24.Schadensrecht II

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Transcript 24.Schadensrecht II

Schuldrecht AT, 01.07.2014
PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)
§ 6: Schadensrecht
III. Die ersatzberechtigten Personen
Beispiel:
Der Regisseur R wird bei der Fahrt zu einem Drehtermin
bei einem von X fahrlässig verursachten Unfall verletzt. R
muss deshalb im Krankenhaus mehrere Tage behandelt
werden. Infolge des Krankenhausaufenthalts müssen
mehrere Drehtermine verschoben werden. Der Filmgesellschaft F, die den von R gedrehten Film produziert,
entstehen so Mehrkosten von 2 Mio €.
Welche Ansprüche haben R und F gegen X?
• Schadensersatzansprüche setzen grundsätzlich voraus,
dass der Geschädigte in eigenen Rechtsgütern oder
Rechten verletzt wird. Eine verletzte Pflicht muss
gerade ihm gegenüber bestanden haben.
• Dritte, die infolge der Verletzung des unmittelbar
Geschädigten einen Vermögensschaden erlitten
haben, müssen diesen Schaden grundsätzlich selbst
tragen.
Ausnahmen im Deliktsrecht:
• § 844 I BGB: Ersatz der Beerdigungskosten
• § 844 II BGB: Ersatz des Unterhaltsschadens.
Angehörige haben einen eigenen Ersatzanspruch bei
der Tötung eines Unterhaltsverpflichteten.
• § 845 BGB: Schadensersatz wegen entgangener
Dienste. War der Verletzte oder Getötete einem
Dritten zu Diensten verpflichtet, erhält dieser Dritte
einen eigenen Schadensersatzanspruch. Ehegatten
sind einander nicht mehr zu Diensten verpflichtet,
nur noch Kinder den Eltern (§ 1619 BGB).
Drittschadensliquidation
• Das Prinzip, dass nur der Schaden des unmittelbar
Verletzten zu ersetzen ist, bedeutet auch, dass der
Verletzte grundsätzlich keinen Schaden eines
Dritten geltend machen kann.
• Infolge vertraglicher Gestaltungen kann es aber dazu
kommen, dass sich ein Schaden aus Sicht des
Schädigers zufällig vom unmittelbar Verletzten auf
einen Dritten verlagert.
• Damit der Schädiger durch eine zufällige Schadensverlagerung nicht unbillig entlastet wird, lässt man
in solchen Fällen die Geltendmachung des Schadens
des Dritten durch den unmittelbar Verletzten ausnahmsweise zu (sogenannte Drittschadensliquidation).
Grundprinzip der Drittschadensliquidation:
Voraussetzungen einer Drittschadensliquidation:
• S verletzt V, so dass V einen Schadensersatzanspruch
gegen S erhält.
• V hat aber keinen eigenen Schaden, sondern dieser
entsteht, für S zufällig, bei D.
• D hat keinen eigenen Schadensersatzanspruch
gegen S.
Rechtsfolgen der Drittschadensliquidation:
• V darf dann ausnahmsweise den Schaden des D von
S ersetzt verlangen.
• D hat regelmäßig einen Anspruch gegen V auf
Herausgabe des von S Erlangten, bzw. auf Abtretung
des Schadensersatzanspruchs gegen S.
Der Schaden wird vom Dritten zum Verletzten gezogen.
Der Verletzte darf dann den Schaden des Dritten liquidieren:
Verletzter
Schaden
Schadensersatzanspruch
Anspruch auf Abtretung
des Anspruchs gegen
den Schädiger bzw. auf
Herausgabe des Erlöses.
Dritter
Schaden
Schädiger
Die Drittschadensliquidation sollte nur restriktiv und
nur in anerkannten Fallgruppen angewandt werden!
1. Obligatorische Gefahrentlastung
Beispiel:
Der Hamburger Modellbauer M soll ein Modell der
Queen Mary für den Münchener K erstellen. Als das
Modell fertig ist, beauftragt M den F damit, das Modell
zu K nach München zu bringen. Auf der Fahrt verursacht F fahrlässig einen Unfall, bei dem auch das
Modell zerstört wird.
• V hat zwar Ansprüche aus §§ 662, 280 I BGB und
§ 823 I BGB gegen F, aber keinen Schaden, weil K
bereits die Gefahr trägt (§ 447 BGB).
