten RjF Bonn Meister Westen 4 1 20. Mai Schild Hamburg BSG 33 Berlin 1 2 VTH Hannover Meister N ‘ sachsen Schild Hamburg Meister Nordmark 0 1 BSG 33 Meister Berlin spielfrei Seite 25

Seite 26

Epilog: Wie gingen deutsche Turn- und Sportvereine und ihre Verbände nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrer eigenen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus um?

  Das deutsche Sportgedächtnis ist hinsichtlich seiner jüdischen Wurzeln und seiner jüdischen Mitglieder gekennzeichnet durch eine über 40-jährige Kollektivamnesie Hitlers Sportfunktionärselite und der bundesdeutsche Sport (Carl Diem, Ritter von Halt, Peco Bauwens, Guido von Megden u.a.) Seite 27

 Gefeiert wurden wieder ehemalige Stars der 20er und 30er Jahre wie Otto ‚Tull ‘ Harder, der als Kommandant eines Außenlagers des KZ-Neuengamme und SS-Mitglied in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt war, während die Erinnerung an Gretel Bergmann, Lilli Henoch, David Prenn, die Cousins Alfred und Gustav Felix Flatow, Walter Bensemann, Julius Hirsch oder Gottfried Fuchs und den Sinto Johann Trollmann erloschen blieb.

Seite 28

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!!

Seite 29