Akkulturation, psychosoziale Adaptation und Bildungserfolg von

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Transcript Akkulturation, psychosoziale Adaptation und Bildungserfolg von

Akkulturation, psychosoziale Adaptation und
Bildungserfolg von Jugendlichen mit
Migrationshintergrund
Institut für Schule und Heterogenität:
Prof. Dr. Andrea Haenni Hoti
Dr. des. Sybille Heinzmann Agten
Prof. Dr. Marianne Müller
Prof. Dr. Alois Buholzer
Lic. phil. Roland Künzle
Kolloquium PHZ Luzern, 8. November 2012
Übersicht
1. Mutual Intercultural Relations in
Plural Societies (MIRIPS) – Projekt
2. Theoretische Grundlagen und
Forschungsstand
3. Forschungsfragen und Methodik
4. Ergebnisse
5. Fazit
1. MIRIPS-Projekt
Mutual Intercultural Relations in Plural Societies (MIRIPS)
• 23 Länder beteiligt
• Internationale Forschungskooperation
• Koordination: Prof. Dr. em. John W. Berry, Queen‘s University,
Kingston (Kanada)
Schweizer Jugendstudie im Kontext von Schule
• Akkulturation – psychosoziale Adaptation – Bildungserfolg
• Institut für Schule und Heterogenität (ISH), PHZ Luzern
• Finanzierung: ISH und Direktionsfonds
• Unterstützung von QUIMS Kt. Zürich
2. Theoretische Grundlagen und
Forschungsstand
Akkulturation bezieht sich auf den kulturellen Wandel, der durch
Kontakt zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller
Herkunft entsteht und auf dessen psychosoziale Auswirkungen
(vgl. Berry et al. 1992, 19).
Akkulturationsstrategien umfassen Einstellungen und
Verhaltensweisen einer Person, die sich in ihren alltäglichen
interkulturellen Begegnungen manifestieren. Sie sind nicht frei
wählbar, sondern werden beeinflusst von Machtbeziehungen
zwischen privilegierten und benachteiligten Gruppen in der
Gesellschaft (vgl. Berry, 2006, 6).
Sprachgebrauch – Peerkontakte – Einstellungen zur Akkulturation
2-dimensionales Akkulturationsmodell (John Berry, 1980)
3-dimensionales Akkulturationsverständnis (Haenni Hoti et al., 2012)
Minderheitenorientierung («ethnic»)
Mehrheitsorientierung («national»)
Multikulturelle Orientierung
Theoretische Annahmen
Integration führt bei Migrantinnen und Migranten zur besten
psychosozialen Adaptation (Lebenszufriedenheit etc.),
am schlechtesten ist die Strategie der Marginalisierung,
dazwischen liegen Separation und Assimilation (vgl. Berry, 1997).
Forschungsstand
Pro Integration: Berry et al. (2006), Benet-Martínez (2012),
Portes & Rumbaut (2001)
Pro Minderheitenorientierung: Suinn (2010)
Pro Mehrheitsorientierung (Assimilation): Tricket & Birman (2005)
Pro Differenzieren: Motti-Stefanidi et al. (2009)
3. Forschungsfragen und Methodik
1. Welche Akkulturationsstrategien verfolgen Jugendliche
unterschiedlicher nationaler Herkunft?
2. Welchen Einfluss haben die Akkulturationsstrategien von
Jugendlichen mit Migrationshintergrund und der Schulkontext auf
ihre psychosoziale Adaptation?
3. Welchen Einfluss haben die Akkulturationsstrategien von
Jugendlichen mit Migrationshintergrund und der Schulkontext auf
ihren Bildungserfolg?
Theoretisches Modell
Sozioökonomischer Status
und nationale Gruppe
Schulkontext:
• Qualität der
Sozialbeziehungen
• Leistungserwartung der
Lehrperson
• Ausmass an
interkulturellem Unterricht
• Engagement der Schule
zur Förderung von
Integration und
Chancengleichheit
• Wahrgenommene Gewalt
an Schule
weitere demographische
Variablen (Geschlecht,
Aufenthaltsdauer, usw.)
