Der erste Weltkrieg und seine kolonialpolitischen Folgen

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Transcript Der erste Weltkrieg und seine kolonialpolitischen Folgen

Geschichte Afrikas im
Überblick: 20. Jahrhundert
„ Der erste Weltkrieg und seine
kolonialpolitischen Folgen“
Die Lage im Französisch-Schwarzafrika
[Afrique Noire Française]
am Vorabend des Ersten Weltkrieges
Unmittelbar vor Kriegsbeginn ist es
Frankreich gelungen, fast alle
Eroberungskriege bzw.
„Pazifizierungskriege“
abzuschließen
Zur gleichen Zeit mussten die
Kolonisierten eine starke
Zunahme der Kolonialpflichten
erleben.
 Steuerpolitik: in jeder Kolonie mussten die Menschen
Steuer zahlen, um das Budget aufzustocken.
 Zwangsarbeitspolitik: für den Bau von Straßen,
Brücken, Eisenbahnstrecken, Militärposten, aber
auch für den Wiederaufbau von durch die
Kolonialarmee zerstörten Dörfern.
 Manchmal wurden die „Arbeiter“ eingesetzt, um
Feldarbeiten auf Privatplantagen von Kolonisten zu
verrichten.
 In Côte d‘Ivoire wurden Wälder beschlagnahmt, um
Waldarbeiter, die keinen eigenen Arbeitsrahmen
mehr hatten, dazu zu zwingen, für französische
Kolonisten zu arbeiten.
Die Arbeitspolitik fußte natürlich auf der
Kolonialideologie und lautete:
„Arbeiten ist gut für die Moral dieser faulen
Menschen und darüberhinaus für den ganzen
Kolonialhandel“
Nach der militärischen
Konsolidierung seiner
Vorherrschaft versuchte
Frankreich, die eroberten Gebiete
wirtschaftlich aufzuwerten.
Jean Suret-Canale definiert die
Aufwertungspolitik als koloniale
Ausbeutungspolitik.
[Suret-Canale, Jean: Afrique Noire.
L‘Ere coloniale 1900-1945,
Editions sociales, Paris 1964]
Aufgrund der Größe seines
Kolonialreiches stand Frankreich
vor massiven
Verwaltungsproblemen.
Errichtung von zwei
Hauptverwaltungseinheiten, um eine
Optimierung der Verwaltungsaufgaben
zu erzielen:
AOF: Afrique Occidentale Française
[Französisch-Westafrika]
AEF: Afrique Equatoriale Française
[Französisch-Äquatorialafrika]
 Jede Einheit wird von einem
Generalgouverneur geleitet.
 Jede Kolonie bekommt einen
Lieutenant-Gouverneur, der dem
General Gouverneur untersteht.
Senegal als Sonderfall:
Zuerst war der Generalgouverneur
gleichzeitig Lieutenant-Gouverneur.
Nachdem die anderen Kolonien gegen
die Omnipotenz des Koloniechefs heftig
protestiert hatten, entschied das Marineund Kolonialministerium, die doppelte
Funktion des Posten abzuschaffen.
Senegal bekommt einen eigenen LieutenantGouverneur mit Sitz in Saint-Louis, die de
facto zur Hauptstadt der Kolonie wird.
Der für ganz Französisch- Westafrika
zuständige Generalgouverneur hat seinen
Regierungssitz in Dakar.
Deswegen bezeichnen Historiker Senegal als
Kolonie mit zwei Hauptstädten (Saint-Louis
und Dakar).
Die Aufwertungs- bzw.
Ausbeutungspolitik sollte sich
aufgrund der schlechten Finanzlage
als sehr problematisch erweisen.
Zudem war das Budget viel zu
minimal, um eine gerechtere
Sozialpolitik zu garantieren.
Verwaltungspersonal und/oder
Mitarbeiter der Exekutive (Polizei)
hatten in der Regel den größten
Budgetanteil.