• Bei gewerblichem Transport gibt es Sondervorschriften, die dem Dritten einen Anspruch geben.
2. Mittelbare Stellvertretung
Beispiel:
Der Kommissionär K kauft bei dem Galeristen G im
eigenen Namen für Rechnung des X zum Preis von
20.000 € ein Bild. Dabei sichert G dem K zu, dass das
Bild ein Original sei. X ist nur vorübergehend von dem
Bild begeistert, weil er schnell die Fälschung erkennt. Er
ist schwer enttäuscht, weil er schon einen Käufer für
das Bild hatte, der 25.000 € geboten hatte.
• Bei einer mittelbaren Stellvertretung handelt der
mittelbare Stellvertreter im eigenen Namen, aber für
Rechnung des Auftraggebers.
• Der mittelbare Stellvertreter schließt also einen
eigenen Vertrag ab, die Folgen treffen aber
wirtschaftlich nicht ihn, sondern den Auftraggeber.
3. Obhut für fremde Sachen
Beispiel:
A hat den Malermeister M mit dem Streichen seiner
Wohnung beauftragt. Der sonst zuverlässige Geselle G
des M hantiert bei den Arbeiten einmal etwas
ungeschickt und bekleckst dabei ein Buch, das sich A
von seinem Freund F geliehen hatte.
• Wenn der grundsätzlich ersatzberechtigte Vertragspartner eine fremde Sache in Obhut hat, die beschädigt wird, soll er nach h.M. den Schaden an der Sache
geltend machen dürfen, weil die Eigentumsverhältnisse aus Sicht des Schädigers zufällig sind.
• M.M.: Der dritte Eigentümer soll einen eigenen
Schadensersatzanspruch über die Grundsätze des
Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erhalten.
IV.Art und Umfang des Schadensersatzes
1. Der Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 BGB)
§ 249 Art und Umfang des Schadensersatzes
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand
herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz
verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
• Schadensersatz ist nach dem BGB grundsätzlich nicht in
Geld, sondern in Natur zu leisten (Naturalrestitution).
• Der Schädiger hat möglichst genau den Zustand
herzustellen, der ohne das schadensstiftende Ereignis
bestehen würde.
• Da das schadensstiftende Ereignis nicht ungeschehen gemacht werden kann, ist eine exakte Naturalrestitution nie
möglich. Es bedarf einer wertenden Entscheidung, was
noch als Naturalrestitution angesehen werden kann.
Beispiel:
Bei einem von S verschuldeten Unfall ist der Wagen des A
vollständig zerstört worden. A verlangt nun von S, dass er
ihm einen vergleichbaren Gebrauchtwagen kauft.
• § 249 BGB schützt das Erhaltungs- oder Integritätsinteresse des Geschädigten. Er kann Naturalrestitution
grundsätzlich auch dann verlangen, wenn die Herstellungskosten über sein Wertinteresse hinausgehen.
• Bei der Verletzung einer Person oder der
Beschädigung einer Sache kann der Gläubiger statt
der Naturalrestitution gemäß § 249 II 1 BGB auch den
dafür erforderlichen Geldbetrag verlangen.
• Bei allen anderen Schäden geht dies nach § 250 BGB
erst nach einer erfolglosen Fristsetzung durch den
Gläubiger.
• In den Fällen der §§ 249 II 1, 250 BGB tritt der Schadensersatz in Geld an die Stelle der Naturalrestitution.
• In den Fällen des §§ 249 II 1, 250 BGB muss eine
Naturalrestitution möglich sein.
• Geschuldet wird deshalb das Geld, das für eine
Naturalrestitution erforderlich wäre.
Beispiel:
Diesmal hat S fahrlässig den geliebten BMW des A stark
beschädigt. Mit großem Aufwand ließe sich der Wagen
aber wieder in Stand setzen. Dies kostete aber 50% mehr
als der Kauf eines vergleichbaren Ersatzwagens. Was kann
A von S verlangen?
• Sind mehrere Möglichkeiten der Naturalrestitution
möglich, muss der Geschädigte unter ihnen nach dem
Gebot der Wirtschaftlichkeit auswählen.
• Bei Sachschäden kann der Geschädigte nach h.M. in
den Fällen der §§ 249 II 1, 250 BGB frei entscheiden,
ob er den Geldbetrag tatsächlich zur Naturalrestitution einsetzt.
