Transcript Document

WIRTSCHAFTSPRIVATRECHT
Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen
Dr. Florian Modlinger
Diplom-Betriebswirt und Fachanwalt für Steuerrecht
Zusätzliche Übungsfälle
Wintersemester 2014/2015
ÜBUNGSFALL
Sachmangel
Herr König (K) kauft beim Händler Vogel (V) für 9990 € einen neuen roten Fiat
Punto, den er sich auf dem Hof selbst ausgesucht hat. Als K mit dem Wagen einige
Tage unterwegs ist, stellt er fest, dass der Motor wegen eines (schon von Anfang
an vorhandenen) Defekts schlecht anspringt, unrund läuft und immer wieder
ausgeht. Er überlegt sich, welche Ansprüche und Rechte er gegenüber V hat.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
2
ÜBUNGFALL
Musterlösung
I. Anspruch auf Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB
K könnte gegen V einen Anspruch auf Nacherfüllung entweder durch Reparatur
des Wagens (Nachbesserung) oder durch Lieferung eines mangelfreien anderen
Wagens (Ersatzlieferung) aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB haben.
1. Anspruch entstanden
Der Anspruch ist entstanden, wenn K und V einen wirksamen Kaufvertrag über
den Fiat geschlossen haben, der Fiat bei Gefahrübergang mangelhaft war und die
Mängelhaftung nicht ausgeschlossen ist.
a) Kaufvertrag
K und V haben einen wirksamen Kaufvertrag gem. § 433 BGB über einen neuen
Fiat geschlossen.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
3
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
b) Weitere Voraussetzung wäre das Vorliegen eines Sachmangels nach § 434 BGB. Ein
Sachmangel ist die negative Abweichung der Istbeschaffenheit von der
Sollbeschaffenheit.
Hier haben K und V keine konkreten Beschaffenheitsvereinbarungen getroffen, so
dass der Fiat keinen Mangel nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB aufweist. Möglicherweise
eignet er sich aber nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung
(§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB). Der Käufer eines Kraftfahrzeugs will dieses zum
Fahren nutzen. Deshalb setzt er voraus, dass ein Neufahrzeug sich in einem fahrbereiten
Zustand befindet. Dazu gehört, dass es problemlos anspringt, rund läuft
und nicht beim Fahren ausgeht. Das weiß auch der Verkäufer. Der von V an K
verkaufte Fiat eignet sich deshalb nicht für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung.
Er weist damit einen Sachmangel gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB
auf.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
4
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
c) Dieser Sachmangel müsste bei Gefahrübergang bestanden haben. Wann die Gefahr
des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung der Sache auf
den Käufer übergeht, ist in den §§ 446 und 447 BGB geregelt. Dabei stellt § 446
S. 1 BGB den Grundsatz auf, dass die Gefahr mit der Übergabe auf den Käufer
übergeht. Hier bestand der Motordefekt bereits, als V das Auto an K übergeben
hat. Der Fiat war also bereits bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet.
d) Kein Ausschluss der Mängelhaftung
Gründe für einen Ausschluss der Haftung des Verkäufers sind nicht ersichtlich.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
5
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
2. Anspruch erloschen?
Hindernisse, welche einer Reparatur des Wagens entgegenstehen könnten, sind nicht
ersichtlich. Dagegen könnte der Anspruch auf Lieferung eines Ersatzfahrzeuges gem.
§ 275 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen sein. In diesem Falle
stünde dem K allein ein Anspruch auf Reparatur des gekauften Wagens zu. Grund
für die Unmöglichkeit der Ersatzlieferung könnte das Vorliegen eines Stückkaufes
sein. Der Kauf eines Neuwagens ist mit einem Gattungskauf vergleichbar, weil es den
Verkäufer und Käufer nicht maßgeblich darauf ankommt, genau den ausgesuchten Wagen
zu veräußern bzw. zu erwerben.
Die Ersatzlieferung ist hier also nicht
nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Vielmehr sind beide Arten der Nacherfüllung
möglich.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
6
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
3. Anspruch durchsetzbar
Der Anspruch ist auch durchsetzbar. Insbesondere ist keine der beiden Arten der
Nacherfüllung mit für den Verkäufer unverhältnismäßigen Kosten verbunden
(§ 439 Abs. 3 BGB), und der Nacherfüllungsanspruch ist nicht verjährt (§§ 438 Abs. 1 Nr. 3,
214 BGB).
Ergebnis:
Damit ist der Nacherfüllungsanspruch entstanden. K hat gem. § 439 Abs. 1 BGB
grundsätzlich die Wahl zwischen der Beseitigung des Mangels und der Lieferung
eines neuen Wagens.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
7
ÜBUNGSFALL
1. Abwandlung
Wegen eines defekten Kabels funktionieren „nur“ die automatischen Fensterheber
nicht, während der Wagen aber sonst einwandfrei ist. K will wissen, ob er nur Reparatur
des Wagens oder auch Lieferung eines Ersatzfahrzeuges verlangen kann.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
8
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
I. Anspruch auf Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB
K könnte gegen V einen Anspruch auf Nacherfüllung entweder durch Reparatur
des Wagens (Nachbesserung) oder durch Lieferung eines mangelfreien anderen
Wagens (Ersatzlieferung) aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB haben.