Diese unausgewogene
Verteilungspolitik lässt sich mit
folgendem Beispiel gut illustrieren.
Laut J. Suret-Canale verfügte Gabun im Jahr
1911 über ein Budget von 972 000 Francs.
Davon waren 608 000 Francs für das
Verwaltungspersonal bzw. Polizei und
Gefängniswärter reserviert. Der Schulsektor
sollte 25 000 Francs von den übriggebliebenen
65 000 Francs bekommen. Am Ende waren es
lediglich 5 406, 84 Francs.

Die Kolonialadministration sah sich gezwungen,
drei von den vier in Gabun existierenden Schulen
zu schließen. In der einzigen funktionierenden
Schule (in der Hauptstadt Libreville) mussten
Beamten eingesetzt werden.
 Diese konnten leider nur außerhalb ihrer
Dienststunden unterrichten. Dafür bekamen sie
eine minimale Abfindungssumme.
 Für die Schüler bedeutete dies 2 oder 3
Unterrichtsstunden am Tag
In Kongo-Brazzaville, meint J. SuretCanale, war die Situation nicht anders.
In Oubangui-Chari (Zentralafrikanischer
Republik) war es noch ärger.
In beiden Kolonien wurden kaum
Maßnahmen getroffen, um in das
Schulwesen effizient zu investieren.
Im Grunde gab es nicht genug
Finanzreserven, die den
Kolonisierten ermöglicht hätte, ein
„normales“ Leben zu führen. Dabei
dürfen wir nicht vergessen, dass das
Kolonialsystem die Menschen
gezwungen hatte, ihre bisherige
traditionelle Lebensart aufzugeben.
Das eigentliche Drama bestand darin,
dass die Kolonialadministration,
nachdem sie den Menschen völlig
neue Prioritäten auferlegt hatte,
nicht einmal bereit war, adäquate
Strukturen und Lebenschancen zu
schaffen.
Der Wirtschaftshistoriker Jacques Marseille
vertritt die These, dass die Kolonisation
im Grunde kein profitables Geschäft für
Frankreich war.
[LITERATUR: Marseille, Jacques: Empire
colonial et Capitalisme français. Histoire
d‘un divorce, Editions Albin Michel, Paris
1984.]
Aus seiner Sicht hat Frankreich
unverhältnismäßig viel mehr investieren
müssen und dafür keinen echten finanziellen
Profit erzielen können.
Dies mag als rein wirtschaftliches Argument
wohl stimmen, aber J. Marseille lässt ein
zentrales Faktum außer Acht: dass Frankreich
eine gewisse Inkonsequenz in seiner
Kolonialpolitik gezeigt hat.
Denn Frankreich wollte eigentlich mit Hilfe der
Assimilationspolitik aus Afrikanern Franzosen
machen. Aber es hatte zugleich davor Angst,
dass die „neuen“ Franzosen anfangen
könnten, sich Befreiungskonzepte des
republikanischen Frankreichs zunutze zu
machen und später Emanzipationsideen zu
entwickeln.
Vor Kriegsbeginn ist es zum Beispiel vielen
Senegalesen, die im Protektorat lebten,
gelungen, in den vier Gemeinden (Saint-Louis,
Dakar, Rufisque und Gorée) Fuß zu fassen und
in der Folge die französische Nationalität zu
erlangen.
Das Marine- und Kolonialministerium musste
auf diese neue Situation schnell reagieren.
Der zuständige Minister entsandte sofort einen
Funktionär in die Kolonie, mit dem Auftrag die
wachsende Zahl der „neuen“ Franzosen nach
unten zu revidieren bzw. zu stoppen.
Die Angst war einfach zu groß, dass die
Senegalesen allmählich und demokratisch die
politische Macht in der Kolonie übernehmen
könnten.
