25.Schadensrecht III

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Transcript 25.Schadensrecht III

Schuldrecht AT, 07.07.2014
PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)
§ 6: Schadensrecht
IV. Art und Umfang des Schadensersatzes
3. Sonderfälle
a. Entgangener Gewinn
§ 252 BGB. Entgangener Gewinn
Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den
entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn,
welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder
nach den besonderen Umständen, insbesondere nach
den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit
Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
• § 251 S. 1 BGB hat nur klarstellende Funktion, da es
früher umstritten war, ob das sogenannte lucrum
cessans zu ersetzen ist.
• § 252 S. 2 BGB dient der Beweiserleichterung. Der
Geschädigte muss nur Umstände darlegen, aus
denen sich die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns
ergibt.
• Ersatzfähig ist aber auch ein unwahrscheinlicher
Gewinn, wenn er nachgewiesen werden kann.
• Nicht zu ersetzen sind dagegen verlorene Chancen.
Beispiel:
Architekt A hat einen Beitrag zu einem Architektenwettbewerb in vielen Stunden mühsam erstellt. Aufgrund eines Fehlers des Ausschreibers wird sein Beitrag
aber als verspätet eingegangen nicht berücksichtigt. A
verlangt jetzt Schadensersatz, weil er meint, dass er
unter normalen Umständen eine Gewinnchance von
20% gehabt hätte.
b. Verlust von Gebrauchsvorteilen
Beispiel (nach BGHZ 98, 212):
Bei Renovierungsarbeiten am Haus der E hat der
Handwerker H nicht ganz sorgfältig gearbeitet und
dadurch die Statik beeinträchtigt. E kann deshalb ihr
Haus eine Weile nicht bewohnen und zieht den
Sommer über in ein Zelt im Garten. Nun verlangt E von
H Schadensersatz u.a. dafür, dass sie ihr Haus nicht
bewohnen konnte. Zurecht?
• Wenn ein Gegenstand aufgrund einer Beschädigung
nicht gebraucht werden kann, stellt sich die Frage, ob
der Verlust der Gebrauchsvorteile zu ersetzen ist.
• Bei wirtschaftlichem Einsatz des beschädigten
Gegenstands kann regelmäßig Ersatz des
entgangenen Gewinns verlangt werden.
• Wenn der Geschädigte für den beschädigten Gegenstand Ersatz angemietet hat, können die Kosten als
Naturalrestitution (§ 249 II 1 BGB) ersetzt werden.
Beispiel:
E ist in unserem Eingangsbeispiel nicht in ein Zelt in
ihrem Garten, sondern in eine Wohnung zur
Zwischenmiete gezogen.
• Wird der Gegenstand nicht erwerbswirtschaftlich
genutzt und mietet der Geschädigte keinen Ersatz an,
ist ein Geldersatz für den Verlust der
Gebrauchsvorteile problematisch.
• Verlorene Gebrauchsvorteile sind eigentlich nur
immaterielle Schäden, nämlich Unannehmlichkeiten,
für die es Ersatz nur bei ausdrücklicher Anordnung
durch Gesetz gibt (§ 253 I BGB).
• BGH gewährt unter bestimmten Umständen Geldersatz
(durchschnittliche Mietkosten minus Gewinnanteil)
• Grund: Geschädigter hätte Ersatz anmieten können und
Schädiger soll durch die Sparsamkeit des Geschädigten
nicht bessergestellt werden.
Voraussetzungen nach BGH:
• Es muss der Gebrauch eines Wirtschaftsguts von allgemeiner, zentraler Bedeutung für die Lebenshaltung
beeinträchtigt sein.
(Beispiele: Haus, Auto; nicht: Luxusgüter wie Jacht,
Schwimmbad, Pelzmantel usw.)
• Der Geschädigte hätte den Gegenstand auch nutzen
können, der Gebrauchsverlust muss für ihn fühlbar
gewesen sein.
Beispiel: Der Geschädigte liegt selbst im Krankenhaus.
c. Ersatz von Vorsorgeaufwendungen
Beispiel:
S kauft gerne in den Geschäften ein, ohne zu bezahlen.
