Nationalsozialistische Herrschaft

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Transcript Nationalsozialistische Herrschaft

Nationalsozialistische
Diktatur
Universität Leipzig, Historisches Seminar
Wintersemester 2013/14
Dozent: Dr. Udo Grashoff
Nationalsozialistische Diktatur
2. Nationalsozialistische Machtergreifung
- kein Ereignis, sondern ein Prozess
- schrittweise Herausbildung des „Führerstaates“
- das „Revolutionäre“ vollzog sich im Gewande der Tradition
(Klaus Hildebrand)
Nationalsozialistische Diktatur
2. Nationalsozialistische Machtergreifung
2.1. Machtübertragung am 30. Januar 1933:
- Ernennung Hitlers zum Chef eines
Präsidialkabinetts der nationalen Konzentration
- bisherige Forschungsmeinung:
v. Papen hat den schon etwas senilen Hindenburg überredet
Nationalsozialistische Diktatur
2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Wolfram Pyta (2008):
- bewusste und rationale Entscheidung Hindenburgs, Hitler als
Repräsentant der stärksten Partei zum Reichskanzler zu ernennen
- jeder andere Kanzler hätte wie Papen und Schleicher gegen den
Reichstag regieren müssen
- Hitler hatte Hindenburg versprochen, ihn von dem lästigen Regieren
per Notverordnung zu befreien und stattdessen den Reichstag auf
legalem Weg per Ermächtigungsgesetz stillzulegen
- was Hitler und Hindenburg verband, war die Vision der
„Volksgemeinschaft“
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
- auf den ersten Blick waren Nationalsozialisten
Hitler, Frick und Göring „eingerahmt“
- andere acht Minister parteilos bzw. DNVP
- praktisch aber Hitler dominant
- noch am 30. Januar setzt sich Hitler gegen Hugenberg durch:
sofortige Auflösung Reichstag und Neuwahl für 5. März 1933
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
2.2. Politische Repression
Notverordnung vom 4. Februar 1933 (die noch von Regierung
Papen entworfen worden war):
- Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt
- Schutzhaft bei staatsfeindlicher Tätigkeit
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Preußen und das Deutsche Reich im Jahr 1933
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Nationalsozialistische Transformation der Polizei:
- Hermann Göring wird preußischer Innenminister
 Runderlass „gegen kommunistische Terrorakte und Überfälle“ vom
17.2.1933 = „Schießerlass“:
„Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schusswaffe
Gebrauch machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des
Schusswaffengebrauchs von mir gedeckt; wer hingegen in falscher
Rücksichtnahme versagt, hat dienststrafrechtliche Folgen zu gewärtigen.“
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Nationalsozialistische Transformation der Polizei:
- 22.2.1933: Bildung einer 50.000 Mann starken Hilfspolizei aus SA und
Stahlhelm
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Reichstagsbrand 27. Februar 1933
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
 Wer hat den Reichstag angezündet am Abend des 27. Februar
1933?
 War Goebbels, als er telefonisch vom Brand informiert wurde,
tatsächlich überrascht oder hat er diese Überraschung nur
geheuchelt?
 Cui bono?
„Reichstagsbrandverordnung“: sofortige Verfolgung von
Kommunisten und anderen politischen Gegnern
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
28.2.1933 Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“:
- ziviler Ausnahmezustand
- vollziehende Gewalt ging an Reichsregierung
- Anwendung Schutzhaft ausgedehnt und richterlicher
Überprüfung entzogen
- Massenverhaftungen
 wilde Konzentrationslager
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
ergänzt durch „Heimtückeverordnung“ 21. März 1933
 jede Kritik an Regierung strafbar
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
 Wer hat den Reichstag angezündet am Abend des 27. Februar
1933?
Kommunisten: sofort Verdacht, die Nazis hätten den Brand gelegt
„Braunbuch“ versuchte das zu belegen
Hans Bernd Gisevius, Mitarbeiter der politischen Polizei:
sagte im Nürnberger Prozess 1946 aus, zehn SA-Männer hätten
den Reichstag angezündet
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Juristische Aufarbeitung 1933:
- NS-Gericht verurteilte den holländischen Anarchisten Marinus
van der Lubbe zum Tode
- dafür ein Gesetz geschaffen und rückwirkend angewandt
- drei bulgarische Kommunisten (u.a. Georgi Dimitroff) und Ernst
Torgler freigesprochen
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Historische Forschung:
- 1959/60 Fritz Tobias (Verfassungsschutzbeamter) bestätigte
Alleintäterschafts-Hypothese
- erklärte Hitlers Entscheidung zur Errichtung einer „nackten
Diktatur“ aus dessen Schockreaktion
- Hans Mommsen vom Institut für Zeitgeschichte folgte dieser
Deutung (unterdrückte 1962 sogar ein Gutachten, das zu einem
anderen Ergebnis kam)
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
- Walter Hofer, Luxemburger Komitee (1972/78): quellenkritische
Einwände gegen Einzeltäterthese (unglaubwürdige Zeugen,
Fehlinterpretation der Gutachten von 1933)
- Hans Mommsen u.a. (1986): schwere Vorwürfe gegen Hofer
und seine Mitarbeiter (bis zum Vorwurf der
Dokumentenfälschung)
- weiteres Problem: Originalakten bis 1990 im Institut für
Marxismus-Leninismus beim ZK der SED
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
drei Punkte bis heute strittig:
1. Wie glaubwürdig war das Geständnis van der Lubbes?
(Widersprüche?)
2. Wie fachgerecht waren die Sachverständigengutachten von
1933 (die alle eine Einzeltäterschaft ausschlossen)?