Diese Angst war übrigens wohl berechtigt,
sofern die Strategie mancher Senegalesen
darin bestand, den eigenen
Assimilationsprozess zu forcieren, um eben
am politischen Leben ganz normal teilnehmen
bzw. an die Macht gelangen zu können.
Diese Strategie wird heute von einigen
Politologen und Historikern kritisiert.
So wird argumentiert, dass die damalige
Politikergeneration nicht in der Lage war, patriotische
oder nationalistische Akzente zu setzen. Vielmehr
wird ihr vorgeworfen, eine undifferenzierte und
unkritische frankophile Einstellung gehabt zu haben.
[LITERATUR: Diagne, Pathé: Léopold Sédar Senghor ou
la Négritude servante de la Francophonie, Editions
Sankoré & L‘Harmattan, Paris 2006]
Ein weiterer Beweis von Inkonsequenz war der Unwille,
„richtig und effizient“ zu investieren, soweit man
diese beiden Begriffe in einem willkürlichen
Herrschaftssystem verwenden kann.
 Einerseits, haben die meisten Funktionäre alles
unternommen, um in der Kolonie ein besseres Leben
als in der Metropole zu führen.
 Andererseits, haben sie aufgrund der
Herrschermentalität es versäumt, den „Untertanen“
einen soliden Lebensunterhalt zu sichern.
Dennoch gab es viele Franzosen, die überzeugt
waren, Frankreich sollte die Kolonien
aufgeben bzw. mit der Verschwendungspolitik
aufhören.
Diese Menschen betrachteten ja alle
Investitionen als Geldvergeudung, solange
Frankreich nicht in der Lage wäre, eine
effizientere Ausbeutungspolitik zu betreiben.
Gerade solche Kritiker haben es Ende der 1950er
Jahre geschafft, den sogenannten
Anticolonialisme de droite [Antikolonialismus
der Rechten] zu entwickeln.
Raymond Cartier (1904-1975) war einer der
prominentesten Vertreter dieses
„pragmatischen“ Antikolonialismus.
R. Cartier war Journalist bei Paris-Match
[Pendant zur Bild Zeitung]. Berühmt ist er
endgültig geworden wegen der Formulierung:
„La Corrèze avant le Zambèze“
[wortwörtlich: „Die Corrèze vor dem Sambesi“]
[sinngemäß: „Lieber die Corrèze als der
Sambesi“]
Sambesi dürfte in diesem Schlagwort eigentlich nur
einen Symbolcharakter haben, denn diese Region ist
nie eine französische Kolonie gewesen.
Damit wollte R. Cartier grundsätzlich seine Liebe zu
Frankreich signalisieren.
Gleichzeitig oder deswegen verlangte er, dass
Frankreich das eigene nationale Territorium (also die
Metropole) privilegieren sollte, anstatt sich die Bürde
eines Kolonialreiches aufzuerlegen.
Bei R. Cartier handelte es sich nicht um
Antikolonialismus aus politischer oder
ideologischer Überzeugung, sondern um
Antikolonialismus aus praktischen
Überlegungen.
Deswegen spricht man ja auch von einem
pragmatischen Antikolonialismus.
Seine Argumentation lautete:
 Der Besitz von außereuropäischen Territorien, also
von Kolonien, hat sich zu einem Handikap entwickelt.
 Es ist unmöglich geworden, einige für das nationale
Territorium wichtige entwicklungspolitische Konzepte
in die Tat umzusetzen.
 Kolonien sind einfach eine teuere Angelegenheit.
 Daher nicht in die Kolonien, sondern in die
Metropole investieren.