Als ihn der Detektiv D des Kaufhauses K eines Tages
erwischt, ist S recht erstaunt. Noch erstaunter ist S, als
K von ihm 100 € dafür an Schadensersatz verlangt, dass
K den D zur Überwachung eingesetzt hat. K meint, es
habe den D nur deshalb eingestellt, weil es Leute wie S
gäbe. Daher solle S auch für D‘s Kosten aufkommen.
Zurecht?
• Kosten, die jemand vor einer Schädigung zur Abwendung oder Vermeidung von Schäden aufwendet,
sind nicht durch die Schädigung verursacht.
• Es fehlt an der haftungsausfüllenden Kausalität, daher kann grds. kein Schadensersatz verlangt werden.
• Nach BGH können aber ausnahmsweise die Kosten von
Ersatzfahrzeugen anteilmäßig ersetzt verlangt werden,
die der Geschädigte eigens für Ausfälle bereithält.
Beispiel (nach BGHZ 32, 280):
A beschädigt bei einem Unfall fahrlässig einen Bus der
Verkehrsgemeinschaft Osnabrück (VOS). Der Bus fällt
wegen der notwendigen Reparaturarbeiten zwei Wochen
aus. Die VOS setzt während dieser Zeit einen Ersatzbus
ein und verlangt nun die Kosten, die ihr durch das
Vorhalten des Ersatzbusses in diesem Zeitraum
entstanden sind.
• In der Literatur wird ein Ersatz der Vorhaltekosten auch
in diesen Fällen abgelehnt, weil die Vorsorge im Eigeninteresse des Geschädigten liege. Der Schädiger müsse
und dürfe den Geschädigten so nehmen, wie er ist.
d. Verlust der Arbeitskraft
• Wenn jemand aufgrund einer Verletzung (eine Zeitlang)
nicht mehr arbeiten kann, ist ein entgangenes Einkommen als Vermögensschaden nach §§ 249 I, 252 BGB
zu ersetzen.
• Umstritten ist, ob auch der Verlust einer ehrenamtlich
eingesetzten Arbeitskraft finanziell zu entschädigen ist.
Beispiel:
A arbeitet ehrenamtlich bei der Diakonie als Fahrer. Bei
einem von S verschuldeten Unfall wird er verletzt und kann
drei Wochen nicht arbeiten.
• Für Ersatz: Schädiger soll nicht besser stehen, wenn vergleichbare Arbeit sonst nur gegen Entgelt erbracht wird.
• Gegen Ersatz: Arbeitskraft als solche ist kein Vermögenswert, sondern eine nicht geldwerte Eigenschaft.
e. Urlaub und Freizeit
Beispiel (BGH NJW 1956, 1234):
M und seine Ehefrau F hatten zusammen eine Kreuzfahrt
in der Karibik gebucht. Bei dem Hinflug wurde ihr Gepäck
aufgrund eines Versehens der Zollbehörde nicht mittransportiert. M und F mussten deshalb die ersten fünf
Tage der Kreuzfahrt ohne ihr Gepäck auskommen. Sie
verlangen nun Schadensersatz dafür, dass sie fünf Tage in
der gleichen Kleidung zubringen mussten und deshalb die
Reise nicht wie geplant genießen konnten.
• BGH hat Schadensersatz gewährt, weil der Genuss
durch den Reisepreis erkauft und dadurch
„kommerzialisiert“ sei.
• Erkaufte und entgangene Urlaubsfreuden sollten also
einen Vermögensschaden darstellen.
• Für den Reisevertrag wurde 1979 eine eigenständige
Anspruchsgrundlage für nutzlos aufgewendete
Urlaubszeit geschaffen:
651f BGB. […] (2) Wird die Reise vereitelt oder erheblich
beeinträchtigt, so kann der Reisende auch wegen nutzlos
aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene
Entschädigung in Geld verlangen.
• BGH deutet § 651f II BGB heute als Anspruch auf
Ersatz eines immateriellen Schadens und damit als
Ausnahmevorschrift im Sinne des § 253 I BGB.
• § 651f II BGB kann bei anderen Verträgen mit
Erholungscharakter analog angewandt werden.
