Geschriebene und ungeschriebene Alterslimiten bei politischen Ämtern Heinz ERNST Diplomarbeit NDS „Lebensgestaltung 50+“ HSA Bern Frage I Sind gesetzliche Alterslimiten bei politischen Ämtern aus gerontologischer Sicht gerechtfertigt, obschon die Bundesverfassung eine.
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Geschriebene und ungeschriebene Alterslimiten bei politischen Ämtern Heinz ERNST Diplomarbeit NDS „Lebensgestaltung 50+“ HSA Bern 1 Frage I Sind gesetzliche Alterslimiten bei politischen Ämtern aus gerontologischer Sicht gerechtfertigt, obschon die Bundesverfassung eine Diskriminierung wegen des Alters verbietet? 3 Frage II Gibt es „ungeschriebene“ Alterslimiten bei politischen Ämtern (mittelbare Diskriminierung)? 4 Frage III Wie kann das Verhalten der Personen mit Vorschlags- und Wahlrecht („ungeschriebene Gesetze“) beeinflusst werden, damit ältere Menschen für politische Ämter kandidieren können und eine echte Wahlchance haben, wenn sie über die nötigen Voraussetzungen verfügen? 5 Stand der Forschung Zusammenfassend: Es existiert weit und breit keine „Altersgrenze“, die sich mit neueren gerontologischen Forschungsergebnissen belegen liesse. 6 Stand der Forschung Altersbilder – Altersstereotype Defizit-Modell und DisengagementTheorie Aktivitäts-Theorie und Disuse-Modell Kompetenzmodell des Alters 7 Stand der Forschung Geistige Leistung im Alter Kristalline und fluide Intelligenz Intellektuelle Leistungsunterschiede Kohorteneffekte Expertenwissen und Lebenserfahrung Bildung Arbeit und Freizeit Gesellschaft, Politik und Altern 8 Kristalline und fluide Intelligenz 9 Zwei Typen sozialer Strukturen 10 Lebenserwartung in der Schweiz 12 Im Altertum Ramses der Grosse (1304 – 1212 v. Chr.) Platon (427 – 347 v. Chr.) Massinissa (240 – 148 v. Chr.) Cato der Ältere (234 – 149 v. Chr.) Cicero 106 – 43 v. Chr.) Arganthonios (?) 15 Prägende Gestalten der neueren Geschichte Henri Guisan (1874 – 1960) Winston Churchill (1874 – 1965) Konrad Adenauer (1876 – 1967) Golda Meir (1898 – 1978) Nelson Mandela (geb. 1918) 16 Fragwürdige ältere Politiker Sandro Pertini (Italien) Sowjetische Machthaber (Breschnew etc.) Urho Kekkonen (Finnland) Ronald Reagan (USA) Strom Thurmond (USA) Es war allen bekannt!!! 18 Geschriebene Alterslimiten in der Schweiz? Gesetzliche Alterslimiten? Bund Kantone Gemeinden ja ja ja Alterslimiten in Parteien? Schweizerische Parteien Kantonal- und Lokalparteien nein ja Trotz Diskriminierungsverbot in der Verfassung! 19 Alterslimiten in der EU und anderen Staaten Offiziell nein Spitzenpositionen nein Untere Ebene vermutlich „Grauzone“ 20 Zulässigkeit von Alterlimiten (Gutachten Schefer/Rhinow) Unzulässig bei Legislativämtern Bei exekutiven Vollämtern in engen Grenzen zulässig (körperliche Belastbarkeit und schnelle Auffassungsgabe) Generell: Altersschranken zulässig, wenn sie verhältnismässig sind 21 Umfrage bei der Bevölkerung Total Antwortende Mit vorheriger Information Ohne vorherige Information 239 121 118 22 Informationen über… 23 Bevölkerung: Ergebnis Bei den „Informierten“ deutlich weniger Befürworter von Alterslimiten 25 Gleiche Umfrage bei 246 eidg. Parlamentariern (200 Nationalräte u. 46 Ständeräte) Total Antwortende : 135 (55 %) 29 Parlamentarier zu Alterslimiten bei Exekutivämtern (z.B. Regierungsrat oder Bundesrat) "Nicht informierte" National- und Ständeräte (n = 70) zu Alterslimiten bei Exekutivämtern (z.B. Regierungsrat oder Bundesrat) "Informierte" National- und Ständeräte (n = 61) zu Alterslimiten bei Exekutivämtern (z.B. Regierungsrat oder Bundesrat) 21.3% 44.3% 55.7% Für Alterslimite Für