Anwendungsbezogene Linguistik im klinischen Bereich

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Transcript Anwendungsbezogene Linguistik im klinischen Bereich

Anwendungsbezogene
Linguistik im
klinischen Bereich
Kinder mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung (SSES)
Anna-Lena Scherger
Gliederung
1) Einführung in das Gebiet der Klinischen Linguistik
2) Einführung in das Störungsbild der SSES
3) Vorstellung einer Studie zur Abgrenzung von SSES und Mehrsprachigkeit
(Scherger in Vorbereitung)
Klinische Linguistik
- Klinische Linguisten behandeln Sprach-, Sprech- und
Kommunikationsstörungen bei Erwachsenen und Kindern. Sie sind in
Kliniken und Praxen tätig, in denen Sprachstörungen diagnostiziert und
behandelt werden oder arbeiten in Forschung und Lehre.
- Klinische Linguisten absolvieren ein Hochschulstudium im Bereich
Linguistik (Sprachwissenschaft) mit dem Studienschwerpunkt
Neurolinguistik oder Klinische Linguistik, das interdisziplinär auch
Aspekte der Medizin, Psychologie und Sprachheilpädagogik integriert. Die
theoretischen Kenntnisse werden durch eine klinische Ausbildung
ergänzt.
- Der Klinische Linguist gehören somit zur Gruppe der Berufe, die sich mit
der Behandlung von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen
befassen. Dazu gehören in Deutschland auch Logopäden,
Sprachheilpädagogen und eine Reihe anderer Berufsgruppen mit
unterschiedlichen Ausbildungs- und Studiengängen.
(Quelle: www.klinische-linguistik.de)
Klinische Linguistik
-
Sprachstörung vs. Sprechstörung
-
eingebettete Störungen im Rahmen primärer Störungsbilder
-
Schwerpunkt auf Sprachstörungen
Klinische Linguistik
-
-
entwicklungsbedingte Störungen vs. erworbene Sprachstörungen:
-
entwicklungsbedingt meint während des Spracherwerbs
-
eine erworbene Störung hingegen tritt nach abgeschlossenem Spracherwerb auf
Definition Aphasie:
-
-
eine Aphasie liegt dann vor, wenn bei relativer Intaktheit von Gedächtnis und
Intelligenz die sprachlichen Leistungen beeinträchtigt sind. Die Störung tritt
nach abgeschlossenem Spracherwerb aufgrund von Schädigungen des Gehirns
auf (Tesak 2006).
Definition spezifische Sprachentwicklungsstörung (SSES):
-
eine Beeinträchtigung des Spracherwerbs ohne ursächliche organische,
mentale oder emotionale Schädigungen (Kauschke&Siegmüller 2006)
Spezifische Sprachentwicklungsstörung – Ursachen?
-
perzeptuelle Defizite

bringen Verarbeitungsschwächen mit sich
-
Schwächen in der kognitiven Verarbeitung

als wichtigster Punkt die eingeschränkte Symbolisierungsfähigkeit
-
biologische Faktoren

genetische Disposition, Verzögerung der Hirnreife
-
Umwelteinflüsse

schlechte Sprachvorbilder, mangelnde Eltern-Kind-Kommunikation, soziale Deprivation

kein Faktor alleine auslösend, multifaktorieller Ursachenkomplex
Spezifische Sprachentwicklungsstörung – Prävalenz
-
1,5- 7,4% aller Kinder haben eine SSES
-
Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen
-
Geschlechterverhältnis 1:2,8 – 1:4,8 (Leonard 1998)
Spezifische Sprachentwicklungsstörung - Störungsbilder
-
Störung kann eine, zwei oder alle Ebenen der Sprache betreffen
-
Aussprache (Phonetik, Phonologie)
-
Grammatik (Syntax und Morphologie)
-
Wortschatz (Semantik und Lexikon)

