Drei Einzelgänger: Jean Paul, Hölderlin und Kleist

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Transcript Drei Einzelgänger: Jean Paul, Hölderlin und Kleist

Deutschsprachige
Literatur von Aufklärung
bis Romantik
Levan Tsagareli
Drei Einzelgänger: Jean
Paul, Hölderlin und
Kleist
Vorlesung N 7
Inhalt:
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Drei Einzelgänger
Jean Paul
Friedrich Hölderlin
Heinrich von Kleist
Drei Einzelgänger
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Entziehen sich den literaturhistorischen
Periodebegriffen
Aber nicht unabhängig von literarischen
Strömungen der Zeit:
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Jean Pauls Romane ← Aufklärung und Empfindsamkeit
Hölderlins Gedichte ← Empfindsamkeit, Sturm und Drang,
Weimarer Klassik
Kleists Dramen und Novellen ← Romantik
Die unverwechselbare Individualität
Von Schiller und Goethe – kritisch beurteilt
Miteinander – keine Verbindung
Johann Paul Friedrich Richter
(Jean Paul, 1763-1825)
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Abgebrochenes Studium der
Theologie in Leipzig ←
wirtschaftliche Not
Hauslehrer, Schulmeister
Plötzlicher Ruhm 1795 mit dem
Erfolgsroman Hesperus
Freundschaft mit Herder
Fruchtbare Wanderjahre
Heirat und Leben in Bayreuth
Einfluss auf die romantische
Erzählkunst sowie auf den bügerlichhumoristischen Roman des 19. Jh.s.
Jean Pauls Poetik
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Vielschichtigkeit und Vielstimmigkeit
Höhepunkt des Pietismus und der Empfindsamkeit: Der Kult der
Freundschaft und der Liebe, der Genuß der Gefühle;
Selbstbeobachtung und Seelenanalyse + durch ironisch-satirische
Reflexionen gebrochen und durch präzise realistische
Beobachtungen der Umwelt ergänzt
Neigung zu Idylle, der alles durchdringende Humor, Vorliebe für den
Typ des skurril-exzentrischen Sonderlings (→ Biedermeier,
bürgerlicher Realismus)
Visionärer Sprachzauber (→ surrealistische Modernität)
“witziger” Stil: der verschnörkelte, von Bildern und Metaphern
überquellender Stil Jean Pauls → Verständnisschwierigkeiten
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“Um ein Uhr schlugen schon die Lerchen, und die Natur spielte und
phantasierte auf der Nachtigallharmonika.”
Vermeidung der geraden Linie und des symmetrischen Aufbaus
Erzähltechnisch: kein gradliniges Erzählen, sondern –
Abschweifungen, Digressionen, Enklaven, Vor- und Nachreden, Spiel
mit dem Leser, mit den Romanfiguren und mit sich selber (Vorbild:
Tristram Shandy von Laurence Sterne)
Vorschule der Ästhetik (18031804) – theoretisches Hauptwerk
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Idyllen und Humoresken > “niederländische Schule”: der
niedrige Stand der geschilderten Personen, eine humoristischdistanzierende Perspektive
Romane Die unsichtbare Loge (1793), Hesperus oder 45
Hundposttage (1795), Titan (- kritische Auseinandersetzung mit
der Weimarer Klassik und der Romantik;1801-1804) =
Bildungsromane, politische und Staatsromane >
“italienische Schule”: der hohe Stand der Personen und eine
idealisierte Darstellung
Romane Siebenkäs (der erste Eheroman der deutschen
Literatur, 1796), Flegeljahre (1804) > “deutsche Schule”
Jean Pauls Werk
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Philosophierender Satiriker im Geiste der Aufklärung –
Satirensammlungen: Angriff auf die Gesellschaftsordnung des
kleinstaatlichen Feudalismus
Todesvision vom 15. November 1790 → der Umschlag der
skeptizistischen, materialistischen Weltanschauung zu einer
christlichen Gläubigkeit
Allgegenwart des Todes → Liebe zu den Menschen,
unerschütterliche Überzeugung vom Wert der Lebensfreude:
Erzählung vom Leben Des Vergnügten Schulmeisterlein Maria
Wutz in Auenthal. Eine Art Idylle (1793)
Dialektik von nihilistischer Weltverneinung und gläubiger
Weltbejahung: Traumdichtung Rede des toten Christus vom
Weltgebäude herab, dass kein Gott sei > Roman Blumen-,
Frucht- und Dornenstücke Oder Ehestand, Tod und Hochzeit Der
Armenadvokaten F. St. Siebenkäs (1796/97)
Friedrich Hölderlin (1770-1843)
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Von der Mutter allein erzogen
Studium der Theologie und Philosophie
zusammen mit Hegel und Schelling;
Studium bei Fichte in Jena
Begeisterung für die französische
Revolution
Hauslehrer bei Bankier Gontard, Liebe
zu dessen Frau Susette, “Diotima”
Tod “Diotimas” → Zusammenbruch
Geisteskranker in Tübinger “Clinicum”
Im Haushalt des Tübinger
Schreinermeisters
Liebling von Philosophen (Dilthey und
Heidegger); der zeitenthobene Seher
(George); der deutsche Jüngling
(Nazionalsozialisten); der verhinderte
Revolutionär (Peter Weiss, Peter
Härtling).