„Le colonialisme a toujours été une charge en même
temps qu‘un profit, souvent une charge plus qu‘un
profit. Dans les conditions et sous les servitudes
politiques actuelles, c‘est plus vrai que jamais“
„Der Kolonialismus war stets sowohl Bürde als auch
Vorteil, meist jedoch mehr Bürde. Unter den
aktuellen politischen Zwängen und Bedingungen trifft
dies mehr als je zu“
[Raymond Cartier, in: Paris-Match, 18. August 1956]
Die Thesen von R. Cartier wurden später als
„Cartiérisme“ [Cartierismus] sehr berühmt. Er hat sie
in einer äußerst delikaten Phase der Weltgeschichte,
nämlich während des Kalten Krieges, formuliert.
Als überzeugter Antikommunist wollte er eigentlich
darauf hinweisen, dass Frankreich sich auf die Frage
der nationalen Sicherheit und den Kampf gegen den
Kommunismus konzentrieren sollte, anstatt sich mit
dem kolonialen Ballast zu beschäftigen.
Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg stellten
die westafrikanischen Kolonien ein echtes
wirtschaftliches Problem für die Metropole
dar.
Zwischen 1912 und 1914 ist eine quasi
andauernde ökonomische und soziale Krise in
weiten Teilen Westafrikas entstanden.
Die Ursachen waren:
 Der Zusammenbruch der internationalen
Marktpreise des Kautschuks (Gummirohstoffes) hat
Französisch-Guinea und Kongo (zwei
Hauptlieferanten des Produktes) hart getroffen.
 Zwei Jahre lang (1912 und 1913) gab es von Senegal
bis Tschad eine Dürre. Die Konsequenz war eine
Hungerkatastrophe im ganz Französisch-Sudan (Mali)
[LITERATUR: Labouret, Henri: Famines et disettes aux
colonies, Paris 1938]
In der Folge haben sehr viele Menschen die
betroffene Region verlassen, um weiter
südlich bessere Lebensbedingungen zu finden.
Aus Verzweiflung mussten einige Eltern, meist
im Dogon-Land, ihre Kinder versetzen,
natürlich in der Hoffnung, dass sie später die
Möglichkeit haben werden, ihr Pfand
einzulösen.
Die ganze Situation war unkontrollierbar geworden.
Die Kolonialverwaltung hatte enorme Schwierigkeiten,
die Steuern einzutreiben, da die Menschen
 Erstens, ihre Wohnorte häufig und rasch wechselten
 Zweitens, keine finanziellen Möglichkeiten mehr
hatten, ihre Steuern zu zahlen
 Drittens, vielleicht nicht mehr am leben waren.
Die Kolonialadministration entschied
daraufhin den totalen Militäreinsatz, um die
Steuern eintreiben zu können.
Neue Steuerformen wurden eingeführt.
Zahlreiche Menschen wurden gezwungen, als
Träger oder Begleiter von Funktionären zu
arbeiten.
Verstärkung der Zwangsarbeitspolitik.
AFRIKANISCHE SOLDATEN IM ERSTEN
WELTKRIEG
Ab 1908 befand sich das offizielle Frankreich in der
Vorbereitungsphase des Krieges. Verantwortliche
Militärstrategen hatten schon die Möglichkeit in
Betracht gezogen, Soldaten aus den Kolonien am
Krieg teilnehmen zu lassen.
General Louis Faidherbe (1818-1889) hatte
schon als Gouverneur von Senegal ganze
Pionierarbeit geleistet, als er 1857 die ersten
Einheiten afrikanischer Soldaten aufstellte.
Unter der Bezeichnung Tirailleurs Sénégalais
[Senegal-Schützen] wurden sie ausschließlich
(manchmal auch außerhalb Afrikas) in den
kolonialen Eroberungskriegen.
Etwa im Krimkrieg (1853-1856) bei dem eine
antirussische Allianz (Frankreich,
Großbritannien, das Osmanische Reich und
das Königreich Sardinien) die Machtstellung
der Russen im Schwarzen Meer und auf dem
Balkan beschneiden wollte. Der Krieg endete
1856 mit der Niederlage Russlands.