1. Anspruch entstanden
Voraussetzung dafür ist, dass ein wirksamer Kaufvertrag vorliegt und die Kaufsache
mangelhaft ist. V hat dem K wirksam einen Fiat Punto verkauft (§ 433 BGB).
Fraglich ist, ob der Wagen mangelhaft i.S.v. § 434 BGB ist. Mangels Vereinbarung
einer konkreten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB) ist dies nach § 434
Abs. 1 S. 2 BGB zu beurteilen. Die Parteien eines Kaufvertrages über einen Neuwagen,
der elektrische Fensterheber hat, gehen davon aus, dass diese auch funktionieren.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
9
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
Insofern eignet sich ein Wagen mit nicht funktionierenden elektrischen Fensterhebern
nicht für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung und ist daher mangelhaft (§ 434 Abs.
1 S. 2 Nr. 1 BGB). Da die Mängelhaftung nicht ausgeschlossen ist, ist der Anspruch des K
gegen V auf Nacherfüllung – nach Wahl des K durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung –
entstanden.
2. Anspruch nicht erloschen
Der Anspruch ist nicht erloschen, insbesondere nicht durch Unmöglichkeit der
Nacherfüllung (s.o. Rn. 9).
3. Anspruch durchsetzbar
Fraglich ist jedoch, ob sowohl der Anspruch auf Nachbesserung als auch der auf
Ersatzlieferung durchsetzbar sind. Nach § 439 Abs. 3 S. 1 BGB kann der Verkäufer die vom
Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen
Kosten möglich ist.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
10
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
Mit unverhältnismäßigen Kosten könnte hier allein der Anspruch des K auf Ersatzlieferung
verbunden sein. Allerdings überwiegen diese Kosten des V das Interesse eines
Neuwagenkäufers an einem voll funktionstüchtigen Wagen nicht, so dass eine
Ersatzlieferung nicht absolut unverhältnismäßig ist. Möglicherweise ist eine
Ersatzlieferung aber relativ unverhältnismäßig. Im Vergleich dazu ist eine bloße
Reparatur des Wagens durch Austausch des defekten Kabels für V viel günstiger. Für
K ist eine Reparatur mit keinen wesentlichen Nachteilen verbunden. Deshalb sind die
Kosten einer Ersatzlieferung im Verhältnis zu denen einer Reparatur unverhältnismäßig.
V kann die Lieferung eines anderen Fahrzeugs verweigern. Er muss dann nur den bereits
gelieferten Wagen reparieren.
4. Ergebnis
K hat gegen V einen Anspruch auf Nacherfüllung aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1
BGB, entweder gerichtet auf Reparatur oder auf Ersatzlieferung. Nur der erstgenannte
Anspruch ist aber durchsetzbar.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
11
ÜBUNGSFALL
2. Abwandlung
Der Fiat läuft zwar, verbraucht aber, wie K mit einem Sachverständigengutachten
des TÜV beweisen kann, statt der im Herstellerprospekt und in der Internetwerbung
des Herstellers angegebenen 6,1 Liter Benzin pro 100 km tatsächlich 6,6 Liter.
K wendet sich daraufhin an V mit der Bitte, den Motor so einzustellen, dass
die Herstellerangaben eingehalten werden. Zwei Versuche des V, den Benzinverbrauch
zu senken, bleiben aber erfolglos. Daraufhin tritt K vom Kaufvertrag zurück
und verlangt Rückzahlung des Kaufpreises von 9990 €. V hält dem entgegen,
bei einer solchen Kleinigkeit könne sich K nicht vom Vertrag lösen.
Kann K Rückzahlung des Kaufpreises verlangen?
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
12
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
I. Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, § 346 Abs. 1 i.V.m. §§ 437 Nr. 2, 323 BGB
K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von
9900 € aus § 346 Abs. 1 i.V.m. §§ 437 Nr. 2, 323 BGB haben.