Hölderlins Poetik
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Die alles beherrschende Beziehung auf die griechischen
Antike (Nähe zur Weimarer Klassik), aber kühle Ablehnung
durch Goethe und die nach anfänglicher Förderung zunehmende
Distanzierung Schillers
Unsägliches Leiden an der Gegenwart, das Gefühl der
Einsamkeit und der Fremdheit, Dualität von elegischer
Verzweiflung und hymnischer Begeisterung (↔ die auf
Distanz und Harmonie bedachten Klassiker)
Machte auf den orientalischen Hintergrund und die dionysische
Dimension der griechischen Antike aufmerksam –
Dramenfragment Der Tod des Empedokles (1797) (↔ die
einseitige apollinische Auffassung der Antike, die in Weimar
vorherrschte)
Hyperion oder der Eremit in
Griechenland (Roman, 1792-1799)
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← Weitgehend durch den Bezug auf den Griechentum bestimmt
Briefe des jungen Griechen Hyperion an seinen deutschen Freund
Bellarmin (Briefwechsel Hyperions und Diotimas):
 Hyperions Kindheit und Jugend in Griechenland,
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Liebe zu Diotima,
Teilnahme am Aufstand der Griechen gegen die Türken 1770
Nach Diotimas Tod – Studienjahre in Deutschland – die bekannte
Deutschlandschelte
Eine unendliche Hingabe an die Natur und an die “Schönheit der Welt”
“Es ist eine bessere Zeit, die suchst du, eine schönere Zeit.” (Diotima)
“eine schönere Welt” = in der Freundschaft, in der Liebe und in der
vaterländischen Freiheitsbegeisterung.
Bleibende Werte: die Kultur des alten Griechenlands und die Natur (≈
bergende und beglückende Utopien)
Negatives Gegenbild: die eigene Gegenwart – “Unheilbarkeit des
Jahrhunderts” → verzweifelter Nihilismus
Hölderlins Gedichte
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Antiker Tradition verpflichtet: antike Formen der Hymne (Patmos,
Mnemosine), Ode, Elegie (Menons Klagen um Diotima)
Thematik: heimatliche Landschaft, Ideale der Menschheit,
konkret-symbolische Naturbilder, Suche nach der Identität von
Geschichts- und Naturprozessen
Dichter = Denker und Künder des weltgeschichtlichen Ganges
Lyrischer Sprachstil:
 Keine Annäherung an die Musik durch einlullende Rhythmen und
klangliche Stimmungsmagie
 Verselbständigung des einzelnen Wortes ← unregelmäßige,
kräftige Rhythmen und “harte Fügungen” in der Syntax
 Die Umstellung von Satzgliedern, das Aufbrechen des
Satzzusammenhanges, die Inkongruenz von syntaktischen und
Versgrenzen = ein bewusst eingesetztes Mittel →
Aufmerksamkeit des Lesers zu steigern → gelegentliche
Schwerverständlichkeit der Aussage
Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Heinrich von Kleist (1777-1811)
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Offizierslaufbahn; Abschied vom Militär,
patriotischer Kampf gegen Napoleon (Romantiker)
Angefangene Studien, unstete Reisejahre
Freier Schriftsteller
Selbstmord mit Henriette Vogel am Wannsee
Bis zum 24. Lebensjahr: Kleists geistiger
Horizont ← durch die deutsche und
französische Aufklärung bestimmt: Glaube an
die Macht der Tugend und der Vernunft,
Optimismus
1801 – “Kant-Krise” = Zusammenbruch dieser
geistigen Welt: “daß wir hieniden von der
Wahrheit nichts, gar nichts wissen”. – Verlust
des Erkenntnisoptimismus + allgemeines
Krisenbewusstsein im Bezug auf die
Gesellschaft und Staat + psychische Labilität
Heinrich von Kleists Poetik
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Die Sinnlosigkeit der gebrechlichen Wirklichkeit
Das Rätselhaftigkeit und Unerklärbarkeit der Welt
Die Unzuverlässigkeit des Verstandes und der
Vernunft
Die verzweifelte Hoffnung auf Instinkt und Gefühl als
Wegweiser im Labyrinth des Lebens
Düstere Stimmung
Kleists Dramen
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Trauerspiel-Fragment Robert Guiskard, Herzsog der Normannen (1803,
1807)
Trauerspiel Die Familie Schroffenstein (1803) – Romeo und JuliaThema – ins Melodramatische und Grausige gesteigert
Lustspiel Der zerbrochene Krug (1803-1806) – Meister des
analytischen Dramenstils – Wahrheitsfindung
Lustspiel Amphitrion (1807) – kompliziert und undurchsichtig: die
verzweifelte Verwirrung des Gefühls, die Verflochtenheit von Sein und
Schein
Drama Das Käthchen von Heilbronn (1807-1808) – instinktives,
unfehlbares Gefühl
Tragödie Penthesilea (1808) – Konflikt zwischen dem Gesetz der
Amazonen und der individuellen Liebe zu ihrem “Feind” Achilles;
Verschränkung von Liebesdrang und Zerstörungswut
(psychopathologische Züge)
Schauspiel Prinz Friedrich von Homburg (1809-1811) – Verhältnis
zwischen der inneren Stimme des unbewussten Gefühls und der
Ordnung eines Staatsgebildes; die traumähnliche, somnambule Welt
des Prinzen
Kleists Ezählungen
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Höhepunkt der deutschen Novelle
Rapporte von der ungeheuerlichen Verwirrung
menschlicher Lebensläufe – in einem harten,
sachlichen, lakonisch-gedrängten Ton voll innerer
dramatischer Gespanntheit; Gattungszüge des
Kriminalromans:
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Michael Kohlhaas – Recht und Schuld
Der Findling – Sein und Schein menschlicher Identität
Die Marquise von O. – Verwirrung der Gefühle angesichts
undurchschaubarer Zusammenhänge von Liebe und
Frevel
Der Zweikampf – die Aufklärung von Unrecht und
Verbrechen
Danke für die Aufmerksamkeit!