 Sie waren ebenfalls in Mexiko als Napoleon III (18081873) Maximilian (1832-1867), Erzherzog von
Österreich und Bruder von Franz Joseph I (18301916), zum mexikanischen Kaiser machen wollte.
Maximilian wurde schließlich von den Republikanern
exekutiert.
 Auch im deutsch-französischen Krieg (1870-1871)
kamen afrikanische Soldaten zum Einsatz.
Der große Theoretiker der „Armée Noire“
[Schwarzen Armee] war eigentlich nicht
Faidherbe, sondern Oberst (später General)
Charles Mangin (1866-1925). Gedient hat er
zum Beispiel unter Hauptmann (später
General) Jean-Baptiste Marchand (18631934), dem Kommandeur der französischen
Truppen während der Fachoda-Krise (1898
zwischen Frankreich und Großbritannien).
Bevor er sein berühmtes Werk [Mangin,
Charles: La Force noire, Editions Hachette,
Paris 1910] über den Einsatz afrikanischer
Soldaten geschrieben hatte, präsentierte er in
Zeitungsartikeln [zwei Artikeln Juli 1909 in der
Revue de Paris] seine These, wonach es für
Frankreich von großer Bedeutung wäre, eine
„Schwarze Armee“ aufzustellen.
C. Mangin argumentierte, dass Frankreich aufgrund der
niedrigen Geburtenraten und der Reduzierung des
Militärdienstes auf zwei Jahre nicht mehr in der Lage
war, das zunehmende Defizit seiner Truppenstärke zu
verhindern.
Im Jahr 1907 hatte Frankreich 457 000 Soldaten. Wenn
dies so bleibt, schrieb C. Mangin, wird das Land
innerhalb von 10 Jahren nur noch 399 000 Soldaten
aufstellen können [In: Revue de Paris, N° des 1er et
15 juillet 1909].
1910 war C. Mangin in Westafrika unterwegs,
um seine Thesen zu festigen und vor allem
akzeptable Lösungsvorschläge zu präsentieren.
Am Ende dieser Mission war er überzeugt, dass
es möglich war, jährlich 40 000 neue Soldaten
(mit einer Dienstzeit von 5 Jahren) zu
rekrutieren.
Ein Jahr später (1911) war es dann so weit:
C. Mangin und der Kolonialminister konnten
endlich ihrer Regierung einen endgültigen
Vorschlag (eigentlich einen Doppelvorschlag)
vorlegen.
1. Aufstellung einer arabischen Armee, mit der
Bezeichnung Tirailleurs Algériens [AlgerienSchützen], als Unterstützung für die metropolitane
Armee.
2. Aufstellung einer Armée Noire [Schwarzen Armee]
mit der Aufgabe, das Kolonialreich (speziell in
Afrika) zu verteidigen. Sollte es notwendig sein,
könnte die Schwarze Armee neben den AlgerienSchützen und der regulären französischen Armee
überall eingesetzt werden.
Das Dekret von 1912 besiegelte die Aufstellung
der Schwarzen Armee. Demnach konnten die
„Indigenen“ im Alter zwischen 20 und 28
Jahren für eine Dauer von 4 Jahren rekrutiert
werden. Im Notfall, d.h., wenn das Prinzip des
freiwilligen Dienstes nicht ausreichte, war die
Kolonialadministration befugt, die Soldaten
zwangszurekrutieren.
 Am Anfang des Krieges zählte man 14 142 SenegalSchützen, die ihren Militärdienst in AOF machten
 15 600 befanden sich außerhalb Westafrika (meist in
Marokko stationiert).
 Ab September 1914 wurden alle senegalesischen
Bataillons (zwei aus AOF und je eins aus Marokko
und Algerien) nach Frankreich verlegt und direkt an
die Front gebracht. Man betrachtete sie als einfaches
Kriegsmaterial, das man überall einsetzen konnte.
