Einführung in die Sozialisationstheorie und Sozialisationsforschung

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Transcript Einführung in die Sozialisationstheorie und Sozialisationsforschung

Vorlesung:
Einführung in die Sozialisationstheorie
und Sozialisationsforschung
Dozent:
Prof. Wilfried Schubarth
Bereich „Erziehungs- und Sozialisationstheorie“
Institut für Erziehungswissenschaft, Golm, Haus 14, Z. 609
Prof. Schubarth: Einführung in die Sozialisationstheorie und Sozialisationsforschung
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Vorlesung:
Einführung in die Sozialisationstheorie
und Sozialisationsforschung
Hinweise
Schwerpunkte
I.
Grundlagen der Sozialisationstheorie: Begriff, Theorien, Vertreter
II. Sozialisationskontexte: Familie, Schule, soziokulturelles Umfeld
III. Sozialisationsforschung: Ausgewählte Beispiele
Zu I:
•
Grundbegriffe und Überblick
•
Ausgewählte Sozialisationstheorien und Vertreter
•
Neuere Sozialisationstheorien und Vertreter
•
Sozialisation in der Jugendphase
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Zu II: Sozialisationskontexte
•
Familie
•
Schule
•
soziokulturelles Umfeld
Zu III: Sozialisationsforschung: Ausgewählte Beispiele
Abschluss: Klausur
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Einführung in die Sozialisationstheorie:
Grundbegriffe und Überblick
Sozialisation – was ist das?
- Alltagssprache, Beispiele
- Es gibt nicht die Sozialisation, nur soz.-theor. Fragestellungen
- „Sozialisation“ nicht dinglich greifbar, sondern begriffliches Konstrukt,
ein Modell, das ausdrückt, was nicht unmittelbar anschaulich ist
- Begriff von E. Durkheim (1907) eingeführt, um Vergesellschaftung des
Menschen, d.h. seine Prägung durch gesell. Bedingungen zu auszudrücken
- Sozialisation thematisiert Verhältnis: Individuum – Gesellschaft bzw.
Person –Umwelt
- Gesamtheit der gesell. Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung
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-
-
Älteres Verständnis: Anpassung des Menschen an die Gesellschaft,
Verinnerlichung der herrschenden Werte (Strukturfunktionalismus)
Probleme: Abweichung - keine Sozialisation, Subjekt nur Objekt,
Festschreibung des Bestehenden
allg. anerkannte Definition nach Geulen/Hurrelmann (Handbuch der
Sozialisationsforschung 1980):
Sozialisation ist begrifflich zu fassen, als Prozess der Entstehung und
Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von
der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt.
Vorrangig ist dabei, wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich
handlungsfähigen Subjekt bildet.
Neueres Verständnis: aktiver, dynamischer, lebenslanger Prozess
Modell des „produktiv realitätsverarbeitenden Subjekts“ (Hurrelmann)
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Abgrenzung des Begriffs:
• gegen einseitige biologistische Auffassungen, z.B. genetische
Fixierung von Charaktereigenschaften (Bsp.)
• gegen idealistische Auffassungen, gegen Persönlichkeitsentwicklung
als immanenter, empirisch nicht fassbarer psychischer Reifungsprozess
• gegen eine pädagogisch reduzierte Perspektive, die den intentionalen
Einfluss von Erziehung („pädagogischer Bezug“) in den Mittelpunkt
stellt und andere Faktoren eher negiert
• „Erziehung“ - als bewusste und geplante Beeinflussung des
Heranwachsenden – ist Teil des Sozialisationsprozesse
• Erziehung = „Sozialmachung“, Sozialisation = „Sozialwerdung“
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Konkurrierende Begriffe:
• Enkulturation: Mensch als Kulturwesen, das kulturelle Lebensweise
erlernen und sich aneignen muss (Kulturanthropologie), schließt
Sozialisation, Erziehung, Personalisation/Individuation ein
• Personalisation/Individuation: Selbstformung mittels Lern- und
Bildungsprozessen, Entwicklung zu einzigartigem Individuum
Verhältnis der Begriffe:
Enkulturation – Erwerb kultureller Basisfähigkeiten
Sozialisation – sozial werden
Erziehung – sozial machen
Personalisation/Individuation
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Struktur der Sozialisationsbedingungen (Tillmann):
(4) Gesamtgesellschaft Ökonomische, soziale politische
kulturelle Struktur
(3) Institution
Betriebe, Massenmedien, Schulen,
Universitäten. Militär, Kirchen
(2) Interaktionen und
Tätigkeiten
Eltern-Kind-Beziehungen, Unterricht,
Peers, Freunde, Verwandte
(1) Subjekt
Erfahrungen, Einstellungen, Wissen,
Emotionen, Fähigkeiten
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Phasen des Sozialisationsprozesses:
Sozialisationsphasen
(1) Primäre Sozialisation
(2) Sekundäre Sozialisation
(3) Tertiäre Sozialisation
---------------------------------Säugling (0-1)
Frühe Kindheit (2-4)
Kindheit (5-12) (kids 10-12)
Jugend (13-?)
Erwachsenenalter (?-65)
Alter (65-?)
Sozialisationsinstanzen
Familie
Schule, Peers, Massenmedien
Ausbildung, Universität, Betrieb
----------------------------------------Krippe, Kindergarten
Schule
Schule, Ausbildung
Ausbildung, Beruf, Haushalt, Familie
Pensionierung
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Theorien zur Sozialisation – was erklären sie?