Alterslimite Gegen Alterslimite Gegen Alterslimite 78.7% 30 Parlamentarier zu Alterslimiten bei Legislativämtern (z.B. Kantons- oder Nationalrat) "Nicht informierte" National- und Ständeräte (n = 71) zu Alterslimiten bei Legislativämtern (Mitglieder von Parlamenten) "Informierte" National- und Ständeräte (n = 61) zu Alterslimiten bei Legislativämtern (Mitglieder von Parlamenten) 4.9% 19.7% Für Alterslimite Für Alterslimite Gegen Alterslimite Gegen Alterslimite 80.3% 95.1% 31 Parlamentarier zu Alterslimiten bei richterlichen Ämtern (z.B. Friedens- oder Bezirksrichter) "Nicht informierte" National- u. Ständeräte (n = 67) zu Alterslimiten bei richterlichen Ämtern (z.B. Friedensrichter, Bezirksrichter) "Informierte" National- und Ständeräte (n = 60) zu Alterslimiten bei richterlichen Ämtern (z.B. Friedensrichter, Bezirksrichter) 34.3% Für Alterslimite Für Alterslimite 46.7% 53.3% Gegen Alterslimite Gegen Alterslimite 65.7% 32 Die schweizerischen Bundesräte seit 1848 Vierteljahrhundert Anzahl gewählte Bundesräte 1848 – 1875 23 1876 – 1900 13 1901 – 1925 14 1926 – 1950 15 1951 – 1975 21 1976 – 2003 20 1848 - 2003 Total 106 33 Die schweizerischen Bundesräte seit 1848 Durchschnittliches Alter der Bundesräte bei der Wahl und beim Ausscheiden (n = 106) 70.0 61.8 60.0 55.6 64.1 53.2 63.4 53.1 63.0 54.1 61.5 51.8 48.8 50.0 44.0 Alter 40.0 Alter bei der Wahl Alter beim Rücktritt 30.0 20.0 10.0 0.0 1848 - 1875 1876 - 1900 1901 - 1925 1926 - 1950 Wahljahr 1951 - 1975 1976 - 2002 34 Die zurückgetretenen Nationalräte Nationalräte, die auf die Wahlen 2003 hin zurückgetreten sind (n = 32) Anzahl Rücktritte 12 10 10 8 8 9 6 4 2 3 2 0 47 - 50 Jahre 51 - 55 Jahre 56 - 60 Jahre 60 - 65 Jahre 65 - 70 Jahre Alter 35 150 100 50 47 Alter 188 179 113 51 14 0 Ja - 2 hre 9 30 Ja - 3 hre 9 40 Ja - 4 hre 9 50 Ja - 5 hre 9 60 Ja - 6 hre 9 70 Ja hr 80 79 e Ja Ja hr hre e u. äl te r 161 0 200 20 211 Anzahl Nationalräte 250 un te r2 un te r2 20 0 J a - 2 hr e 9 30 Ja - 3 hre 9 40 Ja - 4 hre 9 50 Ja - 5 hre 9 60 Ja - 6 hre 9 70 Ja - 7 hre 80 9 Ja Ja hr hr e e u. äl te r Anzahl Kandidaten Die Wahlen 2003 im Kanton Zürich Alter der Nationalratskandidaten 2003 im Kanton Zürich (n = 964) Alte r de r 2003 im Kanton Zürich ge wählte n Nationalräte (n = 34) 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 17 9 3 5 0 0 0 0 Alter 36 Alle gewählten Nationalräte 2003 Nationalratswahlen 2003 Alter aller 200 gewählten Nationalräte 60 52 Anzahl Nationalräte 50 41 40 33 30 18 20 10 30 5 4 10 7 30 25 -2 9 Ja - 3 hre 4 35 Ja - 3 hre 9 40 Ja - 4 hre 4 45 Ja - 4 hre 9 50 Ja - 5 hre 4 55 Ja - 5 hre 9 60 Ja - 6 hre 4 65 Ja - 6 hre 9 Ja hr e 0 Alter 37 Das Durchschnittsalter der Nationalräte nach den Wahlen Jahr Durchschnittsalter 1971 52 1975 53 1979 51 1983 51 1987 50 1991 50 1995 51 1999 51 (genauer: 50,7) 2003 51 (genauer: 51,3) 38 Interview 1 Bei der Witwe des „Löwen von Siders“ Heidi Dellberg Rte du Rawyl 28 3960 Sierre VS 23.12.1918 Witwe des des verstorbenen Nationalrates Karl Dellberg (1886 – 1978) Sierre/Siders VS 16.08.2003 39 Interview 2 (vertraulich) 70-jährige Präsidentin eines Gemeindeparlamentes Lee StreitKrähenbühl Thunstrasse 142 3074 Muri bei Bern 02.08.1933 Muri BE Präsidentin des Gemeindeparla04.07.2003 mentes von Muri BE 40 Interview 3 (vertraulich) 68-Jähriger als Friedensrichter wieder gewählt Theodor Specker Steinstrasse 19 8630 Rüti ZH 15.06.1935 Friedensrichter von Rüti ZH Rüti ZH 09.07.2003 41 Interview 4 (vertraulich) Wegen des Alters diskriminiert und doch gewählt Marianne de Mestral-Strehler Weingartenstr. 