Außerdem verlangte Frankreich von allen
Kolonien eine Art Kriegsbeitrag. Zusätzlich
zum Menschenpotential mussten nun die
Kolonien der Metropole andere Ressourcen
zur Verfügung stellen.
Die Kolonialadministration wurde ermächtigt,
Getreide, Mehl- und Ölprodukte von den
französischen Handelshäusern zu einem
bereits abgemachten Preis abzukaufen.
Ende 1917 beschloss Georges Clémenceau
(1841-1929) die Wiederaufnahme und
Beschleunigung des Rekrutierungsprozesses
[Clémenceau war zweimal Premierminister
(Okt. 1906 bis Juli 1909 bzw. Nov. 1917 bis Jan.
1920); er war ebenfalls Innenminister
(zwischen März 1906 und Juli 1909); Nov.
1917 bis Januar 1920 fungierte er als
Kriegsminister]
Am 08. Jänner 1918 wurde seinen Beschluss
vom Ministerrat bestätigt: demnach mussten
alle Afrikaner bis zum 35igsten Lebensjahr
rekrutiert werden.
Außerdem war das Rekrutierungssystem nicht
mehr nur auf AOF beschränkt.
So wurden neue Soldaten auch aus AEF geholt.
Tableau officiel des recrutements de 1914 à 1918
1914
1915
1916
1917
1918
Totaux
AOF
29 742
34 655
51 913
13 831
63 208
193 349
AEF
-----
3 766
-----
-----
14 164
17 910
Total
29 742
38 421
51 913
13 831
77 372
211 259
In: Sarraut, Albert: La mise en valeur des colonies françaises, Editions Payot, Paris
1923
Um eventuellen Widerständen zuvorzukommen,
mussten verantwortliche Politiker einige Versprechen
machen:
1. Familien von Soldaten mussten keine Steuern mehr zahlen.
2. Manche von ihnen sollten sogar eine staatliche
Familienbeihilfe bekommen.
3. Es gab auch die Möglichkeit, nach dem Militärdienst die
französische Staatsbürgerschaft zu erlangen.
4. Überdies werden bestimmte Jobs nur für ehemalige
Soldaten reserviert.
Erneut machte Frankreich einen folgenschweren Fehler
in seiner Kolonialpolitik, sofern es nicht bereit war,
seine Versprechen zu halten.
Die Enttäuschung bei den afrikanischen Soldaten war
dementsprechend groß.
Sie waren der Überzeugung, dass man sie bewusst
täuschen wollte.
Es waren solche Momente, die die Bewusstseinsbildung
und den Emanzipationsprozess entscheidend
beschleunigt haben.
Die Rekrutierungsstrategie von G. Clémenceau
bestand darin, einen Afrikaner zu beauftragen,
die Kolonisierten zu überzeugen, sich
rekrutieren zu lassen.
Es war der Senegalese Blaise Adolphe Diagne
(1872-1934), der den Auftrag bekommen
sollte.
B. Diagne war übrigens ein enger Freund von
G. Clémenceau.
1914 gewann er die Legislativwahlen in den
vier Gemeinden (Saint-Louis, Gorée, Dakar
und Rufisque) gegen den Kreolen François
Carpot (1862-1936) und wurde zum ersten
afrikanischen Abgeordneten (von 1914 bis
1934) im Palais Bourbon, dem Sitz des
französischen Parlaments.
B. Diagne war im Grunde ein typisches
Beispiel von einer gelungenen Assimilation.
Als überzeugter Frankophil verteidigte er 1932
in Genf Frankreichs Zwangsarbeitspolitik.
G. Clémenceau hatte alle Gründe, um ihn als
Hochkommissar für die Rekrutierung im
Staatssekretärrang zu ernennen.
Der damalige AOF-General-Gouverneur, Joost
van Vollenhoven war natürlich nicht mit G.
Clémenceaus Entscheidung einverstanden,
dass ein Afrikaner in der Kolonialhierarchie
über ihn placiert wurde.