1. Rücktrittsgrund
Das setzt zunächst voraus, dass K nach §§ 437 Nr. 2, 323 BGB zum Rücktritt berechtigt
war.
a) Kaufvertrag
K und V haben einen wirksamen Kaufvertrag gem. § 433 BGB geschlossen.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
13
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
b) Mangel bei Gefahrübergang
Weiterhin müsste der Fiat mangelhaft i.S.d. § 434 BGB sein. Hier ist nichts dafür
ersichtlich, dass K und V Näheres zum Benzinverbrauch vereinbart haben. Daher
scheidet ein Mangel nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB aus. Der Wagen ist trotz des
Mehrverbrauchs zum Fahren geeignet, weshalb auch ein Mangel nach § 434
Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB nicht besteht. Möglicherweise ergibt sich aber aus dem
Abweichen des tatsächlichen Benzinverbrauchs von dem im Herstellerprospekt
angegebenen ein Sachmangel nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 i.V.m. S. 3 BGB. Nach
§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB gehören zur Beschaffenheit nach § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
BGB auch die öffentlichen Äußerungen des Herstellers. Dabei muss es sich um
objektiv überprüfbare Tatsachenangaben und nicht lediglich um reißerische Anpreisungen
handeln. Hier sieht der Herstellerprospekt einen geringeren Benzinverbrauch
vor, als der von V gelieferte Wagen aufweist.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
14
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
Der Kraftstoffverbrauch ist einer objektiven Überprüfung zugänglich. Anhaltspunkte
dafür, dass V den Herstellerprospekt nicht kannte und auch nicht kennen musste, dass
der Prospekt im Zeitpunkt des Vertragsschlusses berichtigt worden war oder dass er die
Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte (§ 434 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 BGB), bestehen
nicht. An einem Mangel könnte man allenfalls deshalb zweifeln, weil der
Kraftstoffmehrverbrauch relativ gering ist. Für das Vorliegen eines Mangels stellt
§ 434 BGB aber keine Geringfügigkeitsschwelle auf. Ein Kraftstoffmehrverbrauch
stellt bereits dann einen Sachmangel dar, wenn er jenseits desjenigen Toleranzbereichs
liegt, der durch Fertigungstoleranzen und unvermeidbare Ungenauigkeiten
der Verbrauchswertemessung vorgegeben ist. Dies ist bei einer
Abweichung um 0,5 l/100 km der Fall. Damit liegt ein Sachmangel vor. Es ist
auch nicht ersichtlich, dass sich der Benzinverbrauch erst nachträglich erhöht hat,
so dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang bestand.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
15
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
c) Nachfristsetzung bzw. Entbehrlichkeit
Weiterhin setzt der Rücktritt gem. § 323 BGB voraus, dass der Käufer dem Verkäufer
eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat oder dass diese entbehrlich war. K
hat dem V keine Nachfrist nach § 323 Abs. 1 BGB gesetzt. Auch die Voraussetzungen
des § 323 Abs. 2 BGB liegen nicht vor. Die Nachfristsetzung ist aber gem.
§ 440 S. 1 BGB auch entbehrlich, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist.
Nach § 440 S. 2 BGB gilt die Nacherfüllung nach dem erfolglosen zweiten Versuch
als fehlgeschlagen. Hier hat V zweimal erfolglos versucht, den Kraftstoffverbrauch
des Fiat zu senken. Damit war die Fristsetzung gem. § 440 BGB entbehrlich.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
16
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
d) Erheblichkeit des Mangels
Gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung,
vorliegend also der Mangel, unerheblich ist. Die Beurteilung, ob dem Rücktritt die
Unerheblichkeit des Mangels entgegensteht, erfordert eine umfassende
Interessenabwägung. Nach der Rechtsprechung des BGH stellt ein
Kraftstoffmehrverbrauch in Höhe von weniger als 10% lediglich einen unerheblichen
Mangel dar, weil dadurch Wert und Tauglichkeit des Fahrzeuges kaum beeinträchtigt
würden. Weicht der Verbrauch dagegen in einem höheren Maße von den
Herstellerangaben ab, überwiegen angesichts steigender Kraftstoffkosten, erhöhten
Umweltbewusstseins und des hohen Standards bei der heutigen Automobilproduktion
die Interessen des Käufers. Folgt man dieser Abgrenzung, so reicht die
hier vorliegende Abweichung von 8,2% nicht für einen erheblichen Mangel aus.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
17
ÜBUNGSFALL
Musterlösung
2. Ergebnis
K war nicht zum Rücktritt berechtigt. Er kann von V nicht Rückzahlung des
Kaufpreises verlangen.
Wirtschaftsprivatrecht – zusätzliche Übungsfälle
18