• Umsatzsteuer kann nach § 249 II 2 BGB aber nur verlangt werden, wenn sie tatsächlich angefallen ist.
• Bei Personenverletzungen muss der Geldbetrag dagegen zur Naturalrestitution eingesetzt werden. Der
Gläubiger soll seinen Körper nicht zu Geld machen.
Beispiel:
V hat den A bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Es
gelingt den Ärzten nur durch eine Notoperation, das
Leben des A zu retten. Dabei bleiben hässliche Narben
am Bauch zurück. A verlangt nun von V die Kosten einer
Operation zur Entfernung der Narben.
2. Entschädigung in Geld (Wertersatz)
§ 251 Schadensersatz in Geld ohne Fristsetzung
(1) Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der
Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld zu entschädigen.
(2) Der Ersatzpflichtige kann den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Herstellung nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist. Die aus der Heilbehandlung eines verletzten Tieres entstandenen
Aufwendungen sind nicht bereits dann unverhältnismäßig, wenn sie dessen Wert erheblich übersteigen.
• Bei § 251 BGB geht es nicht wie bei § 249 II BGB um
die Kosten einer Naturalrestitution, sondern um den
Ersatz des Wertinteresses.
• Zu ersetzen ist die Differenz zwischen dem Wert, den
das Vermögen des Geschädigten ohne das
schadensstiftende Ereignis gehabt hätte, und dem
Wert, den das Vermögen gegenwärtig hat.
• § 251 BGB regelt den Wertersatz in Geld aus zwei
unterschiedlichen Perspektiven:
– Abs. 1 sagt, wann der Geschädigte solchen
Wertersatz verlangen kann;
– Abs. 2 sagt, wann der Schädiger den Geschädigten
auf solchen Wertersatz verweisen kann.
• § 251 I 1. Fall BGB gibt dem Geschädigten einen
Anspruch auf Wertersatz, wenn die
Naturalrestitution unmöglich (§ 275 BGB) ist.
• Ein Anspruch nach § 249 BGB ist ausgeschlossen, aber
der Schuldner soll dadurch nicht entlastet werden.
• § 251 I 2. Fall BGB gibt dem Geschädigten einen
Anspruch auf Wertersatz, wenn eine Naturalrestitution zur Entschädigung nicht genügend ist.
Beispiel:
S hat den Neuwagen des O bei einem Unfall fahrlässig
stark beschädigt. Zwar kann der Wagen repariert
werden. Er hat aber auch nach der Reparatur einen
bleibenden Minderwert von 5000 €, weil das Auto nun
als Unfallwagen gilt.
• Nach § 251 II 1 BGB kann der Schädiger den
Gläubiger auf Wertersatz verweisen, wenn eine
Naturalrestitution nur mit unverhältnismäßigen
Mitteln möglich wäre.
• Bei der Heilbehandlung von Tieren gilt die
Sondervorschrift des § 251 II 2 BGB.
Beispiel (nach LG Baden-Baden NJW-RR 1999, 609):
Der auf andere Rüden häufig aggressiv reagierende
Schäferhund Crunch des V verletzte die zarte
Promenadenmischung des E bei einer unprovozierten
Attacke schwer, so dass E insgesamt 2500 € für die
Heilung seines Hundes ausgeben musste. Den
Mischling hatte E selbst für 50 € erworben.
• Bei Personenverletzungen findet § 251 II 1 BGB
keine Anwendung. Die Heilung eines Menschen ist
grundsätzlich nicht unverhältnismäßig, solange sie
medizinisch möglich ist.
Beispiel:
Der Fahrradfahrer F hat neulich die Rentnerin R
umgenietet, so dass ihre Hüfte hinüber ist. F will keine
neue Hüfte „für die Alte Schachtel“ mehr bezahlen.
2. Der Ersatz immaterieller Schäden
Bei der Schädigung immaterieller Güter kann der
Geschädigte:
 grundsätzlich Naturalrestitution nach § 249 I BGB
verlangen.
 Entschädigung in Geld gemäß § 253 I BGB nur dann
verlangen, wenn dies ausnahmsweise durch das
Gesetz ausdrücklich zugelassen wird.
• Das BGB ist gegenüber einer Geldentschädigung bei
immateriellen Schäden zurückhaltend.
• Immaterielle Güter sollen nicht im Wege eines
Schadensersatzanspruchs kommerzialisiert werden.