Er demissionierte, ging nach Frankreich
zurück, zog in den Krieg ein und starb an der
Front (18. Juli 1918)
Es war für ihn als Kolonialchef inakzeptabel, die Macht
mit einem „Schwarzen“ zu teilen. So deklarierte er:
„Le Gouverneur général est le seul dépositaire; ceci est
clair, formel et définitif“
„Der Generalgouverneur ist der einzige Machthaber;
dies ist klar, formell und definitiv“
[In: Delavignette, Robert: Les constructeurs de la
France d‘Outre-mer, Editions Corrêa, Paris 1946, pp.
425-426]
 Das Rekrutierungskonzept stammte teilweise von B.
Diagne.
 Dies war sozusagen das Resultat einer langfristigen
Strategie, die darauf abzielte, dass kolonisierte
Menschen zu echten Franzosen werden, am
politischen Leben teilnehmen können, um später die
Macht demokratisch zu übernehmen.
 Deswegen wollte er unbedingt, dass afrikanische
Kriegsteilnehmer die französische Nationalität
bekommen.
 Aus diesem Grund wurden sogar zwei Gesetze
verabschiedet, die seinen Namen tragen: die LoisDiagne [Diagne-Gesetze] von 1915 und 1916.
 Es gelang ihm, mehr als 200 000 Soldaten zu
rekrutieren.
[LITERATUR: Koller, Christian: Von Wilden aller Rassen
niedergemetzelt. Die Diskussion um die
Verwendung von Kolonialtruppen in Europa
zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik
(1914-1930), Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001]
Während B. Diagne bemüht war, Soldaten für
die französische Armee einzuberufen, kam es
in machen Regionen zum organisierten
Widerstand. Und dies trotz der herrschenden
wirtschaftlichen und sozialen Krise, die
zahlreiche Menschen verleitete, sich doch
rekrutieren zu lassen, da sie die Hoffnung
hatten, bessere Aussichten in den Kasernen zu
finden.
Widerstandsbeispiele
1. Aufstand im Französisch-Sudan (ab 1915)
2. In Ober-Volta (Burkina Faso)
3. In Dahomey (Benin)
4. In Côte-d‘Ivoire
5. In Oubangui-Chari (Zentralafrikanischer Republik)
6. In Kongo
Allein für die Repression der Aufstände wurden mehr
als 4 000 Senegal-Schützen eingesetzt.
Bezüglich des Krieges, also der
Kampfhandlungen, war die Lage in Europa ein
Desaster für die Alliierten. In Afrika hingegen
konnten sie aufgrund der für sie vorteilhaften
Kräfteverhältnisse einige Erfolge erzielen:
Denn deutsche Gebiete wie Togo oder Kamerun
waren von französischen und englischen
Kolonien komplett umzingelt.
Der Gouverneur von Togo, Major Döring,
wollte eigentlich, dass seine Kolonie als
neutrale Zone deklariert wird. Aber Franzosen
und Engländer konnten ihn noch im August
1914 zur Kapitulation zwingen. Döring hatte
etwa 1 500 Soldaten, darunter 200 Deutschen,
zur Verfügung und daher militärisch kaum
Chancen, sich erfolgreich zu verteidigen.
In Kamerun hatte der Deutsche Oberst
Zimmermann, wegen der geographischen
Lage (Berge und Wälder) mehr
Verteidigungsmöglichkeiten. Ungefähr 3 500
Kämpfer standen ihm zur Verfügung, während
die Alliierten 13 000 Soldaten aufstellen
konnten. Februar 1916 musste Zimmermann
kapitulieren.
 In der Folge entschieden England und Frankreich,
Togo und Kamerun provisorisch zu verwalten:
 Togo-Abkommen: Sept. 1914
 Kamerun-Abkommen: März 1916
 Togo wurde in zwei Regionen geteilt: Frankreich
bekam 2/3 des Gesamtterritoriums, inklusive der
Hauptstadt Lomé (Einwohnerzahl: 747 000)
 Die Engländer übernahmen den Rest (Einwohnerzahl:
185 000)
Kamerun wurde dreifach geteilt:
1. Erster Teil, der schon Frankreich gehörte,
wurde an AEF angeschlossen.