Akkulturationsstrategie
Gefühl
der Sicherheit
Psychosoziale
Adaptation:
• Lebenszufriedenheit
• Selbstwirksamkeit
• Soziokulturelle
Kompetenz
Bildungserfolg:
• Leseverständnis
(L1 und L2)
• Schulzufriedenheit
• Bildungsaspiration
• Schulische
Regelverstösse
Stichprobe
• n=1488 Schüler/innen der 8. Klasse
• davon 24% (n=364) Schweizer/innen
• Fokus auf Italiener/innen (n=160), Albaner/innen (n=289) und
Portugiesen/Portugiesinnen (n=106)
• 14,4 Jahre; 12-18 Jahre
• Städte Zürich, Basel, Bern, Luzern
• 90 Klassen, davon 33 QUIMS-Klassen, 76% mit mittleren oder
Grundansprüchen
• 49% Mädchen
• 82% in der Schweiz geboren
Instrumente
• Online-Fragebogen für Schüler/innen und Klassenlehrpersonen
• Lesetests für Familiensprache und Deutsch (L1 und L2)
Beispielitems zu Akkulturationsstrategien
Minderheitenorientierung
„Albaner sollten ihre eigenen Traditionen erhalten“
Mehrheitsorientierung
„Italiener sollten sich an die Traditionen der Schweizer anpassen“
Multikulturelle Orientierung
„Ich fühle mich als Portugiese unter Menschen aus vielen
verschiedenen Ländern wohl“
5-stufige Antwortskala: „stimmt gar nicht“ bis „stimmt voll und ganz“
(α=.51 bis .72; je 5 bis 6 Items)
4. Ergebnisse
Häufigkeit der Zustimmung zu Akkulturationsstrategien
(alle nationalen Gruppen ohne Schweizer/in, n=1122)
Minderheitenorientiert-multikulturell
34% (n=380)
Minderheitenorientiert
24% (n=265)
Multikulturell
15% (n=166)
Zustimmung zu keiner Strategie
12% (n=136)
Zustimmung zu allen Strategien
9% (n=98)
Mehrheitsorientiert-multikulturell
3% (n=33)
Mehrheitsorientiert-minderheitenorientiert
3% (n=30)
Mehrheitsorientiert
1% (n=14)
1) Welche Akkulturationsstrategien verfolgen Jugendliche
unterschiedlicher nationaler Herkunft?
Zustimmung zur Minderheitenorientierung nach nationaler Gruppe
titel
Zustimmung zur Mehrheitsorientierung nach nationaler Gruppe
titel
Zustimmung zur multikulturellen Orientierung nach nationaler Gruppe
• Jugendliche stimmen der Minderheitenorientierung und der
multikulturellen Orientierung am stärksten zu, die Kombination
beider Strategien tritt am häufigsten auf.
• Zustimmung zu Akkulturationsstrategien variiert nach nationalen
und nach binationalen Gruppen.
2) Welchen Einfluss haben die Akkulturationsstrategien
von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und der
Schulkontext auf ihre psychosoziale Adaptation?
Mögliche erklärende Variablen
Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung
Qualität der Schüler-Schüler-Beziehung
Leistungserwartung der Lehrperson
Ausmass an interkulturellem Unterricht
Adaptiver Unterricht
Gewalt an Schule
Gefühl der Sicherheit
Akkulturationsstrategie
Anforderungsniveau des Schultyps
Schulmodell (kooperativ vs. separativ)
Geschlecht
Alter
Aufenthaltsdauer
Staatsangehörigkeit
Zugehörigkeit zu nationaler Gruppe
Familiensprache
Sozioökonomischer Status (Haushaltausstattung)
Anzahl Bücher zu Hause
Einflussfaktoren auf die Lebenszufriedenheit
Regressionskoeffizient
Standard Fehler
Intercept
2.19
.77
Aufenthaltsdauer < 5 Jahre
-.35
.17
Aufenthaltsdauer 5 bis 9 Jahre
-.15
.19
Aufenthaltsdauer mehr als 9 Jahre
.15
.17
Geschlecht (männlich)
.57
.09
Lehrer-Schüler-Beziehung: Achtung
.32
.10
Interkultureller Unterricht
.23
.08
Schüler-Schüler-Beziehung: Gleichbehandlung
.28
.09
Schüler-Schüler-Beziehung: Zusammenhalt
.27
.10
Sicherheit* (vor allem bei tiefer Ausprägung)
.67
.09
Sicherheit ^2
-.07
.04
Akkulturationsstrategie Mehrheitsorientierung
.18
.07
Akkulturationsstrategie Minderheitenorientierung*
-.84
.50
Akkulturationsstrategie Minderheitenorientierung ^2
.20
.09
(n=1094; ohne Schweizer/innen; R2=.24)
* nicht linearer Zusammenhang
Partielle Effekte Minderheitenorientierung und Mehrheitsorientierung auf Lebenszufriedenheit
Einflussfaktoren auf die Selbstwirksamkeit
Positiver Zusammenhang:
• Geschlecht (männlich)
• Anzahl Bücher zu Hause (51 bis 100)
• Lehrer-Schüler-Beziehung: Achtung (ab hoher Ausprägung)
• Schüler-Schüler-Beziehung: Zusammenhalt
• Interkultureller Unterricht
• Leistungserwartung der Lehrperson
• Gewalt in der Schule (ab mittlerer Ausprägung)
• Sicherheit
• Akkulturationsstrategie Minderheitenorientierung
• Akkulturationsstrategie multikulturelle Orientierung
(n=1083; ohne Schweizer/innen; R2=.23)
Einflussfaktoren auf die soziokulturelle Kompetenz
(nur dominante Faktoren)
Positiver Zusammenhang:
• Schüler-Schüler-Beziehung: Zusammenhalt
• Interkultureller Unterricht
• Sicherheit
• Akkulturationsstrategie Minderheitenorientierung
• Akkulturationsstrategie multikulturelle Orientierung
Negativer Zusammenhang:
• Gewalt in der Schule
(n=1083; ohne Schweizer/innen; R2=.23)
• Alle Akkulturationsstrategien stehen in einem positiven
Zusammenhang zu Aspekten psychosozialer Adaptation, vor allem
auch die Minderheitenorientierung und die multikulturelle
Orientierung.