• Auch bei der Bestimmung dessen, was als Naturalrestitution nach § 249 I BGB möglich ist, sollte die
grundsätzlich ablehnende Haltung des BGB gegenüber finanziellen Entschädigungen bei immateriellen
Schäden beachtet werden.
Beispiel (nach OLGZ 1973, 7):
A ist ein begeisterter Großwildjäger. Seine wichtigste
Trophäe ist ein großer Bärenschädel, den er auf einer
Jagd in Ungarn eigenhändig erlegt hat. Bei Malerarbeiten gießt der Maler M aus Versehen einen Eimer
Farbe über den Schädel aus, so dass dieser irreparable
Schäden davonträgt. A ist zutiefst enttäuscht. Er
möchte nun von M die Kosten einer neuen Jagd in
Ungarn ersetzt bekommen, damit er sich einen neuen
Bärenschädel besorgen kann. Zurecht?
Geldersatz bei immateriellen Schäden gibt es:
• nach § 651f II BGB bei nutzlos aufgewendeter
Urlaubszeit,
• nach § 253 II BGB bei der Verletzung des Körpers, der
Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung auch für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (sogenanntes Schmerzensgeld).
• auf der Grundlage von Artt. 1, 2 I GG bei
Persönlichkeitsverletzungen.
a. Der Anspruch nach § 253 II BGB
• § 253 II BGB gilt im gesamten Schuldrecht, dh.
sowohl im Delikts- als auch im Vertragsrecht sowie
in allen anderen Schuldverhältnissen, insbesondere
auch bei Tatbeständen der Gefährdungshaftung.
ii. Voraussetzungen des § 253 II BGB
• § 253 II BGB gibt keinen eigenständigen
Schadensersatzanspruch, sondern setzt eine
bestehende Haftungsgrundlage voraus, deren Inhalt
durch § 253 II BGB näher geregelt wird.
• Neben einer Schadensersatzanspruchsgrundlage
verlangt § 253 II BGB noch, dass eines der dort
genannten Rechtsgüter verletzt worden ist.
Beispiel:
A ist mit der Bahn von München nach Hamburg unterwegs gewesen. Alle Toiletten des Zuges waren aufgrund
von „Funktionsstörungen“ ausgefallen, so dass es A
schon ab Nürnberg stark pressiert hat. Angekommen in
Hamburg und endlich erleichtert verlangt er nun
Schmerzensgeld von der Bahn. Zurecht?
ii. Bemessung des Schmerzensgelds
• Das Schmerzensgeld erfüllt nach traditioneller
Auffassung zwei Funktionen:
– Genugtuungsfunktion: Der Geschädigte soll dafür
Ersatz bekommen, dass der Schädiger in seine
immateriellen Güter eingegriffen hat (nach h.M. nur
bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit von
Bedeutung).
– Ausgleichsfunktion: Es soll dem Geschädigten
einen finanziellen Ausgleich für die immateriellen
Verluste gewähren.
Beispiel:
Der Arzt A führt eine Operation fahrlässig so aus, dass
der Patient P im Koma verbleibt. Hat P einen Anspruch
auf Schmerzensgeld gegen A?
b. Entschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen
• Der BGH hat einen eigenen Anspruch auf
Geldentschädigung bei Persönlichkeitsverletzungen
unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet.
• Artt. 1, 2 I GG geböten, dass Verletzungen des
Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht ohne Ersatz
bleiben dürften.
• Eine Entschädigung in diesen Fällen soll insbesondere
auch Präventivfunktionen erfüllen.
Beispiel:
Caroline von Monaco ist ein beliebtes Ziel von Paparazzi,
die ihr und ihren Kindern überall auflauern. Gerade hat
wieder jemand ihre Tochter beim Spielen photographiert
und das Bild an das Magazin M verkauft, das es sogleich
abgedruckt hat. Ansprüche Carolines gegen M?
Literaturhinweise:
• Bredemeyer, Das Prinzip
"Drittschadensliquidation", JA 2012, 102-107
• Oetker, Versendungskauf, Frachtrecht und
Drittschadensliquidation, JuS 2001, 833-841
• Spancken/Schneidenbach, Die Berechnung des zu
ersetzenden Schadens anhand der §§ 249 ff. BGB
- Ein Leitfaden, JuS 2012, 298-302
• Verweyen, Gegenläufige Entwicklungstendenzen
bei der Drittschadensliquidation?, Jura 2006, 571575