2. Zweiter Teil (432 000 km² mit 2,8 Millionen
Einwohnern), ebenfalls Frankreich.
3. Dritter Teil (55 000 Einwohner) wurde
britisch.
Zwischen 1915 und 1917 existierten zwischen
den Alliierten (England und Frankreich) einige
Geheimabkommen. Demnach wollten sie die
deutschen Kolonien unter sich teilen.
Zu diesem Zeitpunkt war es schon klar, dass
Engländer und Franzosen sich darauf
vorbereiteten, nach dem Krieg die eigene
Kolonialpolitik fortzusetzen und zu
intensivieren.
Zu diesem Zweck wurde ab 1915 von Seiten der
Alliierten eine äußerst effiziente Propaganda
betrieben. Die Argumentation war deutlich:
„Deutschland ist in Wirklichkeit unwürdig, Kolonien zu
besitzen“
Eine offizielle Erklärung lautete, die Deutschen hätten
sich moralisch selbst abqualifiziert. Deshalb sprach
das Versailler-Abkommen Deutschland das Recht ab,
Kolonien zu besitzen.
Bezüglich der Nachkriegsordnung meldeten sich
die USA rechtzeitig und begannen, kräftig
mitzumischen.
Der US-amerikanische Präsident, Thomas
Woodrow Wilson (1856-1924), legte 1918 das
so genannte Selbstbestimmungsrecht der
Völker offiziell vor.
Der fünfte Punkt (insgesamt 14 Punkte) seines
Programms behandelte die Kolonialfrage.
Aus seiner Sicht waren die Kolonialvölker noch
unfähig, das Selbstbestimmungsrecht selbst
auszuüben [LITERATUR: Brunschwig, Henri:
L‘Expansion allemande outre-mer, PUF, Paris
1957, p. 182]
Prinzipiell waren die USA keine Antikolonialisten,
sondern waren als imperialistische Macht,
genauso wie Frankreich oder England, daran
interessiert, neue Märkte zu erschließen.
Die Kolonialsituation in Afrika hat sich nach dem
Ersten Weltkrieg nicht grundsätzlich geändert.
Am französischen Beispiel kann gezeigt werden,
dass die Kolonialstrukturen auch nach dem
Krieg bestätigt worden waren.
Der Kolonialminister, der im Namen des
französischen Staatschefs fungierte, herrschte
weiterhin wie ein Monarch über das
Kolonialreich.
Seine Omnipotenz kannte kaum Grenzen. Mit Unterstützung
seiner Generalgouverneure bzw. Lieutenants-Gouverneure
oder Kreiskommandanten verwaltete er im Rahmen der
zivilisatorischen Mission:
 AOF [4 633 985 km²: Senegal, Dahomey (Benin), FranzösischSudan (Mali), Französisch-Guinea (Guinea-Conakry), Niger,
Côte-d‘Ivoire, Haute-Volta (Burkina-Faso) und Mauretanien]
 AEF [2 510 000 km²: Oubangui-Chari (zentralafrikanische
Republik), Gabun, Moyen-Congo (Kongo-Brazzaville), Tschad]
 Das Tschad-Gebiet galt eigentlich als
Militärterritorium. 1920 von Oubangui-Chari
getrennt, als Kolonie deklariert und
dementsprechend strukturiert.
 Togo: von einem Commissaire de la République
(Republikkommissar) regiert; (die Bezeichnung
wurde später in „Gouverneur “ umgewandelt).
 Kamerun: auch unter der Leitung eines
Republikkommissars (später wurde er
Hochkommissar oder Generalgouverneur genannt).