• Im Deliktsrecht scheidet heute ein Ersatz des immateriellen Schadens bei beeinträchtigten Urlaubsfreuden
mangels Ausnahmevorschrift iSd § 253 I BGB aus.
V. Mitverantwortlichkeit des Geschädigten
Beispiel:
A und B sind Rivalen um die Gunst der G. Sie beschließen,
den Streit mit den Fäusten auszutragen. Bei dem Boxkampf
schlägt B dem A vorsätzlich so in die Nieren, dass dieser
zusammenbricht und nur durch eine Operation gerettet
werden kann. Dabei weigert sich A allerdings, einer
medizinisch indizierten Bluttransfusion zuzustimmen, so
dass es zu Komplikationen kommt. A muss deshalb länger
im Krankenhaus bleiben und verliert auch einen wichtigen
Auftrag, weil er es versäumt, einen Geschäftstermin
umzulegen. Welche Ansprüche hat A gegen B?
• Schäden werden häufig durch den Geschädigten
mitverursacht. Das Recht muss klären, welche
Mitverursachungen in welcher Weise relevant sind.
1. Die Grundentscheidungen des § 254 BGB
• Erstens: Die Verantwortlichkeit des Gläubigers ist
grundsätzlich entsprechend der Verantwortlichkeit
des Schuldners zu bestimmen. Gläubiger und
Schuldner werden hier gleichbehandelt.
• Zweitens: Der Schaden ist entsprechend der Verantwortlichkeitsanteile beider Parteien zu quoteln. Es gilt
nicht das frühere Prinzip der „Culpakompensation“.
2. Anwendungsbereich des § 254 BGB
• Es gibt eine Reihe von Sondervorschriften, die entweder auf § 254 BGB verweisen (z.B. § 9 StVG) oder
eigenständige Regelungen treffen (z.B. §§ 122 II, 179 III
BGB).
• Soweit keine Sondervorschriften eingreifen, ist § 254
BGB auf alle Schadensersatzansprüche anwendbar.
§ 254 BGB. Mitverschulden
(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein
Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die
Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu
leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere
davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem
einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des
Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen
hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich
hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der
Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder
dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder
zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet
entsprechende Anwendung.
3. Tatbestandsvoraussetzungen des § 254 BGB
a. Überblick
§ 254 BGB enthält verschiedene Varianten:
• Abs. 1 betrifft den Fall, dass der Geschädigte schon
den Schadenseintritt mitzuverantworten hat.
• Abs. 2 S. 1 1. Fall betrifft den Fall, dass der
Geschädigte den Schädiger nicht vor der Gefahr eines
ungewöhnlich hohen Schadens gewarnt hat.
• Abs. 2 S. 1 2. und 3. Fall betrifft die Fälle, in denen
zwar grundsätzlich ein den Schadensersatzanspruch
begründendes Ereignis ohne Mitwirkung des Gläubigers eingetreten ist, aber der Gläubiger es unterlassen
hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern.
• Abs. 2 S. 2 regelt die Verantwortlichkeit des Gläubigers
für Dritte.
b. § 254 I BGB: Mitverantwortlichkeit für die Entstehung
des Schadens
• Entgegen dem Wortlaut kommt es bei § 254 I BGB nicht
auf ein echtes Verschulden des Geschädigten an.
• Den Geschädigten trifft keine Pflicht, sich oder seine
Rechtsgüter nicht zu schädigen, sondern nur eine
Obliegenheit nach § 254 I BGB.
• Verhält der Geschädigte sich nicht sorgfaltsgemäß, muss
er sich ggf. eine Kürzung des Schadensersatzanspruchs
gefallen lassen.
Beispiel:
A guckt beim Einbiegen in eine Kreuzung nur nach rechts
und stößt prompt mit dem B zusammen, der ihm die
Vorfahrt genommen hat. Das Auto des A wird dabei stark
beschädigt. Was kann A von B verlangen?
Voraussetzungen des § 254 I BGB:
• Ein Verhalten des Geschädigten war für den
Schadenseintritt (mit-)ursächlich.
• Der Schaden ist dem Geschädigten auch (mit)
zurechenbar.