isolierte oder übergreifende Störungen möglich (übergreifend asynchron,
übergreifend synchron)
Spezifische Sprachentwicklungsstörung - Verlauf
-
Störung macht sich zunächst auf lexikalischer Ebene bemerkbar (late talker)
-
Wortschatz der Kinder mit 2;0 unter 50 Wörtern
-
danach langsamere Wortschatzentwicklung, ausbleibender Vokabelspurt, der
normalerweise mit ca. 1;6 einsetzt
-
Kinder, die bis zum 3. Geburtstag aufholen, nennt man late bloomer
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Lexikalisch-semantische Störung
-
Lexikalisch-semantische Störungen machen sich durch Abruf- /
Zugriffsproblematiken bemerkbar
-
qualitative Vernetzung des taxonomischen Systems kann gestört sein
-
fast mapping-Prozess eingeschränkt
-
Symptome einer lexikalisch-semantischen Störung sind Wortersetzungen,
Wortneuschöpfungen, lange Pausen, Umschreibungen bis hin zu kompletten
Satzabbrüchen
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Phonologische Störung
-
Phonologische Störungen machen sich durch Nicht-Überwinden der
physiologischen phonologischen Prozesse bemerkbar
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Phonologische Störung
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Grammatische Störung
grammatische Störungen sind die am längsten persistierenden und fallen am
spätesten auf (Forschung ist sich uneinig, ob ab verspäteter Zweiwortphase
oder erst sehr viel später von syntaktischer Störung gesprochen werden kann)
-
Symptome grammatischer Störungen:
-

-
Artikelauslassungen, Genusfehler
-
unflektierte Verbformen (V2-overapplier vs. V2-underapplier)
-
starre Satzstrukturen (keine Fragesätze, kaum Nebensätze, immer
SVO, keine Objekttopikalisierungen, etc.)
-
Pluralfehler, Kasusfehler
Videobeispiele / PDSS-Bilder zur Satzproduktion
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Studie zu grammatischen Störungen bei
unterschiedlichen Spracherwerbstypen
-
mehrsprachig aufwachsende Kinder können teilweise ähnliche Verzögerungen
zeigen wie Kinder mit SSES
-
Phänomene, die im mehrsprachigen Kontext von Spracheneinfluss betroffen
sind, können verzögert erworben werden (aber auch beschleunigt)
-
ein grammatisches Phänomen, bei dem Verzögerungen bei deutschitalienisch aufwachsenden Kindern zu beobachten sind, ist der Kasus
-
Annahme eines kumulativen Effektes von Mehrsprachigkeit und
Sprachstörung (Mehrsprachigkeit+Sprachstörung=doppelt verzögert)
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Scherger (in Vorb.)
-
Methode:
-
-
vier Gruppen unterschiedlicher Erwerbstypen in zwei Altersstufen (4- und 7jährig) untersucht:
-
monolinguale normalentwickelte Kinder (TDm)
-
bilinguale normalentwickelte Kinder (TDb)
-
monolinguale sprachentwicklungsgestörte Kinder (SLIm)
-
bilinguale sprachentwicklungsgestörte Kinder (SLIb)
Kasus (Akkusativ, Dativ) auf Zielsprachlichkeit hin untersucht
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Scherger (in Vorb.)
- Videobeispiele zu bilingualen sprachentwicklungsgestörten Kindern

doppelte Verzögerung zu finden?
Spezifische Sprachentwicklungsstörung –
Scherger (in Vorb.)
-
Ergebnisse zum kumulativen Effekt von Mehrsprachigkeit und
Sprachentwicklungsstörung
Dativ bei 4-Jährigen
100.0%
90.0%
80.0%
70.0%
60.0%
50.0%
40.0%
30.0%
20.0%
10.0%
0.0%
Dativ bei 7-Jährigen
Nom/DAT
56.4%
Akk/DAT
Ambig / DAT
27.7%
27.7%
26.8%
Ø / DAT
DAT ziel.
Ø TDm4
Ø TDb4
Ø SLIm4
Ø SLIb4
100.0%
90.0%
80.0%
70.0%
60.0%
50.0%
40.0%
30.0%
20.0%
10.0%
0.0%
91.3%
82.4%
Nom/DAT
Akk/DAT
31.6%
32.8%
Ambig / DAT
Ø / DAT
DAT ziel.
Ø TDm7
Ø TDb7
Ø SLIm7
Ø SLIb7
Literatur
Gies, J. (2006): Phonologischer Erwerb ab dem zweiten Lebensjahr. In: Siegmüller, J. &
Bartels, H. (Hrsg.): Leitfaden Sprache, Sprechen, Stimme, Schlucken. München: Urban
& Fischer, 31-35.
Kauschke, C. & Siegmüller, J. (2006): Patholinguistische Therapie bei
Sprachentwicklungsstörungen. München: Urban & Fischer.
Leonard, L. (1998): Children with specific language impairment. Cambridge: MIT Press.
Scherger, A.-L. (in Vorbereitung): Schnittstelle zwischen Mehrsprachigkeit und
Sprachentwicklungsstörung: Kasuserwerb deutsch-italienischer Kinder mit spezifischer
Sprachentwicklungsstörung. Dissertation, Universität Wuppertal.
Tesak, J. (2006): Einführung in die Aphasiologie. 2. Auflage. Stuttgart: Thieme.
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