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Widersprüchliche Einschätzungen des Brandvorgangs:
 Journalist Sven Felix Kellerhoff: heute als „Backdraft“
bekanntes Phänomen der Rauchgasexplosion stützt
Alleintäter-These
 Brandexperte Prof. Karl Stephan: dafür hätte man den
Plenarsaal vorher mit Flüssigbrennstoff präparieren müssen
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
drei Punkte bis heute strittig:
1. Wie glaubwürdig war das Geständnis van der Lubbes?
(Widersprüche?)
2. Wie fachgerecht waren die Sachverständigengutachten von
1933 (die alle eine Einzeltäterschaft ausschlossen)?
3. Konnten weitere Täter durch unterirdische Gänge in den
Reichstag gelangen?
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
2.3. Revolution „von unten“
- Razzien
- wilde KZ
- allein in Berlin 50 so genannte
SA-Bunker
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ab 22. März 1933: „reguläre“ Konzentrationslager
 Errichtung Konzentrationslager Dachau in Zeitung angekündigt
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Reichsinnenministerium schätzt Zahl der politischen Häftlinge im
April 1933 auf 50.000
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
1. April 1933: Judenboykott der SA
- Versuch, durch eine von oben organisierte Aktion die spontane
Gewalt der Straße zu kanalisieren
- gemischte Reaktionen der Bevölkerung; keineswegs nur
Zustimmung
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
2.4. Wahlen
 Hitler sicherte seine Macht (anders als Mussolini oder Franco)
durch halbfreie Wahlen
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Partei
NSDAP
Stimmen
43,90%
DNVP
8,00%
DVP
1,10%
BVP
2,70%
Zentrum
Deutsche Staatspartei
11,20%
0,90%
SPD
18,30%
KPD
12,30%
Sonstige
1,60%
Ergebnis
Reichstagswahl
5. März 1933
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
2.5. Beseitigung der parlamentarischen Demokratie
„Tag von Potsdam“ (21. März 1933)
- von Goebbels inszenierter Festakt in der Potsdamer
Garnisonskirche zur Konstituierung des neuen Reichstages
- Ziel: Kontinuität preußischer Tradition suggerieren
- Parole: „nationale Versöhnung“
- Abgeordnete von SPD und KPD nahmen nicht teil
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24. März 1933: „Ermächtigungsgesetz“
zuvor Debatte im Reichstag am 23. März 1933
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
„Im Angesicht der brennenden Not, in der Volk und Staat
gegenwärtig stehen, im Angesicht der riesenhaften Aufgaben, die
der deutsche Wiederaufbau an uns stellt, im Angesicht vor allem
der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland
aufzusteigen beginnen, reichen wir von der deutschen
Zentrumspartei in dieser Stunde allen, auch früheren Gegnern,
die Hand, um die Fortführung des nationalen Aufstiegswerkes zu
sichern.“
(Zentrumspartei, Dr. Ludwig Kaas)
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
„Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser
geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der
Menschlichkeit und Gerechtigkeit, der Freiheit und des
Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht,
Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“
(SPD, Otto Wels)
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
„Im Interesse von Volk und Vaterland und in der Erwartung einer
gesetzmäßigen Entwicklung werden wir unsere ernsten
Bedenken zurückstellen und dem Ermächtigungsgesetz
zustimmen.“
(Deutsche Staatspartei, Reinhold Maier)
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Abstimmungsergebnis:
444 Ja-Stimmen
94 Nein (gesamte SPD-Fraktion)
(erforderlich war Zweidrittelmehrheit)
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
NSDAP wird zur Staatspartei:
- Phänomen der „Märzgefallenen“: massenhafte Partei-Eintritte
Ende 1930: 0,7 Mio  Mai 1933: 2,5 Mio
- Tendenz zur Verbürgerlichung (mehr ältere, verheiratete, mehr
Beamte und Akademiker, weniger Arbeiter)
- 1. Mai 1933 Aufnahmestopp
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Transformation der Gewerkschaften:
- bei Betriebsratswahlen im März ADGB nicht verdrängt
- daher NSDAP zunächst scheinbar entgegenkommend
- ADGB ohne Widerstandsintentionen
- 1. Mai 1933 Feiertag „Tag der nationalen Arbeit“
- gemeinsame Großkundgebungen
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Hitler beschwört auf Tempelhofer Feld „nationalen Sozialismus“
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
- am 2. Mai Verbot der Gewerkschaften
- Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch SA und Verhaftung
der Funktionäre
- Überführung der Mitglieder in Deutsche Arbeitsfront
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Auflösung von Parteien:
- 26. Mai 1933: Einzug des KPD-Vermögens (kein formales Verbot)
- 22. Juni 1933: Verbot der SPD
- andere Parteien lösen sich selbst auf, zuletzt Zentrum am 5. Juli
1933
- am 6. Juli erklärt Hitler Revolution für beendet
- „ein sehr weit verbreitetes Gefühl der Erlösung und Befreiung von der
Demokratie“ (Sebastian Haffner)
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Rolle Hitlers: Taktieren als Regierungskunst in der Phase der
Machtergreifung
- 20. Juli 1933: Reichskonkordat mit der katholischen Kirche
- Offerte an Papst ging am 10. April 1933 von Hitler aus
- konträre Forschungspositionen dazu
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
a) Konkordat hat die generelle Loyalitätspflicht der Katholiken
festgelegt, die Kirche an den Staat gebunden und das im
Katholizismus vorhandene Widerstands-Potenzial an seiner Entfaltung
gehindert.
b) Konkordat sicherte eine Verteidigungslinie, bedeutete eine
vertragsrechtliche Nichtanpassung der katholischen Kirche an das
totalitäre System und schuf die Voraussetzungen für späteren
Widerstand.
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2. Nationalsozialistische Machtergreifung
Fortsetzung:
2.6. Herrschaftsaufbau