• Eine Kombination von Akkulturationsstrategien erscheint am
effektivsten.
• Höhere Qualität der Sozialbeziehungen in der Schule, mehr
Sicherheit und mehr interkultureller Unterricht gehen mit besserer
psychosozialer Adaptation der Jugendlichen einher.
3) Welchen Einfluss haben die Akkulturationsstrategien
von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und der
Schulkontext auf ihren Bildungserfolg?
Dominante demographische Faktoren
Deutsch
Lesen
Geschlecht
männlich
Schulzufriedenheit
Hohe
Bildungsaspiration
Gedankliche Schule
Abwesenheit Schwänzen
fast täglich
männlich
männlich
Anzahl Bücher
zu Hause
Aufenthaltsdauer
seit Geburt
Lesefreude
Nationale
Gruppen
positiver Zusammenhang
negativer Zusammenhang
Dominante akkulturationsbezogene Faktoren
Deutsch
Lesen
Schulzufriedenheit
Hohe
Bildungsaspiration
Gedankliche Schule
Abwesenheit Schwänzen
fast täglich
Minderheitenorientierung
Mehrheitsorientierung
Multikulturelle
Orientierung
positiver Zusammenhang
negativer Zusammenhang
Dominante schulbezogene Faktoren
Deutsch
Lesen
Schulzufriedenheit
Hohe
Bildungsaspiration
Gedankliche
Abwesenheit
fast täglich
Lehrer-SchülerBeziehung: Achtung
Schüler-SchülerBeziehung:
Zusammenhalt
Leistungserwartung
der Lehrperson
Adaptiver Unterricht
Interkultureller
Unterricht
Anteil binationaler
Jugendlicher in Klasse
Gewalt
positiver Zusammenhang
negativer Zusammenhang
Schule
Schwänzen
• Alle Akkulturationsstrategien stehen mehrheitlich in einem
positiven Zusammenhang zu Aspekten von Bildungserfolg.
• Eine Kombination von Akkulturationsstrategien erscheint am
effektivsten.
• Höhere Qualität der Sozialbeziehungen in der Schule, höhere
Leistungserwartung und adaptiverer Unterricht gehen mit höherer
Schulzufriedenheit einher.
5. Fazit
•
Psychosoziale Adaptation:
Es gibt verschiedene gute Akkulturationsstrategien, Kombinationen
scheinen am besten zu sein.  Jugendliche bei der Findung und
Bewusstmachung ihrer Akkulturationsstrategie unterstützen
•
Bildungserfolg:
Es gibt verschiedene effektive Akkulturationsstrategien, Kombinationen
scheinen am effektivsten zu sein.  Assimilation und
Ethnisierungsprozessen in der Schule entgegenwirken,
Vielfalt anerkennen, bi- und multikulturelle Identitäten stärken
•
Schulkontext:
Bestimmte Qualitätsmerkmale multikultureller Schulen wurden empirisch
untermauert  weitere Implementierung in Schulpraxis
Kontakt
Prof. Dr. Andrea Haenni Hoti
Institut für Schule und Heterogenität (ISH)
Töpferstrasse 10
6004 Luzern
Tel. +41 (0)41 228 45 22
E-Mail: [email protected]
http://www.fe.luzern.phz.ch/ish/