47 8708 Männedorf ZH 30.08.1936 Mitglied des Verfassungsrates des Kantons Zürich Zürich 08.09.2003 42 Interview 5 (vertraulich) Mit 65 Jahren nicht mehr nominiert Lisbeth Fehr Unteres Güetli 2 8457 Humlikon ZH 14.04.1938 Nationalrätin Humlikon ZH 19.09.2003 43 Interview 6 (vertraulich) Ein 60-Jähriger will in den Nationalrat. Dr. Thomas Wagner Krähbühlstrasse 10 8044 Zürich 17.10.1943 Alt Stadtpräsident und Alt Stadtrat von Zürich Zürich 01.10.03 44 Interview 7 (vertraulich) Die Meinung eines Parteipräsidenten Willy Nägeli Kurhausstrasse 3 8374 Oberwangen TG 10.01.1954 Thurgauischer Kantonalpräsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP) Oberwangen TG 11.09.203 45 Zurück zur Frage I Sind gesetzliche Alterslimiten bei politischen Ämtern gerechtfertigt? 46 Argumente bei Frage I Voraussetzungen bei gesunden Älteren so gut wie bei Jungen. Heute viel mehr gesunde Ältere als früher. Regelmässige Wiederwahl gegen Sesselkleber. Geschriebene Alterslimiten sind diskriminierend. Kein namhafter Verfassungsrechtler verlangt gesetzliche Alterslimiten. Der Wähler soll entscheiden, nicht das Gesetz! 47 Antwort auf Frage I Gesetzliche Alterslimiten bei politischen Ämtern sind aus gerontologischen und anderen Gründen in jedem Fall abzulehnen. 48 Zurück zur Frage II Gibt es „ungeschriebene“ Alterslimiten bei politischen Ämtern? 49 Argumente bei Frage II Tatsächliche Wahlchancen, ernsthafte Absichten und Teilnahme am Wahlkampf berücksichtigen! Parteien können „Personalplanung“ betreiben, dürfen aber nicht diskriminieren. Wenig Fälle von wirklicher mittelbarer Diskriminierung Definition „Diskriminierung“ nicht zu weit! Der Wähler ist der Wähler und nicht der „Diskriminierer“. 50 Antwort auf Frage II Es gibt in der Schweiz deutliche „ungeschriebene Alterslimiten“ bei politischen Ämtern. Ob es sich dabei um mittelbare Diskriminierung wegen des Alters handelt, muss offen gelassen werden. 51 Zurück zu Frage III Wie kann das Verhalten der Personen mit Vorschlags- und Wahlrecht („ungeschriebene Gesetze“) beeinflusst werden? 52 Antwort auf Frage III Mit einer einfachen Methode konnte gezeigt werden, dass sich die Haltung von Personen mit Vorschlags- und Wahlrecht beeinflussen lässt, was die Wahlchancen von fähigen älteren Kandidaten verbessern kann. 53 Was erstaunlich ist Bevölkerung und Parlamentarier lassen sich durch „klassische alten Männer“ beeinflussen. Richter werden in Bezug auf Alterslimiten strenger beurteilt. Wenig klare Fälle von Diskriminierung aufgedeckt. 54 Was in der Öffentlichkeit besser bekannt gemacht werden sollte Heute viel mehr gesunde ältere Menschen als früher. Geistige Leistungsfähigkeit lässt bei gesunden älteren Menschen kaum nach. Starre Altersstrukturen sollen und können flexibler gemacht werden. „Sesselkleber“ sind seltener geworden. Parteien sollten ihre Nominierungspraxis hinterfragen und sich an das Diskriminierungsverbot halten. Viele ältere Menschen haben gute Voraussetzungen für die Ausübung eines Teilzeitamtes. 55 Konkrete Schritte zur Abschaffung der Alterslimiten Durch Änderung der Bundesverfassung Volksinitiative ist ein direktes, aber aufwändiges und risikoreiches Verfahren. Abschaffung durch Gemeinden und Kantone Verfahren wie bei der Einführung des Frauenstimmrechtes Pro Senectute schafft ein Argumentarium Öffentlichen Druck aufrecht erhalten Demokratischer Weg, welcher der föderalistischen Struktur unseres Landes angepasst ist. Entspricht dem Prinzip „Steter Tropfen höhlt den Stein!“ 56 Die „Wägsten und Besten“ findet man … 57 … nicht mit Altersguillotinen … 58 … sondern indem Wähler und Gewählte ihre Verantwortung wahrnehmen! 59 60