• Das Verhalten des Geschädigten war sorgfaltswidrig:
– Der Sorgfaltsmaßstab ist für den Geschädigten
entsprechend § 276 BGB zu bestimmen.
– Im Bereich der Gefährdungshaftung muss sich auch
der Geschädigte die Gefahren seiner Rechtsgüter
(z.B. Kfz) zurechnen lassen.
• § 254 BGB setzt die Zurechnungsfähigkeit des
Geschädigten voraus. §§ 827f. BGB sind deshalb
entsprechend anzuwenden.
c. § 254 II 1 1. Fall BGB: Unterlassene Warnung vor
ungewöhnlich hohem Schaden
• Zwar haftet ein Schädiger grundsätzlich auch für
außergewöhnlich hohe Schäden.
• Wenn jemand aber weiß, dass er oder seine Rechtsgüter besonders schadensanfällig sind, soll er andere
warnen, so dass sie besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen können.
Beispiel:
A beauftragt den X damit, ein Paket für ihn nach
München zu bringen. A sagt dem X nicht, dass sich in
dem Paket extrem teure Eier einer seltenen
Schlangenart befinden. X behandelt das Paket dann
etwas ruppig, so dass alle Eier zerstört werden. Was
kann A von X verlangen?
d. § 254 II 1 2. und 3. Fall BGB: Unterlassene
Schadensabwendung oder Schadensminderung
• Die Obliegenheit zur Schadensabwendung oder zur
Minderung eines Schadens besteht nur im Rahmen des
Zumutbaren.
Beispiel:
A wird bei einem von S verschuldeten Verkehrsunfall
schwer verletzt. Er wird arbeitsunfähig bleiben, wenn er
sich nicht einer aufwendigen Operation unterzieht. Muss
A die Operation vornehmen lassen, oder kann er eine
dauerhafte Rente von S beziehen?
• Eine ärztliche Behandlung muss man vornehmen lassen,
eine Operation aber nur, wenn sie gefahrlos, ohne
große Schmerzen und mit sicherem Erfolg möglich ist.
• Kosten der Minderung sind als Schaden zu ersetzen.
e. § 254 II 2 BGB: Die Verantwortlichkeit für Dritte
• Nach h.M. ist § 254 II 2 BGB wie ein eigenständiger
Abs. 3 zu lesen und deshalb auch im Fall des Abs. 1
anzuwenden.
• Umstritten ist, ob der Verweis auf § 278 BGB ein
Rechtsgrundverweis (dann nur in bestehendem
Schuldverhältnis anwendbar) oder ein Rechtsfolgenverweis (dann allgemein anwendbar) ist.
Beispiel (nach OLG Zweibrücken NJW-RR 2006, 1165):
Die achtjährige K kletterte bei einem Hallenfußballturnier auf das vom Veranstalter V unzureichend
gesicherte Gerüst der Zuschauertribüne. Dabei stürzte
K ab und verletzte sich schwer. V verteidigt sich gegen
den Schadensersatzanspruch der K damit, dass die
Mutter der K nicht ordentlich auf sie aufgepasst habe.
4. Rechtsfolgen des § 254 BGB
• Gemäß § 254 I BGB hängt der Umfang der Ersatzpflicht vom Maß der jeweiligen Verantwortlichkeit
der beteiligten Parteien ab.
• In extremen Situationen kann ein Schadensersatzanspruch sogar ganz wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein.
• Normalerweise sind Quoten abhängig von den Verursachungsbeiträgen bzw. vom Anteil des Verschuldens zu bilden.
Beispiel:
Der unvorsichtige A läuft ohne zu gucken auf die Straße
und direkt vor das Auto des B. B fuhr zu schnell und
hätte bei Einhaltung der erlaubten Geschwindigkeit
noch bremsen können. A wird schwer verletzt.
Literaturhinweise:
• Bennecke/Pils, Der Ersatz des Nutzungsinteresses
- Nutzungsersatz für eigenwirtschaftlich genutzte
Gegenstände als Schwäche der
Differenzmethode, JA 2007, 241-244
• Mohr, Berechnung des Schadensersatzes im
Wege der Kompensation und Anrechnung eines
Mitverschuldens, Jura 2010, 808-819