• Soz.-theorie: Aussagesystem nach wiss. Kriterien (wie Systematik,
Kritik, Transparenz, Logik) zum Gegenstand „Sozialisation“
• Kriterien wiss. Theorie: Daten, Konzepte, Reflexion, Diskussion,
Fragen und Kritik
Anforderungen an Sozialisationstheorie:
• umfassendes Verständnis von Persönlichkeit
• vom aktiv handelndes Subjekt ausgehen
• aktive Auseinandersetzung mit Umwelt erklären
• Sozialisation als Prozess zur Vergesellschaftung und zugleich zur
Individuierung
• Einfluss der verschiedenen Bedingungen der sozialen Umwelt auf
Persönlichkeitsentwicklung erklären
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7 Thesen zur Sozialisation (Hurrelmann):
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Sozialisation vollzieht im Wechselspiel von Anlage und Umwelt.
S. ist der Prozess der Pers.-entwicklung in wechselseitiger
Abhängigkeit von der inneren und äußeren Realität.
S. ist der Prozess der dynamischen und „produktiven“ Verarbeitung
dieser Realität.
Gelingende Pers.-entwicklung setzt angemessene Umwelt voraus.
Neben den Soz.-instanzen haben auch andere soziale Systeme (wie
Arbeit, Freizeit, Medien) Einfluss auf die Pers.-entwicklung.
Pers.-entwicklung besteht lebenslang aus einer Bewältigung von
Entwicklungsaufgaben.
Ein reflektiertes Selbstbild (Ich-Identität) ist Voraussetzung für
handlungsfähiges Subjekt und für gesunde Pers.-entwicklung.
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Folgerungen für die Sozialisationsforschung:
• Methoden aus sozialwiss. und psychologischen Forschung
• Kombination von quantitativen und qualitativen Verfahren
(Unterschiede nach Methodologie, Standardisierung, Auswertung)
– quantitativ/positivistisch: Hypothesenüberprüfung, Ursachen, Wirkung,
– qualitativ/hermeneutisch: Verstehen, Rekonstruktion subj. Deutungen
• Kombination von Selbst- und Fremdeinschätzung
• Kombination von Querschnitts- und Längsschnittstudien
– Querschnittsstudien: aktuell, verallgemeinerbar, Trendstudien
– Längsschnittstudien: intraindividuelle Entwicklung
– Persönlichkeitsentwicklung und gesellschaftliche Veränderungen
kombinieren
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Zur Geschichte der Sozialisationstheorie:
• Frage, wie sich Mensch entwickelt – sehr alte Frage (Wiss.geschichte)
• „Sozialisation“ Ende des 19. Jh. durch frz. Soziologen E. Durkheim:
Wie in „anomischer“ Gesellschaft soziale Integration herstellen?
• Notwendigkeit der Verinnerlichung gesell. Normen durch Erziehung
(„methodische Sozialisation“ eines „asozialen“ Wesens)
• Ende 19. Jh. Entwicklung der Psychologie, z.B. S. Freud mit Pers.modell vom Es, Ich und Über-Ich, Gegenposition: Lerntheoretiker
Watson, Pawlow, im 20.Jh. kognitive Psychologie, z.B. Piaget
• 19./20Jh. Entwicklung der Soziologie/Gesellschaftstheorie: hist.-mat.
Theorie von Marx/Engels, Mitte des 20. Jh. Strukturfunktionalismus
von Parsons und symbolischer Interaktionismus, z.B. G.H. Mead
• Gegenwart: Kopplung und Ergänzung dieser Grundkonzepte
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Überblick über Sozialisationstheorien (nach Hurrelmann):
Psychologische Basistheorien
Lerntheorien
Behaviorismus (Konditionierung)
Sozial-kognitive Lerntheorie (Bandura)
Persönlichkeitstheorien
Psychoanalyse (Freud, Erikson) Strukturelle
Persönlichkeitstheorien („big five“)
Entwicklungspsychologien Kognitive Entw.-psych. (Piaget, Kohlberg)
Ökolog. Entw.-psych. (Bronfenbrenner)
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Soziologische Basistheorien
Systemtheorien
Strukturfunktionalismus (Parsons)
Soziale Systemtheorie (Luhmann)
Handlungstheorien
Symbolischer Interaktionismus (Mead)
Sozialisatorische Interaktion (Oevermann)
Personale u. soziale Identität (Geulen)
Rationale Handlungstheorien
Gesellschaftstheorien
Materialistische Ges.-theorie (Marx)
Kommunikative Kompetenz (Habermas)
Lebenslagentheorien (Bourdieu, Beck)
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Konzept des produktiv realitätsverarbeit. Subjekts (Hurrelmann)
Innere Realität
Äußere Realität
Genetische Veranlagung
Körper
Intelligenz
Temperament
Familie
Persönlichkeitsentwicklung
Grundstrukturen der
Persönlichkeit
Freunde
Erziehungs- u.
Bildungseinrichtungen
Soziale Organisationen
Massenmedien
Arbeits-, Wohnbedingungen
Umwelt
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Literatur
-
Baumgart, F. (Hrsg.): Theorien der Sozialisation. Bad Heilbrunn 1997
Gudjons, H.: Pädagogisches Grundwissen. Bad Heilbrunn 1995
Hurrelmann, K.: Einführung in die Sozialisationstheorie. Weinheim
und Basel 2002
Raithel, J./Dollinger, B./Hörmann, G: Einführung in die Pädagogik.
Wiesbaden 2005
Tillmann, K.-J.: Sozialisationstheorien. Reinbek 2003
Zimmermann, P.: Grundwissen Sozialisation. Opladen 2000
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